Titel:
Schadensersatz, Verkehrsunfall, Reparaturkosten, Unfall, Betriebsgefahr, Gutachten, Ersatzfahrzeug, Fahrzeug, Haftpflichtversicherer, Mitverschulden, Geschwindigkeit, Unfallhergang, Totalschaden, Pkw, unabwendbares Ereignis, Ergebnis der Beweisaufnahme, kein Anspruch
Schlagworte:
Schadensersatz, Verkehrsunfall, Reparaturkosten, Unfall, Betriebsgefahr, Gutachten, Ersatzfahrzeug, Fahrzeug, Haftpflichtversicherer, Mitverschulden, Geschwindigkeit, Unfallhergang, Totalschaden, Pkw, unabwendbares Ereignis, Ergebnis der Beweisaufnahme, kein Anspruch
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 23.06.2022 – 13 U 247/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59642
Tenor
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.071,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.10.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 90 und die Beklagten als Gesamtschuldner 10 Prozent zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird bis einschließlich zum 03.03.2021 auf 9.726,79 € festgesetzt, danach auf 9.647,70.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall.
2
Der Kläger, welcher einen KfZ-Handel betreibt, war zum Unfallzeitpunkt Halter und Eigentümer des privat genutzten PKW Daimler, amtliches Kennzeichen …. Dessen Ehefrau … befuhr am 14.09.2019 gegen 17:45 Uhr die Bundesstraße B 85 bei Mö., ... K., in nördlicher Richtung. Vor ihr fuhr der von der Beklagten zu 2) gesteuerte und bei der Beklagten zu 1) versicherte PKW VW. Die Bundesstraße verläuft in dem von beiden Fahrzeugen befahrenen Bereich geradeaus und gut einsehbar. Die Beklagte zu 2) wurde langsamer und setzte den Blinker - ob rechts oder links ist streitig. Aus streitiger Ursache kam es auf Höhe eines Feldwegs, der sowohl links- als auch rechts von der Bundesstraße abzweigt, zur Kollision zwischen der linken Heckseite des PKW VW und der linken Front des klägerischen Fahrzeugs.
3
Der Kläger gab am 18.09.2019 ein Gutachten zur Schadenshöhe bei der D. … in Auftrag, welches unter dem 22.09.2019 erstellt und dem Kläger zugeleitet wurde. Dieses wies für den klägerischen PKW erforderliche Reparaturkosten von 13.810,30 € netto und 16.434,26 € brutto sowie eine Reparaturdauer von vier Tagen aus. Zudem ergibt sich nach dem Gutachten eine schadensbedingte Wertminderung nach Reparatur i.H.v. 1.000,00 €. Für die Begutachtung stellte der Sachverständige dem Kläger 1.140,65 € in Rechnung.
4
Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs liegt bei 36.000,00 €, der erzielbare Restwert - zuletzt zwischen den Parteien unstreitig - bei 20.550,00 €.
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Vom 16.09.2019 bis 24.09.2019 nutzte der Kläger ein Mietfahrzeug. Am 30.09.2019 ließ er ein Ersatzfahrzeug auf sich zu, wofür Zulassungskosten in Höhe von 59,70 € entstanden. Für das klägerische Fahrzeug sind zur Berechnung des Nutzungsausfalls 79,00 € pro Tag anzusetzen.
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Im Zuge der Schadensregulierung legte die Beklagte zu 1) eine Mithaftungsquote der Klägerseite von 30 % zugrunde. Auf die klägerseits insgesamt geforderte Schadenssumme in Höhe von 17.047,35 € bezahlte sie 7.072,59 € an den Kläger selbst sowie 670,97 € an den Sachverständigen. Zur Unkostenpauschale des Klägervertreters legte sie einen Gesamtbetrag von 25,00 € zugrunde, worauf 17,50 € bezahlt wurden, und auf die außergerichtlich geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.100,51 € (1,3 Geschäftsgebühr zzgl. 20,00 € zzgl. Mehrwertsteuer) regulierte sie 808,13 €. Eine weitergehende Regulierung lehnte sie mit Schreiben vom 02.10.2019 ab.
