Inhalt

LG München I, Endurteil v. 26.08.2021 – 23 O 15063/20
Titel:

Begründung einer Beitragsanpassung in der Krankenversicherung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5, § 208 S. 2
VAG § 155 Abs. 3, Abs. 4
MB/KK 2009 § 8b
Leitsätze:
1. Bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG muss die nach § 203 Abs. 5 VVG erforderliche Mitteilung der maßgeblichen Gründe nicht ausdrücklich klarstellen, dass es sich bei den die Prämienanpassung auslösenden Veränderungen der Rechnungsgrundlage nicht nur um vorübergehende Veränderungen handelt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die etwaige Unwirksamkeit einer § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 entsprechenden Bestimmung in den AVB einer Krankheitskostenversicherung lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 sowie einer Tarifbedingung, wonach beim Vergleich der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen entsprechend § 155 Abs. 3 S. 2 VAG (§ 12b Abs. 2 VAG aF) eine Abweichung von mehr als 5% eine Prämienanpassung ermöglicht, unberührt (entgegen OLG Köln BeckRS 2020, 28456; s. auch BGH BeckRS 2022, 18282). (Rn. 41 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 15.12.2022 – 25 U 7069/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59128

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird bis zum 22.03.2021 auf 21.798,04 € und für die Zeit danach auf 11.994,24 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei wendet sich gegen Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung.
2
Sie unterhält seit 2005 bei der Beklagten, die vormals C. Krankenversicherung AG hieß, seine private Krankenversicherung, unter anderem in den Tarifen CV3H250, einer Krankheitskostenversicherung für ambulante und stationäre zahnärztliche Behandlungen sowie im Tarif ETB42, einer Krankentagegeldversicherung. Es gelten die Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung nebst Tarifbedingungen (Anlage BLD 5) und die Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankentagegeldversicherung nebst Tarifbedingungen (BLD 6).
3
Der Kläger macht zuletzt noch die Unwirksamkeit folgender angeblicher Beitragserhöhungen geltend:
Tarif CV3H250
-
01.01.2012 um monatlich 54,04 EUR
-
01.01.2013 um monatlich 13,21 EUR
-
01.01.2014 um monatlich 33,96 EUR
-
01.01.2015 um monatlich 25,79 EUR
-
01.01.2019 um monatlich 82,88 EUR
Sowie im Tarif ETB42
-
01.01.2012 um 5,42 EUR
-
01.01.2014 um 3,03 EUR
-
01.01.2020 in Höhe von - 4,88 € (Beitragssenkung)
4
Die Klagepartei verlangt die Rückzahlung der auf diese Erhöhungen gezahlten Prämienanteile sowie die Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen.
5
Er ist der Ansicht, die Beitragserhöhungen der Beklagten seien schon aus formalen Gründen unwirksam, weil die Beklagte die Gründe nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG mitgeteilt habe. Zudem seien die Beitragserhöhungen im Tarif CV3H250 zum 01.01.2013 und zum 01.01.2019, sowie im Tarif ETB 42 zum 01.01.2014 materiell unwirksam, weil bei diesen Prämienanpassungen der auslösende Faktor bei den Versicherungsleistungen unterhalb von 10 % gelegen habe. Die Rechtsgrundlage in den Versicherungsbedingungen der Beklagten, nach die auch eine Anpassung bei Überschreitung der Schwelle von 5 % Abweichung der Versicherungsleistungen vorsehe, sei unwirksam.
6
Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 23.03.2021 Feststellungsanträge betreffend Beitragserhöhungen im Tarif CV3H250 zum 01.01.20217 und zum 01.01.2020 zurückgenommen, sowie um die Feststellung der Unwirksamkeit einer Beitragssenkung im Tarif ETB42 zum 01.01.2020 in Höhe von - 4,88 € erweitert und den Leistungsantrag von ursprünglich 12.252,46 € auf 11.994,24 € reduziert hat,
beantragt der Kläger zuletzt:
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
a) im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 54,04 €,
b) im Tarif ETB42 die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 5,42 €,
c) im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 13,21 €,
d) im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2014 in Höhe von 33,96 €,
e) im Tarif ETB42 die Erhöhung zum 01.01.2014 in Höhe von 3,03 €
f) im Tarif CV3H250 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 25,79 €,
… h) im Tarif ETB42 die Senkung zum 01.01.2020 in Höhe von - 4,88 €.
