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SG Landshut, Gerichtsbescheid v. 23.08.2021 – S 14 R 5/19
Titel:

Rentenversicherung, Herkunftsland, Bescheid, Regelaltersrente, Anerkennung, Kindererziehung, Gerichtsbescheid, Anrechnung, Erziehung, Aufhebung, Ausland, Kindererziehungszeiten, Kind, Kindererziehungszeit, Bundesrepublik Deutschland, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg

Schlagworte:
Rentenversicherung, Herkunftsland, Bescheid, Regelaltersrente, Anerkennung, Kindererziehung, Gerichtsbescheid, Anrechnung, Erziehung, Aufhebung, Ausland, Kindererziehungszeiten, Kind, Kindererziehungszeit, Bundesrepublik Deutschland, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 11.05.2022 – L 6 R 507/21
BSG Kassel, Beschluss vom 16.11.2022 – B 5 R 121/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59292

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.  

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist noch die Anerkennung von Berücksichtigungszeiten für S., geboren 1971, für die Zeit vom 11.12.1975 bis 26.02.1977 und vom 01.09.1978 bis 08.02.1981 sowie Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten für T., geboren am 1975, für die Zeit vom 11.12.1975 bis 26.02.1977 und vom 26.09.1979 bis 14.03.1985 streitig.
2
Die 1952 geborene Klägerin hat in der Bundesrepublik Deutschland Pflichtbeiträge in der Zeit vom 23.08.1973 bis 11.12.1975 sowie vom 27.02.1977 bis 31.03.1977. Im Herkunftsland (Bosnien-Herzegowina) sind Pflichtbeiträge vom 14.03.1985 bis 09.10.2001 gespeichert.
3
Am 02.04.2018 stellte sie einen Antrag bei der Beklagten auf Regelaltersrente, die mit Bescheid vom 16.05.2018 ab 01.06.2018 in Höhe von 49,10 € gewährt wurde.
4
Es wurden hierbei eine Kindererziehungszeit vom 08.02.1977 bis 31.03.1977 sowie eine Berücksichtigungszeit vom 27.02.1977 bis 25.09.1979 angerechnet.
5
Im Widerspruchsverfahren wurden mit Bescheid vom 28.11.2018 weitere Kinder- und Berücksichtigungszeiten anerkannt.
6
Für S. die Zeit vom 22.05.1973 bis 10.12.1975 und vom 27.02.1977 bis 31.08.1978 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
7
Für T. die Zeit vom 01.04.1975 bis zum 10.12.1975 und vom 27.02.1977 bis zum 31.03.1977 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 15.03.1975 bis 10.12.1975 und vom 27.02.1977 bis zum 25.09.1979 als Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
8
Der Aufenthalt der Kinder in der Bundesrepublik Deutschland wurde für diese Zeiträume durch die jeweiligen Einwohnermeldeämter bestätigt.
9
Die Anrechnung weiterer Zeiten wurde mit der Begründung abgelehnt, dass eine Erziehung im Inland nicht vorgelegen habe.
10
Am 18.12.2018 erging ein entsprechender zurückweisender Widerspruchsbescheid.
11
Dagegen wurde Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben und bezüglich des streitigen Zeitraums vorgetragen, dass die Erziehung im Herkunftsland der Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland gleichstehe.
12
Die Klägerin sei am 10.12.1975 mit den Kindern in ihre Heimat zurückgekehrt und habe dort ausschließlich die Kinder erzogen ohne eine Beschäftigung auszuüben. Am 27.02.1977 sei sie wieder mit den Kindern nach Deutschland eingereist und hielt sich hier bis August 1978 auf.
13
Ab September 1978 habe S. die Schule in Bosnien-Herzegowina besucht und sei von der Schwester der Klägerin betreut worden bis schließlich auch die Klägerin ab dem 25.09.1979 mit T. nach Bosnien zurückkehrte. Sie erzog die Kinder ab dann alleine und nahm erst am 14.03.1985 in Bosnien eine Beschäftigung auf.
14
In der Zeit ab September 1978 bis 25.09.1979 habe die Klägerin trotz der Betreuung von S. durch die Tante einen maßgeblichen erzieherischen Einfluss ausgeübt. Sie habe sowohl Schulbesuch, religiöse Erziehung, Umgang mit Personen und Aufenthalt bestimmt. Es haben in dieser Zeit häufige regelmäßige Kontakte jeglicher Art zwischen der Mutter und ihrem Kind stattgefunden. Die Klägerin habe das Kind auch unterhalten.
15
Die Beklagte entgegnete, dass gemäß § 56 SGB VI eine Anerkennung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten nur erfolgen könne, soweit eine Erziehung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sei. Eine Gleichstellung könne weder durch das deutschjugoslawische Sozialversicherungsabkommen vom 12.10.1968 (DJSVA 1968), das im Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina im gleichen Umfang weitergeht, noch über sonstige Vorschriften erfolgen.
16
Die Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.05.2018 in der Form des Bescheides vom 28.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2018 zu verurteilen bei der Berechnung der Regelaltersrente Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten für S. vom 11.12.1975 bis 26.02.1977 sowie vom 01.09.1978 bis 08.02.1981 und für T. vom 11.12.1975 bis 26.02.1977 sowie vom 26.09.1979 bis 15.03.1985 anzuerkennen.
17
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte sowie auf die gerichtliche Verfahrensakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

19
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden.
20
Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, der Sachverhalt ist geklärt, die Beteiligten wurden vorher gehört, die Zustimmung ist nicht erforderlich § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
21
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
22
Der Bescheid der Beklagten vom 16.05.2018 in der Form des Bescheides vom 28.11.2018 beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2018, sind rechtlich nicht zu beanstanden.
23
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer beantragter Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung.
24
Voraussetzung für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ist u. a., dass die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht (§ 56 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 SGB VI).
25
Gemäß § 56 Abs. 3 Satz 1 SGB VI liegt eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland dann vor, wenn sich der Erziehende zusammen mit dem Kind dort gewöhnlich aufgehalten hat.
26
Im beantragten Zeitraum liegt eine Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland unstreitig nicht vor. S. und T. haben sich, ausweislich der Bestätigung des jeweils zuständigen Einwohnermeldeamtes, in dieser Zeit nicht in Deutschland aufgehalten.
27
Eine Erziehung von S. in der Zeit vom 01.09. bis 25.09.1979, die damals von ihrer Tante in Bosnien-Herzegowina in Obhut genommen wurde, durch die noch in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Klägerin ist nicht möglich. Eine solche „Fernerziehung“ durch Telefonate und Anweisungen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr als Erziehung in der Bundesrepublik anzuerkennen, entspricht eindeutig nicht den Tatbestandsvoraussetzungen.
28
Es ist auch keine Erziehung erfolgt, die einer Erziehung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen ist.
29
§ 56 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 SGB VI bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Erziehungszeiten im Ausland einer Erziehung im Inland gleichsteht. Danach können Erziehungszeiten auch dann angerechnet werden, wenn sich der Erziehende mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort -im Auslandausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten zur deutschen Rentenversicherung hat.
30
Entscheidend für die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung ist, dass es durch die Kindererziehung für den Erziehenden nicht möglich war, Pflichtbeiträge für seine Altersversorgung in das deutsche Sozialversicherungssystem zu zahlen.
31
Außerdem soll der Wert der Kindererziehung als Systembeitrag honoriert werden (vgl. BSG EuGHVorlage vom 24.02.1999, AZ: B5/4 RA 82/97 in juris). Die Erziehungsleistung ist als ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der als Generationsvertrag ausgestalteten deutschen Rentenversicherung zu werten.
32
Es ist daher entscheidend, dass für den Erwerb von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten die Erziehung grundsätzlich im Inland erfolgt. Eine Erziehung im Ausland wird nur in Ausnahmefällen anerkannt, wenn ein intensiver Bezug zur deutschen Rentenversicherung weiterhin besteht.
33
Die Klägerin hat sich vom 11.12.1975 bis 26.02.1977 also für mehr als 14 Monate zusammen mit ihren Kindern im Herkunftsland aufgehalten.
34
Ein intensiver Bezug zur Bundesrepublik Deutschland ist in dieser Zeit nicht erkennbar. Ein systemgerechter Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung in das nationale Sicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zeitraum lässt sich damit nicht darstellen. Die Klägerin fällt damit nicht in die „Zielgruppe“ des § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI. Sie ist in dieser Zeit in keinem Bezug zur Arbeits- und Erwerbswelt der Bundesrepublik Deutschland gestanden. Der Integrationsgedanke von § 56 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, der eine Gleichstellung bedingt, greift hier nicht.
35
Eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Grundgesetz ist damit nicht verbunden.
36
An den historisch gewachsenen Schutzbereich der Sozialversicherung und insbesondere der gesetzlichen Rentenversicherung hat sich der Gesetzgeber bei der territorialen Begrenzung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in sachgerechter Weise orientiert (Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 02.07.1988 -1BvR 810 / 90 - in juris).
37
Nur wer sich danach im sozialen Verantwortungsbereich der Bundesrepublik Deutschland aufhält, solle auch im Falle der Kindererziehung rentenwirksam abgesichert sein. (BVerfG Beschluss vom 02.07.1998 - 1BvR 810 /90 - in juris).
38
Inwieweit die Klägerin Anspruch auf Honorierung von Kindererziehung nach Sozialversicherungsrecht im Herkunftsland hat ist nicht entscheidungserheblich.
39
Eine Gleichstellung der Kindererziehung in Bosnien-Herzegowina kann auch nicht über völkerrechtliche Regelungen erfolgen.
40
Das bisher mit Jugoslawien geschlossene DJSVA 1968 gilt im Verhältnis zu Bosnien-Herzegowina fort (Bekanntmachung vom 16.11.1992, BGBl II 1992, S. 1196).
41
Nach Art. 3 DJSVA 1968 stehen Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates bei Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates dessen Staatsangehörigen gleich, wenn sie sich im Gebiete eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten.
42
Gemäß Art. 4 DJSVA 1968 gelten die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, auch bei gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates.
43
Art. 4 DJSVA 1968 hebt die innerstaatliche Wohnortklausel für die in Art. 3 Absatz 1 DJSVA genannten Personen auf und ermöglicht ihnen bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten die Inanspruchnahme von Leistungen, als wenn sie sich auch im Inland aufhalten würden.
44
Ziel der Regelung ist es Leistungseinschränkungen, die die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften bei Auslandsaufenthalten vorsehen für die in Art. 3 Abs. 1 DJSVA 1968 genannten Personen bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Vertragsstaat zu beseitigen, es wird hierbei ausschließlich Leistungsrecht, also Zahlungsansprüche geregelt.
45
Durch Art. 4 DJSVA 1968 soll sichergestellt werden, dass Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates grundsätzlich die gleichen Leistungsansprüche haben wie bei einem Aufenthalt in der BRD.
46
Die Gebietsklausel bedingt zwar, dass der gewöhnliche Aufenthalt im ausländischen Vertragsstaat dem Inlandaufenthalt gleichsteht, sie geht aber nicht soweit, dass auch die Erziehung im Ausland der Erziehung im Inland gleichsteht (Fichte in: Hauck/Noftz Kommentar SGB VI §§ 19 und 56 SGB VI, RN 5 mit Verweis auf verschiedene Entscheidungen).
47
Die Gebietsklausel beschränkt sich auf Leistungen und umfasst keine Sachverhalte im Vertragsstaat, die in der BRD zur Anrechnung von Zeiten führen Die Anrechnung von Versicherungszeiten kann zu Leistungen führen, aber bewirkt allein noch keinen Leistungsanspruch.
48
Eine Erweiterung der Rechtsgrundlage für die Anrechnung von Sachverhalten, die nach innerdeutschem Recht zur Anrechnung rentenrechtlicher Zeiten führen, ist ausgeschlossen.
49
Eine Gleichstellung einer Erziehung im Ausland mit einer Erziehung im Inland kann nicht über eine Personengleichstellung erfolgen, sondern nur über eine ausdrückliche Gleichstellung der Sachverhalte. Kass.Kom/Gürtner 2020, SGB VI § 56, RN 45.
50
Eine solche ausdrückliche Gleichstellung findet man z. B in § 28 b Fremdrentengesetz (FRG), aber nicht im DJSVA 1968.
51
Abschließend möchte das Gericht darauf hinweisen, dass auch Deutsche, die ihre Kinder nicht im Gebiet der BRD erziehen und nicht die Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 SGB VI erfüllen, keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten in der Deutschen Sozialversicherung haben.
52
Die Klage konnte daher keine Aussicht auf Erfolg haben und war abzuweisen.
53
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.