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Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 2) habe kurz vor dem Unfall den rechten Blinker gesetzt. Die Zeugin …, Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs, sei daher davon ausgegangen, diese wolle nach rechts in den Feldweg abbiegen. Die Zeugin … habe daher links geblinkt und zum Überholen angesetzt. Als sie sich auf Höhe des PKW VW befunden habe, zog dieser unvermittelt und ohne dies durch Blinken anzuzeigen, nach links auf die Fahrspur, auf der sich das klägerische Fahrzeug befand. Der anschließende Zusammenstoß sei für die Zeugin … unvermeidbar gewesen. Die Beklagten hätten den entstandenen Schaden somit vollständig zu ersetzen.
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Aufgrund des Gutachtens sei die Wiederbeschaffung im Vergleich zur Reparatur die wirtschaftlichere Methode zur Wiederherstellung. Die hierfür erforderlichen Kosten nebst Zulassungskosten seien dementsprechend zu erstatten. Zudem sei Nutzungsausfall für - zuletzt - neun Tage zu bezahlen, da dem Kläger im Zeitraum 14.09.-16.09.2019 sowie 25.09.-30.09.2019 kein Fahrzeug zur Verfügung gestanden habe. Insbesondere habe der Kläger nicht auf Fahrzeuge aus seinem KfZ-Handel zurückgreifen können, da diese zum Weiterverkauf gedacht und - wenn überhaupt - nur mit röten Überführungskennzeichen ausgestattet waren.
9
Im Falle einer Reparatur sei eine Wertminderung in Höhe von 1.000,00 € zu berücksichtigen.
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Der Kläger erweiterte die zunächst nur gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage mit Schriftsatz vom 04.03.2021 (bei Gericht eingegangen am selben Tag) auf die Beklagte zu 2) und nahm sie zugleich in Höhe von 79,00 € zurück. Die Rücknahme betraf einen Tag Nutzungsausfall.
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Der Kläger beantragt zuletzt:
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 9.647,79 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 02.10.2019 sowie weitere vorgerichtliche Kosten in Höhe von 292,38 € zu bezahlen.
12
Die Beklagten beantragen,
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Sie behaupten, die Fahrerin … sei aus Unaufmerksamkeit und/oder überhöhter Geschwindigkeit auf das noch auf der rechten Fahrspur befindliche Beklagtenfahrzeug aufgefahren. Die Beklagte zu 2) habe ca. 30 Meter vor der Abzweigung links geblinkt, um nach links abzubiegen. Noch vor Einleitung des Abbiegevorgangs sei es zur Kollision durch Auffahren des klägerischen PKW gekommen. Ihr sei allenfalls vorzuwerfen, dass sie einen Schulterblick nach links unterlassen hätte.
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Selbst wenn man den klägerischen Vortrag zum Unfallhergang unterstelle, treffe die Klägerseite ein Mitverschulden. Die Fahrerin … habe dann jedenfalls bei unsicherer Verkehrslage und mit zu geringem Sicherheitsabstand überholt. Die Mithaftungsquote läge jedenfalls bei 30 %.
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Am Fahrzeug des Klägers sei außerdem kein Totalschaden, sondern ein Reparaturschaden eingetreten. Der ermittelte Reparaturbetrag laut D.-Gutachten sei nicht erforderlich. Es seien allenfalls Netto-Reparaturkosten in Höhe von 9.218,70 € erforderlich; im Falle einer Reparatur brutto 10.970,25 €. Bezüglich des Nutzungsausfalls seien nur die im Gutachten genannten vier Tage anzusetzen, zumal die Beklagte zu 1) dem Kläger von 16.09. bis 24.09.2019 ein Mietfahrzeug bezahlt habe. Auch die Unkostenpauschale von 30,00 € sei übersetzt, angemessen seien lediglich 25,00 €.
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Dem Kläger sei auch kein Nutzungsausfallschaden entstanden, da er auf Fahrzeuge aus dem Bestand seines KfZ-Handels hätte zurückgreifen können.
17
Das Gericht hat im Termin Beweis erhoben durch Erholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang sowie zur Schadenshöhe durch den Sachverständigen Dipl. Ing. …. Es hat außerdem die Zeugin … vernommen. Eine informatorische Anhörung der Beklagten zu 2) konnte mangels deren Erreichbarkeit (unbekannter Wohnort in den USA) nicht durchgeführt werden. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll vom 30.11.2021, Bl. 97 ff. d.A., und im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verweisen.
Entscheidungsgründe
18
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
19
Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere ist das angerufene Gericht nach §§ 23, 71 GVG sachlich und nach § 32 ZPO örtlich für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig.
