Titel:
Asyl Nigeria, Nötigung zu spirituellen Handlungen, Folgeantrag (abgelehnt), Form des Eilrechtsschutzes, Ungeklärte Identität, Beweiswert Vaterschaftsanerkenntnis, COVID-19-Pandemie
Normenketten:
AsylG § 71 Abs. 5
VwGO § 123
Schlagworte:
Asyl Nigeria, Nötigung zu spirituellen Handlungen, Folgeantrag (abgelehnt), Form des Eilrechtsschutzes, Ungeklärte Identität, Beweiswert Vaterschaftsanerkenntnis, COVID-19-Pandemie
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59108
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
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Der Antragsteller, dessen Identität nicht geklärt ist, ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger christlichen Glaubens und im Februar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Dort stellte er am 23. März 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.
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Eine nach den Regeln der Dublin III-VO angeordnete Überstellung des Antragstellers nach Italien, wo er sich zuvor aufgehalten hatte, musste storniert werden, weil der Antragsteller beim Vollzug der Überstellung nicht angetroffen werden konnte. Die Überstellungsfrist lief in der Folgezeit ab, das Bundesamt übernahm das Asylverfahren.
3
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 25. Juli 2018 gab der Antragsteller an, dass er Nigeria im Jahr 2014 verlassen habe und von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. In Nigeria habe er die Schule nach drei Jahren abgebrochen. Er sei Maler und Lackierer gewesen. Auch in Libyen habe er als Maler und Lackierer gearbeitet. In Nigeria würden noch seine geschiedenen Eltern und seine Schwester leben. Befragt nach den Gründen für seinen Asylantrag brachte er im Wesentlichen vor, dass er Nigeria aufgrund von Problemen mit den Angestellten des Königs verlassen habe. Er habe für den König einige Opfer, auch ein menschliches Opfer, bringen sollen. Da er sich geweigert habe, ein menschliches Opfer zu bringen, habe man ihn mit dem Tod bedroht. Bei einer Rückkehr nach Nigeria würde man ihn mit Juju und schwarzer Magie überall finden.
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Mit Bescheid vom 14. September 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag ab und verneinte auch Abschiebungsverbote. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht.
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Die gegen den Bescheid gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht durch Urteil vom 1. März 2021 abgewiesen (Az. M 21b K 18.33597). Das Urteil ist seit dem 13. April 2021 rechtskräftig.
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Am 18. August 2021 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Mit dem Folgeantrag ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten verbunden. Zur Begründung führte der Antragsteller im Wesentlichen aus, er habe damals zur mündlichen Verhandlung vor Gericht nicht erscheinen können, weil er sich um seinen Sohn habe kümmern müssen. Ansonsten könne er keine neuen Gründe nennen, die erst nach Abschluss des Asylerstverfahrens entstanden seien. Neue Beweismittel oder Dokumente, die eine drohende Gefahr im Herkunftsland belegen könnten, habe er nicht.
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Mit Bescheid vom 24. August 2021 lehnte das Bundesamt den Folgeantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ab, weil der Antragsteller keine neuen Asylgründe vorgebracht, sondern lediglich einen Grund für seine Abwesenheit in der damaligen Gerichtsverhandlung genannt habe. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG gemäß § 51 VwVfG seien ebenso nicht gegeben, ebenso scheide eine Wiederaufgreifen im Ermessenswege gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG (Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) aus. Das Bundesamt begründete seine Entscheidung im Einzelnen, auch unter Berücksichtigung der COVID-19-Pandemie, und verwies für die Abschiebung auf die im Asylerstbescheid vom 14. September 2018 erlassene, weiter gültige und vollziehbare Abschiebungsandrohung; auf die Folgebescheidsbegründung wird verwiesen.
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Am 6. September 2021 erhob der Kläger zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Verwaltungsgericht München Klage (Az. M 32 K 21.31930) und beantragte zugleich,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von einer Mitteilung an die Ausländerbehörde gemäß § 71 Abs. 5 AsylG abzusehen.
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Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass er als Christ entgegen seiner Überzeugung von einer spirituellen Vereinigung gezwungen werde, spirituelle Praktiken zu vollziehen. Außerdem bitte er zu berücksichtigen, dass sein kleines Kind hier in Deutschland lebe. Er legte eine Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft mit Zustimmungserklärung vom 26. Juli 2019 vor (erwartetes Geburtsdatum des Kindes 5.1.2020).
