Inhalt

OLG München, Beschluss v. 21.04.2021 – 5 U 592/21
Titel:

Rückforderung eines Insolvenzverwalters gegenüber dem Finanzamt wegen eingezogener Lohnsteuer 

Normenkette:
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 2, § 140 Abs. 1, § 143 Abs. 1
Leitsatz:
Im Interesse der Rechtsklarheit kann eine Bank durch AGB-Regelungen einen einheitlichen Zeitpunkt für die Wirksamkeit einer Belastungsbuchung festlegen. Dies unabhängig davon, ob tatsächlich eine Vordisposition stattgefunden hat oder nicht. Eine Vordisposition spielt mithin bei der Fristberechnung (Zweitagesfrist) keine Rolle. (Rn. 9 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzverwalter, Lohnsteuer, Finanzamt, Lastschrift, Vordisposition, Nachdisposition, Zweitagesfrist, zweiter Bearbeitungstag
Vorinstanz:
LG Augsburg, Endurteil vom 22.12.2020 – 31 O 2474/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2022 – IX ZR 70/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58788

Tenor

I. Die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Augsburg vom 22.12.2020, Az.: 031 O 2474/20, wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Vollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg kann ohne Sicherheitsleistung fortgesetzt werden. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe des insgesamt zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 92.248,88 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung die Rückgewähr einer per Lastschrift eingezogenen Lohnsteuerzahlung. Der Kläger ist Insolvenzverwalter der W. G. GmbH. Am 15.11.2019 reichte die nachmalige Insolvenzschuldnerin einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein. Am selben Tag ordnete das Amtsgericht A. die vorläufige Eigenverwaltung an und teilte das Vorliegen eines Insolvenzantrages und die Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung dem Finanzamt A. mit. Bereits am Vortag, dem 14.11.2019, hatte das Finanzamt A. per Lastschrift Lohnsteuern für den Monat Oktober 2019 in Höhe von 92.248,98 € vom Konto der Insolvenzschuldnerin bei der BTV AG per Lastschrift eingezogen. Dem lag ein Lastschriftmandat vom 02.08.2017 zugrunde.
2
Mit Schreiben vom 01.04.2020 wurde die Zahlung von 92.248,98 € gegenüber dem Finanzamt A. angefochten und dieses zur Erstattung an den Kläger aufgefordert. Der Kläger vertrat die Ansicht, die Lastschrift sei erst am zweiten Bankarbeitstag nach ihrer Vornahme gemäß § 140 Abs. 1 InsO - mithin am Montag, den 18.11.2019 - wirksam geworden; damit habe im maßgebenden Zeitpunkt eine Kenntnis der Mitarbeiter des Finanzamts A. Stadt vorgelegen.
3
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 92.248,98 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.06.2020 zu bezahlen.
4
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
5
Er hat die Auffassung vertreten, maßgeblicher Zeitpunkt gemäß § 140 Abs. 1 InsO sei der Tag der Buchung und Wertstellung auf dem Konto der Insolvenzschuldnerin, nämlich Donnerstag, der 14.11.2019, gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Mitarbeiter des Finanzamts noch keine Kenntnis vom gerichtlichen Beschluss über die vorläufige Eigenverwaltung gehabt.
6
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, weil der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung von 92.248,98 € aus §§ 130 Abs. 1 Nr. 2, 143 Abs. 1 InsO habe. Die durch das Finanzamt A. Stadt gezogene Lastschrift auf das Geschäftskonto der Insolvenzschuldnerin stelle eine Rechtshandlung nach dem Eröffnungsantrag dar; die Mitarbeiter des Beklagten hätten zum maßgeblichen Zeitpunkt den Eröffnungsantrag gekannt. Eine Rechtshandlung gelte als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eingetreten seien, § 140 Abs. 1 InsO. Maßgeblich sei vorliegend der Zeitpunkt der Einlösung durch den Zahlungsdienstleister des Zahlers (vgl. MüKo-Kirchhof/Piekenbrock, 4. Auflage 2019, § 140, Rn. 17). Es sei allerdings in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Bank für Lastschriften eine Regelung vorgesehen, nach der eine Abbuchungslastschrift erst dann eingelöst sei, wenn die Belastungsbuchung auf dem Konto des Kunden nicht spätestens am zweiten