21
Die Erweiterung der Klage auf die Beklagte zu 2) ist gem. §§ 263, 60 ZPO als nachträgliche subjektive Klagehäufung zulässig. Die Entscheidung über Ansprüche gegen beide Beklagte ist sachdienlich, da so eine Erledigung des gesamten Streitstoffs herbeigeführt werden kann; sie beruht auf demselben Sachverhalt.
22
Auch die teilweise Klagerücknahme in Höhe von 79,00 € ist gem. §§ 264 Nr. 2, 269 ZPO zulässig.
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Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Insbesondere ist die durch die Beklagte zu 1) im Rahmen der Regulierung angesetzte Mithaftungsquote des Klägers von 30 % nicht zu beanstanden (1.), sodass sich lediglich weitere Ansprüche der Höhe nach ergeben (2.).
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1. Der Kläger hat gegen beide Beklagte als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 7, 18 StVG i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, § 1 PflVG. Die Beklagte zu 2) haftet als Fahrerin, die Beklagte zu 1) als Haftpflichtversicherer des unfallgegnerischen Fahrzeugs für den dem Kläger durch das Unfallereignis vom 14.09.2019 entstandenen Schaden.
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Ein Mitverschulden der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ist gem. § 18 Abs. 3 StVG dem Kläger als Halter jedoch zuzurechnen und der Schadensersatzanspruch entsprechend § 17 Abs. 2 StVG zu quotieren, sofern für den Kläger bzw. die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs der Unfall nicht im Sinne eines unabwendbaren Ereignisses unvermeidbar war, § 17 Abs. 3 StVG.
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a. Ein unabwendbares Ereignis lag für die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs nicht vor. Absolute Unvermeidbarkeit wird dabei zwar nicht gefordert (BGH NZV 2005, 305). Es reicht aus, dass der Unfall auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGH NZV 2005, 305; OLG Koblenz NZV 2006, 201). Hierbei kommt es allerdings nicht nur darauf an, wie ein „Idealfahrer“ in der konkreten Gefahrensituation reagiert hätte, sondern auch darauf, ob ein „Idealfahrer“ überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH NJW 1992, 1684; OLG Koblenz NZV 2006, 201). Dies ist hier nicht der Fall.
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Zwar hat die Beweisaufnahme den klägerseits geschilderten Unfallhergang zur Überzeugung des Gerichts im Wesentlichen bestätigt. Die Zeugin … ist gerade nicht, wie die Beklagtenseite meint, im Zuge eines „klassischen Auffahrunfalls“ mit dem gegnerischen Fahrzeug kollidiert, sondern während eines Überholvorgangs, in dessen Verlauf die Beklagte trotz anderweitig gesetzten Blinkers auf die Spur des klägerischen Fahrzeugs gezogen ist. Aufgrund der konkreten Umstände hätte die Zeugin jedoch schon nicht zum Überholvorgang ansetzen dürfen, da das Fahrverhalten der Beklagten zu 2) Anlass zu Misstrauen in deren künftiges Verhalten gegeben hat.
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Auf das Sachverständigengutachten kommt es diesbezüglich nicht an. Die Vermeidbarkeit des Unfalls ergibt sich bereits aus den Angaben der Zeugin … selbst. Sie hat angegeben, bereits längere Zeit hinter der Beklagten zu 2) hergefahren zu sein und sich gewundert zu haben, warum diese so langsam fuhr.
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Konkret führte die Zeugin aus:
„Mir ist aufgefallen, dass sie immer langsamer fährt und nicht so recht weiß, wo sie hinwill. (…) Mir war schon bewusst, als … angezeigt hat, dass sie abbiegen möchte, dass es sich hierbei um einen Feldweg handelt, in den man nicht mit hoher Geschwindigkeit einfahren kann.“ (Bl. 99 f. d.A.).
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Das Gericht ist von diesen Angaben schon deswegen überzeugt, weil sich die Zeugin hierdurch selbst belastete. Die Zeugin machte auf das Gericht auch sonst einen glaubwürdigen Eindruck. Ihre Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung waren widerspruchsfrei und konnten auch durch Nachstellung des Unfalls mittels Modellautos bildhaft nachvollzogen werden.
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Auf eine Vermeidbarkeit des Unfalls während des Überholvorgangs kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da ein Idealfahrer bei derartigem Vorverhalten des vorausfahrenden Fahrzeugs schon nicht zum Überholen angesetzt hätte.
