Inhalt

LG Regensburg, Endurteil v. 26.02.2021 – 34 O 1009/20
Titel:

Fahrzeug, Kaufvertrag, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Darlehensvertrag, Annahmeverzug, Sittenwidrigkeit, Software, Streitwert, Laufleistung, Beweislast, Form, Zustimmung, Schaden, Kosten des Rechtsstreits, Darlegungs und Beweislast, sittenwidriges Handeln

Schlagworte:
Fahrzeug, Kaufvertrag, Schadensersatzanspruch, Rechtsanwaltskosten, Darlehensvertrag, Annahmeverzug, Sittenwidrigkeit, Software, Streitwert, Laufleistung, Beweislast, Form, Zustimmung, Schaden, Kosten des Rechtsstreits, Darlegungs und Beweislast, sittenwidriges Handeln
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59232

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 38.910,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.04.2020 zu bezahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkw Audi A6 Avant 3.0 FIN: ...
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei weitere 4.405,99 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.04.2020 zu bezahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kanzlei G. & H. PartmbB, B.-str. ..., R., in Höhe von 927,90 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 23% und die Beklagte zu 77% zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
6. Der Streitwert wird auf 50.782,97 € und ab dem 11.12.2020 auf 41.318,75 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal.
2
Der Kläger erwarb am 17.11.2016 über das Audi Zentrum Regensburg von der Beklagten einen Pkw mit dem Motor 3,0 l V6-TDI, der Schadstoffnorm Euro 5 mit der FIN: ... (Erstzulassung: 15.11.2013) zu einem Kaufpreis von 46.376,99 € bei einer Laufleistung von 40.000 km (Anlage K1). Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Der Kläger war bereits im Besitz des Fahrzeugs, weil er es zuvor drei Jahre lang geleast hatte. Über das Audi Zentrum Regensburg wurde mit der Beklagten eine Finanzierung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die A. Bank vereinbart. Das für den Kauf des streitgegenständlichen Pkw zur Verfügung gestellte Darlehen wurde durch den Kläger vollständig zurückbezahlt. Für das Darlehen fielen Zinsen in Höhe von 4.405,99 € an (Anlage K1). Das streitgegenständliche Fahrzeug ist, wie sich im März 2020 herausstellte, von einem Zwangsrückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA), Rückruf 23X6, betroffen, was dem Kläger schriftlich mitgeteilt wurde (Anlage K3). Auf Anordnung des KBA nahm die Beklagte daher Aktualisierungen an der Motorensoftware der Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs vor. Das entsprechende Update wurde bereits auf das streitgegenständliche Fahrzeug bei Gelegenheit aufgespielt, was dem Kläger erst nachträglich mitgeteilt wurde.
3
Bei Schluss der mündlichen Verhandlung am 11.12.2020 wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 73.811 km auf.
4
Mit anwaltlichem Schreiben vom 08.04.2020 machte die Klagepartei unter Fristsetzung bis zum 15.04.2020 gegenüber der Beklagten erfolglos die Rückabwicklung des Kaufvertrags geltend (Anlage K4). Diese lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11.04.2020 ab (Anlage K5).
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Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit unzulässigen Abschaltvorrichtungen in Form einer „Manipulationssoftware“ mit Prüfstandserkennung sowie sog. Thermofenstern, also temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen, ausgestattet gewesen. Diese sollten nun mittels eines Software-Updates entfernt werden.
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Die „Manipulationssoftware“ führe dazu, dass das streitgegenständliche Fahrzeug beim Betrieb unter realen Bedingungen im Straßenverkehr eine geringere Abgasrückführungsrate habe, als dies auf dem Prüfstand der Fall sei. Des Weiteren erkenne sie den Betrieb auf dem Prüfstand des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) mit der Folge, dass die Abgasrückführung im Gegensatz zum Straßenbetrieb optimiert würde. Im realen Fahrbetrieb dagegen würde die Abgasrückführung, welche der Reduzierung des Schadstoffausstoßes diene, abgeschaltet. Folglich würden beim normalen Fahrbetrieb die Grenzwerte bzgl. des NOx- und CO₂-Ausstoßes um ein Vielfaches überschritten. Die „Manipulationssoftware“ sei nur verbaut worden, um bei einer Abgasuntersuchung bestimmte Werte vorzutäuschen. Darüber hinaus sei auch das sog. OBD-System manipuliert worden.
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Durch das bewusste Verschweigen des Verbaus solcher Einrichtungen habe die Beklagte die zuständigen Zulassungsbehörden über die Vorschriftsmäßigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs und die Klagepartei über dessen uneingeschränkte Zulässigkeit für den Straßenverkehr getäuscht. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit der Gefahr einer Betriebsuntersagung belegt und dessen uneingeschränkte Nutzung in Frage gestellt. Die EG-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug könne jedenfalls jederzeit von der zuständigen Behörde entzogen werden.
8
Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dieser Ausstattung des Fahrzeugs gehabt und aus reiner Gewinnsucht gehandelt.
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Der Kläger sei bei Abschluss der Verträge davon ausgegangen, dass das Fahrzeug sämtlichen Vorschriften entspreche. Hätte der Kläger von der Manipulationssoftware gewusst, so hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Er habe sogar nachgefragt, ob das streitgegenständliche Fahrzeug vom „Dieselskandal“ betroffen gewesen sei, was jedoch verneint worden sei.