Bankarbeitstag nach ihrer Vornahme rückgängig gemacht sei. Folglich sei die Rechtshandlung erst mit Ablauf der Stornofrist im Sinn des § 140 Abs. 1 InsO vorgenommen (OLG Düsseldorf, BKR 2016, 261). Vorliegend sei in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Vertrages zwischen der Schuldnerin und der Bank für T. und V. AG unter Nr. 9 (2) unstreitig vereinbart, dass Lastschriften erst eingelöst seien, wenn die Buchung nicht spätestens am zweiten Bankarbeitstag nach ihrer Vornahme rückgängig gemacht werde. Somit sei die Lastschrift erst mit Ablauf des Montags, dem 18.11.2019, wirksam geworden. Zu diesem Zeitpunkt hätten die Mitarbeiter des Finanzamts unstreitig Kenntnis vom Eröffnungsantrag erlangt gehabt. Der Umstand, dass die Schuldnerin am 10. bzw. 11.11.2019 für Oktober eine Lohnsteueranmeldung von 92.248,98 € eingereicht habe, stelle keinen Verzicht der Schuldnerin auf die Stornofrist gegenüber ihrer Hausbank dar. Von einer Vordisposition durch das Bankinstitut könne mangels Kenntnis der Hausbank von dieser Anmeldung keine Rede sein. Auch könne die Lohnsteueranmeldung gegenüber dem Finanzamt nicht als Verzicht auf die Stornofrist interpretiert werden.
7
Gegen das ihm am 30.12.2020 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29.01.2021 Berufung eingelegt und diese am 01.03.2021 begründet.
8
Der Beklagte hat mit der Berufungsbegründung geltend gemacht, dass die Lastschrift bereits am 14.11.2019 als eingelöst gegolten habe. Denn die am 14.11.2019 datierte Belastungsbuchung auf dem Konto der Abgabenschuldnerin sei erst nach dem Ablauf der zweitägigen Prüfzeit (laut AGB), also nach durchgeführter Vordisposition erfolgt, so dass sie damit als endgültig vorgenommen gelte. Dies beruhe auf dem genauen zeitlichen Ablauf des SEPALastschrifteinzuges. So sei der Rechentermin des Lastschrifteinzuges auf den 11.11.2019 zu datieren. Dieser vollständige Datensatz sei unmittelbar am Folgetag, dem 12.11.2019, zwischen 6.00 Uhr und 7.00 Uhr per Datenfernübertragung durch das Rechenzentrum N. an die sogenannte „Leitbank“ der Staatsoberkasse, in diesem Fall die H.V.bank, übermittelt worden. Danach sei der Ausdruck und die Unterschrift durch die Staatsoberkasse, sowie die Weiterleitung der DFÜ Begleitzettel (Datenfernübertragung) an die H.V.bank um 10:00 Uhr mit der Angabe „Verarbeitungsbeginn 12:00 Uhr“ erfolgt. Die Verarbeitung der weitergeleiteten Datensätze durch die beteiligten Banken, somit auch die Schuldnerbank, die Bank für T. und V. AG, sei damit noch am 12.11.2019 erfolgt, so dass die am 14.11.2019 erfolgte Gutschrift des eingezogenen Lohnsteuerbetrags auf dem Konto der Staatsoberkasse B. unter gleichzeitiger Kontobelastung auf dem Konto der Abgabenschuldnerin bei der Bank für T. und V. AG am 14.11.2019 und damit zwei Bankarbeitstage später (wie in Ziffer 9 Abs. 2 der zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Bank für T. und V. AG vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehen) erfolgt sei. Im Übrigen wäre der grundsätzlichen Annahme einer Prüfungsfrist zur Rückgängigmachung der vorgenommenen Belastungsbuchung vorliegend bereits deshalb zu widersprechen, weil die von dem Finanzamt veranlasste Abbuchung auf dem Konto der Abgabenschuldnerin exakt der von ihr vorher selbst bezifferten Erklärung bzw. Steueranmeldung entsprach. Eine erfolgreiche Rückgängigmachung des Einzugs hätte daher nach der Abbuchung nicht mehr erfolgreich durchgeführt werden können.
9
Der Beklagte zu 2) beantragt zu erkennen:
I. Das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 22.12.2020, Az.: 031 O 2474/20, wird aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
10
