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LG München I, Endurteil v. 23.12.2021 – 30 O 13665/20
Titel:

Keine Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q 5 3.0 TDI Quattro)

Normenkette:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2022, 19714; OLG Bamberg BeckRS 2022, 33515; OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 43408; OLG München BeckRS 2021, 54385; BeckRS 2022, 18804; BeckRS 2022, 18875; BeckRS 2022, 24486; BeckRS 2022, 28198; BeckRS 2022, 34469; BeckRS 2021, 52024; BeckRS 2022, 21228; BeckRS 2022, 23106; BeckRS 2022, 18807; BeckRS 2022, 21953; BeckRS 2023, 2581; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 21211; LG Bamberg BeckRS 2022, 29502; LG Kempten BeckRS 2022, 28679; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2022, 30355; OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es an einem arglistigen Vorgehen der Herstellerin, das die Qualifikation ihres Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch ein Schädigungsvorsatz der Herstellerin bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter oder Verrichtungsgehilfen lässt sich nicht daraus ableiten, dass das Fahrzeug mit einem sogenannten „Thermofenster“-Mechanismus ausgestattet ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, 3,0-Liter-Motor, EA 896Gen2, Audi, unzulässige Abschalteinrichtung, Prüfstanderkennung, Thermofenster, sittenwidrig, verfassungsmäßiger Vertreter, Schädigungsvorsatz
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 28.07.2022 – 35 U 245/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59553

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 
Beschluss 
Der Streitwert wird auf 44.644,13 € festgesetzt. 

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
2
Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 08./17.07.2013 (Anlage K 1) bei dem Autohaus … in … einen Audi Q 5 mit dem Tachostand 10 km zu einem Kaufpreis von € 62.500,- brutto. In dem Fahrzeug ist ein Motor EA 896Gen2 der Abgasnorm Euro 5 verbaut. Am Fahrzeug wurde ein Softwareupdate am 26.11.2019 (Anlage K 2) durchgeführt. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 05.10.2021 betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 111.804 km.
3
Der Kläger trägt vor, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen. Hätte der Kläger hiervon gewusst, hätte er den Kauf nicht getätigt.
4
Das Fahrzeug erkenne, ob es sich im NEFZ-Testlauf befinde, dann werde der NOx-Ausstoß reduziert. Das Fahrzeug erreiche nur im Testzyklus die gesetzlichen Emissionswerte. Bei der Beklagten sei die gesamte Motorenpalette betroffen, vom 1,2 – Liter bis zum 4,2 Liter TDI. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge zudem über eine schadstoffmindernde Aufheizstrategie, die sogenannte schnelle Motorwärmfunktion, die nahezu nur auf dem Prüfstand aktiv sei und im Straßenverkehr abgeschaltet bleibe. Es sei ein Thermofenster eingebaut, durch das die Abgasreinigung bei Außentemperaturen unter 17 C geringer ausfalle als oberhalb der einprogrammierten Schwelle. Die unzulässig verminderte Abgasreinigung unterhalb der Temperaturschwelle sei ein Dauerzustand und werde nicht durch einen Ausnahmetatbestand der VO (EG) 715/2007 gerechtfertigt. Außerdem seien die Messungen der NoxMesswerte im NEFZ-Betrieb unterschiedlich, je nachdem ob diese Messung mit einem PEMS Messgerät oder auf dem Rollenprüfstand vorgenommen würde (Bl 60f d.A.).
5
Der Umstand, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen sei, sei der Update-Bescheinigung (Anlage K 2) zu entnehmen. Bei dem Audi-Rückruf mit dem Aktionscode 23Z2 habe es sich nicht um eine freiwillige Service-Maßnahme gehandelt. Das Kraftfahrtbundesamt habe gegenüber der Beklagten einen Rückruf der V6- und V 8 TDIMotoren angeordnet unter dem Hersteller-Code 23X6. Das Fahrzeug sei zum Zeitpunkt des Kaufs weder genehmigungs- noch verkehrsfähig gewesen.
