Titel:
Keine Prozessführungsbefugnis einzelner Wohnungseigentümer wegen Störungen des Gemeinschaftseigentums
Normenketten:
WEG § 9a Abs. 2, § 14 Abs. 1 Nr. 1
WEG aF § 22 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1
Leitsatz:
Die Durchsetzung von Ansprüchen wegen der Störung des gemeinschaftlichen Eigentums ist in § 9a Abs. 2 WEG nF, § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nF kraft Gesetzes der Wohnungseigentümergemeinschaft zugeordnet. Damit entfällt die bisher kraft Gesetzes jedem Wohnungseigentümer eröffnete Möglichkeit, aus § 1004 Abs. 1 BGB die Unterlassung oder Beseitigung von Störungen des Gemeinschaftseigentums zu verlangen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümergemeinschaft, bauliche Veränderung, Markise, Beseitigungsanspruch, Sondereigentum, Gemeinschaftseigentum, Prozessführungsbefugnis
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Hinweisbeschluss vom 18.02.2022 – 1 S 3709/21 WEG
LG München I, Beschluss vom 21.03.2022 – 1 S 3709/21 WEG
VerfGH München, Entscheidung vom 04.01.2023 – Vf. 27-VI-22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59922
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Beseitigung baulicher Veränderungen.
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Sowohl der Kläger als auch die Beklagte sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft . Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, dass die Beklagte im März/April 2017 an der Nordfassade des Hauses die streitgegenständliche Markise mit einer Breite vom 5,40 m und Tiefe von 3,50 m angebracht habe. Die Markise sei formell rechtswidrig, weil es an einem die Markise gestattenden Beschluss fehle. Der ursprüngliche genehmigende Beschluss aus der Eigentümerversammlung vom 28.06.2017 zu TOP 5 ist auf Anfechtung des Klägers hin durch das Landgericht München I mit rechtskräftigem Endurteil vom 05.09.2019, Az.: 36 S 5002/18 WEG für ungültig erklärt worden. Die Gestattung der baulichen Veränderung durch Beschluss sei jedoch zwingende Voraussetzung für deren Bestand und deren Bestehenbleibendürfens. Darüber hinaus stelle die Markise auch eine optisch nachteilige bauliche Veränderung dar, verbunden mit einem Eingriff in die Gebäudesubstanz, sodass hier wegen des damit verbundenen Nachteils im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG sämtliche Eigentümer gemäß § 22 Abs. 1 WEG a.F. zustimmen müssen. Die Markise sei allein durch ihre Größe sehr auffällig und beeinträchtige durch ihre nachteilige Optik das Erscheinungsbild der Fassade. Zudem sei sie in die Außenfassade gebohrt, sodass durch diesen Eingriff in die Außenfassade und des Wärmedämmverbundsystem eine bautechnische und bauphysikalische Schwachstelle entstanden sei, die zu einer erhöhten Wartungs- und Reparaturanfälligkeit führe. Die Beklagte sei auch verpflichtet, die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu tragen, da die Einschaltung des Unterzeichners geboten gewesen sei angesichts der Weigerung der Beklagten, die Markise zu beseitigen.
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Weiter führt der Kläger aus, dass er nicht aus dem Gemeinschaftseigentum, sondern aus seinem Sondereigentum klage. Klagen aus dem Sondereigentum bzw. wegen einer Beeinträchtigung des Sondereigentums seien von § 9 a Abs. 2 WEG n.F. nicht erfasst und würden für den einzelnen Eigentümer weiterhin möglich bleiben. Die Beeinträchtigung des Sondereigentums des Klägers bestehe in einem gesunkenen Verkehrswert der Wohnung durch die optisch auffällige Markise und mindestens 5 bis 10%. Weiter sei die Nutzungsmöglichkeit sowohl des Sondereigentums als auch des Sondernutzungsrechtes des Klägers beeinträchtigt, weil der Ausblick als Teil des Sondereigentums individuell geschützt sei und der Kläger beim Blick aus seinem Fenster die optisch auffällige und unschöne Markise sehe. Zudem könne Wasser ins Mauerwerk eindringen und das Sondereigentum des Klägers durchfeuchten. Ein solches Risiko sei für das Sondereigentum des Klägers durch die Bohrungen der Markise erhöht. Der Kläger sei damit nach wie vor prozessführungsbefugt.
I. Die Beklagte wird verurteilt, die vor ihrer EG-Wohnung Nr. 1 gemäß Aufteilungsplan an der Südfassade des Hauses vor dem Wintergarten angebrachte Markise zu beseitigen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Klageerhebung zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Sie führt im Wesentlichen aus, dass es eines genehmigenden Eigentümerbeschlusses dann nicht bedürfe, wenn ein solcher nicht benötigt werde, weil, so wie hier, die bauliche Maßnahme keinen Nachteil begründe. Der zur Wohnung Nr. 1 gehörende Wintergarten, in dessen Bereich die Markise angebracht worden sei, sei stark der Sonneneinstrahlung ausgesetzt, da es sich um die Südseite des Gebäudes handle. An sonnigen Tagen würde sich daher der Wintergarten so aufheizen, dass ein Aufenthalt dort unmöglich sei. Auch sei die streitgegenständliche Markise nicht mit einem optischen Nachteil verbunden. Sie entspreche in der Breite und der Tiefe den übrigen Markisen, die bereits an der Südseite des streitgegenständlichen Gebäudes angebracht sind. Dies habe auch das Landgericht München I im Verfahren 36 S 5002/18 so gesehen, wie sich aus dem Beschluss des Landgerichts München I vom 02.05.2019 ergibt (Anlage B 3).
