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LG München I, Beschluss v. 08.03.2021 – 5 HK O 2426/21
Titel:

Frist, Spruchverfahren, Verfahren, Antragsteller, Anwendung, Angemessenheit, Antragsfrist, Verfristung, AG, Unternehmenswert, Ablauf, Antragsgegner, Kompensation, Rechtssicherheit

Schlagworte:
Frist, Spruchverfahren, Verfahren, Antragsteller, Anwendung, Angemessenheit, Antragsfrist, Verfristung, AG, Unternehmenswert, Ablauf, Antragsgegner, Kompensation, Rechtssicherheit
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59847

Tenor

I. Der Antrag auf Festsetzung einer angemessenen Barabfindung wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert wird auf € 5.000,-- festgesetzt.

Gründe

I.
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Die Hauptversammlung der A. AG mit Sitz in I. fasste am 31.7.2020 den Beschluss, die Aktien der übrigen Aktionäre auf die Antragsgegnerin gegen eine Barabfindung in Höhe von € 1.551,53 je Stückaktie zu übertragen. Die auf § 10 HGB gestützte Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister erfolgte am 17.11.2020. Der zum Zeitpunkt der Eintragung des Übertragungsbeschlusses eine Aktie der A. AG haltende Antragsteller stellte mit Schriftsatz vom 16.12.2020 einen an das Landgericht Braunschweig - Kammer für Handelssachen - gerichteten Antrag auf Bestimmung einer angemessenen Barabfindung. Nach einem Hinwies des Landgerichts Braunschweig auf die Zuständigkeit des Landgerichts Hannover für Spruchverfahren beantragte der Antragsteller die Abgabe an das Landgericht Hannover, wo die Akte entsprechend einem Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 13.1.2021 über die Abgabe (Bl. 7 d.A.) am 18.1.2021 eintraf. Nach einem Hinweis des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 7.1.2021 auf die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Hannover und einer Frist zur Stellungnahme an den Antragsteller beantragte dieser unter dem 5.2.2021 (Bl. 11 d.A.) die Weiterleitung an das zuständige Gericht. Das Landgericht Hannover erklärte sich daraufhin mit Beschluss vom 8.2.2021, Az. 26 O 3/21 für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Landgericht München I, wo die Akte am 18.1.2021 eintraf.
II.
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1. Der Antrag ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SpruchG beim Landgericht München I eingegangen ist. Nach dieser Vorschrift kann der Antrag nur binnen drei Monaten ab Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses entsprechend den Vorgaben aus § 10 HGB erfolgen. Diese Bekanntmachung erfolgte gerichtsbekannt aus dem Verfahren 5HK O 15162/20 am 17.11.2020, weshalb die Frist am 17.2.2021 endete. Da der Eingang beim örtlich zuständigen Landgericht München I erst am 18.2.2021 erfolgte, war der Antrag verfristet. Aufgrund von §§ 71 Abs. 4 GVG; 26 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über gerichtliche Zuständigkeiten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz (Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz - GZVJu) ist das Landgericht München I örtlich zuständig.
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Dem kann der Antragsteller nicht entgegenhalten, er habe den Antrag innerhalb der Frist von drei Monaten beim Landgericht Braunschweig gestellt. Dieses ist ebenso wie das Landgericht Hannover örtlich nicht zuständig, weil sich die örtliche Zuständigkeit aufgrund von § 2 Abs. 1 Satz 1 SpruchG nach dem Sitz des Rechtsträgers richtet, dessen Anteilsinhaber antragsberechtigt sind. Damit aber ist maßgeblich der Sitz der AUDI AG in Ingolstadt, nicht der Sitz der Antragsgegnerin in Wolfsburg. Die im streitigen Verfahren nach der ZPO diesen Fall regelnde Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO findet vorliegend keine Anwendung.
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a. Zwar wird in Teilen der Rechtsprechung und Literatur angenommen, der Eingang bei einem örtlich unzuständigen Gericht wahre angesichts der Einheitlichkeit des Verfahrens vor dem zuständigen und unzuständigen Gericht die Frist des § 4 Abs. 1 SpruchG (vgl. OLG Karlsruhe NZG 2005, 84, 85; Drescher in: BeckOGK,, 1.2.2021, SpruchG, § 4 Rn. 9).
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b. Dieser Ansicht kann indes mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur nicht gefolgt werden. § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO kann hier keine Anwendung finden, denn nach dem Regelungszusammenhang der spezialgesetzlichen Norm des § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SpruchG kann die Frist zur Einleitung eines Spruchverfahrens nur durch den Eingang eines Antrags bei einem zumindest zunächst zuständigen Gericht gewahrt werden. Nach Einführung der Regelung des § 4 Abs. 1 SpruchG ist jedoch keine Regelungslücke mehr vorhanden, die zu einer analogen Anwendung des § 281 ZPO führen könnte. Der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 1 Satz 2 SpruchG die Verfristungsfolge für Anträge an (zunächst zuständige und schließlich) unzuständige Gerichte spezialgesetzlich geregelt. Er hat dabei ausdrücklich diejenigen Fälle zu Gunsten des Antragstellers