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Der Kläger ist der Meinung, dass ihm ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 BGB auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe des Kraftfahrzeuges zustehe. Durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs habe die Beklagte den Kläger in sittenwidriger Weise geschädigt, da dieses über unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 iVm. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 verfüge, welche der Zulassung desselben entgegengestanden hätten. Aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtungen sei durch manipulierte Testwerte die notwendige Typengenehmigung erlangt worden, sodass für den Kläger das Risiko des Genehmigungswiderrufs bestanden hätte. Dies stelle eine sittenwidrige Täuschung dar. Die Täuschung sei vorsätzlich erfolgt und kausal für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs gewesen. Zudem bestehe mit der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit ein durch die Täuschung hervorgerufener Vermögensschaden des Klägers, auf den sich der Vorsatz der Beklagten ebenfalls bezogen habe. Aufgrund des zur Finanzierung des Kaufvertrags abgeschlossenen Darlehensvertrag mit der A. Bank sei zudem ein Zinsschaden in Höhe von 4.405,99 € entstanden.
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Der Kläger ist zudem der Meinung, dass ihm ein Freistellungsanspruch bzgl. außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.137,64 € zustehe.
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In der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2020 bezifferte die Klagepartei erstmals eine abzuziehende Nutzungsentschädigung konkret auf 5.058,23 €; im ursprünglichen Klageantrag war ein Abzug im Hinblick auf eine Nutzungsentschädigung nicht enthalten gewesen. Hinsichtlich zunächst geforderter Deliktszinsen hat sie die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Der teilweisen Klagerücknahme hat die Beklagte zugestimmt.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 46.376,98 € minus eine Nutzungsentschädigung von 5.058,23 € (berechnet auf eine Gesamtfahrleistung von 350.000 Kilometern) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.04.2020 nebst einen Betrag von 4.405,99 € plus Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Pkw Audi A6 Avant 3.0 FIN:
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges Pkw Audi A6 Avant 3.0 FIN: ... seit dem 12.04.2020 im Annahmeverzug befindet.
III. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Kanzlei Gabler und Hendel in Höhe von 1.137,64 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte bestreitet insbesondere die Kaufmotivation des Klägers. Sie trägt weiter vor, dass das KBA mit dem Rückrufbescheid eine Aufweitung der Bedatung der Steuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs verlangt habe, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenverkehr zu gewährleisten. Dies werde durch das Software-Update, welches das Kraftfahrtbundesamt genehmigt habe, gewährleistet. Von einer unzulässigen Abschalteinrichtung könne nicht die Rede sein.
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Die Beklagte meint, dass ein etwaiger Schaden nicht kausal auf einer etwaigen sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte beruhe, da der Kaufvertrag vom 17.11.2016 zu einer Zeit geschlossen worden sei, in welcher der sog. Dieselskandal schon längst in diversen Presseberichten in Bezug genommen worden sei und publik gemacht worden sei. Die Klagepartei sei zudem ihrer Darlegungs- und Beweislast lediglich in ungenügender Weise nachgekommen und habe unsubstantiiert einen Manipulationsvorwurf erhoben. Jedenfalls müssten auf der Rechtsfolgenseite etwaige Nutzungsvorteile der Klagepartei berücksichtigt werden.
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Mit Beschluss vom 11.12.2020 ist der Beklagtenpartei Schriftsatzfrist zur Vorlage des streitgegenständlichen Rückrufbescheids des KBA bis 15.01.2021 gewährt worden. Die Beklagtenpartei hat die Vorlage des Rückrufbescheids unter Hinweis auf fehlende Voraussetzungen des § 142 ZPO verweigert.
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Tatbestandsergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2020 Bezug genommen. Mit Zustimmung der Parteien wurde im schriftlichen Verfahren entschieden. Schriftsätze, die bis 12.02.2021 bei Gericht eingingen, wurden bei der Entscheidung berücksichtigt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
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I. Die Klage ist zulässig, weil das Landgericht Regensburg gem. § 1 ZPO iVm. §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gem. §§ 17 Abs. 1, 35 ZPO örtlich zuständig ist. Das Feststellungsinteresse für die Feststellungsklage ergibt sich aus der Vereinfachung der Zwangsvollstreckung gem. § 756 ZPO. Die Klageänderung bzgl. der Anrechnung des Nutzungsersatzes war gem. § 263 Alt. 2 ZPO als sachdienlich zulässig und bzgl. der teilweisen Klagerücknahme gem. § 264 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig.
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II. Die Zulässigkeit der Anspruchshäufung folgt aus § 260 ZPO.
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III. Die Klage ist überwiegend begründet, weil dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 38.910,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.05.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkw Audi A6 Avant 3.0 FIN:, aus §§ 826, 31 BGB zusteht. Hieraus ergibt sich auch ein An spruch auf Zahlung von weiteren 4.405,99 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.05.2020.
1. Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB
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Die Voraussetzungen des §§ 826, 31 BGB liegen vor, da die von der Beklagten getroffene unternehmerische Entscheidung, dass der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung samt sog. Umschaltlogik ausgestattete Motor in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut und dieser sodann in Verkehr gebracht wird, sittenwidrig war. Dabei ist auf den Erstzulassungszeitpunkt im Jahre 2013 abzustellen. Der Klagepartei ist kausal im Jahre 2016 dadurch ein Schaden in Form des Abschlusses eines ungewollten Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug entstanden sowie ein weiterer Vermögensschaden in Höhe von 4.405,99 €. Die Beklagte handelte zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung auch vorsätzlich bzgl. des Eintritts des Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände.
a. Sittenwidriges Handeln der Beklagten in Form einer arglistigen Täuschung
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Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem die für sie verantwortlich Handelnden die Entscheidungen trafen, nach denen sie den streitgegenständlichen Motor 3,0 l mit einer Motorsteuerungssoftware samt Umschaltlogik ausstatteten, diesen Motor in das streitgegenständliche Fahrzeug einbauten und nach Erhalt der EG-Typengenehmigung das streitgegenständliche Fahrzeug in den Verkehr brachten. Das Vorgehen der Beklagten ist in seiner Gesamtheit auf eine systematische Täuschung aller potentiellen Erwerber des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs angelegt gewesen.
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Denn aufgrund der fehlenden Vorlage des Rückrufbescheids 400-52.A/001#057 des KBA durch die Beklagte geht das Gericht von dem Vorliegen einer Umschaltlogik aus, da der substantiierte Klagevortrag hierzu gem. § 427 S. 2 ZPO als zugestanden gilt.
aa. Umschaltlogik in Fahrzeugen als sittenwidrige Handlung
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Ein sittenwidriges Verhalten liegt nach Ansicht des BGH darin begründet, dass der streitgegenständliche Motor eine sog. Umschaltlogik aufweist, welche durch eine Motorsteuerungssoftware den Betrieb auf dem Prüfstand erkennt und ausschließlich dort die Abgasrückführung entsprechend anpasst, um die vorgegebenen Werte für den Erhalt einer EG-Typengenehmigung einzuhalten (siehe BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI 433/19, openJur Rn. 24 f.). Als verwerflich anzusehen ist insofern gerade ein Verhalten, welches bewusst darauf abzielt, die Prüfstandswerte unter Zuhilfenahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung einzuhalten und diese Vorgehensweise den Behörden zu verschleiern. Sittenwidrig ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098). Das Verhalten muss eine besondere Verwerflichkeit aufweisen, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urt. v. 25.5.2020, Az.: VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 15, beckonline; OLG Brandenburg Urt. v. 3.6.2020, Az.: 4 U 139/19, BeckRS 2020, 11365 Rn. 15, beckonline).
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Die Beklagte hat von der Einhaltung der erforderlichen Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abgesehen und hat dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorgespiegelt, dass die von ihr hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Denn auch vorliegend wurde die entsprechende Software bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte ausschließtlich auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb bei gleichbleibenden Bedingungen hingegen überschritten wurden (sog. Umschaltlogik). Sie zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typengenehmigungsbehörde ab. Eine solche Abschalteinrichtung ist gem. Art. 5 Abs. 2 iVm. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 evident unzulässig. Gesichtspunkte des Motorschutzes können bei einer solchen bewussten Umgehung der gesetzlichen Vorschriften nicht mehr angenommen werden. Das Inverkehrbringen der mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Fahrzeuge stellt sich sodann als eine arglistige Täuschung gegenüber den Erwerbern dar, weil diese davon ausgehen dürfen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und das Typengenehmigungsverfahren ordnungsgemäß verlief (BGH Beschluss vom 19.1.2021 Az.: VI ZR 433/19, BeckRS 2021, 847 Rn. 17, beckonline; Urt. v. 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179).
bb. Schlüssiger Klägervortrag bzgl. Vorliegen einer sittenwidrigen Umschaltlogik
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Der Kläger trägt substantiiert vor, dass es sich vorliegend nicht lediglich um das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwa in Form einer sog. temperaturabhängigen Abschalteinrichtung (sog. Thermofenster) handelt, was für sich allein noch nicht für eine sittenwidrige Schädigung reichen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI 433/19). Der Kläger hat vielmehr substantiiert das Vorliegen einer sog. Umschaltlogik behauptet. Vorliegende Fallkonstellation ist damit gerade mit derjenigen, welche vom BGH am 25.05.2020 entschieden worden ist, vergleichbar (BGH, Urt. v. 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179). Der Kläger ist insofern seiner Darlegungs- und Beweislastpflicht bzgl. einer deliktischen Haftung der Beklagten nachgekommen. (Sprau, in: Palandt, § 826 BGB Rn. 18; Wagner, in: MüKo, § 826 Rn. 55; OLG München, v. 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19, BeckRS 2019, 19592, Rn. 32).
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Die Klagepartei hat in der mündlichen Verhandlung explizit angeführt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine sog. Umschaltlogik aufweist, welche vom BGH als sittenwidrige Täuschung gegenüber den Erwerbern eines solchen Fahrzeugs eingestuft worden ist (s.o). Dies hat sie auch schon in der Klageschrift näher erläutert, indem sie anführte, dass die Emissionen im streitgegenständlichen Fahrzeug kontrolliert und gesteuert werden, indem die Motorsteuerung anhand von Parametern den Prüfzyklus erkenne, im Normalbetrieb die Abgasrückführung, die der Kontrolle der Emissionen und der Reduzierung des Schadstoffausstoßes dient, allerdings abschalte und die AdblueEinspritzung auf 0 herunterfahre.