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b. Dementsprechend sind die Verursachungsbeiträge beider Fahrzeuge entsprechend § 17 Abs. 2 StVG zu gewichten und hieraus die Haftungsquoten zu ermitteln. Sie werden gebildet durch die Summe der Gefahren, die in der konkreten Unfallsituation vom jeweiligen Kraftfahrzeug ausgegangen sind und sich bei dem Unfall zum Nachteil des Unfallgegners ausgewirkt haben (BGH NZV 2010, 293). Das Gericht geht dabei im Wesentlichen von dem klägerseits geschilderten Unfallhergang aus, welcher sowohl durch die Zeugin … als auch das Sachverständigengutachten bestätigt wurde. Es ist aus den oben genannten Gründen zur Glaubwürdigkeit der Zeugin auch zu der Überzeugung gelangt, dass die vorausfahrende Beklagte zu 2) den rechten Blinker gesetzt hat, dann aber - anscheinend in spontanem Entschluss - nach links abgebogen ist.
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Dieser Unfallhergang wird - mit Ausnahme des dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglichen Blinken - auch durch das verkehrsanalytische Gutachten bestätigt. Der Sachverständige hat im Rahmen der Begutachtung zutreffende Anknüpfungstatsachen zugrunde gelegt, insbesondere die noch am Unfallort aufgenommenen Bilder sowie Aufnahmen der Beschädigungen detailliert ausgewertet. Er hat sein Gutachten widerspruchsfrei erstattet und konnte im Termin sowohl auf die Schilderungen der Zeugin … als auch auf die Fragen des Gerichts und der Parteivertreter eingehen. Dem Gericht ist er als zuverlässiger und kompetenter Unfallanalytiker bekannt, sodass es dem Gutachten uneingeschränkt folgt. Ungeachtet dessen, dass der Sachverständige zu dem Ergebnis kommt, dass das Unfallereignis für die Zeugin nach Einleiten des Überholvorgangs unvermeidbar war (Bl. 105 f. d.A.), verbleibt auf Klägerseite im Hinblick auf die Schilderung der Zeugin eine Mithaftungsquote von 30 %:
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Diese hätte sich vorliegend nicht auf das künftige Fahrverhalten der Beklagten zu 2) verlassen dürfen, da es sich für sie um eine unklare Verkehrslage handelte. Eine unklare Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ist dann gegeben, wenn nach den Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun werde, wenn er sich unklar verhält, in seiner Fahrweise unsicher erscheint oder wenn es den Anschein hat, er wolle abbiegen, ohne dass dies verlässlich erscheint (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2013, Az. I-1 U 240/12, mit Hinweis auf Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 5 StVO, Rn. 34). Dass die Verkehrslage im vorstehenden Sinne unklar war, ergibt sich bereits aus den eigenen Angaben der klägerseits benannten Zeugin, die angegeben hat, die Beklagte zu 2) sei immer langsamer geworden, habe offenbar nicht gewusst, wo sie hinwill und an einer Stelle, die zum Abbiegen ungewöhnlich erschien, geblinkt. Die Zeugin durfte unter diesen Umständen nicht darauf vertrauen, dass das beklagtische Fahrzeug seine Fahrtrichtung beibehalten bzw. in angezeigter Richtung abbiegen würde. Da sich auch auf der linken Seite eine Abzweigung befand, lag es für die - nach eigenem Bekunden ortskundige - Zeugin vielmehr nahe, in Betracht zu ziehen, dass die Beklagte zu 2) aufgrund ihrer Unsicherheit möglicherweise dorthin abbiegen könnte. Trotzdem hat sie sich nach eigenen Angaben zeitnah, nachdem die Beklagte geblinkt hatte, zum Überholen entschlossen, ohne eine Klärung der Verkehrslage abzuwarten.
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Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Straße, ansonsten gut einsehbar und zum Überholen durchaus geeignet war. Die Beklagte zu 2) trifft auch deutlich überwiegendes Mitverschulden, da sie entgegen ihrer angezeigten Absicht und ohne den rückwärtigen Verkehr zu beobachten nach links abgebogen ist. Ihr fällt damit ein Verstoß sowohl gegen § 9 Abs. 1 S. 1 als auch § 9 Abs. 1 S. 4 StVO zur Last. Deren Mitverursachungsbeitrag ist aufgrund der gesamten Umstände jedoch nicht, wie die Klägerseite meint, mit 100 % zu bewerten. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs kann trotz der gravierenden Verkehrsverstöße der Beklagten zu 2) nicht vollständig zurücktreten, sondern ist aufgrund o.g. Gründe mit 30 % zu bemessen.
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2. Der dem Kläger entstandene Schaden ist damit zu 70 % zu ersetzen; die Schadensberechnung als solche folgt aus § 249 BGB. Danach ist grundsätzlich der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Schaden ist dabei im Sinne der Differenzhypothese möglichst konkret zu berechnen. Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Sein Anspruch ist auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags gerichtet (vgl. BGH NJW 2007, 1450; NJW 2014, 1947). Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte hat nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.
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Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger über den bereits unter Ansatz einer zutreffenden Quote regulierten Schaden hinaus Anspruch auf die sich aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten ergebenden netto-Reparaturkosten nebst Wertminderung, auf Ersatz von Zulassungskosten und auf Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens. Insgesamt errechnet sich hieraus weiterer Schadensersatz in Höhe von 1071,50 €.
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a. Hinsichtlich der Schäden am PKW schuldet die Beklagtenseite weitere netto-Reparaturkosten in Höhe von 750,01 € sowie weitere Wertminderung in Höhe von 98,00 €. Auch Zulassungskosten sind in Höhe von 41,79 € zu erstatten.
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Bezüglich der Schäden am klägerischen Pkw ist der Kläger gehalten, den wirtschaftlich sinnvollsten Weg der Wiederherstellung zu wählen. Im Falle von - wie hier - zweier gleichwertiger Alternativen im Rahmen fiktiver Abrechnung, nämlich Reparatur oder Wiederbeschaffung, bedeutet dies, dass er grundsätzlich die günstigere Variante wählen muss.
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Danach ist der durch das gerichtssachverständige Gutachten ermittelte Netto-Reparaturbetrag nebst Wertminderung anzusetzen. Nur diese Beträge sind dem Kläger als Schaden tatsächlich entstanden und damit ersatzfähig.
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Der Sachverständige führt hierzu aus, dass in Überprüfung der seitens beider Parteien eingereichten Gutachten 10.290,15 € netto bzw. 12.245,28 € brutto gerechtfertigt sind. Der vom Kläger nach dessen Privatgutachten für die Reparatur angesetzte Betrag ist damit überhöht.
42
Der Sachverständige begründet dies nachvollziehbar und widerspruchsfrei mit der Kürzung verschiedener Positionen, die im Vergleich zum klägerischen Gutachten nicht oder mit weniger Aufwand/Arbeitsstunden anzusetzen sind. Die klägerseits geltend gemachte Wertminderung bestätigt der Sachverständige jedoch. Diesbezüglich wird auf das Terminsprotokoll, konkret Bl. 106 f. d.A., verwiesen.
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Damit sind lediglich Reparaturkosten netto unter fiktiver Abrechnung sowie 1.000,00 € Wertminderung ersatzfähig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz, dass bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen ist. Der Kläger hat sich nach Erholung des privaten Gutachtens zwar ein Ersatzfahrzeug beschafft. Eine konkrete Abrechnung ist diesbezüglich jedoch nicht möglich und wird von ihm auch gar nicht geltend gemacht. Insbesondere ist die Situation nicht vergleichbar mit derjenigen, in der ein Geschädigter im Vertrauen auf die Richtigkeit eines zur Schadenshöhe eingeholten Gutachtens tatsächlich reparieren lässt und auf dieser Basis Schadensersatz verlangt, da es sich sowohl beim zur Wiederbeschaffung erforderlichen als auch dem zur Reparatur erforderlichen Aufwand jeweils um fiktiv anfallende Beträge handelt. Die Ersatzbeschaffung war damit schon objektiv nicht zur Schadenswiederherstellung erforderlich, ohne dass es auf den subjektiven Schadensbegriff ankäme.
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Auf einen damit insgesamt erstattungsfähigen Betrag von 7.203,10 € (Reparatur) und 700,00 € (Wertminderung) hat die Beklagtenseite 6.453,09 € bzw. 602 € reguliert, sodass Anspruch auf weitere 848,01 € besteht.
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Auch besteht Anspruch auf 41,79 € (quotierte) Zulassungskosten. Diese sind unbestritten in Höhe von 59,70 € angefallen und waren aus der maßgeblichen ex-ante Sicht des Klägers zum Zeitpunkt der Schadensbehebung auch als wirtschaftlich sinnvoll anzusehen und entsprechend erforderlich, da dieser sich grundsätzlich auf das erholte Privatgutachten verlassen durfte. Sie sind dem Kläger nach o.g. Grundsätzen zu erstatten.
