Titel:
Schadensersatz, Kaufpreis, Berufung, Annahmeverzug, Vertragsschluss, Restschuldbefreiung, Feststellung, Berechnung, Laufleistung, Feststellungsinteresse, Berufungsverfahren, Feststellungsklage, Schaden, Rechtsverfolgung, rechtliches Interesse, unerlaubten Handlung, gefestigter Rechtsprechung
Schlagworte:
Schadensersatz, Kaufpreis, Berufung, Annahmeverzug, Vertragsschluss, Restschuldbefreiung, Feststellung, Berechnung, Laufleistung, Feststellungsinteresse, Berufungsverfahren, Feststellungsklage, Schaden, Rechtsverfolgung, rechtliches Interesse, unerlaubten Handlung, gefestigter Rechtsprechung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Endurteil vom 20.08.2020 – 64 O 2157/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 60225
Tenor
I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt vom 20.08.2020 (Az.: 64 O 2157/19) abgeändert.
Die Beklagte wird unter Zurückweisung der Berufung der Klagepartei im Übrigen verurteilt, an die Klagepartei weitere € 9.527,88 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.10.2019 zu bezahlen.
II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klagepartei 53% und die Beklagte 47% zu tragen.
Bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung hat es sein Bewenden.
III. Dieses Urteil und das angefochtene Endurteil des Landgerichts Ingolstadt sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 20.065,23 festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Hinsichtlich des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Ingolstadt vom 20.08.2020 Bezug genommen. Gegen dieses Urteil legte der Kläger mit Schriftsatz vom 18.09.2020 Berufung ein, die er mit Schriftsatz vom 20.11.2020 auch begründete.
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Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger € 52.424,29 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke … vom Typ … 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von € 8.507,85.
Hilfsweise beantragen wir:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in das Fahrzeug der Marke … vom Typ … 3.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … mit der verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu
1. genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
4. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
5. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von € 2.099,76 freizustellen.
3
Die Beklagte beantragt,
Zurückweisung der Berufung.
4
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 03.05.2021 gaben die Parteien den aktuellen Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs übereinstimmend mit 107.415 an.
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Mit Beschluss vom 09.12.2020 hatte der Senat Hinweise erteilt. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2021 sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
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Die Berufung des Klägers hat hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzanspruches unter Berücksichtung anrechenbarer Nutzungen teilweise Erfolg, war im Übrigen aber zurückzuweisen:
1. Höhe der Nutzungsentschädigung
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a) Der BGH hat sich umfassend mit der Frage, ob und in welchem Umfang eine Nutzungsentschädigung abzuziehen ist, befasst, die Frage grundsätzlich bejaht und eine lineare Berechnung gebilligt. Hierbei hat das Gericht bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung im Rahmen des § 287 ZPO einen gewissen Ermessensspielraum, denn die Rechtsprechung verlangt im Rahmen des § 287 ZPO gerade keine exakten Ermittlungen aller Faktoren. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 287 ZPO dafür entschieden, auf das Erfordernis des Strengbeweises bei der Feststellung der Schadenshöhe zu verzichten. Es ist in diesem Bereich dem Tatrichter erlaubt, Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anzustellen und zu Schätzungen zu greifen. Dabei wird in Kauf genommen, dass die richterliche Schätzung von dem Ergebnis abweichen kann, das sich bei Durchführung einer Beweisaufnahme gegebenenfalls ergeben würde.
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Im Hinblick auf die Nutzungsentschädigung hat der BGH in gefestigter Rechtsprechung eine lineare Berechnungsmethode gebilligt. Daraus folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig.
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Die Berechnung einer degressiven Nutzungsentschädigung durch das Landgericht bewegt sich hier nicht im Ermessensspielraum des § 287 ZPO und war daher abzuändern. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz des Landgerichts dahingehend, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Der BGH stellt in seinen Entscheidungen zum „Diesel-Skandal“ regelmäßig auf die konkrete Nutzung des Fahrzeugs unter Berücksichtigung der zu erwartenden Gesamtleistung ab. Diese Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen.
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Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Letztlich ist die Berechnung einer degressiven Nutzungsentschädigung doch ein Ausdruck des über die Zeit eintretenden Wertverlustes des Fahrzeugs, welche die konkrete und über das Lebensalter des Fahrzeugs gleichbleibende Nutzung vernachlässigt. Der Bundesgerichtshof hat aber in seinem Urteil vom 30.07.2020 (Az.: VI ZR 354/19) einer Berechnung nach dem Wertverlust eine Absage erteilt.
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Der konkret gezogene Nutzen ist daher im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu erstatten. Die vom Landgericht angesetzte Gesamtleistung von 300.000 km bewegt sich indes im Rahmen des § 287 ZPO. Ergänzend wird zur Begründung auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss des Senats vom 09.12.2020 Bezug genommen.
