Titel:
Betreuung, Auskunft, Gutachten, Akteneinsicht, Verfahren, Aufgabenwahrnehmung, Anordnung, Form, Erlaubnis, Auslegung, Beistand, Auflage, Rechtsgrundlage, Betreuer, von Amts wegen, informationelle Selbstbestimmung, Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Schlagworte:
Betreuung, Auskunft, Gutachten, Akteneinsicht, Verfahren, Aufgabenwahrnehmung, Anordnung, Form, Erlaubnis, Auslegung, Beistand, Auflage, Rechtsgrundlage, Betreuer, von Amts wegen, informationelle Selbstbestimmung, Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 05.01.2022 – 101 VA 140/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58820
Tenor
1. Auf den Antrag der Stadt::of vom 01.06.2021 (dortiges Az. 32-30-02) auf „Überlassung eines (…) ärztlichen Gutachtens über den gesundheitlichen Zustand von Frau E. Sch., welches die Grundlage zur Bestellung von Herrn C. Sch. als Betreuer bildete“ wird durch das Gericht Auskunft dahingehend erteilt, dass der Stadt H. durch das Gericht das wesentliche Ergebnis des vor Anordnung der Betreuung eingeholten Sachverständigengutachtens (zum Gesundheitszustand und zur Geschäftsfähigkeit) mitgeteilt wird.
2. Auf den Antrag der IHK München und Oberbayern vom 02.06.2021 (dortiges Az. 320061416/III-B-3/§ 34c_heb) auf „Akteneinsicht in die Betreuungsakten, insbesondere aber - soweit vorhanden - in die medizinischen Unterlagen“ wird durch das Gericht Auskunft dahingehend erteilt, dass der IHK M. und O. durch das Gericht das wesentliche Ergebnis des vor Anordnung der Betreuung eingeholten Sachverständigengutachtens (zum Gesundheitszustand und zur Geschäftsfähigkeit) mitgeteilt wird.
Gründe
1
Die Stadt H. sowie die IHK München und Oberbayern haben mit o.a. Schreiben beantragt, Auskunft bzw. Akteneinsicht aus der gegenständlichen Betreuungsakte, betreffend die laufende Betreuung der Frau E. Sch., zu erhalten. Auf die Begründung der jeweiligen Anträge wird Bezug genommen (Bl. 457 und Bl. 453-455 der Akte).
2
Die Betreute sowie die Betreuer erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Schreiben vom 12.07.2021 hat RA W. (für den Betreuer Ch. Sch.) der Akteneinsicht/Auskunft widersprochen; auf den Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen (Bl. 465-466). Der Betreuer P. hat keine Stellungnahme abgegeben.
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Die Entscheidung über den Antrag von am Verfahren nicht beteiligten Behörden (auch die IHK ist aufgrund ihrer Stellung als Körperschaft öffentlichen Rechts insoweit als „Behörde“ zu behandeln), ihnen Einsicht in eine oder Auskünfte aus einer gerichtlichen Betreuungsakte eines laufenden Verfahrens zu bewilligen, ist nach Auffassung des Gerichtes als Justizverwaltungsakt zur Regelung einer Einzelangelegenheit auf dem Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG i. V. m. § 23a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 GVG, zu treffen (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 06.08.2020, Az.: 1 VA 33/20). Nach der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts Deggendorf für den nichtrichterlichen Dienst entscheidet auch insoweit der mit der Sache befasste Richter im Auftrag der Direktorin des Amtsgerichts.
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Den jeweils als Amtshilfeersuchen zu qualifizierenden Anträgen der Stadt Hof und der IHK war dahingehend zu entsprechen, dass unter Beachtung des datenschutzrechtlichen Grundsatzes der Datenminimierung/Erforderlichkeit (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. c)
EU-Datenschutz-Grundverordnung - DS-GVO)
- der Stadt Hof die (für das dortige Verwaltungsverfahren - nach vom Gericht eingeholten tel. Auskunft der Stadt Hof vom 22.07.2021 ausreichenden - wesentlichen Ergebnisse des der Anordnung der Betreuung zugrundeliegenden Sachverständigengutachtens mitzuteilen sind. XVII 1238/19 - Seite 3 -
- der IHK die (für das dortige Verfahren - nach vom Gericht eingeholten tel. Auskunft der IHK vom 23.07.2021 ausreichenden - wesentlichen Ergebnisse des der Anordnung der Betreuung zugrundeliegenden Sachverständigengutachtens mitzuteilen sind.