6
Die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des hier verbauten Motors unter Verschweigen der zuvor vorgenommenen gesetzeswidrigen Installation von Abschalteinrichtungen bzw. Software-Programmierung (sog. defeat device) unter Verstoß gegen die guten Sitten gehandelt (Bl 16ff d.A.). Laut Kraftfahrtbundesamt handele es sich hierbei um eine verbotene Abschalteinrichtung, die gegen Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verstoße (Bl 8 d.A.). Die Typengenehmigung sei auf Grundlage der manipulierten Messergebnisse erteilt worden. Die Übereinstimmungsbescheinigung (Konformitätsbescheinigung) sei objektiv falsch, da das Fahrzeug die Grenzwerte der Euro 5 – Norm nur auf dem Prüfstand erfülle (Bl 69ff d.A.).
7
Der Vorstand der Beklagten habe von den Manipulationen Kenntnis gehabt. Bei lebensnaher Betrachtung müsse unterstellt werden, dass strategische Entscheidungen von derartiger Tragweite grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des Vorstands getroffen würden. Die Beklagte treffe diesbezüglich eine sekundäre Darlegungslast (Bl 87 ff d.A.). Es stelle zudem einen schweren Organisationsmangel dar, wenn die diesbezügliche Entscheidung nicht von einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter getroffen worden wäre. Eine Haftung der Beklagten ergebe sich auch ohne Kenntnis des Vorstands über § 831 BGB, da diese für ihre Mitarbeiter, die diese Software entweder programmiert oder deren Programmierung veranlasst haben, hafte.
8
Der Schaden des Klägers bestehe darin, dass er einen für sich wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen habe. Das Fahrzeug sei aufgrund der Installation der unzulässigen Motorsteuerungssoftware mangelhaft und habe nicht dem vertraglich geschuldeten Zweck entsprochen. Zudem seien die Folgen des Updates auf den Kraftstoffverbrauch und die Lebensdauer der Fahrzeugteile nicht absehbar, es habe jedenfalls nachteilige Folgen (Bl 64 ff d.A.). Das Fahrzeug unterliege deshalb auch einem Wertverlust. Für den Fall, dass das Update nicht durchgeführt werde, drohe die Betriebsuntersagung. Zudem könnten die Grenzwerte auch nach dem Update nicht eingehalten werden.
9
Der Kläger sei von der Beklagten so zu stellen, als wenn er den Pkw nicht erworben hätte.
10
Ein Software-Update sei nicht geeignet den Schaden entfallen zu lassen oder zu mindern.
11
Der Zinsanspruch beruhe auch auf § 849 BGB (Bl 24f d.A.).
12
Der Kläger beantragte zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft einen Betrag € 44.644,13 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q 5 mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ….
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenseite mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagtenseite wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von € 3.178,40 freizustellen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Sie wendet ein, das streitgegenständliche Fahrzeug mit dem Motor EA 896 Gen2 des Typs VTDI (EU 5) sei nicht vom Dieselskandal, also der Umschaltlogik der Abgasrückführung, betroffen. Das Fahrzeug enthalte keine vom Kraftfahrtbundesamt als unzulässig eingestufte Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 EG VO 715/2007 und sei auch nicht Gegenstand eines verbindlichen Rückrufbescheids des Kraftfahrtbundesamts in Bezug auf sein Emissionsverhalten gewesen. Vielmehr habe das Kraftfahrtbundesamt mit Schreiben vom 16.05.2019 (Anlage B 1a) in Bezug auf den im Fahrzeug verbauten Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 bestätigt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege (Bl 37 d.A.). Das Fahrzeug verfüge nicht über einen SCR-Katalysator, der mit dem sogenannten AdBlue betrieben wird. Die als Anlage K 2 vorgelegte Rechnung betreffe eine freiwillige Service-Maßnahme unterscheide sich von den verpflichtenden Software-Updates (Bl 43, 124 ff d.A.). Dies zeige auch die amtliche Auskunft des Kraftffahrtbundesamtes vom 15.12.2020 (Anlage B 12), wonach freiwillige Maßnahmen nur bei Fahrzeugen durchgeführt werden, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei (Bl 143 d.A.).
15
Der Vortrag des Klägers zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei unsubstantiiert. Ein Verweis auf andere Konzernmotoren genüge hierzu nicht. Die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon ausgegangen, dass die Software rechtlich zulässig sei.
16
Auch die temperaturabhängige Regulierung der Abgasrückführung (Thermofenster) stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 EG VO 715/2007 dar. Aufgrund der inzwischen ausgestellten amtlichen Auskunft des Kraftfahrbundesamtes vom 11.09.2020 (Anlage B 7, Seite 1) sei allgemeingültig bestätigt, dass Fahrzeuge mit dem streitgegenständlichen Motor keine unzulässigen Abschalteinrichtungen aufwiesen (Bl 110 d.A.). Auch sei inzwischen obergerichtlich entschieden, dass das Thermofenster keine sittenwidrige Schädigung darstelle. Zudem sei dem Kraftfahrtbundesamt die Verwendung des Thermofensters im Motor, der auch im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut ist, bekannt gewesen und als zulässig erachtet worden.
17
Im übrigen sei die Beklagte am Abschluss des Kaufvertrages nicht beteiligt gewesen noch habe sie Kenntnis hiervon gehabt. Auch deute die Fahrzeugtypwahl darauf hin, dass das überdurchschnittliche Leistungsprofil des streitgegenständlichen Fahrzeugs und nicht etwas dessen Emissionsverhalten für den Abschluss des Kaufvertrages ausschlaggebend gewesen sei. Es fehle auch an einem kausal hervorgerufenen Schaden, zumal das Fahrzeug uneingeschränkt nutzbar sei.
18
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.11.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
1. Der Kläger hat keinen Zahlungsanpruch gegen die Beklagte Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gemäß §§ 826,31 BGB.
21
Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 826 I BGB ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte.
22
1.1. Es fehlt bereits an einer schlüssigen Darlegung der sittenwidrigen Schädigung des Klägers durch die Beklagte.
23
Der Kläger trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen. Wird eine juristische Person in Anspruch genommen, so hat der Kläger dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (OLG München, Beschluss vom 28.09.2021 – 23 U 1708/21, Rz 6 mit Rechtsprechungsnachweisen).
24
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch die umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (Ständige Rechtsprechung; vgl. Münchener Kommentar, BGB, 8. Auflage 2020, § 826 BGB Rz 9). Entscheidend kommt es auf den Zeitpunkt ex ante bei Vornahme des potentiell sittenwidrigen Verhaltens an (Münchener Kommentar, aaO). Zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten bzw. Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen; die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es darauf an, dass der Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814).
25
Ein sittenwidriges Handeln der Beklagten liegt jedenfalls nicht im Einbau der schnellen Motorwärmfunktion (Thermofenster). Es ist bereits obergerichtlich entschieden, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) nicht bereits deshalb gegeben sind, weil ein Hersteller Fahrzeugtypen aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 13). Die Applikation einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ist nicht mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware zu vergleichen (vgl. OLG München, aaO). Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das vom Kläger behauptete „Thermofenster“ nach dessen Vortrag darauf, dass die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert beziehungsweise abgeschaltet wird. Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es an einem arglistigen Vorgehen der Beklagten, das die Qualifikation ihres Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 18). Denn das Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs unterscheidet nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb, sondern richtet sich nach der Umgebungstemperatur.
26
Somit ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. OLG München, aaO, Rz 11 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
27
Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass ein Pkw-Hersteller keine Abschalteinrichtung einbauen darf, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, um ihre Zulassung zu erreichen. Dies gilt auch dann, wenn eine solche Abschalteinrichtung dazu beiträgt, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 – C- 693/18, BeckRS 2020, 35477). Jedoch kann bis zum Vorliegen dieser Entscheidung ohne Vorliegen konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation auch eine falsche, aber vertretbare Gesetzesauslegung und – anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG München, aaO, Rz 11 mit Rechtsprechungsnachweisen). Auch ein – unterstellter – Gesetzesverstoß der Beklagten reicht nicht, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 26). Eine Sittenwidrigkeit läge nur vor, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung der Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dieses von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, BeckRS 2021, 4148 Rn. 28; BGH, Urteil vom 13.07.2021 – VI ZR 128/20, BeckRS 2021,21371). Solche Anhaltspunkte liegen nicht vor, insbesondere ergeben sich diese nicht aus dem freiwilligen Software-Update.