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Der Kläger beschränkt sich auch nicht etwa auf einen Vortrag dergestalt, dass er lediglich eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung (sog. Thermofenster) als unzulässige Abschalteinrichtung deklariert. Er legt vielmehr detailliert dar, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Motorsteuerungssoftware ausgestattet ist, welche den Stickoxidausstoß im Prüfstandsbetrieb minimiert. Nur aufgrund dieser Software, die erkennt, ob das Fahrzeug gerade einem Prüfstandstest unterzogen wird oder sich auf der Straße befindet und dementsprechend das „Abgasverhalten“ des Motors verändert, hält der Motor während des Prüfstandsbetriebes die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen würden diese Werte jedoch bei gleichen Bedingungen um ein Vielfaches überschritten (Blatt 6 f. der Akte). Damit nimmt der Kläger die vom BGH als sittenwidrig eingestufte Umschaltlogik in Bezug.
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Der Vortrag des Klägers ist auch deshalb substantiiert genug, weil er der Beklagten eine „Abgasstrategie“ vorwirft (vgl. OLG Köln Urt. v. 5.11.2020 - 7 U 35/20, BeckRS 2020, 30204 Rn. 38, beckonline). Wie bereits dargelegt, hat sich die Klagepartei nicht auf einen Vortrag bzgl. einzelner unzulässiger Abschalteinrichtungen beschränkt (s.o). Diese hat ebenso angeführt, dass die Beklagte auch die sog. OBD-Systeme in ihren mit Abschalteinrichtungen ausgestatteten Fahrzeugen so manipuliert habe, dass diese bei der Inspektion fälschlicherweise meldeten, dass die Abgassysteme der Automobile ordnungsgemäß funktionieren. Ohne diesen weiteren Betrug hätte das OBD-System einen Fehler gemeldet, der durch die Techniker bei der Abgasuntersuchung festgestellt worden wäre (Blatt 9 der Akte). Zugleich führt die Klagepartei an, dass der SCR-Katalysator (Blatt 8 der Akte) manipuliert worden sei und das streitgegenständliche Fahrzeug eine sog. Aufheizstrategie (Blatt 92 der Akte) enthalte.
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Darüber hinaus räumt die Beklagte selbst ein, dass es sich vorliegend um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, indem sie in umfangreicher Weise Rechtsprechung zu der, von ihr angenommenen Tatsache, anführt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung für eine sittenwidrige Schädigung nicht ausreichen würde (Anlage B1, B2; Blatt 31 f. der Akte). Dies impliziert, dass der Rückrufbescheid des KBA gerade eine solche unzulässige Abschalteinrichtung betrifft.
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Der Kläger hat im Ergebnis greifbare Umstände angeführt, auf die er den Verdacht begründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne einer Umschaltlogik auf (BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az.: VIII ZR 57/19 Rn. 10).
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Für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung spricht auch die Freigabebescheinigung des KBA vom 15.01.2020 (Anlage B5), denn das von der Beklagten für die Freigabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs entwickelte Softwareupdate belegt die substantiierte Darlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung seitens des Klägers. Er indiziert, dass der Beklagten aufgeben war, auf der Basis der erteilten Typengenehmigungen in den von ihr produzierten Fahrzeugen die „Vorschriftsmäßigkeit“ herzustellen. Denn wenn die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs, das heißt ohne unzulässige Abschalteinrichtung vorher schon gegeben war, hätte es gerade keiner „Umrüstung“ bedurft, damit die Vorschriftsmäßigkeit als Ergebnis wieder gegeben wäre (vgl. OLG Köln Urt. v. 5.11.2020, Az.: 7 U 35/20, BeckRS 2020, 30204 Rn. 43, beckonline).
cc. Rückrufbescheid des KBA für streitgegenständliches Fahrzeug
35
Die Klagepartei hat im Ergebnis substantiiert behauptet, dass die von ihr vorgetragene Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthalte, welche im Rückrufbescheid des KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug enthalten sei.
36
Die Parteien sind sich darüber einig, dass bezüglich des streitgegenständlichen Fahrzeugs der Rückrufbescheid 400-52.A/001#057 des KBA vorliegt. Dieser rügt das Vorliegen einer bzw. mehrerer gem. Art. 5 Abs. 2 iVm. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung(en) im streitgegenständlichen Fahrzeug. Der Rückrufbescheid enthält nachträgliche Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung und gibt der Beklagten gleichzeitig auf, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen. Zwar liegt der Rückrufbescheid 400-52.A/001#057 dem Gericht nicht vor. Allerdings haben sich beide Parteien in den Schriftsätzen, auf diesen Rückrufbescheid bezogen, was auch noch einmal in der mündlichen Verhandlung klargestellt worden ist (Blatt 83 der Akte, Anlage B5). Aus dem Schreiben der Beklagten an den Kläger von März 2020 ergibt sich, dass das Fahrzeug von einem Rückrufbescheid des KBA erfasst ist (Anlage K3). Die Beklagte informierte im März 2020 den Kläger darüber, dass das KBA die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps im Hinblick auf die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems beanstandet und daher ein verpflichtendes Update erfolgen muss (Blatt 5 f. der Akte). Aus dem Betreff des Schreibens lässt sich zudem erkennen, dass es vorliegend um den Rückruf mit dem Kennzeichen 23X6 bzgl. des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Aufspielen eines Software Updates wegen NOx-Emissionen geht. Zudem räumt die Beklagte selbst ein, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückruf des KBA betroffen ist (Anlage K5). Insofern ist das Bestehen des Rückrufbescheids 400-52.A/001#057 zwischen den Parteien unstreitig.
