Titel:
Voraussetzung eines Anspruchs auf Stellung einer Bauhanderwerkersicherheit für die Vergütung von Nachträgen
Normenketten:
ZPO § 87 Abs. 1
BGB § 648a aF
Leitsätze:
1. § 87 Abs. 1 ZPO, wonach die Prozessvollmacht im Anwaltsprozess bis zur Anzeige der Bestellung des neuen Prozessbevollmächtigten fortwirkt, ist erst ab Klagezustellung anwendbar. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf Stellung einer Bauhanderwerkersicherheit gem. § 648a BGB a.F. für Nachträge erfordert lediglich die schlüssige Darlegung von Grund und Höhe des Anspruchs (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachtrag, Bauhanderwerkersicherheit, Sicherheitsleistung, Anspruchsgrund, Anspruchshöhe, Fortwirkung der Prozessvollmacht
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 21.02.2020 – 24 O 13558/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Versäumnisurteil vom 20.10.2022 – VII ZR 154/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59197
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten vom 16.03.2020 gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 21.02.2020, Az.: 24 O 13558/18, wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagten tragen samtverbindlich die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das in Ziffer I. genannte Endurteil des Landgerichts München I ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Anspruchs abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht die Stellung einer Sicherheitsleistung für erbrachte Bauleistungen an einem Hotelbau in U. geltend.
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Hinsichtlich der weiteren Feststellungen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I vom 21.02.2020, Az.: 24 O 13558/18, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
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Mit Entscheidung vom genannten Tag verwarf das Erstgericht den Einspruch der Beklagten vom 12.06.2019 gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 03.05.2019, Az.: 24 O 13558/18, als unzulässig. Tragend stellte es dabei darauf ab, dass das Versäumnisurteil der Kanzlei B., der der anwaltliche Vertreter der Beklagten bis zum 31.10.2018 angehört hatte, am 28.05.2019 wirksam zugestellt worden sei und deshalb der Einspruch des anwaltlichen Vertreters der Beklagten mit Schriftsatz vom 12.06.2019, beim Landgericht München I eingegangen am gleichen Tag, verspätet gewesen sei. Aber auch in der Sache selber habe die Klägerin einen Anspruch auf Stellung einer Sicherheit in der beantragten Höhe. Die Beklagten hätten die Klägerin beauftragt, die zu stellende Sicherheit umfasse Vergütungsansprüche gemäß § 648 a BGB a. F., worunter alle vertraglich vereinbarten Ansprüche sowie Ergänzungs- und Zusatzleistungen, insbesondere berechtigte Nachträge wie auch Nebenforderungen fielen.
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Der anwaltliche Vertreter der Beklagten legte gegen das ihm unter dem 24.02.2020 zugestellte Endurteil mit Schriftsatz vom 16.03.2020, beim Oberlandesgericht München eingegangen am gleichen Tag, Berufung ein (Blatt 213/214 d. A.), die er mit Schriftsatz vom 25.05.2020, beim Oberlandesgericht München eingegangen am gleichen Tag, begründete (Blatt 230/245 d. A.).
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Er argumentiert, die Kanzlei B. sei nur mit der außergerichtlichen Vertretung der Beklagten beauftragt gewesen, deshalb habe die Frist zur Einspruchseinlegung erst in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, in der der jetzige anwaltliche Vertreter der Beklagten Kenntnis vom Erlass des Versäumnisurteils erlangt habe. Dies sei am 03.06.2019 gewesen, weshalb der Einspruch vom 12.06.2019 rechtzeitig gewesen sei. Mit der gerichtlichen Vertretung der Beklagten sei er ebenfalls erst am 03.06.2019 beauftragt worden. Auch in der Sache bestehe kein Anspruch auf Sicherheitsleistung, da auch bei einem gekündigten Vertrag ein erstelltes Aufmaß sowie eine substantiierte Darlegung der bis zur Kündigung erbrachten Leistungen erforderlich sei. Weiter gelte, dass behauptete Nachträge schlüssig dargelegt werden müssen. Hieran fehle es.
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Die Beklagten beantragen zuletzt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts München I abzuändern,
die Klage vollumfänglich abzuweisen,
den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
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Der Senat hat unter dem 19.01.2021 zur Sache mündlich verhandelt. Hinsichtlich des Ergebnisses der Verhandlung wird auf das Protokoll vom genannten Tag Bezug genommen (Blatt 229/231 d. A.). Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Ergebnis unbegründet.
