Titel:
Beschwerde, Arbeitnehmer, Vergleich, Wiedereinsetzung, Gegenstandswert, Anfechtung, Feststellung, Restitutionsklage, Verfahren, Wirksamkeit, Erledigung, Abrechnung, Streitwertkatalog, Abgeltungsklausel, Erledigung des Rechtsstreits
Normenkette:
GKG §§ 42, 45, 63
Schlagworte:
Beschwerde, Arbeitnehmer, Vergleich, Wiedereinsetzung, Gegenstandswert, Anfechtung, Feststellung, Restitutionsklage, Verfahren, Wirksamkeit, Erledigung, Abrechnung, Streitwertkatalog, Abgeltungsklausel, Erledigung des Rechtsstreits
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Beschluss vom 30.07.2021 – 12 Ca 1372/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58914
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Streitwertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 30.07.2021 (Az. 12 Ca 1372/21) abgeändert.
2. Der Gegenstandswert für den Streit über die Fortführung des Verfahrens wird ab 27.01.2021 auf 8.230,89 € festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Parteien stritten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag zum 31.07.2019, um Weiterbeschäftigung und um die Vergütung für die Zeit des Annahmeverzuges. Das monatliche Einkommen des Klägers betrug 2.743,63 brutto.
2
Mit Beschluss vom 11.02.2020 stellte das Arbeitsgericht das Zustandekommen eines Vergleichs fest. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2019, auf Abrechnung des Lohnes und Auszahlung des entsprechenden Nettolohnbetrags und auf eine Abgeltungsklausel. Den Gegenstandswert für das Verfahren und Vergleich setzte das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 10.03.2020 (Bl. 73 der Akten) fest.
3
Mit Schreiben vom 26.11.2020 (Az. 12 Ca 1690/20) beantragte der Kläger festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder zum 31.07.2019 durch den Aufhebungsvertrag noch durch den Gerichtsvergleich vom 11.02.2020 zum 31.08.2019 beendet wurde. Darüber hinaus beantragte der Kläger die Weiterbeschäftigung sowie den Bruttolohn unter Anrechnung der Einmalzahlung von 5.000,- € sowie des Arbeitslosengeldes. Das Arbeitslosengeld betrug monatlich 1.225,80 €. In der Sitzung vom 27.01.2021 erklärte der Kläger, dass er in diesem Verfahren festgestellt haben möchte, dass das Verfahren 12 Ca 1291/19 nicht durch den Vergleich vom 11.02.2020 beendet wurde. Das Arbeitsgericht verband beide Verfahren mit Beschluss vom 27.01.2021.
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Mit Endurteil vom 27.04.2021 stellte das Arbeitsgericht fest, dass der Rechtsstreit (Az. 12 Ca 1372/21) durch den Vergleich vom 11.02.2020 erledigt wurde (Bl. 128 der Akten).
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Mit Beschluss vom 30.07.2021 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert auf 12.804,76 € fest.
6
Mit Schreiben vom 03.12.2021 griff der Kläger im Rahmen einer von ihm erhobenen „Restitutionsklage mit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ unter anderem den „Kostenfeststellungsbeschluss mit Beschluss vom 30.07.2021 in seiner Höhe von Euro 12.804,76 dem Grunde nach“ an (Bl. 38 der Beschwerdeakte 2 Ta 126/21).
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Mit Beschluss vom 10.12.2021 half das Arbeitsgericht dem als Streitwertbeschwerde ausgelegten Antrag nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor.
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I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG.
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II. Die Beschwerde ist zum Teil begründet. Der Gegenstandswert war für das Verfahren über die Anfechtung des Vergleichs insgesamt auf drei Monatsgehälter, also auf 8.230,89 € festzusetzen. Im Einzelnen gilt folgendes:
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1. Der Wert eines Rechtsstreits über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs bestimmt sich grundsätzlich nicht nach dem Wert des Vergleichs, sondern nach dem Wert der ursprünglich gestellten Anträge (BGH 09.10.2019 - IV ZR 171/18 Rn 5 mwN). Etwas anderes gilt nur, wenn die Anfechtung des Vergleichs den Rechtsstreit nicht auf den ursprünglichen Streitstand zurückführt, sondern einen bereits erzielten Teilerfolg bestehen lässt. Dann kommt es auf das noch verbleibende Interesse an. Das (den Wert des ursprünglichen Rechtsstreits übersteigende) Interesse an der Wirksamkeit des Vergleichs oder der Wert des Vergleichs ist nur maßgeblich, wenn neben der Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits nach § 256 Abs. 2 ZPO auch die Feststellung der Wirksamkeit des Vergleichs beantragt wird (BGH 19.09.2012, Az. V ZB 56/12 Rn. 5).
