Titel:
Berufung, Aufhebung, Bindungswirkung, Berufungsverfahren, Haftung, Widerspruch, Beweis, Bewertung, Verhandlung, Verfahren, Voraussetzungen, Anlagemodell, Partei, Schriftsatz, abweichende Bewertung
Normenkette:
ZPO §§ 314, 522 Abs. 2
Leitsätze:
1. Auch nach Aufhebung eines Berufungszurückweisungsbeschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch den Bundesgerichtshof ist eine erneute Berufungszurückweisung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO möglich, wenn eine mündliche Verhandlung weiterhin nicht geboten ist.
2. Zur Bindungswirkung gem. § 314 ZPO.
Schlagworte:
Berufung, Aufhebung, Bindungswirkung, Berufungsverfahren, Haftung, Widerspruch, Beweis, Bewertung, Verhandlung, Verfahren, Voraussetzungen, Anlagemodell, Partei, Schriftsatz, abweichende Bewertung
Vorinstanzen:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2021 – III ZR 38/20
OLG München, Beschluss vom 12.02.2020 – 8 U 1637/19
LG München I, Endurteil vom 01.03.2019 – 29 O 18663/17
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 03.11.2022 – III ZR 137/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59475
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 01.03.2019 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Verfahrens vor dem Bundesgerichtshof.
III. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 350.000.- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit Kapitalanlagegeschäften.
Auf die Revision des Beklagten hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.06.2021, Gz. III ZR 38/20, den Beschluss des Senats vom 12. Februar 2020 aufgehoben und die Sache an den Senat zurückverwiesen. Mit Hinweisbeschluss des Senats vom 12.08.2021 wurde der Beklagte darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung erneut gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.
Gründe
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1. Die Berufung des Beklagten ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO erneut im Beschlussweg als unbegründet zurückzuweisen.
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Der Senat hält das Urteil des Landgerichts zumindest im Ergebnis weiterhin für offensichtlich zutreffend. Er nimmt auf das angefochtene Urteil Bezug. Bezug genommen wird ferner auf die Hinweise des Senats vom 12.08.2021, wonach er die Berufung weiterhin i.S.v. § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält, die früheren Hinweise und Entscheidungen des Senats im ersten Berufungsverfahren sowie die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10.06.2021, Gz. III ZR 38/20. Auch der Schriftsatz vom 07.09.2021 bot keinen Anlass für eine abweichende Bewertung:
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a) Einer erneuten Berufungszurückweisung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO stehen keine Hindernisse entgegen. Der Senat ist weiterhin einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
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(1) Weitere Voraussetzungen stellt § 522 Abs. 2 ZPO nicht auf. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass eine wiederholte unverzügliche Beschlusszurückweisung nicht möglich sein soll und nach Aufhebung einer Entscheidung durch den Bundesgerichtshof - selbst wenn sie wie hier aus rein formalen Gründen erfolgt und keine weiteren Feststellungen erforderlich sind - zwingend eine mündliche Verhandlung über die Berufung stattzufinden hätte.
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(2) Der Senat bleibt außerdem dabei, dass sich das Berufungsverfahren weiterhin im § 522-Stadium befindet. Der Bundesgerichtshof hat nur den Beschluss des Senats vom 12. Februar 2020 aufgehoben, nicht aber den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 08.01.2020, wonach der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gem. § 522 II ZPO zurückzuweisen.
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(3) Schließlich kann der Senat angesichts der eindeutigen Sach- und Rechtslage (s.u.) ausschließen, dass er nach mündlicher Verhandlung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Angesichts der Parallelität der Rechtswege bei Urteils- und Beschlusszurückweisung entsteht dem Beklagten daher durch eine Berufungszurückweisung durch Beschluss kein Nachteil.
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b) Soweit die Klagepartei nunmehr im Berufungsverfahren erneut neu vorträgt, ist anzumerken, dass die der Klagepartei eingeräumte Frist zur Stellungnahme gem. § 522 II 2 ZPO nicht etwa eine Art „zweite Berufungsbegründung“ ermöglicht. Soweit in dem weiteren Schriftsatz im Berufungsverfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel enthalten sind, sind diese deshalb nicht nur gem. § 531 Abs. 2 ZPO, sondern auch gem. §§ 530, 296 I ZPO zwingend zurückzuweisen (vgl. z.B. Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 530 Rnr. 4; Rimmelspacher in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 530 Rnr. 27). Darauf hatte der Senat als nobile officium auch bereits in seinen Allgemeinen Verfahrenshinweisen ausdrücklich aufmerksam gemacht. Auch der verspätete Vortrag hätte aber keine andere Entscheidung gerechtfertigt:
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c) Die auch nach Auffassung des BGH eine Haftung des Beklagten aus § 826 BGB tragenden Feststellungen des Landgerichts, der Beklagte habe gewusst, dass der Kläger auf Sicherheit bedacht gewesen sei und nur überschaubare Risiken habe eingehen wollen, der Beklagte ihm aber den Abschluss des Vertrags mit der S. empfohlen, das Anlagemodell als sicher dargestellt und ihm die Risiken der beabsichtigten hochspekulativen Optionsgeschäfte verschwiegen habe (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2021 - III ZR 38/20, Rz. 19), sind für den Senat weiterhin bindend.
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(1) Der Beklagte verkennt insoweit weiterhin die Wirkung von § 314 ZPO.
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(a) Das Berufungsgericht ist an die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Daher muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (BGH, Beschluss vom 10. März 2015 - VI ZB 28/14, Rz. 9). Bindungswirkung besteht, soweit der Tatbestand des Ersturteils gemäß § 314 Satz 1 ZPO den Beweis für das mündliche Vorbringen einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren liefert. Diese Beweiswirkung erstreckt sich auch darauf, ob eine bestimmte Behauptung bestritten ist oder nicht.