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen auf insgesamt 419,12 € zu reduzieren ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 11.994,24 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte
a)
der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
b)
die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
7
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Sie ist der Ansicht, ihrer Mitteilungen zu den Beitragsanpassungen genügten den Anforderungen, welche der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 16.12.2020, Aktenzeichen IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19 aufgestellt habe. Auslöser für die Anpassungen seien jeweils nicht nur vorübergehende Änderungen in den Versicherungsleistungen gewesen. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
9
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 26.08.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
I. Die Klage ist weitgehend zulässig. Insbesondere ist der Antrag auf Feststellung, dass Prämienerhöhungen unzulässig sind, in Anwendung der vom Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen IV ZR 255/17, entwickelten Grundsätze zulässig.
11
Danach besteht ein Feststellungsinteresse grundsätzlich auch hinsichtlich früherer Prämienanpassungen ungeachtet dessen, dass eine frühere Prämienanpassung wegen einer zeitlich nachfolgenden Erhöhung überholt sein könnte und sich gegenwärtige Rechtsfolgen aus ihr nur noch mit Blick auf die Rückforderung eines etwa überzahlten Betrags ergeben könnten, die bereits Gegenstand des bezifferten Leistungsantrags sind. Denn allein mit einem Leistungsurteil wäre nicht rechtskräftig festgestellt, dass die Klagepartei zukünftig nicht zur Zahlung des sich aus der angegriffenen Beitragsanpassung ergebenen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Zudem ist die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht zugleich über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus. Sie ist deshalb auch als Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig.
12
Der Antrag in Ziffer 1. h), mit welchem die Klagepartei festgestellt haben will, dass die Beitragssenkung um 4,88 € zum 01.01.2020 im Tarif CV3H250 unwirksam sei, ist unzulässig. Ein Feststellungsinteresse ist nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, dass sich aus der Beitragssenkung ein Anspruch der Klagepartei ergeben könnte.
13
II. Die Klage ist im Übrigen unbegründet.
14
Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht wegen ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 BGB gegen die Beklagte ein Anspruch auf die begehrte Erstattung von gezahlten Prämienanteilen zu. Sowohl der Leistungsantrag in Höhe von zuletzt noch 11.994,24 € als auch der Feststellungsantrag über die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Prämienerhöhungen, aus dem sich über die Zahlungszeiträume hinausgehende Erstattungen ergeben sollen, sowie die weiteren Feststellungsanträge zur Herausgabe von Nutzungen sind unbegründet.
15
Alle streitgegenständlichen Beitragsanpassungen waren wirksam. Die Mitteilungen zu den Prämienanpassungen genügten den gesetzlichen Anforderungen. Die Prämienanpassungen beruhten auf einer wirksamen Rechtsgrundlage, auch soweit der auslösende Faktor bei unterhalb der Schwelle von 10 %, jedoch über 5 % Änderung der Versicherungsleistungen lag. Sonstige Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der versicherungsmathematischen Berechnungen der Prämienanpassungen nach aktuariellen Grundsätzen wurden nicht erhoben. Im Einzelnen ergibt sich Folgendes:
16
1. Das Gericht folgt den folgenden Grundsätzen des Bundesgerichtshofes in dem Urteil vom 16.12.2020, Aktenzeichen IV ZR 294/19 und in dem Urteil vom 19.12.2018, Aktenzeichen IV ZR 255/17: Bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG wird erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt.