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Streit bestand allerdings hinsichtlich des Inhalts des Bescheids, da die Parteien dazu unterschiedlich vortrugen. Von daher durfte das Gericht der Beklagtenpartei nach § 142 Abs. 1 ZPO die Bescheidvorlage aufgeben. Die Anordnung der Vorlage des Rückrufes des KBA war zulässig, weil sich der Kläger darauf substantiiert berief und die Beklagte erklärte, im Besitz der Urkunde zu sein.
bb. Folgen der Nichtvorlage des Rückrufbescheids durch die Beklagte
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Weil die Beklagte der Anordnung der Vorlage des Rückrufbescheids gem. § 142 Abs. 1 ZPO nicht nachgekommen ist, ergibt sich aus § 427 S. 2 ZPO, dass der Vortrag des Klägers zum Inhalt dieses Bescheids zugestanden wird, das heißt, vorliegend eine bzw. mehrere im Sinne des Art. 5 Abs. 2 iVm. Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung(en) vorliegen. Hierzu zählt nach dem Klägervortrag auch die oben angeführte, als sittenwidrig zu beanstandende Umschaltlogik. Denn gem. § 427 S. 2 ZPO stehen die Behauptungen des Klägers insofern zur Überzeugung des Gerichts als bewiesen fest (Reichold, in Thomas/Putzo, § 142 Rn. 5 ZPO; Huber, in: Musielak/Voit/Huber ZPO, § 427 Rn. 2; BGH, NJW 2007, 2989). Die Beweiswürdigung im Rahmen des § 427 ZPO ist allein Sache des Gerichts und daher erst in den Entscheidungsgründen des Urteils offen zu legen (Krafka, in: BeckOK ZPO, § 427 Rn. 3). Eine Hinweispflicht des Gerichts bestand insoweit nicht.
ff. Bewusste Inkaufnahme der Täuschung des Klägers
39
Es ist für das sittenwidrige Verhalten der Beklagten auf den Erwerber abzustellen, denn unabhängig von einer Täuschung der Typengenehmigungsbehörde stellt sich eine sog. Umschaltlogik wie im streitgegenständlichen Fahrzeug letztlich als eine bewusste Inkaufnahme einer Täuschung des Endverbrauchers, hier also des Klägers, dar. Denn derjenige, der ein Fahrzeug erwirbt, um dieses im Straßenverkehr zu verwenden, vertraut darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben durch die Herstellerin (hier die Beklagte) eingehalten werden. Der Erwerber, der einen Einblick in die technischen Vorgänge nicht haben kann, bringt denjenigen, die für die Entwicklung und Zulassung der Fahrzeuge verantwortlich sind, ein besonderes Vertrauen entgegen.
b. Schaden des Klägers
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Der kausal auf der sittenwidrigen Täuschung der Beklagten beruhende und in vorsätzlicher Weise herbeigeführte Schaden der Klagepartei liegt im Abschluss eines, über ein Darlehen finanzierten, Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug (OLG Koblenz, Urt. v. 12.6.2019, Az.: 5 U 1318/18, NZV 2019, 471 Rn. 71, beckonline). Denn der Kläger hätte den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug eine Umschaltlogik, deren Entstehung als sittenwidrig zu bezeichnen ist, aufweist und deswegen eine Betriebsuntersagung droht. Unter einem Schaden iSd § 826 BGB ist nicht nur die negative Einwirkung auf die Vermögenslage zu verstehen, sondern vielmehr die nachteilige Beeinträchtigung jedes rechtlich anerkannten Interesses (OLG Koblenz, Urt. v. 12.6.2019, Az.: 5 U 1318/18, NZV 2019, 471 Rn. 66, beckonline). Der Schaden kann deshalb auch in der Eingehung einer „ungewollten“ Verbindlichkeit bestehen (BGHZ 160, 149 = NJW 2004, 2971 = ZIP 2004, 1593; BGH, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19; OLG Karlsruhe, ZVertriebsR 2019, 178 Rn. 17 f.).
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Es steht vorliegend fest, dass es sich bei dem abgeschlossenen Kaufvertrag sowie dem Darlehensvertrag um sog. ungewollt eingegangene Verbindlichkeiten handelt, welche einen Schaden iSd. § 826 BGB darstellen. Denn es besteht im vorliegenden Fall die ständige Gefahr, dass das KBA weitere Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung anordnet. Wenn diese nicht vorgenommen werden, so besteht zusätzlich die Gefahr des Entzugs der Betriebserlaubnis. Es entspricht folglich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der Kläger ein Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn ständig die Gefahr besteht, dass die Betriebserlaubnis entzogen wird (Heese, JZ 2020, 178, 182). Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil nach dem Vortrag des Klägers von einer sog. Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug auszugehen ist (s.o). Dass diese Annahme auch nicht unbegründet ist, zeigt gerade der entsprechende Rückrufbescheid des KBA im vorliegenden Fall (s.o). Der Kläger hat vorliegend in substantiierter Weise dargestellt, dass es ihm gerade darauf ankam ein solches Fahrzeug zu erwerben, welches nicht vom sog. Dieselskandal betroffen ist. Dies hat er zur Überzeugung des Gerichts in der mündlichen Verhandlung auch nachdrücklich bestätigt.
