Inhalt

AG Coburg, Endurteil v. 03.02.2021 – 17 C 2866/20
Titel:

Verkehrsunfall, Schadensersatz, Haftpflichtversicherer, Rechtsanwaltskosten, Fahrzeug, Ersatzpflicht, Fahrzeugschaden, Schadensfall, Zustimmung, Schadensregulierung, Anrecht, Zeitpunkt, Regulierung, Zahlung, im eigenen Namen, Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, rechtliche Beurteilung

Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, Haftpflichtversicherer, Rechtsanwaltskosten, Fahrzeug, Ersatzpflicht, Fahrzeugschaden, Schadensfall, Zustimmung, Schadensregulierung, Anrecht, Zeitpunkt, Regulierung, Zahlung, im eigenen Namen, Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, rechtliche Beurteilung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 59027

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 805,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.09.2020 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 805,20 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Das Fahrzeug des Klägers wurde am 29.07.2020 bei einen Verkehrsunfall, der durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … verursacht worden ist, beschädigt.
2
Der Unfallhergang und die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten sind zwischen den Parteien unstreitig.
3
Der Kläger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht. Er beauftragte zur Geltendmachung seiner Ansprüche gegenüber der Beklagten einen … Rechtsanwalt.
4
Mit Schreiben vom 04.08.2020 machte der Klägervertreter unter Anzeige seiner Beauftragung gegenüber der Beklagten die Schadensersatzansprüche des Klägers. Mittels dieses Schreibens wurden die Reparaturkosten, Gutachterkosten, die Wertminderung und die allgemeine Auslagenpauschale, insgesamt 10.584,29 € geltend gemacht.
5
Am 12.08.2020 regulierte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 9.135,24 €. Eine weitere Zahlung in Höhe von 3.521,75 € wurde von der Beklagten am 02.09.2020 geleistet.
6
Mit Schreiben vom 09.09.2020 machte der Klägervertreter die Rechtsanwaltsgebühren geltend. Die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren wurden mittels Schreibens der Beklagten vom 16.09.2020 abgelehnt.
7
Mit Schreiben vom 22.09.2020 bat der Klägervertreter die Beklagte erneut um Ausgleich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
8
Mit Schreiben vom selben Tag lehnte die Beklagte die Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erneut ab.
9
Der Kläger ist der Auffassung, dass sich der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall grundsätzlich eines Anwalts bedienen darf und die Kosten auch erforderliche Kosten der Schadensregulierung seien.
10
Ferner vertritt der Kläger die Auffassung, dass ein Rechtsanwalt, der in eigener Sache tätig wird, von dem Ersatzpflichtigen auch die üblichen Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verlangen kann. Es sei kein Grund ersichtlich, warum ein Anwalt, der seinen Schadenfall selbst bearbeite, seine Arbeitskraft, Kenntnis sowie seinen Bürobetrieb zugunsten des Schädigers unentgeltlich zur Verfügung stellen müsse. Darüber hinaus betont der Kläger, dass er nicht selbst tätig geworden ist, sondern einen … Rechtsanwalt … mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte.
11
Der Kläger beantragt daher:
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 805,20 € nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz gem. 247 BGB seit dem 16.09.2020 zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt:
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
13
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Beklagte die Regulierung nicht verzögert hätte. Zudem läge auch kein schwierig gelagerter Schadensfall vor. Ein Verzug der Beklagten sei ebenfalls nicht eingetreten. Für den Kläger sei die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur Geltendmachung seiner unfallbedingten Ansprüche nicht erforderlich gewesen. Er sei selbst geeigneter gewesen, als der von ihm beauftragte Rechtsanwalt, im eigenen Namen tätig zu werden. Ein Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen bestünde daher nicht.
14
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien verwiesen.
15
Mit Zustimmung der Parteien erging am 04.01.2021 der Beschluss des Amtsgerichts Coburg, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Wandlung entspricht und bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, wurde der 25.01.2021 bestimmt. Termin zur Verkündung einer Entscheidung wurde bestimmt auf Mittwoch den 03.02.2021.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
17
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten nach dem Verkehrsunfall vom 29.07.2020, bei welchem das klägerische Fahrzeug durch ein bei der Beklagten pflichtversichertes Fahrzeug beschädigt wurde, steht ein Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten als unfallbedingte Schadensposition gemäß §§ 115 VVG, 7 Abs. 1 StVG, 249 ff. BGB zu.
18
Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt der Beauftragung des Klägervertreters unstreitig nicht im Verzug.
19
Demgemäß konnten die Kosten des Klägers nur nach § 249 BGB erstattet werden.
20
Gemäß § 249 BGB ist Schadensersatz in Art und Umfang nur im Hinblick auf den erforderlichen Geldbetrag gerechtfertigt. Die Beauftragung des Klägervertreters war vorliegend erforderlich.
21
Der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger allerdings nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Auch dabei ist gemäß dem Grundsatz der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten zu nehmen. An die Voraussetzungen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt. Ist die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde, so wird es grundsätzlich nicht erforderlich sein, schon für die erstmalige Geltendmachung des Schadens gegenüber dem Schädiger oder dessen Versicherer einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. In derart einfach gelagerten Fällen kann der Geschädigte grundsätzlich den Schaden selbst geltend machen, so dass sich die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts nur unter besonderen Voraussetzungen als erforderlich erweisen kann, etwa wenn der Geschädigte aus Mangel an geschäftlicher Gewandtheit oder sonstigen Gründen wie Krankheit oder Abwesenheit nicht in der Lage ist, den Schaden selbst anzumelden. (vgl. BGH (VI. Zivilsenat), Urteil vom 29.10.2019 - BGH Aktenzeichen VI ZR 45/19, BeckRS 2019, 30178 m.w.N.)
22
Nach diesen Grundsätzen kann sich eine etwaige Geschäftsgewandtheit des Geschädigten - insbesondere Sach- und Fachkenntnisse im Zusammenhang mit der Abwicklung vergleichbarer Schadensfälle - (nur) in zweierlei Hinsicht auswirken: Erstens bei der Beurteilung, ob aus Sicht des entsprechend qualifizierten Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Zweitens hat der Geschädigte, wenn es sich nach den genannten Kriterien um einen derart einfachen, aus seiner Sicht zweifelsfreien Fall handelt, sein Wissen bei der erstmaligen Geltendmachung des Schadens einzusetzen, darf also die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (zunächst) nicht für erforderlich erachten. Handelt es sich hingegen nicht um einen einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte, gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse zur eigenen Mühewaltung bei der Schadensabwicklung nicht verpflichtet. Demnach kann es auch einem mit Schadensabwicklungen vertrauten Unternehmen nicht verwehrt werden, einen Rechtsanwalt zu beauftragen, sofern nicht zweifelsfrei ist, dass und inwieweit der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners den Schaden regulieren wird. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts, also die Sicht ex ante. (vgl. BHG a.a.O.).
23
Inzwischen wird in der Rechtsprechung der unteren Instanzgerichte überwiegend die Auffassung geteilt, dass die schadensrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall darstellt. (vgl. BHG a.a.O. m.w.N.).
24
Dabei wird darauf abgestellt, dass bei einem Fahrzeugschaden die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition in Rechtsprechung und Lehre seit Jahren intensiv und kontrovers diskutiert wird, die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu nach wie vor fortentwickelt wird und dementsprechend zwischen den Geschädigten und den in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer nicht selten um einzelne Beträge bis in die letzte Gerichtsinstanz gestritten wird.
25
Bei Unklarheiten im Hinblick jedenfalls auf die Höhe der Ersatzpflicht, wie sie typischerweise bei Fahrzeugschäden nach einem Verkehrsunfall bestehen, darf aber auch und gerade der mit der Schadensabwicklung von Verkehrsunfällen vertraute Geschädigte vernünftige Zweifel daran haben, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen wird. Dass der erfahrene Geschädigte durchaus in der Lage sein wird, den Unfallhergang zu schildern und - ggf. unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens - die aus seiner Sicht zu ersetzenden Schadenspositionen zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten und schließt deshalb die Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht aus. (vgl. BHG a.a.o.).
26
Vorliegend kann aus dem Grund, das der Kläger selbst geschäftsgewandt und erfahren in der Abwicklung von Verkehrsunfällen ist, nichts anderes gelten. Auch er hat die Mühewaltung im Rahmen der Schadensabwicklung nicht selbst vorzunehmen. Es ist dem Kläger als Geschädigten nicht zuzumuten seiner Arbeitskraft und Ressourcen aufzuwenden. Auch er hat ein Anrecht darauf, einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen im Rahmen der Schadensabwicklung zu beauftragen. Die Beauftragung des Klägervertreters war daher erforderlich.
27
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
29
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in dem § 709 in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO.