Inhalt

OLG München, Beschluss v. 22.02.2021 – 4 UF 1417/20
Titel:

Gegenkontrolle einer Beschwerdebegründungsfrist

Normenkette:
ZPO § 233 S. 1
Leitsätze:
1. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört nicht nur, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden, sondern auch, dass der Verfahrensbevollmächtigte, wenn er die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt bekommt, die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich prüft. (Rn. 23) (red. LS Axel Burghart)
2. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Verfahrensbevollmächtigte durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann. Erst recht aber muss er auf eine bereits eingetretene Erkrankung reagieren, wenn ihm dies möglich ist. (Rn. 27) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Unterhaltssache, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Beschwerdebegründung, Fristenkontrolle, Covid-19
Vorinstanz:
AG Kaufbeuren, Endbeschluss vom 17.11.2020 – 3 F 131/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.10.2022 – XII ZB 113/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59103

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist gegen den Endbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kaufbeuren vom 17.11.2020 wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Endbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Kaufbeuren vom 17.11.2020 wird als unzulässig verworfen.
3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 95.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht - Familiengericht - Kaufbeuren wies den Antrag der Antragstellerin (auf nachehelichen Unterhalt) mit Endbeschluss vom 17.11.2020 zurück. Der Endbeschluss wurde der Antragstellerin am 19.11.2020 zugestellt.
2
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 01.12.2020, der am selben Tag per Telefax beim Senat einging. Mit Schriftsatz vom 20.01.2021, eingegangen beim Senat per Telefax am selben Tag, beantragte sie eine Fristverlängerung bis einschließlich zum 22.02.2021.
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Der Senat wies mit Verfügung vom 21.01.2021 den Fristverlängerungsantrag zurück, weil die Beschwerdebegründungsfrist (bereits) am 19.01.2021 abgelaufen, der Fristverlängerungsantrag deshalb nicht rechtzeitig, die Beschwerde deshalb voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sei.
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Mit Schriftsätzen ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 04.02.2021 begründete die Antragstellerin ihre Beschwerde und beantragte, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren.
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Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags trägt die Antragstellerin vor, ihr Verfahrensbevollmächtigter sei Anfang November 2020 an COVID-19 erkrankt und verweist auf ein ärztliches Attest, das diesem Arbeitsunfähigkeit bis zum 14.12.2020 bescheinigte. Eine Kanzleiangestellte habe ihn am 19.11.2020 zu Hause angerufen und von der Zustellung des Endbeschlusses des Amtsgerichts informiert. Er habe die Kanzleiangestellte ausdrücklich angewiesen, den Ablauf der Beschwerdefrist auf den 19.12.2020 und den Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist zum 19.01.2021 zu notieren. Die Kanzleiangestellte sei seit 6 Jahren bei ihm tätig und habe sämtliche Anforderungen mit größter Sorgfalt und größter Zuverlässigkeit erfüllt, Beanstandungen habe es nie gegeben. Nachdem sich zu Beginn ihrer Tätigkeit herausgestellt habe, dass sie die Notfristen einwandfrei beherrsche und sowohl die Fristenberechnung, die Fristennotierung als auch deren Kontrolle nach der Arbeitsanweisung, welche in der Kanzlei gelte, zuverlässig und sorgfältig im elektronischen Fristenkalender jeweils notiert hatte, habe er ihr die Fristenkontrolle einschließlich deren Berechnung und Notierung übertragen. Die Kanzleiangestellte habe die Beschwerdeschrift zu ihm nach Hause gebracht und diese, um nicht mit ihm in Kontakt treten zu müssen, in ein Regal in seiner Hausgarage hingelegt, woraufhin er die Beschwerdeschrift unterzeichnet habe. Bei ihm selbst seien auch in der Folge fortwährend Herzrhythmusstörungen und Kreislaufbeschwerden aufgetreten, er sei von einer ständigen Müdigkeit befallen gewesen und habe weiterhin unter Konzentrationsstörungen, einhergehend mit Wortfindungsstörungen, gelitten. Ihm sei ärztlicherseits geraten worden, sich noch zu schonen und möglichst noch zu Hause zu bleiben. Nachdem in der Kanzlei bis zum 20.01.2021 keine Termine und auch keine Erledigungsfristen angestanden hätten, wie ihm auf Nachfrage die Kanzleiangestellte telefonisch mitgeteilt hätte, habe er sich bis zum 20.01.2021 zur Rehabilitation frei genommen. Am 15.01.2021 habe ihn die Kanzleiangestellte zu Hause angerufen und ihm erklärt, dass sie für diesen Tag eine Vorfrist für die Beschwerdebegründung eingetragen habe und die Beschwerdebegründungsfrist selbst am 21.01.2021 ablaufe. Am 20.01.2021 habe er die Verlängerung der Begründungsfrist beantragt und sich dabei auf das von der Kanzleiangestellten mitgeteilte Datum, also den 21.01.2021, als Ablauf der Begründungsfrist verlassen.
