Titel:
Keine sittenwidrige Schädigung des Erwerbers eines Dieselfahrzeugs mit Abschalteinrichtung (hier: Porsche Cayenne Diesel 3.0l)
Normenkette:
BGB § 31, § 826
Leitsatz:
Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Hersteller in dem Bewusstsein gehandelt hat, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, sittenwidrige Schädigung, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Motorschutz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Beschluss vom 26.07.2022 – 10 U 140/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 30.10.2023 – VIa ZR 1202/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59185
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 47.344,91 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klagepartei macht gegen die Beklagten als Automobil- und Motorenhersteller Schadensersatzansprüche wegen des Kaufs eines Dieselfahrzeugs im Zusammenhang mit dem sog. „Abgasskandal“ geltend.
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Die Klagepartei kaufte das streitgegenständliche Fahrzeug Porsche Cayenne mit einem Motor der Beklagten zu 1) am 09.10.2013 bei einem Händler zu einem Kaufpreis in Höhe von 66.655,52 €.
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Die Klagepartei trägt vor:
Das Fahrzeug verfüge über mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Schadstoffwerte auf dem Prüfstand, die im realen Fahrbetrieb tatsächlich erheblich überschritten würden. Da das Fahrzeug die zulässigen Grenzwerte lediglich auf dem Prüfstand einhalte, sei die Klagepartei insoweit von den Beklagten getäuscht worden. Tatsächlich genüge das Fahrzeug nicht den gesetzlichen Anforderungen, sodass es mangelbehaftet und der Klagepartei durch den Kauf ein Schaden entstanden sei.
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Die Klagepartei beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 66.655,52 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges Porsche Cayenne Diesel 3.0l V6 EU5 (FIN: …), abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,1666388 € pro gefahrenem Kilometer seit dem 09.01.2014, die sich nach folgender Formel berechnet:
(66.655,52 € x gefahrene Kilometer): 400.000 km
2. festzustellen, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des PKW des Klägers, Fahrzeuges Porsche Cayenne Diesel 3.0l (FIN: ...), in Annahmeverzug befinden
3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, an die Klagepartei Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs Porsche Cayenne Diesel 3.0l (FIN: ...), mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren.
4. die Beklagten zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.777,00 € freizustellen.
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Die Beklagten beantragen,
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Die Beklagten tragen vor:
In dem Fahrzeug seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen aktiv. Das KraftfahrtBundesamt (KBA) habe keine derartigen Abschalteinrichtungen bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp festgestellt. Insoweit existiere auch kein durch das KBA angeordneter Rückruf.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt vollumfänglich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig aber in der Sache unbegründet.
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche wegen des Kaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
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1. Ein schuldrechtlicher Anspruch gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB der Klagepartei gegen die Beklagten ist nicht gegeben. Die Beklagten waren unstreitig an dem Vertrag über den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges durch die Klagepartei nicht beteiligt, es ist nicht einmal ersichtlich, dass die Beklagten hiervon Kenntnis hatten. Anknüpfungspunkt für eine Haftung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass die Beklagten durch Ausstellen der EG-Übereinstimmungsbescheinigung für sich besonderes Vertrauen in Anspruch genommen und deshalb die Klagepartei beim Vertragsschluss erheblich beeinflusst haben. Selbst wenn die EG-Übereinstimmungsbescheinigung unwirksam sein sollte, weil das Fahrzeug nicht allen