46
b. Ebenso hat der Kläger Anspruch auf Ersatz von Nutzungsausfall für 9 Tage. Der Eigentümer eines Fahrzeugs, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkws einbüßt, hat nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (z.B. BGH VersR 2013, 5151 f.) Anspruch auf pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung. Mit Nutzungsausfallschaden ist somit der fiktiv in Ansatz gebrachte Ersatz für den Nachteil gemeint, den der Geschädigte während der Zeit erleidet, in der ihm das beschädigte Fahrzeug nicht zur Verfügung stand, wobei auch hierfür die schadensrechtlichen Grundsätze der subjektbezogenen Schadensbetrachtung und des Wirtschaftlichkeitsgebots gelten.
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Danach kann der Kläger für den geltend gemachten Zeitraum von insgesamt 9 Tagen Nutzungsaufallentschädigung unter Ansatz von 79,00 € pro Tag verlangen.
48
In diesem Zeitraum hatte der Kläger tatsächlich kein anderweitiges Fahrzeug zur Verfügung, ohne dass ihn diesbezüglich ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot träfe. Insbesondere hat er die Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs nicht in vorwerfbarer Weise verzögert; der Zeitablauf erscheint für die Schadensregulierung vielmehr angemessen und erforderlich. Der Unfall fand am 14.09.2019 statt, die Begutachtung des klägerischen Fahrzeugs am 22.09.2019. Bereits am 30.09.2019, also eine Woche nach Erstellung des Gutachtens, ließ der Kläger ein Ersatzfahrzeug auf sich zu. Verstöße gegen das Gebot wirtschaftlich sinnvoller Schadensabwicklung vermag das Gericht hierin nicht zu erkennen.
49
Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe auf Fahrzeuge seines KfZ-Handels zurückgreifen können, vermochte der Kläger zu widerlegen. Hierzu gab er nachvollziehbar an, die ausschließlich zum Verkauf gedachten Fahrzeuge nicht privat nutzen zu können. Dies bestätigte auch die Zeugin … und ergänzte, dass solche Fahrzeuge in der Regel nur mit roten Kennzeichen ausgestattet und daher zum Eigengebrauch nicht geeignet seien (Bl. 99 f. d.A.).
50
Insbesondere sind auch nicht, wie die Beklagte meint, lediglich vier Tage fiktive Reparaturdauer zugrunde zu legen, da der Kläger sich tatsächlich ein Ersatzfahrzeug beschafft hat und dementsprechend für den zwischenzeitlichen Nutzungsausfall eine Abrechnung auf tatsächlicher Basis statthaft ist. Er hat damit auch angesichts der Ergebnisse des Privatgutachtens nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen, s.o., II.2.a.
51
3. Unter Berücksichtigung der jeweils anzusetzenden Quote und unter Abzug bereits regulierter Beträge stehen dem Kläger daher weitere 1.071,50 € zu (weitere Reparaturkosten 750,01 €, weiterer Ersatz für Wertminderung 98,00 €, weiterer Ersatz für Nutzungsausfall 181,70 € und Zulassungskosten 41,79 €).
52
Die Beklagte schuldet weder weitere Sachverständigenkosten, noch weitere Auslagenpauschale. Erstere sind der Höhe nach unstreitig, hierauf hat die Beklagte zu 1) daher ausreichend reguliert.
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Für Zweitere erachtet das hierbei im Rahmen der Schadensschätzung besonders frei gestellte Gericht 25,00 € als angemessen und ausreichend; dies insbesondere im Hinblick auf üblicherweise überwiegend elektronisch geführte Korrespondenz, flächendeckend vorhandene Flatrates und nicht mehr einzeln anfallende (Tele-)Kommunikationskosten.
54
Im Übrigen war die Klage abzuweisen. Auch aus anderen Anspruchsgrundlagen, insbesondere § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB ergeben sich unter Berücksichtigung klägerseitigen Mitverschuldens keine darüber hinausgehenden Ansprüche.
55
Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung. Daher besteht auch kein Anspruch auf weitere Rechtsanwaltskosten, da die Beklagten die auf den insgesamt berechtigt geltend gemachten Schaden anfallenden Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 808,13 € bereits reguliert haben (RVG-Gebühr aus 8.144,09 € nebst 20,00 € Auslagen zzgl. Mehrwertsteuer).
56
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4, 269 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.