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Im vorliegenden Fall ist der Wert der ursprünglich gestellten Anträge maßgeblich. Der Kläger wollte den Rechtsstreit insgesamt fortführen. Ein Antrag auf Feststellung, dass das Verfahren durch den Vergleich erledigt ist, ist nicht gleichbedeutend mit einem Antrag auf Feststellung der Wirksamkeit des Vergleichs (BGH 19.09.2012 a.a.O.).
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2. Die ursprünglich gestellten Anträge hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 10.03.2020 (Bl. 73 der Akten) zutreffend mit 8.230,89 €, also mit drei Monatsgehältern bewertet.
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a. Der Wert des Rechtsstreits um den Bestand des Arbeitsverhältnisses war mit drei Monatsgehältern gemäß § 42 Abs. 2 GKG festzusetzen.
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b. Der Weiterbeschäftigungsantrag ist nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg (z.B. 19.03.2020 - 2 Ta 15/20; 08.07.2016 - 4 Ta 78/16) und anderer Landesarbeitsgerichte ist der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung streitwerterhöhend nur dann gemäß § 45 Abs. 4 iVm. Abs. 1 Satz 2 GKG zu berücksichtigen, wenn über ihn entschieden worden ist, wenn der Antrag in einem Vergleich sachlich mitgeregelt wird und dieser eine Regelung über ihn enthält oder wenn der Antrag ausdrücklich als unbedingter Hauptantrag gestellt worden ist (vgl. BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/12 Rn 4, juris; 30.08.2011 - 2 AZR 668/11, juris; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20 Rn 7 mit zahlreichen Nachweisen, juris). Dies deckt sich auch mit Ziff. I Nr. 18 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit. Im Zweifel ist der Weiterbeschäftigungsantrag im wohlverstandenen Kosteninteresse der Partei, dem der Rechtsanwalt verpflichtet ist, als Hilfsantrag auszulegen (LAG Nürnberg 08.07.2016 - 4 Ta 78/16; LAG Niedersachsen 24.01.2020 - 8 Ta 13/20).
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Im vorliegenden Fall ist der Weiterbeschäftigungsantrag nicht ausdrücklich als unbedingter Antrag gestellt worden. Er war daher als Hilfsantrag einzuordnen. Da das Verfahren durch Vergleich bzw. mit der Feststellung, dass der Vergleich das Verfahren beendet hat, endete, erging über ihn keine Entscheidung.
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Der Weiterbeschäftigungsantrag fiel wertmäßig auch nicht wegen der Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich gem. § 45 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GKG an. Denn ihn betreffend haben die Parteien im Vergleich keine Vereinbarung getroffen, die mit einer gerichtlichen Entscheidung im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG vergleichbar wäre (vgl. BAG 13.08.2014 - 2 AZR 871/12). Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein über den Entlassungstermin der angegriffenen Kündigung hinausgehender Bestand des Arbeitsverhältnisses verabredet worden wäre und vor dem vereinbarten Entlassungstermin zustande kam (vgl. LAG Nürnberg 04.08.2020 - 2 Ta 84/29 Rn 15). Letzteres war nicht der Fall.
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c. Der Antrag auf Zahlung von Annahmeverzugslohn erhöht den Streitwert ebenfalls nicht.
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Er war mit dem Wert des Bestandsstreits zu verrechnen, denn wegen der Abhängigkeit der Zahlungsforderung vom Ausgang des Bestandsstreits ist bis zur Höhe des hierfür festgesetzten Streitwerts von einer wirtschaftlichen Identität auszugehen (vgl. Ziffer I Nr. 6 Streitwertkatalog).
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Bei der Klage auf Annahmeverzugslohn handelt es sich zwar um einen bürgerlichen Rechtsstreit, bei der sich der Gegenstandswert grundsätzlich nach der Höhe der geltend gemachten Geldforderung richtet, §§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO. Wird in einem Bestandsstreit im Wege der Klagehäufung Annahmeverzugsvergütung geltend gemacht, bei der die Vergütung vom streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, so besteht nach dem Beendigungszeitpunkt eine wirtschaftliche Identität zwischen dem Bestandsstreit und der Zahlungsklage. Insoweit findet nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG keine Wertaddition statt, vielmehr ist der höhere Wert maßgeblich (vgl. LAG Nürnberg 19.09.2020 - 2 Ta 106/20; 22.02.2019 - 4 Ta 11/19; 16.04.2018 - 4 Ta 40/18; 02.02.2011 - 4 Ta 189/10 - JurBüro 2011, 258; Hessisches LAG 01.08.2014 - 1 Ta 190/14; LAG Rheinland-Pfalz 04.05.2010 - 1 Ta 55/10; beide zitiert in Juris).