maßgeblichen Rechtsakten entspricht, ergeben sich daraus keine Ansprüche der Klagepartei. Dies folgt daraus, dass die EG-Übereinstimmungsbescheinigung zunächst keine Garantieerklärung darstellt. Anhaltspunkte dafür, dass der Hersteller die ihn schon nicht treffende (so er denn nicht ausnahmsweise gegenüber dem Verbraucher als Verkäufer auftritt) übliche Gewährleistung verstärken und ergänzen wollte, enthält die EGÜbereinstimmungsbescheinigung nicht. Weiter ist davon auszugehen, dass auch der Verordnungsgeber mit der o.g. Richtlinie und der o.g., die Richtlinie konkretisierenden Verordnung nicht einen neuen / neuartigen Anspruch des Käufers schaffen wollte, indem die Übereinstimmungsbescheinigung eine Garantieerklärung darstellen sollte. Ein solcher neuer / neuartiger Anspruch würde nämlich eine Sanktionierung von Regelverstößen des Herstellers darstellen. Die Schaffung von Sanktionen bei Regelverstößen des Herstellers sollte aber gem. Art. 46 der RL 2007/46/EG ausdrücklich dem nationalen Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Dafür, dass die EG-Übereinstimmungsbescheinigung nicht vertrauensbegründend wirken soll, dürfte ferner sprechen, dass sie nach Art. 18 Abs. 2 der RL 2007/46EG noch nicht einmal zwingend in einer vom konkreten Verbraucher beherrschten Sprache formuliert werden muss. Überdies dienen die RL 2007/46/EG und die sie konkretisierende VO (EG) 385/2009 ausweislich ihrer Gründe ausschließlich gesamtgesellschaftlichen Zielen, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarktes und der Sicherstellung eines hohen Sicherheits- und Umweltschutzniveaus, was der Anerkennung von sich aus der EG-Übereinstimmungserklärung ergebenden individualrechtlichen Ansprüchen, wie dem vorliegend geltend gemachten, insgesamt entgegensteht (LG Braunschweig, Urteil vom 07. Juli 2017 - 11 O 3672/16 (34) -, Rn. 35 ff, juris). Daher scheidet vorliegend § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB als Anspruchsgrundlage aus.
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2. Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 826 BGB. Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob die von der Klagepartei vorgetragenen Umstände objektiv einen Mangel des streitgegenständlichen Fahrzeugs begründen, da die deliktische Haftung an andere Voraussetzungen geknüpft ist als die vertragliche Mängelhaftung. So würde die Feststellung eines Mangels für sich genommen nicht ausreichen, um eine für § 826 BGB erforderliche besondere Verwerflichkeit des Pflichtenverstoßes anzunehmen (vgl. OLG Bamberg Hinweisbeschluss v. 31.3.2020 - 3 U 57/19, BeckRS 2020, 9901, Rn. 14). Die Beklagten haben vorgetragen, dass für das streitgegenständliche Fahrzeug kein verpflichtender Rückruf auf Anordnung des KBA vorliegt. Dies haben die Parteien jedenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2021 unstreitig gestellt. Demgemäß liegt die behördliche Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die das KBA zum Handeln veranlasst hätte, für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vor. Sog. Abschalteinrichtungen sind auch nicht schon per se rechtswidrig, sondern können zum Bauteilschutz nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 EG-VO 715/2007 gerechtfertigt sein. Die Kriterien, aus denen sich eine aus Bauteilschutzgesichtspunkten zulässige Abschalteinrichtung ergibt, sind nicht eindeutig bestimmt und umstritten (OLG Bamberg, a.a.O., Rn. 18). Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Hersteller in dem Bewusstsein gehandelt hat, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (OLG Bamberg Urt. v. 17.12.2020 - 1 U 8/20, BeckRS 2020, 39666, Rn. 19). Auch unter Berücksichtigung einer fehlenden Beanstandung durch das KBA kann nicht ein (bewusst) rechtswidriges Verhalten der Beklagten zugrundegelegt werden. Ein solches ist jedenfalls nicht nachgewiesen. Damit scheiden Ansprüche nach § 826 BGB aus.
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Auch andere deliktische Ansprüche, die eine vorsätzliche Täuschung durch die Beklagten voraussetzen würden, kommen nach den vorstehenden Ausführungen nicht in Betracht (vgl. OLG Bamberg BeckRS 2020, 9901, Rn. 24).
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.