17
Die Begründung muss sich auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen. Anzugeben ist nur die Rechnungsgrundlage, das heißt entweder die kalkulierten Versicherungsleistungen oder die Sterbewahrscheinlichkeiten (§ 155 Abs. 3 und 4 VAG), deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Prämienanpassung ausgelöst hat, nicht aber die genaue Höhe dieser Veränderung. Zweck des § 203 Abs. 5 VVG ist es, dem Versicherungsnehmer einen gewissen Zeitraum zu belassen, um sich auf eine ihm mitgeteilte Vertragsänderung einstellen zu können und sich darüber klar zu werden, ob er sein Kündigungsrecht ausübt oder von seinem Tarifwechselrecht Gebrauch macht. Dem Versicherungsnehmer soll verdeutlicht werden, dass weder sein individuelles Verhalten, noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung waren, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dies wird durch die Angabe der Rechnungsgrundlage, welche die Prä mienanpassung ausgelöst hat, erreicht. Dagegen ist es für diesen Zweck nicht erforderlich, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen. Denn dem Versicherungsnehmer soll nicht eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung ermöglicht werden.
18
Die Versicherung muss nicht ausdrücklich klarstellen, dass es sich nicht nur um vorübergehende Veränderungen handelt. Dies verlangen weder der Gesetzeswortlaut des § 203 VVG noch die zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Durch die Mitteilung der Rechnungsgrundlage gibt der Versicherer das Ergebnis seiner Überprüfung und Berechnungen wieder, die er nicht näher erläutern muss.
19
Das Oberlandesgericht München hat in seinem Hinweisbeschluss vom 07.07.2021 (Az. 25 U 797/21) im Anschluss an die oben zitierten BGH - Entscheidungen zu den formalen Anforderungen an ein Erhöhungsverlangen deutlich herausgestellt, dass Prämienanpassungen den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer nachhaltig gesicherten Leistungsfähigkeit des Versicherers dienten. Nur wegen einer unzureichenden Begründung formal unwirksame aber in der Sache, also materiell gerechtfertigte Anpassungen müssten im Zuge der nächsten jährlichen Überprüfung vom Versicherer nachgeholt werden. Die Anpassung könnte dann wegen einer zwischenzeitlich entstandenen Lücke bei den Prämienzahlungen gegebenenfalls sogar höher ausfallen. Deshalb sei bei der Beurteilung der formalen Anforderungen an die Mitteilung der Erhöhung das vorübergehende Interesse des Versicherungsnehmers gegen die dauerhaften Interessen der Versichertengemeinschaft abzuwägen. Aus diesen Gründen seien die formalen Anforderungen an ein Prämienerhöhungsverlangen nicht hoch. Der Versicherungsnehmer müsse lediglich verstehen können, ob die Anpassung im Hinblick auf eine Änderung der Rechnungsgrundlage der Versicherungsleistungen oder/und der Sterbewahrscheinlichkelten erfolgt sei.
20
Gemessen an den zuvor zitierten Vorgaben des Bundesgerichtshofs und den Erwägungen des Oberlandesgerichts München, denen sich das Gericht ohne Weiteres anschließt, waren alle streitgegenständlichen Beitragsanpassungen formell wirksam. Die entsprechenden Mitteilungschreiben, Nachträge zum Versicherungsschein und ergänzende Informationsblätter liegen im von der Beklagten vorgelegten Anlagenkonvolut BLD 7 vor.
21
2. Im Einzelnen gilt Folgendes:
a) Beitragserhöhung zum 01.01.2019 im Tarif CV3H250
22
Im Anschreiben vom November 2018 wies die Beklagte hinsichtlich der Hintergründe der Beitragsanpassung auf das beigefügte Informationsblatt hin. Zudem kennzeichnete sie die Beitragsanpassungen im Nachtrag zum Versicherungsschein mit einem *. In diesem Informationsblatt führte die Beklagte unter der Überschrift: „Gesetzlich geregelt: jährliche Prüfung“ aus:
„Jedes Jahr prüfen wir neu, ob die tatsächlichen Ausgaben denen entsprechen, die der Beitragskalkulation zugrundeliegen. Wir gleichen dabei auch ab, ob sich die durchschnittlichen Lebenserwartungen geändert haben.