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Das Bayerische Oberste Landesgericht (a.a.O.) hat zur Thematik ausgeführt: „Datenübermittlung zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung stellt eine Form der Amtshilfe dar, Art. 35 Abs. 1 GG. Der Datenaustausch vollzieht sich, wenn kein besonders geregelter Ausnahmefall der Mitteilung von Amts wegen vorliegt, durch das Ersuchen einerseits und die Übermittlung andererseits, die jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage bedürfen, denn als Grundlage für den mit dem Datenaustausch verbundenen Grundrechtseingriff kommt Art. 35 Abs. 1 GG selbst nicht in Betracht. (…) Die Betreuungsakte enthält regelmäßig Gutachten, Berichte und Angaben über die Kranken- und Familiengeschichte der betroffenen Person, die ihrem privaten Lebensbereich zuzuordnen sind. Die Offenlegung derart persönlichkeitsrelevanter Informationen an verfahrensfremde Dritte, auch an öffentliche Behörden, wiegt daher für den Betroffenen in der Regel schwer. Regelmäßig von erheblichem Gewicht ist mithin auch der mit einer Informationsweitergabe verbundene Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem Einzelnen die Befugnis gibt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen (…). Die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten regeln die Datenschutzgesetze in ihrem jeweiligen Anwendungsbereich.“
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Das Gericht bewertet vor diesem Hintergrund die jeweiligen Anträge der Stadt Hof und IHK als Amtshilfeersuchen.
II. Zur Anwendung der Datenschutzvorschriften:
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Das Gericht ist der Auffassung, dass die Befugnis des Gerichts zur Übermittlung der Betreuungsakte bzw. zu (Teil-)Einsichten/Auskünften aus der Betreuungsakte an eine Behörde/öffentliche Stelle im Rahmen der Amtshilfe (mangels vorrangiger spezialgesetzlicher Bestimmungen) sich aus den Datenschutzvorschriften des Bayerischen Datenschutzgesetzes (BayDSG) im Zusammenspiel mit der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) ergibt.
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Das BayObLG (a.a.O.) führt dazu aus: „Gemäß der hier nur deklaratorisch wirkenden Bestimmung des Art. 2 BayDSG gelten daneben für die Verarbeitung von Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (Art. 4 Nr. 1 DS-GVO), mangels anderweitiger, hier maßgeblicher Regelungen die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV mit unmittelbarer Anwendbarkeit und Verbindlichkeit ausgestatteten Vorschriften der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung - DS-GVO) vom 27. April 2016 (ABl. L 119 vom 4. Mai 2016). (…)
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Die Überlassung der Gerichtsakte von der erhebenden Stelle an eine andere öffentliche Stelle fällt unabhängig davon, ob der Vorgang mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführt wird, unter den Begriff der Datenverarbeitung gemäß Art. 4 Nr. 2 DS-GVO.
10
Auch die in Papierform geführte Gerichtsakte über das Betreuungsverfahren für eine Person stellt eine nach bestimmten Kriterien geordnete Sammlung personenbezogener Daten dar (vgl. Art. 4 Nr. 6 mit Erwägungsgrund 15 Satz 3 DS-GVO; Ory/Weth, NJW 2018, 2829 [2830 unter III. 1 a. E.]; Wiebe/Eichfeld, NJW 2019, 2734 [unter I. Einleitung]; Leopold, NZS 2018, 357 [358, unter II. in Bezug auf die analoge Führung der Gerichtsakten im sozialgerichtlichen Verfahren]). Gemäß ihrem Wesen als staatliches Unterstützungs- und Hilfsangebot ist die rechtliche Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) als staatlicher Beistand in Form von Rechtsfürsorge konzipiert (vgl. Götz in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, Einf v § 1896 Rn. 1). Die in der gerichtlichen Betreuungsakte enthaltenen personenbezogenen Erkenntnisse sind in dem von dieser Zweckrichtung geprägten und durch sie legitimierten staatlichen Verfahren angefallen. Akteneinsicht an eine außenstehende Behörde (…) für die Zwecke eines dort geführten Verfahrens bedeutet mithin Datenverarbeitung durch Übermittlung (vgl. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO) unter Zweckänderung (vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. b] DS-GVO). (…)
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Die Datenverarbeitung ist zulässig, sofern ein Erlaubnistatbestand erfüllt ist (…).“
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III. Erlaubnistatbestand 1. Datenschutzrechtlich sind die Auskünfte (wesentliche Ergebnisse des Sachverständigengutachtens) nach Auffassung des Gerichtes zulässig (Erlaubnis aus Art. 4 Abs. 1 BayDSG, Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 lit. f) DS-GVO).
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Die Übermittlung des wesentlichen Ergebnisses des vor Anordnung der Betreuung eingeholten Gutachtens (wobei Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 DS-GVO übermittelt werden) dient nach Auffassung des Gerichtes im gegenständlichen Fall nicht nur dem Interesse der jeweils anfragenden öffentlichen Stellen, sondern (auch) zur Erfüllung einer Aufgabe, die dem Betreuungsgericht obliegt.
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Ein gerichtlich bestellter Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht (§ 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB). Am Wohl des Betreuten („Magna Charta“ des Betreuungsrechts, vgl. Loer in Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Auflage 2019, § 1901 Rn. 1) hat sich auch das Gericht bei seinen Entscheidungen zu orientieren. Die anfragenden Behörden/öffentlichen Stellen möchten und müssen prüfen, ob die Betreute dieses Gewerbe noch selbständig ausüben kann bzw. die noch erforderliche Zuverlässigkeit zur Ausübung des nur mit Erlaubnis zulässigen Gewerbes (Erlaubnis als Immobilienmaklerin und Darlehensvermittlerin vom 27.02.1992) hat oder ob das Gewerbe durch den Betreuer oder (insoweit auch zum Wohl der Betreuten) von Amts wegen abzumelden ist.