entschieden, in denen die (endgültige) Zuständigkeit zweifelhaft oder schwer erkennbar ist. Im Umkehrschluss ist daraus zu folgern, dass in allen anderen Fällen nur die Einreichung des Antrags beim zuständigen Gericht fristwahrend wirkt. Aus diesem Grund kann für das Spruchverfahren nichts daraus hergeleitet werden, dass in Familien- und Insolvenzsachen die Vorschrift des § 281 ZPO entsprechend angewendet wird. Auch verfassungsrechtliche Normen, insbesondere die durch Art. 14 GG gewährleistete Eigentumsgarantie, zwingen nicht zu einer entsprechenden Anwendung des § 281 ZPO in Spruchverfahren. Innerhalb der Antragsfrist von drei Monaten ist es ohne weiteres möglich, das zuständige Gericht zu ermitteln. Dies gilt vorliegend namentlich deshalb, weil sich aus dem Gesetzestext eindeutig ergibt, dass jedenfalls weder das Landgericht Braunschweig noch das Landgericht Hannover örtlich zuständig sein können, weil es nicht um den Sitz der Antragsgegnerin geht, sondern um den des Rechtsträgers, dessen Aktionär der Antragsteller war. Insoweit weist der Antragsteller selbst auf den Sitz der A… AG in Ingolstadt hin. Ein Bezug zu einem der beiden norddeutschen Gerichte kann angesichts der eindeutigen Regelung in § 2 Abs. 1 SpruchG nicht hergestellt werden. Im Übrigen werden die Rechte der nicht unmittelbar am Verfahren beteiligten Antragsberechtigten nach § 6 SpruchG durch den gemeinsamen Vertreter gewahrt, der auch hier bestellt ist. Die Entscheidung wirkt für und gegen alle (§ 13 SpruchG). Weiterhin wird nur auf diese Weise sichergestellt, dass nach Ablauf der Antragsfrist Rechtssicherheit für den Antragsgegner besteht (so OLG München NZG 2010, 306 f. = ZIP 2010, 369 f.; OLG Düsseldorf NZG 2005, 719; OLG Frankfurt ZIP 2009, 2408; Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 4 SpruchG Rn. 11 a. E.; Wasmann in: Kölner Kommentar zum AktG, § 4 SpruchG Rdn. 6; Klöcker/Wittgens in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 4 SpruchG Rdn. 7; Ederle/Theusinger in: Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 4 SpruchG Rdn. 5; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 4 SpruchG Rdn. 5; Mennicke BB 2006, 1243; Hirte EWiR 2006, 256).
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Den Folgen einer gegebenenfalls erfolgten nicht hinnehmbaren Verzögerung der Weiterleitun der Akten kann unter Umständen durch eine Niederschlagung der Gerichtskosten Rechnung getragen werden.
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Angesichts der Verfristung des Antrags muss die Kammer nicht mehr abschließend darüber entscheiden, ob der Antrag überhaupt hinreichend konkrete Einwendung gegen die Angemessenheit der Kompensation oder den als Grundlage für die Kompensation ermittelten Unternehmenswert im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SpruchG erhoben hat, woran nicht unerhebliche Zweifel bestehen.
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2. Die Entscheidung über den Geschäftswert hat ihre Grundlage in einer analogen Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 4 RVG. Die Kammer erachtet es unter Berücksichtigung des Justizgewährungsanspruchs als mit dem Gesamtzusammenhang der Reglung in § 15 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. SpruchG für unvereinbar, wenn bei einem isoliert entschiedenen Spruchverfahrensantrag der Mindestgeschäftswert von € 200.000,- herangezogen würde. Der Mindestgeschäftswert auch im Falle einer Zurückweisung wurde vom Gesetzgeber mit dem hohen Aufwand des Gerichts begründet, der namentlich bei der Durchführung einer Beweisaufnahme entsteht (vgl. BT-Drucks. 15/371 S. 17). Damit ist aber offensichtlich der Gesamtaufwand eines regelmäßig mit vielen Beteiligten durchzuführenden Spruchverfahrens - vielfach mit Beweisaufnahme zum Unternehmenswert - nach Verbindung der Anträge gemeint, wenn es nicht zu einer Erhöhung oder nur zu einer geringfügigen Erhöhung der Kompensation kommt. Die Festsetzung dieses Mindestgeschäftswerts ist indes dann nicht gerechtfertigt, wenn ein einzelner Antrag ohne Verbindung als unzulässig zurückgewiesen wird. Gerade wenn ein Antragsteller nur über wenige Aktien verfügt, wäre es mit dem im Grundgesetz verankerten Justizgewährungsanspruch unvereinbar, wenn jeder einzelne Antragsteller, dessen Verfahren als unzulässig zurückgewiesen wird, aus der Mindestgebühr die Kosten tragen müsste; eine Kostenregelung darf nicht prohibitiv wirken. Daher bedarf es der teleologischen Reduktion des § 15 Abs. 1 Satz 2 SpruchG für eine derartige Sondersituation; der Wortlaut reicht aus den oben dargestellten Gründen als der damit verfolgte Normzweck. Zur Lösung kann auf die für die außergerichtlichen Kosten geschaffene Regelung über die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche Tätigkeit in einem Spruchverfahren zurückgegriffen werden, bei der die mandatierten Rechtsanwälte nicht aus dem Gesamtgeschäftswert abrechnen können. In dieser Situation kann gerade bei einer geringen Aktienzahl aus einem Wert von € 5.000,- abgerechnet werden. Dieser Gedanke ist nach Einschätzung der Kammer auch auf die hier gegebene Sondersituation zu übertragen (vgl. LG München I ZIP 2010, 1995, 1997).