Wenn in einem Tarif die Ausgaben für Leistungen von den kalkulierten deutlich abweichen und diese Änderung nicht vorübergehend ist, müssen wir die Beiträge anpassen. Auch die Prüfung der Lebenserwartungen kann zu einer Beitragsänderung führen. Das ist gesetzlich so geregelt. In diesem Jahr ist der maßgebliche Grund für die Beitragsanpassung die Abweichung in den Leistungsausgaben. Ein unabhängiger Treuhänder prüft die Anpassung und genehmigt sie. Zusätzlich legen wir die Änderung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor.“
23
Der Kläger erfuhr hiermit ohne Weiteres, dass die gestiegenen Leistungsausgaben die Erhöhung seines Krankenversicherungstarifs CV3H250 ausgelöst haben. Dies genügt.
b) Beitragserhöhung zum 01.01.2015 im Tarif CV3H250
24
Im Anschreiben vom November 2014 wies die Beklagte hinsichtlich der Hintergründe der Beitragsanpassung auf das beigefügte Informationsblatt hin. Zudem kennzeichnete sie die Beitragsanpassungen bei den erhöhten Tarifen im Nachtrag zum Versicherungsschein mit einem *. In beiliegenden Informationsblatt führte die Beklagte unter der Überschrift „Wichtige Informationen zu Ihrem Vertrag“ aus:
„Sie haben Ihren Nachtrag zum Versicherungsschein gelesen und festge - stellt, dass die Beiträge für die gekennzeichneten Tarife zum 1. Januar 2014 steigen werden. Sie fragen sich sicher, warum Ihre Beiträge steigen. Ein Hauptgrund ist: Die Ausgaben für Versicherungsleistungen sind weiter stark angestiegen.“
25
Auch dies genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Mitteilung der Gründe der Prämienanpassung. Der Kunde erfährt, dass die Anpassung dem starken Anstieg der Versicherungsleistungen geschuldet ist. Im nachfolgenden Text des Informationsblattes werden zudem - überobligatorisch - für Laien überaus verständlich die Grundlagen und Vorgehensweise einer Beitragsanpassung wegen gestiegener Leistungsausgaben erklärt
c) Beitragserhöhung zum 01.01.2014 im Tarif CV3H250 und im Tarif ETB 42
26
Die Mitteilungstechnik ist identisch wie im Folgejahr 2015: Information über die Veränderung der Gesamtbeitragssumme im Kundenanschreiben vom November 2013 mit Verweis auf detaillierte Informationen auf den folgenden Seiten sowie dem beiliegenden Informationsblatt, im Nachtrag zum Versicherungsschein der Sternchenhinweis bei den von der Anpassung betroffenen Tarifen, die zum Informationsblatt führen. Dort heißt es wiederum in der Überschrift: „Sie haben Ihren Nachtrag zum Versicherungsschein gelesen und festgestellt, dass die Beiträge für die gekennzeichneten Tarife zum 1. Januar 2014 steigen werden. Sie fragen sich sicher, warum Ihre Beiträge steigen. Ein Hauptgrund ist: Die Ausgaben für Versicherungsleistungen sind weiter stark angestiegen.“
27
Dies ist ausreichend. Die nachfolgenden gut verständlichen Ausführungen zu den gesetzlichen Vorgaben und Vorgehensweise bei der Beitragsanpassung sowie zu den wirtschaftlichen Hintergründen des Anstiegs der Leistungsausgaben wären danach nicht einmal mehr notwendig gewesen.
d) Beitragserhöhung zum 01.01.2013 im Tarif CV3H250 und Beitragserhöhung zum 01.01.2012 in den Tarifen CV3H250 und ETB 42.
28
Da eine spätere - wirksame - Beitragserhöhung, wie hier die Prämienanpassungen zum 01.01.2014 eine vormals unwirksame Erhöhung ersetzt, da eine Prämienanpassung immer eine Neufestsetzung ist, käme es auf die formelle Wirksamkeit der hier weiter streitgegenständlichen Beitragserhöhungen zum 01.01.2013 und zum 01.01.2012 nicht an.
29
Nur der Vollständigkeit halber sei hier festgestellt, dass auch die Mitteilungen zu diesen Beitragserhöhungen ordnungsgemäß waren. Sie folgten dem gleichen Muster wie die Mitteilungen zu den Beitragsanpassungen 2014 und 2015, auf die insoweit verwiesen wird.