15
Deswegen kann die Übermittlung des wesentlichen Ergebnisses des Gutachtens nach Auffassung des Gerichtes auf Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 lit. f) DS-GVO, Art. 4 Abs. 1 BayDSG gestützt werden.
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Bei konkreten Verarbeitung (Übermittlung der Auskunft) handelt das Gericht nämlich (auch) im Rahmen seiner - insoweit nach Sinn und Zweck der Norm weit auszulegenden - eigenen „justiziellen Tätigkeiten“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. f) DS-GVO (Orientierung am Wohl des Betreuten). Erwägungsgrund 20 der DS-GVO möchte die Unabhängigkeit der Justiz bei der „Ausübung ihrer gerichtlichen Aufgaben einschließlich ihrer Beschlussfassung unangetastet“ lassen. Die Regelung dient der Funktionsfähigkeit der Justiz (Frenzel in Paal/Pauly, DS-GVO, 3. Auflage, Art. 9 Rn. 37: „Das Datenschutzregime soll nicht so weit gehen, dass die legitime Durchsetzung von Rechten nicht mehr möglich ist“). Einer engen Auslegung dieses Begriffes (vgl. Wiebe/Eichfeld, NJW 2019, Seite 2734 ff.) schließt sich das Gericht nicht an.
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2. Ohne dass es hierauf noch ankommt, wäre die Auskunft nach Auffassung des Gerichtes allerdings auch bei einer engen Auslegung von Art. 9 Abs. 2 lit. f) bzgl. der „justiziellen Tätigkeiten“ zulässig. Dann käme aus Sicht des Gerichts nämlich in Betracht, die seitens der auskunftsersuchenden öffentlichen Stellen zu prüfenden Ansprüche (Gewerberecht/Zuverlässigkeit) als „Rechtsanspruch“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 lit. f) DS-GVO auszulegen. „Rechtsansprüche“ im Sinne dieser Norm, die zu berechtigten Interessen der Auskunftsbegehrenden führen, können sich nämlich auch aus dem Verwaltungsrecht ergeben; überzogene Anforderungen sind nicht zu stellen (vgl. Weichert in Kühling/Buchner, DS-GVO, 3. Auflage, Art. 9 Rn. 83 ff.). Mitzuberücksichtigen ist insoweit auch, dass die Kenntnis der übermittelten Information zur Erfüllung einer der empfangenden öffentlichen Stelle obliegenden Aufgabe erforderlich ist (vgl. insoweit auch Art. 5 BayDSG). Sowohl die Stadt Hof als auch die IHK benötigen die Informationen zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben (Gewerbeordnung bzw. Prüfung/Stellungnahme zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit). Beide öffentlichen Stellen haben die jeweilige Erforderlichkeit auch hinreichend dargelegt, so dass für die um Übersendung ersuchte Stelle grundsätzlich (würde es sich nicht um sensible Gesundheitsdaten aus einem Betreuungsverfahren handeln) auch kein besonderer (eigener/zusätzlicher) Prüfungsanlass (Art. 5 Abs. 4 Satz 3 BayDSG) mehr gegeben wäre.
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3. Eine Zweckbindung (Art. 6 Abs. 4 DS-GVO; die Regelung ist auch bei Vorliegen einer Erlaubnis aus Art. 9 Abs. 2 DS-GVO mitzuprüfen) steht insoweit nach Auffassung des Gerichtes nicht entgegen, da das Gutachten für Zwecke des Betreuungsverfahrens eingeholt wurde und die Auskunftserteilung wie ausgeführt (auch) Zwecken des Betreuungsverfahrens (“Wohl der Betreuten“) dient. Eine Zweckänderung liegt damit aus Sicht des Gerichtes nicht vor.
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Im übrigen - ohne dass es hierauf noch ankommt - läge die seitens der beiden Empfänger beabsichtigte Verarbeitung (auch) im Interesse der betroffenen Person (also der Betreuten) und es bestünde auch kein Grund zu der Annahme, dass die betroffene Person (bei vernünftigem/verständigem Handeln) in Kenntnis des anderen Zwecks (Prüfung durch Stadt Hof/IHK) ihre Einwilligung zur Übermittlung verweigern würde (Art. 6 Abs. 2 Nr. 1 BayDSG). Ferner lägen auch die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 e) BayDSG vor, denn für die beiden Empfänger bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte, dass frühere Angaben der betroffenen Person (der Betreuten) im gewerberechtlichen Verfahren mittlerweile aufgrund des geänderten Gesundheitszustandes unrichtig sind und nicht mehr zutreffen und damit durch Kenntnisnahme vom Gutachten zu überprüfen sind.