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
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Den verfassungsrechtlich gebotenen Eilrechtsschutz im Asylfolgeverfahren nach § 71 AsylG (siehe hierzu BVerfG, B.v. 16.3.1999 - 2 BvR 2131/95 - juris Rn. 21 ff.) gewährt das erkennende Gericht für die hier vorliegende Fallgestaltung, dass der angegriffene Asylfolgebescheid keine neue Abschiebungsandrohung enthält - Fall des § 71 Abs. 5 AsylG - wie folgt (vgl. auch Dickten in BeckOK AuslR, 29. Edition Stand: 1.4.2021, AsylG § 71 Folgeantrag Rn. 31 ff.; VG Aachen, B.v. 29.4.2021 - 10 L 179/21.A - juris; VG Aachen, B.v. 29.4.2021 - 10 L 164/21.A - juris):
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Rechtsgrundlage der Abschiebung ist die vollziehbare Abschiebungsandrohung im Asylerstbescheid zusammen mit der Mitteilung des Bundesamts an die zuständige Ausländerbehörde nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Eilrechtsschutz wird nur gegen die Mitteilung gewährt, und zwar, da es sich bei der Mitteilung um einen rein zwischenbehördlichen faktischen Vorgang und nicht um eine rechtliche Einzelfallregelung im Sinn eines Verwaltungsakts handelt, durch einen Antrag nach § 123 VwGO dahingehend, dass das Bundesamt verpflichtet wird, die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG bis auf Weiteres zu unterlassen (oder eine ähnliche Formulierung). Ist die Mitteilung bereits erfolgt, so geht der Eilantrag nach § 123 VwGO auf Verpflichtung des Bundesamts, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass vor einer erneuten Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG von der erfolgten Mitteilung bis auf Weiteres kein Gebrauch gemacht werden darf (oder eine ähnliche Formulierung, siehe etwa BVerfG a.a.O. Rn. 26 Mitte). Käme ein solcher gegen das Bundesamt gerichtete Antrag nach § 123 VwGO im Sinne eines effektiven Eilrechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise zu spät, so ist der Eilantrag nach § 123 VwGO gegen die zuständige Ausländerbehörde zu richten, und zwar dahingehend, dass der Behörde bis auf Weiteres die Vollziehung der Abschiebung auf asylrechtlicher Grundlage untersagt wird (oder eine ähnliche Formulierung).
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Eine Frist für den Antrag nach § 123 VwGO besteht nicht. Der Antrag ist aber unzulässig, wenn die Klage gegen den Asylfolgebescheid nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG erhoben wurde und der Folgebescheid deshalb bestandskräftig geworden ist.
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Der Prüfungsmaßstab ist der eingeschränkte Maßstab der ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG (siehe Dickten a.a.O. Rn. 38 a.E.; arg. aus Art. 16 Abs. 4 Satz 1 GG, welche Vorschrift nicht nach der Eilrechtsschutzform differenziert, siehe dazu BVerfG a.a.O. Rn. 25; siehe auch VG Aachen, B.v. 23.4.2021 - 10 L 164/21.A. - juris Rn. 3). Nach diesem Maßstab ist also zu prüfen, ob die Verneinung von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG durch das Bundesamt rechtmäßig ist.
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Gegenstand eines Wiederaufgreifensverfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ist die Entscheidung darüber, ob ein im früheren Verfahren - hier im Asylerstverfahren - erlassener Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert werden soll. Diese Entscheidung setzt voraus, dass die in der Norm genannten Wiederaufgreifensgründe vorliegen, also eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen - hier des Asylbewerbers - (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Die Frage des Wiederaufgreifens nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG bezieht sich entsprechend dem systematischen Zusammenhang mit § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG zunächst auf die - verwaltungsaktmäßigen - Entscheidungen über das Asylbegehren im früheren Asylerstverfahren, also auf die Asylberechtigung, den Flüchtlingsschutz und den subsidiären Schutz. Die Regelung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG bezieht sich nach Wortlaut und Sinn und Zweck aber auch auf die im Asylerstverfahren gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 AsylG zu treffende - verwaltungsaktmäßige - Entscheidung zu den nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG; die (nunmehrige) Vorschrift des § 31 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 AsylG, wonach im Asylfolgebescheid - ohne weitere Voraussetzungen - festzustellen ist, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, widerspricht der speziellen Abschiebungsregelung des § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG nicht (so überzeugend VG Aachen, B.v. 23.4.2021 - 10 L 164/ 21.A - juris Rn. 17 - 28).
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Nach diesen Maßstäben bleibt der Antrag ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig. Der Asylfolgebescheid wurde innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist angegriffen und ist deshalb nicht bestandskräftig geworden.