30
In Informationsblatt zum Kundenanschreiben vom November 2012 mit dem Titel „Wichtige Informationen zu Ihrem Vertrag“ heißt es in der Überschrift: „Sie haben Ihren Nachtrag zum Versicherungsschein gelesen und festgestellt, dass die Beiträge für die gekennzeichneten Tarife zum 01.01.2013 steigen werden. Sie fragen sich sicher, warum Ihre Beiträge steigen. Im Folgenden möchten wir den Grund dafür kurz erläutern.“
31
Im nachfolgenden Text wird nur die gesetzliche Vorgabe zur Überprüfung der Leistungsausgaben und die wirtschaftlichen Hintergründe des Anstiegs der Leistungsausgaben beschrieben. Damit ist ohne weiteres erkennbar, dass die Beitragsanpassung auf gestiegenen Leistungsausgaben beruhte.
32
In dem Informationsblatt zum Kundenanschreiben vom November 2011 mit der Überschrift „Wichtige Information zu Ihrem Vertrag“ heißt es im ersten Abschnitt: „Sie haben Ihren Nachtrag zum Versicherungsschein gelesen und festgestellt, dass ihre Beiträge zum 01.01.2012 steigen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Ein Hauptgrund ist: die Ausgaben für Versicherungsleistungen sind weiter stark angestiegen. Unsere Kunden nehmen zum einen mehr Leistungen in Anspruch, zum anderen haben aber auch die Kosten im Gesundheitswesen weiter zugenommen.“
33
Auch hier ist also in aller Kürze und Deutlichkeit dem Kunden mitgeteilt, dass die Beiträge in seinen Tarifen aufgrund von gestiegenen Leistungsausgaben angehoben werden mussten. Auch diese Beitragsanpassung ist ordnungsgemäß und formell wirksam.
34
3. Entgegen der Ansicht der Klagepartei sind die Prämienanpassungen auch nicht mangels wirksamer Rechtsgrundlage für eine Anpassung bei auslösendem Faktor zwischen 5 % und 10 % der Änderung der Leistungsausgaben unwirksam.
35
Im Einzelnen sind folgende Erhöhungen unter diesem Gesichtspunkt von der Klagepartei angegriffen:
die Beitragserhöhung des Tarifs CV3H250 zum 01.01.2013 mit dem Auslösenden Faktor 1,0621 Versicherungsleistung (keine Anpassung wegen A.F. Sterbewahrscheinlichkeit)
die Beitragserhöhung des Tarifs ETB42 zum 01.01.2014 mit dem Auslösenden Faktor 1,0858 Versicherungsleistung (keine Anpassung wegen A.F. Sterbewahrscheinlichkeit)
die Beitragserhöhung des Tarifs CV3H250 zum 01.01.2019 mit und dem Auslösenden Faktor 1,0565 Versicherungsleistung (keine Anpassung wegen A.F. Sterbewahrscheinlichkeit)
36
Der Gesetzgeber hat den Versicherungsunternehmen in § 155 Abs. 3 S. 2 VAG das Recht eingeräumt, einen geringeren als den gesetzlich festgelegten Schwellenwert von 10 % durch vertragliche Vereinbarung zu bestimmen. Die Beklagte hat von diesem Recht Gebrauch gemacht und in ihren Allgemeinen Vertragsbedingungen (Anlage BLD Tarif CV3H) in Teil I (Rahmenbedingungen 2008, RB/KK 2008) unter § 11 „Beitragsanpassung“ in den hier interessierenden Passagen wie folgt formuliert:
„(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit bei den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. (…)
(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
(3) (…)“
37
Im unter dem Text angeordneten blau unterlegten Kästchen befindet sich der Verweis auf den im Teil II der AVB in § 10 der Tarifbedingungen (TB/KK2008) festgelegten Vomhundertsatz. Der blau unterlegte Text lautet:
„Teil II: § 10
Zu § 11 (1) RB/KK2008 Beitragsanpassung
Der Vomhundertsatz beträgt 5“
38
Die Beklagte war nach dieser wirksamen Beitragsanpassungsklausel befugt, auch bei einer nicht nur vorübergehenden Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen in der Beobachtungseinheit um mehr als 5 % nach Überprüfung und Zustimmung des Treuhänders den Beitrag anzupassen. Die Anpassungsklausel in Abs. 1 des § 11 der AVB Teil I ist nicht etwa deshalb unwirksam, weil nach Absatz 2 des § 11 in Teil I der AVB das Absehen von der Anpassung bei nur vorübergehender Veränderung der Versicherungsleistungen nicht als obligatorisch, sondern als fakultativ formuliert ist („kann abgesehen werden“).