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Während seiner Krankheit, also seit Anfang November 2020 bis zum Eingang der Verfügung des Senats vom 21.01.2021, seien ihm die Akten zur Bearbeitung wegen seiner Erkrankung nicht vorgelegt worden. Der Fehler der Falscheintragung des Ablaufs der Begründungsfrist durch die Kanzleiangestellte sei auf ein stressbedingtes Versagen zurückzuführen. Für die Kanzleiangestellte sei eine hohe Arbeitsbelastung entstanden, weil eine weitere Kanzleiangestellte sich als alleinerziehende Mutter um ihren 10-jährigen Sohn kümmern musste und deshalb nur sporadisch erschien. Sehr stark psychisch belastet habe die Kanzleiangestellte auch seine COVID-19 Erkrankung, da ihr bekannt gewesen sei, dass er aufgrund seines Alters und einer Lungenvorerkrankung Risikopatient sei und sie sich deshalb auch um ihren Arbeitsplatz Sorgen machte. Wegen seiner COVID-19 Erkrankung sei die Kanzleiangestellte von Mitarbeiterinnen der Steuerkanzlei, mit der eine Bürogemeinschaft bestehe, gemieden und angefeindet worden, weil sie deren Verlangen, ihren Arbeitsplatz zu verlassen und erst wieder zu erscheinen, wenn sie einen negativen Coronatest vorlegen könne, nicht Folge leistete. Auf die Kanzleiangestellte sei ein sehr starker psychischer Druck ausgeübt worden, welcher zu Konzentrationsschwierigkeiten bei ihr geführt habe. In dieser hohen Belastungssituation, die auch am 19.11.2020 bestanden habe, sei Steuerberaterin an ihren Schreibtisch gekommen, um sich nach dem Gesundheitszustand des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin zu erkundigen. Durch das Erscheinen des Steuerberaters habe die Kanzleiangestellte die Fristennotierung unterbrochen und sogar erwähnt, dass sie wegen einer Berufungssache bei ihm angerufen habe. Abgelenkt durch das Erscheinen des Steuerberaters und in ihrer Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt durch die geschilderte Belastung und Überlastung habe sie sich schließlich bei der Notierung der Beschwerdebegründungsfrist an der im elektronischen Fristenkalender eingetragenen Beschwerdeeinlegungsfrist zum 21.12.2020 orientiert. Zur Glaubhaftmachung werde auf die beigefügte eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten und des Steuerberaters Bezug genommen. Weiter wurde übergeben die aktuelle Arbeitsanweisung.
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Der Antragsgegner beantragt, den Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen, weil diese und ihr Verfahrensbevollmächtigter nicht unverschuldet an der Einhaltung der Beschwerdebegründungsfrist gehindert gewesen seien. Es läge ein anwaltschaftliches Organisationsverschulden vor, weil bei der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender eine Kontrolle durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen müsse, was nicht geschehen sei.
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Eine Fristeingabe nur in einen elektronischen Fristenkalender sei äußerst problematisch und fehleranfällig. Mit einem herkömmlichen handschriftlich geführten Fristenkalender sei es viel einfacher, einen Überblick über die Fristen und deren Ablauf zu erhalten. Das Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin läge schon darin, dass eine unzureichende Arbeitsanweisung erfolgt sei, da sich dort eine Anweisung, eine Kontrolle durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls durchzuführen, nicht fände.
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Damit sei bereits die Arbeitsanweisung fehlerhaft, entsprechend fehlerhaft seien auch die Anweisungen des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin und deren Überwachung durch ihn.
II.
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist als unzulässig zu verwerfen, § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO, weil die Beschwerdebegründung, § 117 Absatz 1 Satz 1 FamFG, nicht innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist von 2 Monaten, die am 19.11.2020 begann, § 117 Absatz 1 Satz 3 FamFG, und am 19.01.2021 endete, § 113 Abs. 1 FamFG, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB, beim Senat, § 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG, einging.
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Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist kann der Antragstellerin nicht gewährt werden, weil diese nicht ohne ihr Verschulden an deren Einhaltung gehindert war.
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1. Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ist zulässig.
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1.1. Gegen die (schuldlose) Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist findet die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt, § 113 Abs. 1 FamFG, § 233 Satz 1 ZPO.