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2. Der Antrag ist aber unbegründet.
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Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Mitteilung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG.
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Das Gericht verweist auf die zutreffende Begründung im Asylfolgebescheid, § 77 Abs. 2 AsylG. Das Asylerstverfahren war weder im Hinblick auf Asylgründe noch im Hinblick auf Gründe für eine Gewährung des internationalen Schutzes noch im Hinblick auf Gründe für eine Feststellung nationaler Abschiebungsverbote wiederaufzugreifen, auch nicht in Form eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne nach Ermessensgesichtspunkten. Das gilt auch in Ansehung des Vortrags des Klägers zu seiner Vaterschaft zum am 5. Januar 2020 erwarteten Kind. Dieser Umstand allein stiftet keinen Zusammenhang zu der hier maßgeblichen Wiederaufgreifensfrage. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob überhaupt von einer Vaterschaft des Antragstellers auszugehen ist. Zweifel hieran bestünden aber. Denn die Identität des Antragstellers ist nicht geklärt, so dass nicht hinreichend belegt ist, ob die in der Vaterschaftsanerkennungserklärung nach Namen und sonstigen personenbezogenen Daten benannte Person überhaupt existiert oder mit dem Antragsteller identisch ist.
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Zu den nationalen Abschiebungsverboten führt das Gericht lediglich ergänzend Folgendes aus:
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a. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 25).
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Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
25
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen. Dieses ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 - 30696/09 - (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 - 8319/07 und 11449/07 - (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 - 10 C 13.12 - Rn. 24 f.; VGH BW, U.v. 24.07.2013 - A 11 S 697/13 - juris Rn. 79 ff.).
26
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden.
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Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist - wie im Rahmen von §§ 3 ff. AsylG und § 4 AsylG - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 23 ff.) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 27 m.w.N.). Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die - wie hier - nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) - vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) - Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
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Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (zum Ganzen vgl. VG München, B.v. 29.5.2019 - M 32 S 18.30208 - Rn. 20 ff, noch nicht veröffentlicht). Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 16). Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose in der Regel auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 - 1 C 45/18 - juris Rn. 19).
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Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit ca. 200 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2019, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Stand: September 2017, S. 15 sowie Stand: September 2019, S. 14). Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria - und damit auch für deren Kinder - nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß-)Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: September 2017, S. 16 f. sowie Stand: September 2019, S. 14 f.). Auch insoweit kann nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 - 2 K 2051/10.A - juris Rn. 32).
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Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass im Fall einer Rückkehr des Antragstellers nach Nigeria die zu erwartende Situation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer derartig erheblichen Gefahrensituation verbunden wäre, aufgrund derer ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vorläge, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ wären. Bei einer Gesamtschau der Lebensverhältnisse des Antragstellers ist auch unter Berücksichtigung der zweifellos schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Bedingungen, die für den Großteil der Bevölkerung Nigerias bestehen, die Befürchtung nicht gerechtfertigt, dem Antragsteller werde es mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen, für sich in Nigeria den existentiellen Lebensunterhalt zu sichern, ein Obdach zu finden und Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung zu erhalten. Denn der Antragsteller ist erwerbsfähig und hat Berufserfahrung als Maler und Lackierer. Es ist deshalb zu erwarten, dass er in der Lage sein wird, etwa durch seine bereits ausgeübte Tätigkeit, Gelegenheitsjobs oder ungelernte Tätigkeiten das erforderliche Existenzminimum zu erwirtschaften. Im Übrigen kann der Antragsteller möglicherweise auch mit der Unterstützung seiner in Nigeria lebenden Eltern und seiner Schwester rechnen.
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Die COVID-19 Pandemie und die befürchteten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie ändern an dieser Beurteilung nichts.
32
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es gegenwärtig in Nigeria 67.412 bestätigte Corona-Fälle (Deutschland: 1.042.700), davon 4.357 aktuelle Fälle (Deutschland: 304.300) und 1.173 Todesfälle (Deutschland: 16.123), Stand: 29.11.2020;
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siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control, https://www.ncdc.gov.ng/;
34
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-14-de.pdf? blob=publicationFile),
35
was angesichts einer Gesamtbevölkerung von ca. 200 Millionen (Deutschland: 83 Millionen) einem Prozentsatz von etwa 0,000337 (Deutschland: 0,012563) entspricht).