39
Die Klausel des § 11 Abs. 1 in Teil I der AVB der Beklagten ist gesetzeskonform und unabhängig von Abs. 2 wirksam. Im Versicherungsaufsichtsgesetz, und zwar sowohl in der bis 31.12.2015 geltenden Fassung des § 12 b Abs. 2 S. 2 VAG als auch in der seither aktuellen Fassung des § 155 Abs. 3 S. 2 VAG ist zwar der Schwellenwert von 10 % genannt, bei dessen Überschreitung der Versicherer zur Überprüfung der betroffenen Prämien und bei nicht nur vorübergehender Abweichung mit Zustimmung des Treuhänders die Prämie anzupassen hat. Im gleichen Satz wird jedoch den Versicherern gestattet, in ihren allgemeinen Versicherungsbedingungen einen geringeren Prozentsatz vorzusehen. Schon aus den Gesetzesmaterialien (BT Drs. 12/6959, S. 62) ergibt sich, dass mit der gesetzlichen Festlegung des Schwellenwertes von 10 % ein verbindlicher Wert zur Notwendigkeit der Überprüfung und ggfs. Anpassung der Prämie geschaffen werden sollte. Zugleich sollte den Versicherern zur Vermeidung von zu großen Prämiensprüngen die Möglichkeit eröffnet werden, geringere Schwellenwerte für die Prüfung und Anpassung der Prämien in ihren Vertragsbedingungen anzusetzen. Die aufsichtsrechtlich genehmigte Lage vor Einführung des § 12b VAG a.F. sollte beibehalten werden. Diese Möglichkeit hat die Beklagte mit § 11 Abs. 1 in Teil I der AVB und mit § 10 der entsprechenden Tarifbedingungen in Teil II gesetzeskonform genutzt.
40
In diesem Punkt herrscht auch in der derzeitigen Rechtsprechung vieler Gerichte zu ähnlich lautenden Versicherungsbedingungen Einigkeit (vgl. OLG Köln, Urteil vom 22.09.2020, Az. 9 U 237/19; LG Hannover, Urteil vom 12.03.2021, Az. 19 O 291/20; LG Oldenburg, Urteil vom 03.03.2021, Az. 13 O 2797/20; LG Essen, Az. 18 O 249/20; Kammergericht Berlin, Hinweise vom 11.02.2020, Az. 6 U 155/18; LG Erfurt, Hinweisbeschluss vom 17.06.2020; Az. 8 O 1479/18).
41
Streitig ist die Frage, ob der Absatz 2 des § 11 in Teil I der AVB (Rahmenbedingungen 2008, RB/KK2008) der Beklagten die Unwirksamkeit der weiteren Bestimmungen nach sich zieht. Sowohl § 12b Abs. 2 VAG a.F., § 155 Abs. 3 S. 2 VAG als auch § 203 Abs. 2 VVG knüpfen die Berechtigung des Versicherers zur Prämienanpassung an die nicht als nur vorübergehend anzusehende Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage.
42
Das OLG Köln meint in seiner Entscheidung vom 22.09.2020 (Az. 9 U 237/19) Rz. 45 ff., diese (ähnlich lautende) Tarifbedingung (eines anderen Versicherers) sei so zu verstehen, dass der Versicherer auch bei einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistungen eine Prämienanpassung vornehmen dürfe, sich hier also einen Ermessensspielraum eingeräumt habe, den die gesetzlichen Regelungen in § 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., § 155 Abs. 3 S. 2 VAG und dem § 203 VVG nicht vorsähen. Absatz 2 der AVB zur Beitragsanpassung sei unwirksam, weil nach § 208 Abs. 2 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von den gesetzlichen Vorgaben u.a. des § 203 VVG abgewichen werden dürfe. Da die Klauseln in Absatz 1 und Absatz 2 der AVB untrennbar in Zusammenhang stünden, wäre auch Absatz 1 unwirksam, so dass eine Prämienanpassung nur nach der gesetzlichen Regelung, also bei einem auslösendem Faktor von über 10 % möglich wäre.
