Titel:
Verkehrsunfall, Betriebsgefahr, Berufung, Schadensersatzanspruch, Haftungsquote, Mithaftung, Haftungsverteilung, Rechtsverfolgungskosten, Fahrzeug, Schadensereignis, Rechtsfahrgebot, Verschulden, Fahrbahn, Zahlung, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, landwirtschaftliches Gespann
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Betriebsgefahr, Berufung, Schadensersatzanspruch, Haftungsquote, Mithaftung, Haftungsverteilung, Rechtsverfolgungskosten, Fahrzeug, Schadensereignis, Rechtsfahrgebot, Verschulden, Fahrbahn, Zahlung, vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, landwirtschaftliches Gespann
Vorinstanz:
AG Regensburg, Endurteil vom 20.07.2020 – 9 C 158/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59169
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 20.7.2020 (Aktenzeichen 9 C 158/20) abgeändert und neu gefasst wie folgt:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 1.278,22 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.02.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.02.2020 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
4. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
5. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als Gesamtschuldner 60 % und der Kläger 40 % zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziff. 1. genannte Urteil des Amtsgerichts Regensburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.194,35 EUR (916,13 EUR Berufung und 1.278,22 EUR Anschlussberufung) festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Zur Darstellung des Tatbestandes wird auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 20.7.2020 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
2
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung zum einen dagegen, dass das Amtsgericht Regensburg eine Haftungsquote von 35 % zu 65 % zu seinen Lasten zugrunde gelegt hat. Er ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Tatsache, dass auf Beklagtenseite ein landwirtschaftliches Gespann geführt wurde, eine besondere Rücksichtnahmepflicht und auch eine besondere Sorgfaltspflicht durch strenges Rechtsfahren bestanden habe. Der Sorgfaltsverstoß auf der Beklagtenseite wiege gegenüber dem Fehlverhalten des Zeugen … deutlich schwerer, so dass eine Quote von 40 % zu 60 % zu Lasten der Beklagten angezeigt sei. Mit der Berufung wendet sich der Kläger also dagegen, dass ihm 35 % statt 60 % zuerkannt worden seien und macht im Ergebnis die Zahlung weiterer 916,13 EUR geltend.
3
Im Übrigen wendet sich der Kläger mit der Berufung gegen die Abweisung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten durch das Amtsgericht. Der Kläger ist der Auffassung, er habe die Einschaltung eines Rechtsanwalts für erforderlich halten dürfen. Denn oftmals erhalte der nicht anwaltlich vertretene Geschädigte gerade nicht die vollständige Erstattung, die ihm zustehen würde, dies sei häufig erst bei anwaltlichem Schriftsatz der Fall. Wenn wie vorliegend sowohl rechtliche als auch tatsächliche Gesichtspunkte streitig seien, dürfe der Rechtsanwalt davon ausgehen, dass seine rechtliche Argumentation auch außergerichtlich noch etwas erreichen könne.
4
Der Kläger beantragt daher,
- 1.
-
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 2.194,35 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 6.2.2020 zu bezahlen;
- 2.
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die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 334,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 6.2.2020 zu bezahlen.
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Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Weiter beantragen die Beklagten im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 20.7.2020 teilweise zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
7
Die Beklagten berufen sich darauf, dass die Entscheidung über die Haftungsverteilung Sache des Tatrichters sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges bereits durch den nachgewiesenen Vorfahrtsverstoß weit erhöht sei.
8
Weiterhin sind die Beklagten der Ansicht, dass die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht erstattungsfähig seien, nachdem die Beauftragung eines Rechtsanwalts für das vorgerichtliche Verfahren vorliegend nicht mehr erforderlich und zweckmäßig gewesen sei. Im Wege der Schadensminderungspflicht sei der Kläger daher gehalten gewesen, einen Rechtsanwalt ausschließlich für das Klageverfahren zu beauftragen.
9
Im Wege der Anschlussberufung rügen die Beklagten, dass das Amtsgericht fehlerhaft eine Mithaftung der Beklagten angenommen habe. Der Nachweis eines Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot sei nicht erbracht worden. Der Sachverständige habe lediglich festgestellt, dass aus technischer Sicht ein Weiterrechtsfahren möglich gewesen wäre. Es fehlten jedoch Ausführungen, wie weit das Fahrzeug noch hätte nach rechts fahren können. Das Rechtsfahrgebot bedeute nicht äußerst rechts oder soweit wie möglich rechts zu fahren. Im übrigen erstrecke sich das Vorfahrtsrecht auf die gesamte Fahrbahn. Schließlich bestehe auch kein Raum für eine Mithaftung wegen der Betriebsgefahr. Die Betriebsgefahr des bevorrechtigten Fahrzeuges trete zurück, so dass eine Alleinhaftung des wartepflichtigen Klägerfahrzeuges zu bejahen sei.
10
Das Landgericht Regensburg hat am 15.06.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll über die öffentliche Sitzung des Landgerichts Regensburg vom 15.06.2021 (Bl. 117 ff. d.A.) Bezug genommen. Wegen des weiteren Vortrages der Parteien wird auf die zur Berufungsbegründung und zur Berufungserwiderung sowie zur Anschlussberufung und zur Anschlusserwiderung eingereichten Schriftsätze verwiesen.
11
Die nach §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache lediglich hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilweise Erfolg. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
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Die zulässige Anschlussberufung ist in der Sache ohne Erfolg und daher zurückzuweisen.