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1. Der Einspruch des anwaltlichen Vertreters der Beklagten vom 12.06.2019 gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 03.05.2019, Az.: 24 O 13558/18, war rechtzeitig und durfte deshalb nicht als unzulässig verworfen werden.
12
Vom Versäumnisurteil vom 03.05.2019, Az.: 24 O 13558/18, erlangte der anwaltliche Vertreter der Beklagten am 31.05.2019 Kenntnis dadurch, dass ihm die Kanzlei B., in der Rechtsanwalt Dr. H. bis zum 31.10.2018 tätig war, das der Kanzlei B. zugestellte Versäumnisurteil per Telefax übermittelte. Dahinstehen kann, ob Rechtsanwalt Dr. H. bereits am 31.05.2019 mandatiert war oder erst, wie er vorträgt, am 03.06.2019 mandatiert wurde, denn jedenfalls ist der Einspruch vom 12.06.2019, beim Landgericht München I, eingegangen am gleichen Tag, innerhalb der Einspruchsfrist von zwei Wochen eingegangen, § 339 Abs. 1 ZPO.
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Die Zustellung des Versäumnisurteils vom 03.05.2019 an die Kanzlei B. war nicht wirksam, da die Kanzlei B. von den Beklagten mit deren gerichtlicher Vertretung nicht mandatiert worden war. Sie konnte deshalb den Lauf der Einspruchsfrist nicht in Gang setzen.
14
Zwar haben die Rechtsanwälte B., bei denen Rechtsanwalt Dr. H. bis zum 31.10.2018 tätig war, in der außergerichtlichen Korrespondenz der Parteien am 02.02.2018 ihre ordnungsgemäße Bevollmächtigung anwaltlich versichert. Die Zustellung der Klage vom 27.09.2018 (Blatt 1/18 d. A.) an die Kanzlei B. Rechtsanwälte als Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1) und 2) etwa Mitte Januar 2019 war allerdings nicht wirksam. Zu diesem Zeitpunkt war die Kanzlei B. nicht mit der gerichtlichen Vertretung der Beklagten zu 1) und zu 2) mandatiert.
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Richtig bringt die Klägerin zwar vor, dass im Anwaltsprozess die Prozessvertretungsmacht nach § 87 Abs. 1 ZPO bis zur Anzeige der Bestellung eines neuen Prozessbevollmächtigten fortwirkt. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass durch die Mandatsbeendigung für den Fortgang des Prozesses und insbesondere für den Prozessgegner keine Schwierigkeiten entstehen sollen (BGH NJW 1975, 120, 121; BeckOK ZPO/Piekenbrock § 87 ZPO Rn. 11; MüKo ZPO/Toussaint § 87 ZPO Rn. 1). Da der damalige anwaltliche Vertreter der Beklagten allerdings nur während der außergerichtlichen Korrespondenz seine ordnungsgemäße Bevollmächtigung anwaltlich versichert hat, § 87 ZPO aber nach seiner ratio erst für Anwaltsprozesse ab Beginn des Prozesses, d. h. ab Klagezustellung, Anwendung findet, wurde der Zustellungsmangel erst durch die Übergabe des Versäumnisurteils am 31.05.2020 geheilt, § 189 ZPO. Selbst wenn, was nach dem Schriftsatz der Kanzlei B. vom 31.05.2019 (Anlage zum Protokoll vom 07.02.2020) zumindest fraglich sein dürfte, Rechtsanwalt Dr. H. erst am 03.06.2019 mandatiert worden ist, so ist jedenfalls der Einspruch vom 12.06.2019 (Blatt 49/60 d. A.) rechtzeitig, § 339 Abs. 1 ZPO, da innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist eingegangen.
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Durch den rechtzeitigen Einspruch wird der Prozess in die Lage vor der Säumnis zurückversetzt, § 342 ZPO.
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2. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Stellung einer Sicherheit gemäß § 648 a BGB a. F. BGB in Höhe von 122.031,52 € zu.
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a) Beide Beklagte sind passivlegitimiert.
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Aus dem Anlagenkonvolut K 2 ergibt sich, dass die Firma A-T.B. e.K. mit der Klägerin am 13.07.2017 einen Bauvertrag geschlossen hat. Die Firma A-T. e.K. wurde gemäß Ausgliederungsvertrag vom 06.06.2018 von der Beklagten zu 2) übernommen. Dies folgt aus dem Handelsregisterauszug vom 25.07.2018 (Anlage K 1) und führt dazu, dass die Beklagte zu 2) für einen Zeitraum von 5 Jahren nach Abschluss des Ausgliederungsvertrages gemäß §§ 155, 156, 157 UmwG für Verbindlichkeiten, die bei der Übernahme bereits bestanden haben, haftet. Die Beklagte zu 2) haftet neben der Beklagten zu 1) als Gesamtschuldnerin.
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b) Die Klägerin hat sowohl den Abschluss des Bauvertrages mit der Beklagten zu 1) am 13.07.2017 wie auch die als notwendig bezeichneten Nachträge substantiiert dargelegt. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die ausführlichen Ausführungen im Ersturteil unter IV. und macht sie sich zu Eigen.
21
Da eine Sicherheitsleistung grundsätzlich zügig und ohne Beweisaufnahme zugesprochen werden sollte, wenn nicht der gesetzliche Anspruch entwertet werden soll (BGH, IBR 2014, 344) genügt eine vom Auftragnehmer schlüssig dargelegte Höhe. Ob der zu sichernde Vergütungsanspruch in der geltend gemachten Höhe tatsächlich besteht, weil z. B., wie hier, Nachträge streitig sind, wird nur durch eine Beweiserhebung zu klären sein, die allerdings dem Hauptverfahren vorbehalten bleibt (vgl. KG IBR 2020, 57).
22
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des OLG Bamberg vom 30.10.2019 (3 U 22/19, IBRRS 2020, 3066). In dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht Bamberg die Auffassung vertreten, dass bei streitigen Mehrvergütungsansprüchen und Nachtragsvereinbarungen eine schlüssige Darlegung zum Anspruchsgrund nicht ausreiche, sondern die klagende Unternehmerseite das Vorliegen der Anspruchsberechtigung dem Grunde nach voll, also nach dem Beweismaß des § 286 ZPO, nachweisen müsse (so wohl auch OLG Stuttgart; OLG Karlsruhe NJW-RR 2018, 1292; OLG Hamm, BauR 2017, 1376, 1380). Das Oberlandesgericht Bamberg hat allerdings - obwohl es sich mit seiner Entscheidung in Widerspruch setzt zur Entscheidung des BGH vom 06.03.2014 (IBR 2014, 344) -, die Revision nicht zugelassen. Aus welchen Gründen der BGH die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat, hat das oberste Bundesgericht nicht offen gelegt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof auch die Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine andere Entscheidung des OLG Bamberg (Beschluss vom 19.02.2018 - 5 U 190/17), in welcher der Anspruch auf Stellung einer Sicherheit nach § 650f BGB (= § 650a BGB a. F.) zugesprochen wurde, wenn nur die Möglichkeit des Bestehens eines Vergütungsanspruchs bejaht werden könne, ohne dass es auf Fälligkeit oder sofortige Durchsetzbarkeit ankomme, zurückgewiesen (VII ZR 48/18).
23
Der Senat bleibt daher mit seiner Entscheidung auf der ausdrücklich mit Urteil vom 06.03.2014 geäußerten Linie des BGH.
24
Der Anspruch ist nicht verjährt, § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB.
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Die Klage vom 27.09.2018 wurde den Beklagten zu 1) und zu 2) ausweislich der Postzustellungsurkunden jeweils am 09.03.2019 durch Einwurf in den zugehörigen Briefkasten zugestellt, § 180 ZPO. Nach dem Inhalt der Zustellungsurkunden war die Klage (Bl. 1 - 18) jeweils beigefügt, so dass sich die volle Beweiskraft hierauf erstreckt, § 418 ZPO (Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 41. Auflage 2020, § 418 ZPO Rn. 4). Soweit der anwaltliche Vertreter der Beklagten behauptet, es seien leere Umschläge zugestellt worden, fällt auf, dass er schon mit Schriftsatz vom 18.02.2019 (Bl. 30/31 d. A.) behauptet hatte, ihm sei (von der Kanzlei B.) die Klage ohne Anlagen übermittelt worden, er aber andererseits ausdrücklich unter dem 16.01.2019 die Entgegennahme der Klage nebst Anlagen (Anlage 2 zum Schriftsatz der Kanzlei B. vom 31.05.2019, dort Anlage zum Protokoll vom 07.02.2020) quittiert hat.
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Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.