43
Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Zwar kann die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.09.2004 (Az. IV ZR 97/03), der eine nahezu identische Regelung für wirksam erachtete, nicht unmittelbar herangezogen werden, da die Prämienanpassung nach der früheren Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes durch das Dritte Durchführungsgesetz/EWG zum VAG vom 21.07.1994 zum 29.07.1994 nur nach weniger strengen Vorgaben nach Billigkeit zu beurteilen war.
44
Jedoch führt eine etwaige Unwirksamkeit von § 11 Abs. 2 in Teil I der AVB der Beklagten jedenfalls nicht zur gesamten Unwirksamkeit der Anpassungsbedingungen und der Festlegung auf den Vomhundertsatz auf „5“ in den entsprechenden Tarifbedingungen der Beklagten in § 10 im Teil II der AVB. § 11 Abs. 1 in Teil I der AVB der Beklagten enthält eigenständige Regelungen zur Prämienanpassung im Hinblick auf die Schwellenwerte. Die Überprüfung und ggfs. Anpassung einer Versicherungsprämie bei Überschreitung der 5 % - Schwelle ist neben der gesetzlich verpflichtenden Überprüfung und ggfs. Anpassung bei Überschreitung der 10 %- Schwelle ohne weiteres zulässig und zur Vermeidung hoher Prämiensprünge auch gewollt. Die Anforderung der nicht „nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung einer für die Prämienkalkulation maßgeblichen Rechnungsgrundlage“ für die Durchführung der Prämienanpassung ist gesetzlich in § 203 Abs. 2 VVG vorgegeben und klingt in § 11 Abs. 1 AVB Teil I mit der Apposition „soweit erforderlich“ an. Absatz 1 des § 10 der AVB Teil I der Beklagten hat ohne den Absatz 2 ohne Weiteres Bestand (so auch: LG Hannover, Urteil vom 12.03.2021, Az. 19 O 291/20; LG Oldenburg, Urteil vom 03.03.2021, Az. 13 O 2797/20; LG Essen, Az. 18 O 249/20; Kammergericht Berlin, Hinweise vom 11.02.2020, Az. 6 U 155/18; LG Erfurt, Hinweisbeschluss vom 17.06.2020; Az. 8 O 1479/18).
45
§ 11 Abs. 1 der AVB Teil I sowie die entsprechenden tariflichen Anpassungsklauseln, hier der § 10 der AVB Teil II der Beklagten sind daher wirksam. Die Beklagte durfte die Prämienanpassung auch bei Feststellung eines auslösenden Faktors über 5 % (bis 10 %) durchführen, sofern die Abweichung sich als nicht nur vorübergehend darstellte.
46
Die Beklagte hat insoweit unbestritten vorgetragen, auch bei jeder der streitgegenständlichen Prämienanpassungen, die auf einen auflösenden Faktor zwischen 5 % und 10 % zurück gingen, seien die Veränderungen in der Rechnungsgrundlage der Versicherungsleistungen nicht als nur vorübergehend anzusehen gewesen.
47
4. Auf die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede kommt es nicht mehr an, weil alle mit der Klage angegriffenen Beitragserhöhungen wirksam waren. Dennoch sei angemerkt, dass Rückforderungsansprüche auf zu Unrecht bezahlte Anpassungsbeträge (was hier nicht zutrifft) der dreijährigen Verjährungsfrist ab Erhalt der Mitteilung und Zahlung der Beiträge unterliegen. Die Klage wurde im Ende 2020 erhoben und zugestellt. Alle bis zum 31.12.2016 geleisteten Anpassungsbeträge sind daher auch wegen Verjährung nicht rückforderbar.
48
III. Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.