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Der dem Kläger entstandene Schaden ist auch nicht durch die Durchführung des Software-Updates entfallen, da dem Deliktsrecht eine Nacherfüllungspflicht fremd ist. Hinzu kommt, dass das Software-Update offenbar ohne das Wissen des Klägers aufgespielt worden war, denn die Beklagte hat diese klägerische Behauptung nicht bestritten. Ferner bleibt unklar, ob das Update tatsächlich den ursprünglichen Schaden beseitigen kann, da das Fahrzeug weiterhin als mit dem Makel des Abgasskandals behaftet angesehen wird und fraglich ist, ob man - nach alledem - der Beklagtenpartei bezüglich der „Unbedenklichkeit“ des Updates vertrauen kann.
c. Kausalität der sittenwidrigen Täuschung für Schaden
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Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass es ihm darauf ankam ein Fahrzeug zu erwerben, welches nicht vom sog. Dieselskandal betroffen ist, da sich der Kläger explizit nach dem Betroffensein des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal erkundigte, wie er glaubwürdig in der mündlichen Verhandlung erläuterte, und es nach der allgemeinen Lebenserfahrung dem Interesse des Klägers entspricht ein Fahrzeug zu erwerben, welches unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in den Verkehr gebracht wurde.
aa. Explizites Erkundigen nach dem Betroffensein vom sog. Dieselskandal
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In der mündlichen Verhandlung am 11.12.2020 sagte der Kläger glaubhaft aus, dass er explizit nachgefragt habe, ob das streitgegenständliche Fahrzeug vom Dieselskandal betroffen ist, was allerdings vom Verkäufer verneint wurde. Hieraus lässt sich entnehmen, dass es dem Kläger gerade darauf ankam, ein in gesetzlicher Hinsicht einwandfreies Fahrzeug mit der ordnungsgemäß erhaltenen Typengenehmigung zu erwerben.
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Es erscheint vorliegend auch naheliegend, dass sich der Kläger nach dem Betroffensein des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal erkundigte, weil dieser erst ein Jahr vor dem Kauf am 17.11.2016 bekannt geworden ist. Insofern ist vor diesem Hintergrund gerade anzunehmen, dass es dem Kläger wichtig war, dass das streitgegenständliche Fahrzeug die gesetzlich vorgeschrieben Emissionswerte einhält, und dass er sich nach der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom Dieselskandal erkundigte.
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Die Beklagtenpartei hat zwar zunächst substantiiert bestritten, dass es der Klagepartei bei einem Kauf eines Dieselfahrzeugs nach dem Bekanntwerden des Dieselskandals nicht auf eine etwaige Manipulationsfreiheit angekommen sei (Blatt 32, 36 f., 44 ff. der Akte). In der Tat spricht vorliegend der Zeitpunkt des Kaufs auch dafür, dass der Kläger bereits Kenntnis von demselben bei der Beklagten gehabt haben „kann“. Hierfür spricht unter anderem auch eine umfangreiche Presseberichterstattung hierüber. Insofern würde die behauptete Kausalität einer Täuschung bzw. einer sittenwidrigen Schädigung oder Rechtsgutsverletzung für den Kaufentschluss des Klägers und damit für seinen Schaden zwangsläufig entfallen. Insbesondere dann, wenn der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs Kenntnis davon gehabt haben sollte, dass die Manipulationssoftware in seinem Fahrzeug verbaut gewesen ist (vgl. Heese, NJW 2019, 257, 262). Denn die behauptete Schädigung des Klägers würde dann nicht mehr auf dem heimlichen Einbau der Manipulationssoftware durch die Bekl. beruhen, sondern auf seinem freien Entschluss, das Fahrzeug trotz der Ausstattung mit dieser Software zu erwerben (OLG München, Hinweisbeschl. v. 02.01.2020 - 8 U 5307/19, NJW-RR 2020, 342 Rn. 8, beckonline).
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Für ein Entfallen der Kausalität spricht vorliegend aber gerade nicht, dass der Kaufvertrag erst am 17.11.2016 und somit nach dem Publikwerden des Dieselskandals geschlossen wurde. Denn der Zeitpunkt des Kaufs am 17.11.2016 allein begründet noch nicht eine positive Kenntnis des Klägers über das Betroffensein des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Lediglich die sich daraus ergebende konkrete Möglichkeit, dass ein Kaufinteressent vor dem Erwerb von der Betroffenheit des Fahrzeugs Kenntnis erlangt haben „könnte“, wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand begründet (OLG München, Hinweisbeschl. v. 02.01.2020 - 8 U 5307/19, NJW-RR 2020, 342 Rn. 12, beckonline). Wenn aber der Kläger gezielt nach dem Betroffensein des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom sog. Dieselskandal nachfragt, bekundet er damit gleichsam sein anzuerkennendes Interesse hierfür. Im Übrigen waren das Ausmaß und die Folgen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags am 17.11.2016 für den Kläger auch nicht absehbar. So konnte er davon ausgehen, dass bestimmte Motoren, wie der streitgegenständliche, vom Dieselskandal gerade nicht erfasst sind. Erst in letzter Zeit lässt die steigende Rückrufpraxis des KBA das Ausmaß des Dieselskandals erkennen, was die Klagepartei auch anführte (Blatt 5 der Akte)
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Zugleich erläutert die Beklagtenpartei nicht, wie der Kläger Kenntnis von dem Vorliegen einer sittenwidrigen Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs gehabt haben soll. Im Jahr 2016 lag kein, für das Vorliegen einer sittenwidrigen Täuschung sprechender, Rückrufbescheid des KBA bzgl. des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor. Weiterhin hatte, soweit ersichtlich, auch das KBA keine Kenntnis vom Vorliegen einer sittenwidrigen Umschaltlogik. Vielmehr impliziert der Freigabebescheid, dass das KBA selbst erst am 11.10.2019 Kenntnis von einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlangt hat.