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Da sich die Beweisregel des § 314 Satz 1 ZPO auf das mündliche Parteivorbringen bezieht, ist davon auszugehen, dass die Parteien dasjenige in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, was der Tatbestand ausweist. Zum Tatbestand in diesem Sinne gehören auch tatsächliche Feststellungen, die sich in den Entscheidungsgründen finden. Die Beweiswirkung gemäß § 314 Satz 1 ZPO kann nur durch das Sitzungsprotokoll (§ 314 Satz 2 ZPO) und nicht auch durch den Inhalt der Schriftsätze entkräftet werden. Vorher eingereichte Schriftsätze sind durch den Tatbestand, der für das Vorbringen am Schluss der mündlichen Verhandlung Beweis erbringt, überholt. Bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und der Wiedergabe des Parteivorbringens im Urteilstatbestand sind die Ausführungen im Tatbestand maßgeblich. Daher kann eine Partei ohne entsprechende Berichtigung des Tatbestands nicht rügen, das Landgericht sei bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
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Dem Tatbestand kommt nur dann keine Beweiskraft nach § 314 ZPO zu, wenn und soweit er Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufweist, die sich aus dem Urteil selbst ergeben. Diesem Erfordernis ist genügt, wenn ein Widerspruch zwischen den tatbestandlichen Feststellungen und einem konkret in Bezug genommenen schriftsätzlichen Vorbringen einer Partei besteht. Lassen sich die Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten dagegen nur durch Rückgriff auf - gem. § 313 II 2 ZPO allgemein in Bezug genommene - vorbereitende Schriftsätze darstellen, bleibt es bei der Beweiswirkung des § 314 ZPO und dem Grundsatz, dass der durch den Tatbestand des Urteils erbrachte Beweis nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden kann.
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Die Berufungsbegründung und die weiteren Schriftsätze im ersten Berufungsverfahren enthielten keine tragfähige Begründung dafür, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Davon ist ersichtlich auch der Bundesgerichtshof ausgegangen, wenn er aaO in Rz. 19 ausführt, dass der Tatbestand zwar nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen in der jeweiligen Instanz erbringe, aber abweichenden Vortrag in einer höheren Instanz - in den Grenzen der §§ 530, 531 ZPO - nicht ausschließe.
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Auch der Schriftsatz vom 07.09.2021 kommt insoweit selbst verspätet nicht über Pauschalbehauptungen hinaus. Der Beklagte beruft sich dort hinsichtlich der angeblichen Unrichtigkeit der Feststellungen des Landgerichts nur pauschal auf vorbereitende Schriftsätze und vorgelegte Anlagen in erster Instanz, die hierfür aber, wie oben ausgeführt, nicht geeignet sind. Auch die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Privaturkunden kann im Übrigen durch unstreitiges gegenteiliges Vorbringen ohne weiteres widerlegt werden.
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Soweit der Beklagte nunmehr zum angeblichen Ablauf der mündlichen Verhandlung vorträgt und Beweis anbietet, ist dies ebenfalls verspätet und im Übrigen auch unbehelflich. Denn der durch den Tatbestand des Urteils erbrachte Beweis kann gem. § 314 S. 2 ZPO nur durch das Sitzungsprotokoll entkräftet werden, das hier für gegenteilige Feststellungen keinen Anhalt bietet (vgl. Bl. 82 ff. d.A.). Weder das Sitzungsprotokoll noch das Urteil wurden berichtigt.
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(2) Er bleibt auch dabei, dass der gegenteilige neue Vortrag im Berufungsverfahren gem. § 531 ZPO - und nunmehr ergänzend auch gem. § 530 ZPO - nicht mehr zuzulassen ist.
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(a) Der entsprechende Vortrag ist in Berufungsverfahren neu gewesen. Auch der Bundesgerichtshof hat aaO in Rz. 21 ausführt, der Beklagte habe erstmals mit der Berufungsbegründung substantiiert vorgetragen, er habe dem Kläger in dem Gespräch am 11. Juli 2014 Funktionsweise und Risiken der im Rahmen der Vermögensverwaltung schließlich durchgeführten Optionsgeschäfte erläutert, der Kläger habe dies verstanden und sei die Risiken bewusst eingegangen.
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(b) Richtig ist zwar, dass eine Zurückweisung als verspätet gem. §§ 530 ff. ZPO ausscheidet, wenn Vortrag infolge eines gebotenen, aber unterblieben gerichtlichen Hinweises in erster Instanz erst im Berufungsverfahren erfolgt. Auch darauf hat sich der Beklagte allerdings erst jetzt und somit verspätet berufen.
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Außerdem lässt sich ein Verstoß des Landgerichts gegen seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO hier nicht feststellen. Der Beklagte verkennt auch insoweit die Wirkung von § 314 ZPO. Danach steht hier fest, dass in erster Instanz zum Schluss der mündlichen Verhandlung unstreitig war, dass der Kläger auf Sicherheit bedacht gewesen sei und nur überschaubare Risiken habe eingehen wollen, der Beklagte ihm aber den Abschluss des Vertrags mit der S. empfohlen, das Anlagemodell als sicher dargestellt und ihm die Risiken der beabsichtigten hochspekulativen Optionsgeschäfte verschwiegen habe, s.o. Bei dieser Sachlage gab es für das Landgericht keine Anlass für irgendwelche Hinweise.
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(c) Dass ausgehend davon der gegenteilige Vortrag erst im Berufungsverfahren grob nachlässig war, versteht sich von selbst.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.