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Bei diesen Zahlen fehlen zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt greifbare Anhaltspunkte für eine ein Abschiebungsverbot rechtfertigende so erhebliche Verschlechterung der humanitären Lage und der allgemeinen Lebensbedingungen durch die Covid-19 Pandemie, dass von einem ganz außergewöhnlichen Fall und zwingenden humanitären Gründen gesprochen werden könnte. Auch wenn sich die wirtschaftliche Situation in Nigeria aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; EASO Special Report: Asylum Trends on COVID-19 vom 11.6.2020, S. 15; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.), hält es das Gericht zum jetzigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nicht für hinreichend beachtlich wahrscheinlich, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse derart negativ entwickeln werden, dass von einer grundsätzlich abweichenden Beurteilung der Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ausgegangen werden kann. Hierzu führte bereits das Verwaltungsgericht Würzburg mit Gerichtsbescheid vom 1.7.2020, Az. W 8 K 20.30151 - juris Rn. 35 folgendes aus: „Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie ein Gegensteuern des nigerianischen Staates erkennbar ist. So wurde ein Notfallfonds für das „Nigeria Centre for Disease Control“ eingerichtet, ebenso wie Konjunkturpakete, um die Auswirkungen für Haushalte und Betriebe zu lindern; außerdem wurden Nahrungsmittel verteilt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderinformation COVID-19-Pandemie, Die Gesundheitssysteme in den Top-10-Herkunftsländern, Stand: 06/2020, S. 28 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Afrika, COVID-19 - aktuelle Lage vom 10.6.2020, S. 3 und 8 f.; https://reliefweb.int/report/nigeria/nigeria-humanitarian-fund-allocation-covid-19-and-humanitarian-response, vom 16.6.2020; https://www.theafricareport.com/26444/coronavirus-recession-in-nigeria-likely-despite-measures-in-place/, vom 20.4.2020). Darüber hinaus hat der internationale Währungsfonds Soforthilfen für Nigeria in Höhe von 3,4 Milliarden US-Dollar gewährt (https://www.imf.org/en/News/Articles/2020/04/28/pr20191-nigeria-imf-executive-board-approves-emergency-support-to-address-covid-19, vom 28.4.2020)“. Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an.
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Dass der Antragsteller an dem Virus erkranken könnte und die Erkrankung einen so schweren Verlauf nehmen könnte, dass insoweit das Existenzminimum des Antragstellers von ihm nicht mehr sichergestellt werden könnte, ist angesichts der derzeitigen Kenntnisse somit nicht beachtlich wahrscheinlich.
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Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK kann angesichts des Vortrags des Antragstellers und der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden.
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b. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich.
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Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. „Konkret“ ist die Gefahr, wenn die Verschlechterung „alsbald“ nach der Rückkehr des Betroffenen in den Heimatstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden träfe und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (vgl. BVerwG, U.v. 25.11.1997 - 9 C 58/96 - juris Rn. 13; U.v. 22.3.2012 - 1 C 3/11 - juris Rn. 34; OVG Münster, U.v. 18.1.2005 - 8 A 1242/03.A - juris Rn. 53; BayVGH, B.v. 23.5.2017 - 9 ZB 13.30236 - juris Rn. 28). Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann.
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Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden indes allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Somit gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also - wie hier - die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
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Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen liegen nicht vor. Eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst also nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden und/oder existenzbedrohenden Zuständen, kurz bei existentiellen Gesundheitsgefahren (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 - 11 ZB 15.30054 - juris Rn. 10; OVG Münster, B.v. 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A - juris Rn. 56). Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
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Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 ff.). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
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Dem Gericht liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Der Antragsteller hat zum Thema gesundheitlicher Einschränkungen nichts vorgetragen.
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Dasselbe gilt unter Berücksichtigung der derzeitigen COVID-19 (sog. Corona-) Pandemie. Die Gefahr, an einer Corona-Infektion zu erkranken, ist auch in Nigeria eine Gefahr, der die dortige Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Derartige Gefahren werden allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren in diesem Sinn unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Angesichts der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG kann ein Ausländer daher in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nur dann beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn besteht. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 zu gewähren. Die Abschiebung muss somit ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden.
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Diese Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind in Nigeria auch im Hinblick auf die COVID-19 Pandemie nicht erfüllt. Eine individuelle, außergewöhnliche Gefahrenlage in diesem Sinne, welche die Schwelle der allgemeinen Gefährdung übersteigt, ist für den Antragsteller im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch bei Berücksichtigung der oben ausgeführten Verbreitung des Corona-Virus nicht erkennbar.
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Der Antragsteller müsste sich überdies genauso wie bei anderen Erkrankungen gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen (vgl. VG Würzburg, GB.v. 1.7.2020 - W 8 K 20.30151 - juris Rn. 29ff, 36ff m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.