Der Senat hat mit Beschluss vom 12.03.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Es könne offen bleiben, ob vorliegend eine Vordisposition stattgefunden habe. Zwar führe der Bundesgerichtshof im Urteil vom 17.01.2013 - IX ZR 184/10 - in Rn. 8 aus, dass eine Lastschrift eingelöst sei, wenn der Einlösungswillen der Schuldnerbank zum Ausdruck komme und dies anzunehmen sei, wenn die Bank die Voraussetzungen der Abbuchung geprüft habe, bevor sie die Buchung vornehme (Vordisposition). Er führe aber weiter aus, dass bei Vereinbarung der Nr. 9 Abs. 2 AGB Banken die Wirkung der Einlösung erst mit Ablauf der Zweitagesfrist eintrete, sofern die Bank nicht ausnahmsweise einen abweichenden individuellen Einlösungsvorbehalt erkläre. Nr. 9 Abs. 2 AGB Bank lege den frühestmöglichen Zeitpunkt fest. Entsprechend habe der BGH zur vergleichbaren Klausel Nr. 1 Abs. 5 AGB Sparkassen im Urteil vom 13.06.1988 - II ZR 324/87, Rn. 14 - ausgeführt, dass es für die Anwendung dieser vergleichbaren Vorschrift nicht darauf ankomme, ob der Belastungsbuchung eine Prüfung vorausgegangen sei oder ob eine Nachdisposition erfolge. Weder komme im Wortlaut der Klausel zum Ausdruck, dass diese nur für den Fall einer fehlenden Vordisposition gelte, noch sei dies interessengerecht. Vielmehr sei es im Interesse der Rechtsklarheit, dass durch die AGB-Regelung ein einheitlicher Zeitpunkt für die Wirksamkeit der Belastungsbuchung festgelegt werde, unabhängig davon, ob tatsächlich eine Vordisposition stattgefunden hat oder nicht.
11
Mit Schriftsatz vom 30.03.2021 hat der Beklagte dahingehend Stellung genommen, dass die auf den 14.11.2019 datierte Belastungsbuchung auf dem Konto der Abgabenschuldnerin erst nach dem Ablauf der zweitägigen Prüfungszeit erfolgt sei und zwar vollkommen unabhängig davon, ob die Bank der Abgabenschuldnerin eine Überprüfung der Transaktion - also einer Vordisposition - tatsächlich vorgenommen habe oder nicht. Denn die aufgrund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehene zweitägige Prüfungsfrist habe ab dem Eingang des Datensatzes der Leitbank bei der Bank der Abgabenschuldnerin zur Durchführung der Vordisposition wahrgenommen werden können und sei deshalb zum Zeitpunkt des 14.11.2019 bereits abgelaufen gewesen. Andernfalls hätte die Bank der Abgabenschuldnerin eine Prüfungsfrist von insgesamt vier Banktagen. Wäre zudem bei dem Beginn der Prüfungsfrist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Belastungsbuchung auf dem Konto des Schuldners abzustellen, verbliebe der Bank die völlige und willkürliche Dispositionsfreiheit über den Fristbeginn und damit auch über die tatsächliche Länge der Prüfungsfrist für eine Vordisposition. Hinzu komme, dass die Bank für T. und V. AG ausdrücklich darauf hinweise, dass über die Nichtausführung oder Rückgängigmachung der Belastungsbuchung der Kunde unverzüglich, spätestens bis zu der gemäß Nr. 2.4.4. vereinbarten Frist unterrichtet werde. Unter Nr. 2.4.4. wird auf die im Preis- und Leistungsverzeichnis enthaltene Ausführungsfrist verwiesen. Daraus ergebe sich zwingend, dass eine Nichtausführung oder Rückgängigmachung der Belastungsbuchung durch die Bank für T. und V. AG spätestens am 14.11.2019 hätte mitgeteilt werden müssen, also selbst die Bank der Abgabenschuldnerin davon ausgehe, dass mit diesem Zeitpunkt die Prüfungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts II vom 29.01.2020 sowie auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
13
Die Berufung war durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offenbar keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
14
Zur Begründung der Zurückweisung der Berufung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 12.03.2021 Bezug genommen.
15
Auch das weitere Vorbringen im Schriftsatz vom 30.03.2021 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der von der Beklagten vertretenen Ansicht zur Vordisposition der Schuldnerbank hat der BGH mit überzeugenden Argumenten eine Absage erteilt. Folglich ist - auch aus Gründen der Rechtssicherheit - die Zweitagesfrist erst ab der tatsächlichen Buchung zu berechnen. Dies gilt auch unter Inkaufnahme des Umstandes, dass der Beginn der Zweitagesfrist vom Handeln der Bank abhängt. Denn dieser Umstand ist weit weniger nachteilig als die sich ansonsten ergebenden Fragen, wie etwa, ob im jeweiligen Einzelfall tatsächlich eine Vordisposition durchgeführt wurde. Im Übrigen ist die Regelung des Art. 9 der AGB Banken auch vom Wortlaut her eindeutig. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Vordisposition bei der Fristberechnung eine Rolle spielen soll.
III.
16
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 3 ZPO.