28
Soweit der Kläger vorträgt, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei mit einer Software zur Motorsteuerung versehen, die über eine Prüfzykluserkennung verfüge und die Abgasrückführung im Normalbetrieb abschalte, ist der Vortrag nicht ausreichend substantiiert. Zum einen kann nicht von anderen Fahrzeug- bzw. Motormodellen auf den streitgegenständlich verbauten Motor geschlossen werden (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, NJW-RR 2019, 149). Zum anderen liegt die Auskunft des Kraftfahrtbundesamts vom 11.09.2020 (Anlage B 7, Seite 1) vor, wonach der streitgegenständliche Motor von dieser Problematik nicht betroffen ist. Angesichts dessen hätte es dem Kläger oblegen vorzutragen, warum sein Fahrzeug dennoch über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik verfügt. Dies gilt umso mehr, als kein amtlicher Rückruf angeordnet wurde und somit auch die Typengenehmigung nach Art. 19 II 2 Nr. 3 StVZO nicht erloschen ist. Das freiwillige Softwareupdate vom 26.11.2019 (Anlage K 2) führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn laut amtlicher Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes vom 15.12.2020 (Anlage B 12, Seite 1) werden freiwillige Maßnahmen nur bei Fahrzeugen durchgeführt, bei deren amtlicher Untersuchung keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde.
29
Aus diesem Grund ist auch die zuvor ergangene Entscheidung des OLG Naumburg (8. Zivilsenat), Hinweisbeschluss vom 29.06.2020 – 8 U 39/20 (BeckRS2020,15649) zu Abschalteinrichtungen des Motors EA 896 Gen2Abschalteinrichtungen nicht einschlägig.
30
1.2. Zudem fehlt es am Schädigungsvorsatz der Beklagten, der bei einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten hätte vorliegen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, BeckRS 2021, 6243 Rn. 32) bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 01.04.2020 – 12 U 75/19, BeckRS 2020, 9840).
31
Ein Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßigen Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) lässt sich nicht daraus ableiten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem sogenannten „Thermofenster“-Mechanismus ausgestattet ist. Anders als bei einer Software, die die Situation auf dem Prüfstand erkennt, deswegen in einen anderen Modus schaltet und deren Unzulässigkeit deshalb ebenso wie die Gefahr eines Widerrufs der erschlichenen Betriebszulassung auf der Hand liegt, ist dies beim sog. „Thermofenster“ gerade nicht der Fall. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Einbau dieser Einrichtung in den streitgegenständlichen Motor in dem Bewusstsein geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster konnte auch eine möglicherweise falsche, aber bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17.12.2020 dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele (vgl. OLG München, aaO, Rz 11, 16).
32
Unerheblich ist hierbei, ob es andere technische Möglichkeiten gab, mit denen auch bei geringerer Reduzierung der Abgasrückstände das Risiko von Motorschäden vermieden und zugleich die weiteren Schadstoffgrenzen eingehalten werden konnten (vgl. hierzu OLG München, aaO, Rz16).
33
2. Der Kläger hat aus den vorgenannten Gründen auch keine Schadensersatzansprüche aus §§ 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 831 BGB. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen. Es liegt schon keine unzulässige Abschalteinrichtung vor bzw. ist hierzu nicht ausreichend substantiiert vorgetragen. Des Weiteren fehlt es an der substantiierten Darlegung des Vorsatzes der Beklagten.
34
5. Mangels eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs befindet sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug. Somit ist auch der Feststellungsantrag nicht begründet und es besteht kein Anspruch des Klägers auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bzw. Zinsen.
35
II. Der Kostenausspruch beruht auf § 91 I 1 ZPO.
36
III: Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.