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1.2. Die Antragstellerin hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist fristgerecht, § 113 Abs. 1 FamFG, § 234 Abs. 1 ZPO, beantragt, nachdem ihr Verfahrensbevollmächtigte durch die Verfügung des Senats vom 21.01.2021 von ihrem Fristversäumnis Kenntnis erlangte, § 113 Abs. 1 FamFG, § 234 Abs. 2 ZPO, weiter ebenfalls fristgerecht die versäumte Verfahrenshandlung nachgeholt, § 113 Abs. 1 FamFG, § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 ZPO.
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1.3. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat die Antragstellerin auch formgerecht, § 113 Abs. 1 FamFG, § 236 Abs. 1 ZPO, beantragt, darüber hinaus die (nach Auffassung der Antragstellerin) die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen angegeben und glaubhaft gemacht, § 113 Abs. 1 FamFG, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
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2. Der Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ist aber nicht begründet, weil die Antragstellerin die Beschwerdebegründungsfrist nicht ohne ihr Verschulden versäumte.
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2.1. Einem Verschulden der Antragstellerin selbst steht ein Verschulden ihres Verfahrensbevollmächtigten gleich, § 113 Abs. 1 FamFG, § 85 Abs. 2 ZPO, wobei bei diesem die übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen ist, weshalb regelmäßig ein Fristversäumnis verschuldet ist, wenn es für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (BGH NJW 1985, 1710).
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Demgegenüber können Fehler von Kanzleiangestellten die Wiedereinsetzung rechtfertigen, solange keine Eigenverantwortlichkeit im Sinne eines Aufsichts- oder Organisationsverschuldens hinzutritt.
19
Versehen einer Kanzleiangestellten begründen deshalb die Wiedereinsetzung, wenn der Verfahrensbevollmächtigte seine Kanzleiangestellten sorgfältig auswählt, belehrt (insbesondere hinsichtlich Zustellungen und Fristen) (BGH LM § 233 ZPO Nummer 52; VersR 1973, 276, 421) und überwacht (BGH NJW 2003, 1815).
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2.2. Dahingestellt bleiben mag in diesem Zusammenhang, ob der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin die von ihm mit der Fristenkontrolle betraute Kanzleiangestellte sorgfältig auswählte.
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2.3. Zutreffend weist der Antragsgegner bereits darauf hin, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin weder in seinen allgemeinen Arbeits- noch in seiner konkreten Einzelfallanweisung Vorkehrungen traf, die bei der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender durch die Kanzleiangestellte eine Kontrolle durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls vorsahen, womit den Anforderungen, die an die Überprüfungssicherheit der elektronischen Kalenderführung zu stellen sind, nicht genügt sein dürfte (BGH VersR 2019, 702).
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2.4. Entscheidend ist, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin, als er die Beschwerdeschrift unterzeichnete, sich der Möglichkeit beraubte, der falsch eingetragenen Beschwerdebegründungsfrist gewahr zu werden, weil er sich die Handakte, in der die Beschwerdebegründungsfrist notiert war, nicht vorlegen ließ.
23
Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen eines Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen der Fristenkontrolle gehört nämlich nicht nur, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden, sondern auch, dass der Verfahrensbevollmächtigte, wenn er die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung zur Bearbeitung vorgelegt bekommt, die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich prüft. Dies gilt auch dann, wenn ihm nur der fristgebundene Schriftsatz ohne Akte vorgelegt wird (BGH NJW-RR 2001, 782; MDR 2010, 533).
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2.5. Daran ändert auch nichts, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin geltend macht, an COVID-19 erkrankt gewesen zu sein.
25
Bei der Erkrankung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin handelt es sich nicht etwa um eine solche, die kurzfristig vor Ablauf der Beschwerdefrist auftrat. Ebenso wenig führte die Erkrankung nach dem Vortrag des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin zu erstmalig bei Unterzeichnung der Beschwerdeschrift aufgetretenen krankheitsbedingten Konzentrationsstörungen.
26
Hingegen war der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin bereits Anfang November an COVID-19 erkrankt. Damit aber verblieb ihm ausreichend Zeit und Gelegenheit, sich um eine für die Wahrnehmung seiner Geschäfte erforderliche Vertretung zu kümmern, wenn er diese selbst nicht mehr uneingeschränkt ausüben konnte.
27
Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss sich der Verfahrensbevollmächtigte durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er eine solche Situation vorhersehen kann (BGH MDR 2014, 558). Erst recht aber muss er auf eine bereits eingetretene Erkrankung reagieren, wenn ihm dies möglich ist.
III.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 FamFG, § 97 Abs. 1 ZPO.
29
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 40 Abs. 1 und 2, § 51 Abs. 1 und 2 FamGKG.
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Gegen diesen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde eröffnet, § 117 Absatz ein Satz 4 FamFG, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO.