Titel:
Anspruch auf erstmalige plangerechte Herstellung
Normenkette:
WEG § 44 Abs. 2, § 18 Abs.2, § 19 Abs. 2
Leitsätze:
1. Jeder Wohnungseigentümer kann von den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird, da unter Instandsetzung auch die erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu verstehen ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kann die Gemeinschaft mit einfacher Mehrheit das "Bausoll" nachträglich ändern, alleine die Ablehnung des Begehrens eines Wohnungseigentümers ist jedoch kein derartiger Beschluss. (Rn. 39 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erstmalige Herstellung, Bausoll, Beeschlussersetzungsklage, Mehrheitsbeschluss
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 20.10.2022 – 36 S 1546/22 WEG
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59424
Tenor
Der Beschluss zu TOP 9 der Eigentümerversammlung vom 26.07.2021 wird für ungültig erklärt.
Das Gericht fasst den Beschluss, das gemeinschaftliche Eigentum erstmalig plangerecht herzustellen, indem die Zwischenmauer zwischen dem Tiefgaragen-Stellplatz Nr. 22 und der Tiefgarageneinfahrt entfernt wird.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
Tatbestand
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Der Kläger und die Beklagten bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft Der Kläger ist seit dem 22.08.2019 im Grundbuch des Amtsgerichts München für sowie und als Alleineigentümer der Wohnung Nr. 13 sowie der PKW-Stellplätze Nr. 22 und 23 laut Aufteilungsplan seit August 2019 eingetragen.
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Ausweislich des Beschriebs in der Teilungserklärung, ist der jeweilige 2,91/1 000stel MEA mit dem Sondereigentum an Pkw-Boxe Nr. 22 und Boxe Nr. 23 laut Aufteilungsplan verbunden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Auszug aus der Teilungserklärung vom 13.04.1987, die zwischen den Parteien Gültigkeit hat, als Anlage K 11, verwiesen.
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Die Stellplätze des Klägers Nr. 22 und 23 wurden von Beginn an, seit Erstellung des Bauvorhabens, als Gesamtboxe ausgeführt und mit einem Schwingtor versehen. Damit die Boxe auch auf der rechten Seite durchgehend verschlossen ist und somit zur Zufahrt der Tiefgarageneinfahrt abgetrennt ist, hat der Bauträger damals gem. dem Bauplan die streitgegenständliche Trennwand eingebaut und diese an der Frontseite mit einem Lichtschalter für das Garagenlicht versehen.
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Mit Kaufvertrag vom 24. April 2019 hat der Kläger die Wohnung sowie die beiden Stellplätze gemäß Aufteilungsplan erworben.
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Der unter Anlage K6 vorgelegte Auszug aus dem Aufteilungsplan befindet sich in der Grundakte der WEG. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Anlage K6 verwiesen. Aus dem Aufteilungsplan unter Anlage K6 geht hervor, dass eine Mauer zwischen dem Stellplatz 22 und der Garagenein- bzw. ausfahrt nicht vorgesehen ist.
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Die Hausverwaltung hat die Einladung zur ordentlichen Eigentümerversammlung der WEG vom 02.07.2021 versandt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K7 verwiesen.
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In der Eigentümerversammlung am 26.07.2021 wurde zu dem Antrag auf Abriss der Trennmauer zwischen dem Stellplatz 22 und der Ausfahrt ein ablehnender Beschluss unter Top 9 gefasst. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beschlussfassung wird auf das Protokoll der ETV vom 26.07.2021 als Anlage K8 verwiesen.
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Die Trennmauer zwischen dem Stellplatz 22 und der Ausfahrt ist nicht tragend und daher leicht zu entfernen ist. Die fachmännische Entfernung der Mauer, einschließlich Nebenarbeiten und Entsorgung des Bauschutts, werden Kosten in Höhe von ca. 8.000,00 - 10.000,00 € verursachen.
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Der Kläger trägt vor, dass er die Stellplätze 22 und 23 für seine beiden PKW nicht nutzen konnte. Soweit einer der beiden Plätze belegt ist, ist eine Zufahrt auf den zweiten Stellplatz aus Platzgründen nicht möglich ist, da die Mauer den Einfahrtswinkel zu stark reduziert. Ein Einparken ist nur dann möglich, wenn die gegenüberliegenden Stellplätze 24-26 nicht besetzt sind, was zumindest abends nahezu nie der Fall ist. Folglich steht ein Fahrzeug auf der Straße. Der Kläger kann sein Sondereigentum somit nicht bestimmungsgemäß nutzen.
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Der Kläger beantragt Sinngemäß wie zuerkannt.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte macht geltend, dass in der Teilungserklärung von PKW-Boxe die Rede ist und dementsprechend wurden die Stellplätze als Gesamtbox ausgeführt. Die Beklagte bestreitet, dass die Zufahrt für den Kläger auf den zweiten Stellplatz des Klägers aus Platzgründen nicht möglich sei, wenn einer der beiden Plätze belegt ist und die Mauer den Einfahrtswinkel stark reduziert. Der Kläger behauptet zu Unrecht, dass der derzeitige Zustand der Trennmauer vom baulichen Soll-Zustand abweicht. Bei Erwerb vom Bauträger war den Erstkäufern bekannt, dass hier eine Trennmauer eingezogen wird, was Anlage B 2 belegt. Dieser Zustand wurde damit unter den damaligen Erwerbern als Ersteigentümer der Anlage als Soll-Zustand vereinbart (Hügel/Elzer, 3. Auf. 2021, § 19 WEG Rd.-Nr. 60). Hifsweise verkennt der Kläger auch die aktuelle Rechtslage seit 01.12.2020, wonach die WEG gem. § 19 Abs. I WEG berechtigt ist, hier eine ordnungsgemäße Verwaltung und Benutzung des Gemeinschaftseigentums zu beschließen, was durch den Negativbeschluss vom 26.07.2021 zu TOP 9 erfolgte. Obwohl bereits die Erstausführung im Jahr 1978 wie bereits vorgetragen dem Soll-Bauzustand entsprach, hätte die Beklagte hilfsweise mit dem in der Versammlung vom 26.07.2021 zu TOP 9 gefassten Negativbeschluss den damaligen Errichtungszustand nachträglich als Soll-Zustand erhoben (Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, § 19 WEG Rd.-Nr. 61). Die Entscheidung der WEG ist auch sachgerecht, da im Rahmen der Zufahrt zur Tiefgarage sowohl links- als auch rechtsseitig eine Abtrennung zu den Stellplätzen vorliegt, damit kein Überparken über die Stellplätze hinaus in die Zufahrt erfolgen kann. Im übrigen befindet sich an dieser Mauer auch der Lichtschalter für das Garagenlicht, damit auch von dieser Seite der Garage die Betätigung des Lichtschalters erfolgen kann. Der Kläger habe aus diesen Gründen zudem auch keinen Anspruch auf Beschlussersetzung.
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In der Replik trägt der Kläger vor, dass angebliche Verträge zwischen den Ersterwerbern und dem Bauträger nicht maßgeblich sein können und meint, dass ein Erwerbervertrag nur den Vertragspartner verpflichte und daher nicht maßgeblich ist für den Soll-Zustand. Die Gemeinschaft könne auch nicht durch einen Beschluss das Bau-Soll ändern, da dies bereits durch Vereinbarung aufgrund der Teilungserklärung festgelegt sei und ein Beschluss eine Vereinbarung nicht verändern könne, da dafür keine Beschlusskompetenz gegeben sei. Der Kläger meint, dass insbesondere auch die Boxen 24-26, die keine Trennwände aufweisen, als PKW-Boxen in der Teilungserklärung beschrieben sind und der Begriff „Boxe“ daher nicht als im Sinne eines durch eine Wand eingegrenzten Stellplatzbereich verwendet wird.
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In der Deplik beruft sich die Beklagte noch darauf, dass die tatsächliche Bauausführung nur unwesentlich von dem Aufteilungsplan abweicht und derzeit die Breite der Stellplätze 10 cm größer sei als im Aufteilungsplan.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteienvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der öffentlichen Sitzung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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I. Die Klage ist zulässig
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I. Zulässigkeit der Klage
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1. Für eine Binnenstreitigkeit, also einen Rechtsstreit, der § 43 Abs. 1 WEG n.F. unterfällt, ist das Gericht örtlich ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück, hier Amtsgericht München. liegt.
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2. Das WEG-Gericht ist sachlich ausschließlich zuständig gem. § 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG n.F. i.V.m. § 23 Nr. 2 Buchstabe c) GVG.für Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümern.
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II. Die Klage ist begründet
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1. Der zu Top 9 der ETV vom 26.07.2021 gefasste Beschluss war aus den von der Klägerin vorgetragenen Beschlussanfechtungsgründen für ungültig zu erklären, da er nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht.
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1.1. Passivlegitimiert ist die WEG gem. § 44 Abs. 2 WEG n.F., da Klageeinreichung nach dem 01.12.2020 erfolgt ist (§ 48 V WEG) und neues WEG-Recht anwendbar ist.
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1.2. Jeder Wohnungseigentümer kann grundsätzlich von den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird. Es besteht ein Anspruch auf erstmalige Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes. Dieser Anspruch des Klägers ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, aber durch ständige Rechtsprechung richterrechtlich konkretisiert worden (vgl. u.a. BGH Urteil v. 20.11.2015 - V ZR 284/14, ZWE 2016, 79ff.; LG Nürnberg-Fürth Endurteil vom 18.05.2018 - 16 C 6458/17 WEG; ZMR 2020,231; BayObLG Beschluss vom 18.01.2002 -2Z BR 65/100; BayOBLG Beschluss vom 26.08.1999 - 2Z BR 66/99 NZM 2000,515; OLG Celle Beschluss v 29.06.1999 4 W 52/99 BeckRS 1999, 30978238]; die herrschende Literatur schließt sich dem an [vgl. u.a. Schmidt ZWE 2017, 238ff.; MüKo WEG nF 8. Aufl. 2021 Rn. 26 zu § 20 WEG).
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1.3. Der BGH hat zu einem ähnlichen Sachverhalt den Anspruch eines Eigentümers auf erstmalige planmäßige Herstellung grundsätzlich bejaht und weiter konkretisiert (so u.a. BGH Urteil v. 20.11.2015 - V ZR 284/14, ZWE 2016, 79ff.).
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1.4. Da die tatsächliche Bauausführung bezüglich der beiden streitgegenständlichen Tiefgaragenstellplätze in Bezug auf die Mauer anders ist, als im Aufteilungsplan, denn dort ist die Mauer nicht vorhanden, hat der Kläger ein Anspruch auf erstmalige Herstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes, indem die Mauer beseitigt wird. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG, § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG n.F. Hiernach kann jeder Wohnungseigentümer von den übrigen Mitgliedern der Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum plangerecht hergestellt wird, da unter Instandsetzung auch die erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu verstehen ist.
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1.4.1. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass die Mauer gem. Teilungserklärung zu Recht errichtet worden sei, denn dort seien die dem Kläger gehörenden Stellplätze Nr. 22 und 23, anders als reine Stellplätze, als „Garagenboxen“ in der Teilungserklärung ausgewiesen, die durch eine Trennwand zur Ausfahrt ausgeführt seien.
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1.4.2. Die Teilungserklärung vom 13.04.1978 differenziert ausschließlich zwischen fünf „Pkw-Boxen“ und acht Doppelstockgaragen. d. h. sämtliche Stellplätze sind als „Pkw-Boxen“ bezeichnet, insbesondere auch die Boxen 24-26, die keine Trennwände aufweisen. Im Aufteilungsplan dagegen sind sämtliche der fünf Parkboxen als sog. „Einzelgaragen“ einheitlich bezeichnet. Der Begriff „Boxe“ oder auch Garage wird jeweils nicht im Sinne eines durch eine Wand eingegrenzten Stellplatzbereichs verwendet, so dass sich aus der Teilungserklärung und dem Aufteilungsplan ergibt, dass die Mauer planwidrig errichtet wurde.
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1.5. Der BGH (BGH Urteil vom 20.11.2015 -V ZR 284/14, NJW 2016,473 entschied, dass die erstmalige plangerechte Herstellung einer Wand, die zwei Sondereigentumseinheiten voneinander abgrenzt, unabhängig von der dinglichen Zuordnung der herzustellenden Wand Aufgabe aller Wohnungseigentümer und nicht nur der benachbarten Sondereigentümer ist.
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1.6. Der Anspruch des Klägers auf erstmalige Herstellung des planmäßigen Eigentums ist auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen. Dies kommt nach dem BGH a.a.O. dann in Betracht, wenn seine Erfüllung (des Anspruchs) den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. So kann es etwa liegen, wenn die plangerechte Herstellung tiefgreifende Eingriffe in das Bauwerk erfordert oder Kosten verursacht, die auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der von der abweichenden Bauausführung unmittelbar betroffenen Wohnungseigentümer unverhältnismäßig sind. Die Gewichtung der berechtigten Belange der unmittelbar betroffenen Wohnungseigentümer richtet sich nach dem Ausmaß der Abweichung und der damit verbundenen Beeinträchtigung. Infolgedessen kann der Herstellungsanspruch ausgeschlossen sein, wenn die tatsächliche Bauausführung nur unwesentlich von dem Aufteilungsplan abweicht. Dann sind die Wohnungseigentümer im Grundsatz verpflichtet, Teilungserklärung und Aufteilungsplan so zu ändern, dass diese der tatsächlichen Bauausführung entsprechen (vgl. Senat, NJW 2015, 2027 = NZM 2015, 256 Rn. 21, für BGHZ vorgesehen). Bei geringfügigen Abweichungen können sich aber auch die mit einer Anpassung des Aufteilungsplans verbundenen Kosten als unverhältnismäßig erweisen, so dass es im Ergebnis bei den bestehenden Verhältnissen bleiben muss.
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1.7. Hier liegt bereits deshalb keine unwesentliche Abweichung vom Aufteilungsplan vor, weil die Mauer sehr lang und hoch ist und es einen sehr großen Unterschied macht, ob ein Stellplatzinhaber ohne Begrenzung durch eine seitliche Mauer in seine Stellplätze einfahren kann oder mit einer solchen Mauer. Im Falle des Bestehenbleibens der Mauer läuft der Kläger ständig Gefahr mit seinem Fahrzeug an die Mauer zu fahren, oder beim Einparken nicht aussteigen zu können, weil er nicht 100% passgenau in den Stellplatz eingefahren ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die beiden Stellplätze die Mindestgröße nach der Garagen- und Stellplatzverordnung haben. Denn es stellt sich lediglich die Frage der Wesentlichkeit der Abweichung zum Aufteilungsplan, die hier gegeben ist.
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1.7. Hier handelt es sich um eine nicht tragende Wand, deren Beseitigung keine unverhältnismäßig hohen Kosten verursacht. Im vorliegenden Fall gibt es für einen Ausschluss des Anspruchs auf plangerechte Herstellung keine Anhaltspunkte, da weder ein tiefgreifender Eingriff in das Bauwerk erforderlich ist, noch die Wohnungseigentümer mit hohen Kosten belastet werden. Der Eingriff in das Bauwerk ist minimal und kann innerhalb von ca. 24 Stunden vollständig umgesetzt werden. Die nichttragende Wand ist leicht und mit geringem Kostenaufwand zu entfernen. Die anderen Wohnungseigentümer erfahren durch die Entfernung der Wand keinen direkten Nachteil. Auch der Lichtschalter, die Notausgangsbeleuchtung und das Warnschild können verlegt werden, was keine unverhältnismäßig hohen Kosten verursacht.
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1.8. Der Kläger ist auch von der Planabweichung unmittelbar selbst betroffen.
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1.9. Der Anspruch ist auch nicht verwirkt, was von Amts wegen zu prüfen ist. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (st Rspr; vgl. nur Senat, NJW-RR 2015, 781 = NZM 2015, 495 = ZMR 2015, 731 Rn. 12 mwN). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte konnte nicht darauf vertrauen, dass der fortwährende Widerspruch zwischen tatsächlicher Bauausführung und Grundbuchinhalt auch in der Zukunft von allen Seiten hingenommen werden würde. Die Wohnungseigentümer hätten es ihrerseits in der Vergangenheit in der Hand gehabt, die Situation durch eine einvernehmliche Anpassung des Aufteilungsplans an die tatsächlichen Verhältnisse zu beheben.
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1.10. Die Beklagte kann sich auch nicht auf angebliche Verträge zwischen den Ersterwerbern und dem Bauträger berufen, die die gegenständliche Wand beinhaltet hätten und dass bei Erwerb vom Bauträger den Erstkäufern bekannt war, dass hier eine Trennmauer eingezogen wird, was Anlage B 2 belegt.
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1.10.1. Dieser Zustand wurde damit unter den damaligen Erwerbern als Ersteigentümer der Anlage entgegen der Ansicht der Beklagten nicht als Soll-Zustand vereinbart. Der Erwerbervertrag verpflichtet nur den Veräußerer gegenüber seinem Vertragspartner. Dadurch entstehen keine gegenseitigen Verpflichtungen der Erwerber untereinander. Deshalb können sie nicht als für alle Wohnungseigentümer verbindlicher Soll-Zustand bewertet werden. (Elzer, Kommentar Wohnungseigentumsrecht, 1. Auflage 2021, Stichwort „Erstmalige Herstellung eines ordnungsmäßigen Zustands“, § 19 Rn. 14 WEG.
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1.10.2. Es sind auch die Bedingungen, wonach es für den Soll-Zustand auf die Erwerbsverträge mit dem Bauträger ankommt (OLG Hamm ZWE 2007, 491 (492); BayObLG ZWE 2000, 312; LG Hamburg ZMR 2018, 974; ohne Stellungnahme BGH NJW-RR 2018, 1165 Rn. 18; aA Hogenschurz ZfIR 2019, 9 (13)) nicht erfüllt, denn die Erwerbsverträge wären nur maßgeblich, soweit es diese gibt und sie übereinstimmen. Es wurde nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sämtliche Erwerbsverträge übereinstimmen.
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1.10.3. Auch etwaige Aussagen des Bauträgers in Prospekten, Exposees und Maklerunterlagen oder die Baugenehmigung (BGH NZM 2016, 523 Rn. 12; kritisch Schmidt ZWE 2017, 238 (244)), wären nur maßgeblich für den Soll-Zustand, sofern feststellbar ist, dass die Wohnungseigentümer diesen Zustand unter sich als Soll-Zustand vereinbart haben (s. a. Staudinger/Lehmann-Richter § 21 Rn. 161). Dies ist zB nicht feststellbar, wenn die jeweiligen Erwerber mit dem Bauträger ein verschiedenes Bausoll verabredet haben. Es wurde hier auch nicht vorgetragen, dass die Erwerber mit dem Bauträger ein bestimmtes Bausoll vereinbart hat, denn es wurde von der Beklagten gerade nicht vorgetragen, dass der Erwerber einer Eigentumswohnung, mit dem teilenden Eigentümer eine von dem Teilungsplan abweichende bauliche Ausgestaltung vereinbart hat (BGH, Urteil vom 14.11.2014 - V ZR 118/13 in NJW 2015, 2027).
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1.11. Ferner stützt sich die Beklagte auf § 19 Abs. 1 WEG. Die Gemeinschaft kann durch Beschluss mit einfacher Mehrheit das Bausoll nachträglich ändern (Lehmann-Richter Wobst WEG-Reform 2020, 1. Aufl. § 12 Rn. 1282- 1284).
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1.11.1. Jedoch haben die Wohnungseigentümer keinen solchen Mehrheitsbeschluss unter Top 9 gefasst. Zu beachten ist, dass sich die Mehrheit nicht darauf beschränken darf, die Erstherstellung abzulehnen. Denn durch solch einen Negativbeschluss wird der Soll-Zustand des gemeinschaftlichen Eigentums nicht neu definiert. (Lehmann-Richter Wobst WEG-Reform 2020, 1. Aufl. § 12 Rn. 1285).
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1.11.2. Hier haben die Wohnungseigentümer durch einfache Ablehnung des Beschlussantrages die Mauer zu entfernen den unvollständigen Errichtungszustand (Mauer) nicht durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss nach § 19 Abs. 1 WEG nachträglich zum Soll-Zustand erhoben. Es hätte hier sich aus dem Beschlusswortlaut ergeben müssen, dass die Mauer nicht plangerecht errichtet wurde und dass sie aber trotzdem bestehen bleiben soll. Dies ergibt sich aber nicht aus Top 9. Dort wurde über eine einfache Ablehnung des Antrages auf Entfernung der Mauer entschieden. Dieser Beschluss kann daher nicht als Neu-Definition des baulichen Soll-Zustandes gesehen werden.
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2. Auch die Beschlussersetzungsklage gem. § 44 2 WEG n.F. ist begründet.
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2.1. Passivlegitimiert ist die WEG gem. § 44 Abs. 2 WEG n.F.
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2.2. Wie ausgeführt, kann der Kl. die plangerechte Herstellung der Trennwand verlangen. Es wird auf obige Ausführungen verwiesen.
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Der Klage war daher stattzugeben.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 I ZPO.
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IV. Der Streitwert war auf 7330,50 € festzusetzen.
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1. Die Berechnung des Streitwerts erfolgt in Beschlussklagen nach § 44 Abs. 1 WEG n.F. nach der in § 49 GKG n.F. getroffenen Regelung.
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2. Danach wird der Streitwert auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festgesetzt. Er darf den siebeneinhalbfachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums nicht überschreiten. Die alte Regelung des § 49a GKG wurde zum 01.12.2020 aufgehoben.
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3. Das Interesse aller Wohnungseigentümer orientiert sich bei der Beschlussanfechtung im Zusammenhang mit baulichen Maßnahmen an den voraussichtlich entstehenden Kosten. Diese betragen für die Entfernung der Mauer 9000,00 €.
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4. Der Beschlussersetzungsklage kommt im Hinblick auf die Anfechtung zu TOP 9 kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zu.
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5. Dieser Streitwert ist begrenzt durch das 7,5fache klägerische Interesse (108,60/1000stel Miteigentumsanteil x 7,5fache) = 7330,50 €.