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Die Kausalität entfällt auch nicht etwa deshalb, weil der Kläger, in der mündlichen Verhandlung nach seiner Kaufmotivation befragt, äußerte, dass er das Fahrzeug gekauft habe, weil es ihm sehr gefallen habe. Dies lässt eine Kausalität der Täuschung der Beklagten für den Schaden nicht entfallen. Dass, wie die Beklagte behauptet, allein die Einhaltung der Emissionswerte für den Kläger keine Rolle gespielt habe und deswegen die Kausalität entfallen würde, ist lebensfremd, da sich die Motivation über den Kauf eines Fahrzeugs zwangsläufig aus mehreren Komponenten zusammensetzt.
bb. Annahme der Kausalität aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung
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Zudem spricht die allgemeine Lebenserfahrung für die Erwartung des Erwerbers ein technisch in gesetzeskonformer Weise ausgerüstetes Fahrzeug zu erwerben. Dieser Grundsatz ist auch auf die streitgegenständliche Konstellation übertragbar, denn es genügt, dass der Kläger als Getäuschter Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (BGH, NJW 1995, 2361). Da es sich um innere Tatsachen handelt kann der Nachweis nur auf der Grundlage von Indizien geführt werden, die hinreichend und nachvollziehbar dargelegt sind. Hätte die Beklagte die unzulässige Abgasabschalteinrichtung nicht verschwiegen, wäre es zu einer reflektierten Entscheidung zu diesem Faktor gekommen und ein Kauf nach Überzeugung des Gerichts unterblieben (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 12.6.2019 - 5 U 1318/18 NZV 2019, 471 Rn. 73, beckonline). Angesichts der mit dieser Manipulation bei der gebotenen exante-Betrachtung verbundenen Gefahren, beispielsweise einem Entzug der Zulassung oder einer Wertminderung, und zwar ungeachtet einer etwaigen Realisierung dieser Gefahren, besteht nach der Lebenserfahrung eine hinreichende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, dass ein entsprechend informierter Kaufinteressent von dem Erwerb Abstand genommen hätte (OLG München, Hinweisbeschl. v. 02.01.2020, Az.: 8 U 5307/19, NJW-RR 2020, 342 Rn. 10, beckonline).
d. Vorsatz der Beklagten bzgl. Täuschung, Schaden, Kausalität
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Die handelnden Organe der Beklagten handelten auch vorsätzlich im Hinblick auf eine sittenwidrige Täuschung und der hierauf beruhenden Schädigung, da sie es zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben, dass die potentiellen Käufer der Fahrzeuge durch den Anschein der Ordnungsgemäßheit und Gesetzesmäßigkeit zum Kauf bewogen werden und dass die Abschalteinrichtung im Falle ihres Entdeckens Auswirkungen auf die Betriebserlaubnis des Fahrzeugs haben würde. Dies folgt zwangsläufig aus der Verwendung der Software. Damit war für sie vorhersehbar, dass es zu einer Stilllegung des Fahrzeugs kommen kann (OLG Koblenz, Urt. v. 12.6.2019, Az.: 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237 Rn. 72, beckonline).
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Dies ist der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen, weil aufgrund des hier maßgeblichen Sach- und Streitstandes davon auszugehen ist, dass der Vorstand der Beklagten nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der oben geschilderten Software verfügte, sondern auch in der Vorstellung die Herstellung und das Inverkehrbringen der manipulierten Motoren veranlasste.
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Der Kläger hat plausibel dargelegt, dass der Vorstand Kenntnis von der Entwicklung und Implementierung der unzulässigen Abgassoftware gehabt habe (Blatt 9, 74 f. der Akte). Seiner Ansicht nach bestehen angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, die flächendeckend konzernweit in Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, konkrete Anhaltspunkte für die Kenntnis eines Repräsentanten (Blatt 74 der Akte). Dies gelte erst recht, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidende Personen handelte. Derjenige, der die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorensteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt habe, müsse eine gewichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Zudem entbehre es jeglicher Realität, dass bei der Beklagten angeblich niemand Kenntnis von der Funktionsweise der Motoren hatte (Blatt 75 der Akte).
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Der Kläger hat im Übrigen konkrete Personen benannt, die im Rahmen ihrer klägerseits beschriebenen Funktionen in die Entwicklung und Verwendung der illegalen Software eingebunden gewesen seien (BGH, Urt. v. 25.5.2020, Az.: VI ZR 252/19NJW 2020, 1962 Rn. 43, beckonline). Die Klagepartei führt aus, dass gegen den als Zeugen benannten ehemaligen Vorstand strafrechtlich ermittelt worden sei. Die A. AG hätte weiter in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren der Staatsanwaltschaft München II ein Bußgeld von EUR 800 Millionen akzeptiert. Dieses Bußgeld stehe im Zusammenhang mit von der Beklagten entwickelten V6 sowie V8 Dieselaggregaten seit 2004 bis hin zum Jahre 2018 (Blatt 10 der Akte).