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Von einer wirtschaftlichen Identität beider Streitgegenstände ist nach ständiger Rechtsprechung des Beschwerdegerichts dann auszugehen, wenn der Erfolg der Entgeltklage von dem der Kündigungsschutzklage unmittelbar abhängt. In diesem Fall verfolgt der Arbeitnehmer mit beiden Klagen dasselbe wirtschaftliche Ziel, die Erhaltung und Durchsetzung seiner Entgeltansprüche nach dem Beendigungstermin der angegriffenen Kündigung. Dies ist im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG zu berücksichtigen. Bei dem vom Erfolg der Kündigungsschutzklage abhängigen Entgeltanspruch handelt es sich, ebenso wie bei einem davon abhängigen Beschäftigungsanspruch, nämlich bei genauer Betrachtung um einen uneigentlichen Hilfsantrag i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG. Hieran knüpft auch die Regelung in Ziffer I Nr. 6 des Streitwertkatalogs an (LAG Nürnberg 19.09.2020 - 2 Ta 106/20; 22.02.2019 - 4 Ta 11/19; 16.04.2018 - 4 Ta 40/18 mwN).
22
Der entgegenstehenden Rechtsansicht des LAG Düsseldorf (Beschluss vom 16.06.2017 - 4 Ta 211/17 - zitiert in Juris) folgt die Beschwerdekammer nicht. Das für die Bemessung des Gegenstandswertes des Bestandsstreits i.R.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG entscheidende wirtschaftliche Interesse der Klagepartei ist genau dasselbe wie das an der Zahlungsklage, soweit es den Annahmeverzug nach dem Beendigungstermin der angegriffenen Kündigung betrifft.
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Dies schließt nicht aus, dass sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auch noch andere Rechtsfolgen ergeben können, die in die Ermittlung des Streitwerts nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht einfließen.
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Die wirtschaftliche Identität ist auch nicht nur bezogen auf den Drei-Monats-Zeitraum ab dem streitigen Beendigungstermin zu prüfen. Wirtschaftliche Identität besteht vielmehr grundsätzlich für den gesamten Zeitraum des von der Wirksamkeit der Kündigung abhängenden und geltend gemachten Annahmeverzugsanspruchs. Die Abhängigkeit endet eben nicht nach einem Vierteljahr. Nur die Höhe des Wertes des Bestandsstreits ist durch § 42 Abs. 2 Satz GKG begrenzt. Im Rahmen der Prüfung der wirtschaftlichen Identität sind daher die zunächst isoliert zu ermittelnden Werte des Bestandsstreits (ggf. unter Berücksichtigung mehrerer Kündigungen mit unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten, s. Ziff. I. 21.3 Streitwertkatalog) einerseits und des auf Zahlung des Annahmeverzugs gerichteten Leistungsantrags andererseits zu vergleichen. Festzusetzen ist dann der höhere Wert (LAG Nürnberg 19.09.2020 - 2 Ta 106/20; GMP Germelmann/Künzl, ArbGG, 9. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 115).
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Der Wert des eingeklagten Annahmeverzugs lag nicht über dem Wert des Bestandsstreits. Der Kläger hatte mit der Klage das Entgelt für die Monate August bis Oktober 2019 abzüglich erhaltener 5.000,- € geltend gemacht.
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d. Der Vergleichsmehrwert für den im Vergleich enthaltenen Unterlassungsanspruch ist für den Wert über den Streit über die Fortsetzung des Verfahrens nicht maßgeblich.
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3. Streitwertmäßig nicht zu berücksichtigen waren die neuen Anträge im Zusammenhang mit dem Streit über die Erledigung des Rechtsstreits. Denn diese sind so auszulegen, dass sie nur für den Fall gestellt wurden, dass das Verfahren fortgesetzt würde und nicht durch Vergleich erledigt wäre. Da das Arbeitsgericht aber festgestellt hat, dass das Verfahren durch den Vergleich beendet wurde, ist über diese (unechten) Hilfsanträge nicht entschieden worden.
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
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Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.