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In Folge der angebrachten Markise bestehe auch keine bautechnische oder bauphysikalische Schwachstelle. Sie sei durch eine Firma fachgerecht und gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik installiert worden. Selbst wenn sie nicht fachgerecht installiert wäre, bestünde im Übrigen allenfalls ein Anspruch auf fachgerechte Installation, nicht aber auf deren Beseitigung.
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Weiter führt die Beklagte aus, dass der Kläger mit Inkrafttreten des WEMoG am 01.12.2020 seine Prozessführungsbefugnis verloren habe. Es handle sich bei dem Anspruch auf Unterlassung und/oder Beseitigung einer Störung des gemeinschaftlichen Eigentums um ein sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebendes Recht, dass nach § 9 a Abs. 2 Fall 1 WEMoG von der Gemeinschaft der Eigentümer ausgeübt wird. Im Prozess ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gesetzliche Prozessstandschafterin, die als eigenes Rechtsobjekt ihr fremde Abwehrrechte im eigenen Namen geltend macht. Die Klage sei damit schon unzulässig.
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Das Gericht hat Hinweise erteilt.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die eingereichten Schriftsätze und Unterlagen Bezug genommen.
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Mit Einverständnis der Parteien hat das Gericht das schriftliche Verfahren gewählt, wobei als Zeitpunkt gemäß § 128 II der 01.02.2021 bestimmt wurde.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unzulässig. Der Kläger ist nicht (mehr) prozessführungsbefugt. Das WEMoG ist am 01.12.2020 in Kraft getreten, wobei gemäß § 48 Abs. 5 WEMoG bis auf die Vorschriften des 3. Teils alle sonstigen Vorschriften des WEMoG grundsätzlich sofort anwendbar sind. Übergangsregelungen fehlen somit auch bei der Durchsetzung von Ansprüchen wegen der Störung des gemeinschaftlichen Eigentums. Nach dem WEMoG ist die Durchsetzung von Ansprüchen wegen der Störung des gemeinschaftlichen Eigentums in §§ 9 a Abs. 2, 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG n.F. kraft Gesetzes der Wohnungseigentümergemeinschaft zugeordnet. Damit entfällt die bisher kraft Gesetzes jeden Wohnungseigentümer eröffnete Möglichkeit, aus § 1004 Abs. 1 BGB die Unterlassung oder Beseitigung von Störungen des Gemeinschaftseigentums zu verlangen. Die Prozessführungsbefugnis des Klägers bleibt auch nicht deswegen bestehen, weil er vorträgt, durch die streitgegenständliche Markise in seinem Sondereigentum beeinträchtigt zu werden. Die vom Kläger vorgetragenen möglichen Beeinträchtigungen in seinem Sondereigentum bzw. Sondernutzungsrecht z. B. Reduzierung des Verkehrswertes der Wohnung oder Störung durch einen unschönen Anblick waren auch bisher schon mit baulichen Veränderungen gemäß § 22 Abs. 1 WEG a.F. verbunden, haben jedoch nicht dazugeführt, dass hierdurch der Schwerpunkt von der Beeinträchtigung des Gemeinschaftseigentums weg und hin zum Sondereigentum verlagert wird.
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Die Klage ist jedoch auch unbegründet, da mit der streitgegenständlichen Markise kein Nachteil im Sinne von § 14 Nr. 1 WEG verbunden ist. Aus den vom Kläger vorgelegten Lichtbildern ergibt sich nach den Feststellungen des Gerichts kein nachteilige optische Beeinträchtigung. Sie ist mit den bereits an der Südfassade angebrachten Markisen vergleichbar und fügt sich so in das Bild der Südfassade mit Markisen zwanglos ein.
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Soweit der Kläger eine mögliche Schädigung der Außenfassade anführt, hätte er allenfalls einen Anspruch auf ordnungsgemäße Installation, nicht aber auf Beseitigung der streitgegenständlichen Markise.
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Als Unterlegener trägt der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß § 49 a Abs. 1 S. 1 GKG festgesetzt, der für Verfahren, die vor dem 01.12.2020 bereits anhängig waren, wie hier, gemäß § 71 GKG weiterhin anwendbar ist. Um dem Interesse aller Beteiligter an der Entscheidung gerecht zu werden wurde ein mittlerer Regelstreitwert in Höhe von 5.000,00 € angenommen, der erforderlich aber auch ausreichend ist.