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Diesen Ausführungen ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungs- und Substantiierungspflicht hinsichtlich der internen Vorgänge im Zusammenhang mit der Software nicht ansatzweise nachgekommen. (vgl. OLG Köln Urt. v. 5.11.2020, Az.: 7 U 35/20, BeckRS 2020, 30204 Rn. 70, beckonline). Sie hat sich auf den Vortrag beschränkt, die Klagepartei habe nicht vorgetragen, dass relevante Vertreter der Beklagten Kenntnis hatten oder selbst vorsätzlich handelten (Blatt 42 f. der Akte). Der Kläger hat aber denknotwendig keine Einblicke in die Organisationsstruktur der Beklagten, sodass von ihm kein weiterer Vortrag verlangt werden kann.
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Die Beklagte hat auch die Folgen ihres Handelns jedenfalls billigend in Kauf genommen. Dass im Falle der Entdeckung der Umschaltlogik seitens des KBA Maßnahmen ergriffen werden, musste der Beklagten klar sein. Die Beklagte musste davon ausgehen, dass das KBA in diesem Falle entweder die Typengenehmigung widerrufen oder aber Maßnahmen anordnen würde, um einen gesetzmäßigen Zustand der Fahrzeuge zu erreichen. Damit musste sie zwangsläufig davon ausgehen, dass dem Fahrzeug eine Betriebsuntersagung drohte, wenn dem nicht nachgekommen werden würde, so dass auch diese Schädigungsfolgen vom Vorsatz der Beklagten erfasst waren. Im Übrigen setzt eine Programmierung der hier in Rede stehenden Software eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus (LG Krefeld, ZIP 2017, 1671 = BeckRS 2017, 117776). Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen. Angesichts der Dimension der manipulierten Fahrzeuge in Zahl und Qualität, hält es das Gericht für ausgeschlossen, dass der Vorstand keine Kenntnis von den Manipulationen hatte.
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e. Rechtsfolge: Ersatz des negativen Interesses Rechtsfolge eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB ist der Ersatz des negativen Interesses (Sprau, in: Palandt, § 826 BGB Rn. 15). Danach kann der Kläger verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte und den zugehörigen Darlehensvertrag nicht abgeschlossen hätte (Sprau, in: Palandt, Einf. v. § 823 BGB, Rn. 24; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, Az.: 13 U 149/18, NJW-RR 2019, 1428, 1433).
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Der Schaden beläuft sich vorliegend insgesamt auf 38.910,07 € zuzüglich weiterer 4.405,99 €.
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Das Gericht schätzt den bei dem Kläger eingetretenen Schaden in Form des negativen Interesses gemäß § 287 ZPO auf den Kaufpreis in Höhe 46.376,98 € abzüglich eines Gebrauchsvorteils in Höhe von 7.466,91 € bei Schluss der mündlichen Verhandlung, der sich nach der Formel „Bruttokaufpreis multipliziert mit den von dem Kläger gefahrenen Kilometern dividiert durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt“ errechnet (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, Az. 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237 ff. Rn. 80 ff.) Das Gericht geht dabei unter analoger Anwendung des § 287 ZPO von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km aus, weil der Kläger weniger als 10.000 € Kilometer pro Jahr fährt. Es legt seiner Berechnung darüber hinaus den Kilometerstand des Fahrzeugs zum Erwerbszeitpunkt (40.000 km) sowie zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (73.811 km) zugrunde.
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Der Zinsausspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB, da die Beklagtenpartei unter dem 11.04.2020 die Schadensersatzansprüche zurückwies.
2. Feststellungsantrag bzgl. Annahmeverzug der Beklagten
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Der Feststellungsantrag ist unbegründet, da sich die Beklagte nicht gem. § 293 BGB seit dem 12.04.2020 im Annahmeverzug befand. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde vorliegend nicht in Annahmeverzug begründender Art und Weise angeboten, da sich aus dem Schreiben der Klagepartei vom 08.04.2020 ergibt, dass der vollständige Kaufpreis ohne Abzug des geschuldeten Nutzungsersatzes begehrt wurde, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs (Anlage K4). Aus § 294 BGB ergibt sich allerdings, dass die Leistung, so wie sie zu bewirken ist, das bedeutet vorliegend also abzüglich Nutzungsersatz, angeboten werden muss.
3. Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Freistellung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach § 826 BGB zu, da der insoweit geschädigte Kläger die Einschaltung eines Rechtsanwalts vorgerichtlich zur Durchsetzung seines Schadensersatzanspruchs für erforderlich halten durfte. Ausgehend von einer berechtigten Forderung von 38.910,07 € sind außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 927,90 € angefallen (vgl. BGH, Urt. v. 25.5.2020, Az.: VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 87, beckonline), wenn man - so die Klageschrift - eine 0,75 Geschäftsgebühr plus Telekommunikationspauschale und Mehrwertsteuer zugrunde legt. Im Übrigen unterliegt die Klage der Abweisung.
4. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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Der Streitwert war gem. §§ 3 ff. ZPO festzusetzen.