13
1. In der Hauptsache hat das Amtsgericht der Klage zu Recht in dem angefochtenen Umfang stattgegeben. Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
14
Die Entscheidung des Amtsgerichts Regensburg, dass der Kläger dem Grunde nach seinen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 20.09.2019 zu 35 % von den Beklagten ersetzt verlangen kann, ist nicht zu beanstanden.
15
Bei der Ermittlung der jeweiligen Verursachungsbeiträge sind die feststehenden Umstände zu berücksichtigen, die sich nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben (Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 17 StVG Rdnr. 12). Das Amtsgericht hat korrekt in die Überlegungen eingestellt, dass der Zeuge … einen Vorfahrtsverstoß begangen hat, da er aufgrund der Vorfahrtsregelung rechts vor links nicht mit Schrittgeschwindigkeit an die Sichtkante herangefahren ist und mithin gegen § 8 Abs. 1 StVO verstoßen hat. Weiterhin ist das Amtsgericht nach Anhörung des Sachverständigen … in der mündlichen Verhandlung vom 4.5.2020 entgegen der Auffassung der Beklagten zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beklagte zu 2) insofern schuldhaft gehandelt hat, als er nicht äußerst rechts gefahren ist. Denn nach den Angaben des Sachverständigen habe die streitgegenständliche Kollision links der gedachten Fahrbahnmitte stattgefunden und wenn der Beklagte zu 2) mit seinem Gespann weiter rechts gefahren wäre, was fahrtechnisch möglich gewesen wäre, wäre es nicht zum Zusammenstoß gekommen. Der Sachverständige … hat in der mündlichen Verhandlung am 04.05.2020 zudem ausgeführt, dass von einer eindeutigen Vorwärtsbewegung des Beklagtenfahrzeugs auszugehen sei und dass die Kollision auf der Fahrspur des Klägers stattgefunden habe. Insoweit wäre es aus technischer Sicht möglich gewesen, das Beklagtenfahrzeug weiter nach rechts zu versetzen. Hierbei wurde seitens der Kammer nicht übersehen, dass sich das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 2) grundsätzlich auf die gesamte Fahrbahn erstreckte. Andererseits ist jedoch im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2) ein landwirtschaftliches Gespann fuhr, mithin eine besondere Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflicht bestand und er mit seinem Gespann weiter hätte rechts fahren müssen. Zudem darf sich der Benutzer einer T-Kreuzung nicht auf die Beachtung des Vorfahrtsrechts durch von links herannahende Verkehrsteilnehmer verlassen (s. auch OLG Karlsruhe, NZV 2012, 437).
16
Die Auffassung des Amtsgerichts, dass der Verstoß gegen das Vorfahrtsrecht schwerer wiegt als das Verschulden des Beklagten zu 2), nämlich, dass dieser nicht weiter rechts gefahren ist, ist nicht zu beanstanden genau wie die getroffene Abwägungsentscheidung 35 % zu 65 % zu Lasten des Klägers. Unter Zugrundelegung der Verursachungsbeiträge erscheint eine Haftungsquote auf Klägerseite von 65 % und auf Beklagtenseite von 35 % auch nach Auffassung der Kammer als angemessen.
17
2. Die Berufung der Klagepartei hat jedoch insofern Erfolg, als dem Kläger ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB aus einem Streitwert in der Höhe, in der die Klage begründet ist (1.278,22 €), mithin in Höhe von 201,71 € (1,3 Gebühr zzgl. Pauschale und Mehrwertsteuer) zuzusprechen ist.
18
Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Der Schädiger hat jedoch nur solche adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, Urteil vom 29.10.2019, Az.: VI ZR 45/19). Selbst bei einfach gelagerten Fällen ist es nach der Rechtsprechung der BGH (Urteil vom 17.09.2015, Az.: IX ZR 280/14) allgemein anerkannt, dass bei Zahlungsverzug des Schuldners die Beauftragung eines Rechtsanwalts grundsätzlich zweckmäßig und erforderlich ist. Der Gläubiger darf eine rechtliche Beratung für erforderlich halten, die sich zunächst mit dem weiteren Vorgehen zu befassen hat (BGH a.a.O.).
19
Dies ist auch vorliegend der Fall. Aufgrund des zwischen den Parteien streitigen Unfallhergangs sowie im Hinblick auf die vorhandenen rechtlichen Probleme ist vorliegend kein einfach gelagerter Fall anzunehmen. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 1) eine Einstandspflicht zunächst mit Schreiben vom 23.10.2019 (Anlage K5) vor Beauftragung der Prozessbevollmächtigten durch den Kläger abgelehnt hatte, steht dem nicht entgegen. Der Kläger durfte vielmehr davon ausgehen, dass eine Zahlungsaufforderung durch seine Prozessbevollmächtigten bei detaillierter und rechtlich fundierter Begründung erfolgversprechend und zweckmäßig sein werde. Mithin ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts im vorliegenden Einzelfall auch vorgerichtlich als erforderlich anzusehen. Der Kläger hat mithin einen Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von 1.278,22 €, mithin in Höhe von 201,71 € (1,3 Gebühr einschließlich Pauschale und Mehrwertsteuer) nach §§ 280 I, II, 286 BGB.
20
Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen basiert auf §§ 288 Abs. 1 Satz 1, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB.
21
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.