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b) Ausgehend von einem Kaufpreis in Höhe von 50.000,00 € und vom Kläger gefahrenen Kilometern von 89.415 (107.415 zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzüglich eines Kilometerstandes von 18.000 bei Erwerb des Fahrzeugs) sowie einer restlichen Laufleistung in Höhe von 282.000 km (300.000 km ./. 18.000 bei Kauf) und Anwendung der vom Bundesgerichtshof gebilligten Formel (Kaufpreis x gefahrene Strecke) : erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt ergibt sich ein Nutzungsersatz von € 19.045,21 und damit ein zurückzuerstattender Kaufpreis von 52.424,29 (Kaufpreis + Finanzierungskosten) ./. 19.045,21 = € 33.379,09.
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Über den bereits vom Landgericht ausgeurteilten Betrag von € 23.851,21 waren daher weitere € 9.527,88 zuzusprechen. Im Übrigen war die weitergehende Berufung des Klägers zurückzuweisen.
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2. Der Hilfsantrag des Klägers unter Ziffer 2. ist bereits unzulässig, da mit der ausgeurteilten Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte gegen Zahlung von Schadensersatz dem Kläger kein weiterer Schaden mehr droht. Der Feststellungsklage fehlt daher schon das notwendige Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO.
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3. Soweit die Berufung unter Ziffer 3. die Feststellung dahingehend begehrt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Zug-um-Zug-Leistung in Annahmeverzug befindet, übersieht sie, dass das Landgericht diesen Antrag (unter Ziffer 4. des angefochtenen Urteils) bereits rechtskräftig ausgeurteilt hat, da die Beklagte selbst gegen diese Entscheidung kein Rechtsmittel eingelegt hat.
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4. Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung, dass der Anspruch des Klägers aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt, fehlt es ebenfalls am notwendigen Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO. Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung eines Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist gegeben, wenn dem Rechts- oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das Urteil auf die Feststellungsklage geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Ein Interesse für die Klage auf Feststellung eines Anspruchs aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung liegt dann vor, wenn hiermit geklärt werden kann, ob der Kläger die der Klage zugrunde liegende Forderung ungeachtet der ursprünglich fehlenden Anmeldung des Rechtsgrundes der unerlaubten Handlung auch noch nach Erteilung einer etwaigen Restschuldbefreiung gegenüber der Beklagten verfolgen kann (vgl. BGH NZI 2013, 906, 907). Denn nach § 302 Nr.1 InsO werden Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung von einer etwaigen Restschuldbefreiung nicht berührt: Indes finden die Vorschriften der Restschuldbefreiung nach § 286 InsO nur dann Anwendung, wenn der Schuldner eine natürliche Person ist. Da sich die Klage vorliegend gegen eine Aktiengesellschaft richtet, scheidet eine Schuldbefreiung von vorneherein aus, so dass insoweit kein Feststellungsinteresse hinsichtlich des Rechtsgrundes der eingeklagten Forderung besteht.
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5. Hinsichtlich der außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren hat der Senat bereits im Hinweis vom 09.12.2020 darauf hingewiesen, dass ein außergerichtliches Forderungsschreiben als Grundlage der außergerichtlichen Tätigkeit der Klägervertreter nicht vorgelegt wurde. Mit Schriftsatz vom 23.04.2020 haben die Klägervertreter zwar einen Versendungsnachweis übermittelt, das zugrunde liegende Anspruchsschreiben aber erneut nicht vorgelegt. Es fehlt daher nach wie vor an einem substantiierten Vortrag, in welcher Weise die nunmehr eingeklagte Forderung vorgerichtlich gegenüber der Beklagtenpartei überhaupt geltend gemacht wurde. Eines weiteren Hinweises des Senats hierzu bedurfte es nicht, da es sich lediglich um eine Nebenforderung handelt, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO. Da die eingeklagten Nebenforderungen keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert aufweisen, hat der Senat davon abgesehen, diese bei der Streitwertbemessung streitwerterhöhend zu berücksichtigen oder im Rahmen der Kostenentscheidung einen Abzug zu Lasten des Klägers vorzunehmen. Auch von einer Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung wurde abgesehen, da der Kläger die Nutzungsentschädigung erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 30.07.2020 vor dem Landgericht Ingolstadt beziffert hat und die noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht begründeten Deliktszinsen in Höhe von 4% ab Kaufvertragsschluss geltend gemacht hatte.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10.
20
Den Streitwert hat der Senat in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 GKG, 3 ff. ZPO mit der Differenz des vom Kläger gestellten Klageantrags in Ziffer 1. seiner Berufung abzüglich des in erster Instanz rechtskräftig ausgeurteilten Schadensersatzbetrages bemessen.