Inhalt

OLG München, Beschluss v. 23.02.2021 – 2 Ws 137/21
Titel:

Strafkammer, Verfahren, Generalstaatsanwaltschaft, Angeklagte, Versetzung, Zustellung, Frist, Studium, Besetzung, Bestimmung, verwerfen, Angeklagten, Besetzungseinwand, Schriftsatz, Sinn und Zweck, Besetzung des Gerichts, erfolgte Zustellung

Schlagworte:
Strafkammer, Verfahren, Generalstaatsanwaltschaft, Angeklagte, Versetzung, Zustellung, Frist, Studium, Besetzung, Bestimmung, verwerfen, Angeklagten, Besetzungseinwand, Schriftsatz, Sinn und Zweck, Besetzung des Gerichts, erfolgte Zustellung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58717

Tenor

I. Die Rüge der Gerichtsbesetzung durch den Angeklagten S. wird als unzulässig verworfen.
II. Es wird festgestellt, dass die Besetzung des Gerichts durch Mitglieder der 2. Strafkammer als Schwurgericht des Landgerichts München I gemäß Besetzungsmitteilungen vom 07.01.2021 und 10.02.2021 ordnungsgemäß ist.
III. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.
1
Mit Schriftsatz vom 11.02.2021 rügte der Verteidiger des Angeklagten namens seines Mandanten nach § 222b Abs. 1 i.V.m. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts in dem Strafverfahren gegen den Angeklagten S., Az. 2 Ks 124 Js 179130/15. Mit Verfügung vom 07.01.2021 sei die Besetzung des Gerichts in der Hauptverhandlung mit VRiLG R., RiinLG R., RiLG Dr. Se. und namentlich benannten Schöffen mitgeteilt worden. Auf eine Nachfrage anlässlich einer Anfrage des Gerichts vom 08.02.2021 nach freien Tagen des Verteidigers ab dem 15.03.2021 habe der Vorsitzende mitgeteilt, dass er am 04.02.2021 in einem Telefonat von der Präsidentin erfahren habe, dass Frau RiinLG R., die Berichterstatterin in vorliegendem Verfahren sei, voraussichtlich im 2. Quartal, spätestens Anfang des 3. Quartals versetzt werde. Am 10.02.2021 und damit einen Tag vor Beginn der Hauptverhandlung sei die Hinzuziehung des Ergänzungsrichters Dr. Si. erfolgt und mitgeteilt worden. Die Geschäftsverteilung innerhalb der 2. Strafkammer als Schwurgericht für das am 01.01.2020 beginnende Geschäftsjahr 2020 sei mit spruchkörperinternem Geschäftsverteilungsbeschluss vom 18.12.2019 geregelt worden. Darin würden in der überbesetzten Kammer drei Spruchgruppen gebildet und die Verteilung der Verfahren auf die Spruchgruppen anhand von Endziffern einer Ordnungsnummer. Während für die Endziffern 1 bis 9 zweifelsfrei, transparent und überprüfbar geregelt sei, auf welche Spruchgruppe das Verfahren verteilt werde, erfolge die Verteilung bei der Endziffer 0 wie folgt: „1-2-3-1-2-3…“. Eine Regelung, wie die vorgegebene Reihenfolge der Gruppen für Verfahren mit der Endziffer 0 überprüft, gekennzeichnet, transparent gemacht werde, finde sich nicht, ebensowenig eine Regelung zur Bestimmung des Berichterstatters. Der spruchkörperinterne Geschäftsverteilungsplan werde den Anforderungen an Geschäftsverteilungspläne nicht gerecht, da der Angeklagte nur aus dem Beschluss vom 18.12.2019 rückschließen könne, dass er der Spruchgruppe 1 angehöre. Die Überprüfung des gesetzlichen Richters müsse aber vorwärts geschehen. Darüber hinaus lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters nicht vor, da die Hinzuziehung des Ergänzungsrichters vorliegend nicht wegen der längeren Dauer der Verhandlung, sondern wegen des sehr wahrscheinlichen Falls, dass die Berichterstatterin im 2. Quartal ausscheide, erfolge. Im Falle des Ausscheidens der berichterstattenden Beisitzerin, der als solcher im Entscheidungsprozess eine herausgehobene Stellung zukomme, werde dem Angeklagten der gesetzliche Richter entzogen.
2
Mit Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts München I als Schwurgericht vom 11.02.2021 erklärte sich das Gericht als ordnungsgemäß besetzt. Zur Begründung führte es aus, dass im Geschäftsverteilungsplan der 2. Strafkammer abstrakt-generell dargelegt sei, welche Spruchgruppe für welches Verfahren zuständig sei. Aus dem Geschäftsverteilungsplan ergebe sich auch, dass der Vorsitzende für die eingehenden Verfahren Eingangslisten führe und Ordnungsnummern vergebe. Anhand des Geschäftsverteilungsplans und dieser Eingangsliste könne klar nachvollzogen werden, wer konkret zuständig sei. Einer Regelung zur Bestimmung des Berichterstatters bedürfe es nicht, da es keinen „gesetzlichen Berichterstatter“ gebe. Die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters sei vorliegend geboten gewesen, da ein Ausfall einer Richterin während des Laufes des Verfahrens drohe. Dies gelte umso mehr, als es sich um ein komplexes Verfahren handele und nicht klar sei, ob die bereits anberaumten Termine ausreichen würden. Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen erfordere es geradezu, Vorsorge für den Fall einer Versetzung während des Verfahrens zu treffen.
3
Mit Verfügung vom 12.02.2021 legte der Vorsitzende der 2. Strafkammer des Landgerichts München I das Verfahren dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung über den Besetzungseinwand vor.
4
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragte mit Vorlage der Akten am 15.02.2021, den Besetzungseinwand des Angeklagten gegen die Besetzung der 2. Strafkammer des Landgerichts München I als Schwurgericht im Verfahren 2 Ks 124 Js 179130/15 aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.
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Der Verteidiger des Angeklagten erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 222b Abs. 3 Satz 3 StPO. Eine Stellungnahme gab er nicht ab.
II.
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1. Der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand ist vorliegend bereits unzulässig. Der Einwand genügt nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 S. 2 StPO zu stellenden Anforderungen, da die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, nicht vollständig mit dem Antrag mitgeteilt wurden. Die Anforderungen an die Begründung der Besetzungsrüge folgen mit § 222b Abs. 1 S. 2 StPO den Anforderungen aus § 344 Abs. 2 S. 2 StPO an eine Verfahrensrüge im Revisionsrecht (BT-Drs. 19/14747, S. 29). Zu einem vollständigen Vortrag gehört deshalb grundsätzlich die Angabe sämtlicher Besetzungsmitteilungen gem. § 222a StPO nach deren Inhalt und dem jeweiligen Zustelldatum (OLG München, Beschluss v. 12.02.2020, 2 Ws 138/20-139/20, BeckRS 2020, 1571), außerdem sind auch Inhalt und Gang des Verfahrens so konkret und vollständig wiederzugeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 S.1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (OLG Celle, Beschluss v. 27.01.2020, 3 Ws 21/20, StraFo 4/2020, S. 160).
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2. Soweit der Angeklagte rügt, dass das Gericht mit den Berufsrichtern VRiLG R., RiinLG R., RiLG Dr. Se. vorschriftswidrig besetzt sei, wurde schriftsätzlich zwar vorgetragen, dass die entsprechende Mitteilung mit Verfügung vom 07.01.2021 erfolgt sei, nicht jedoch, wann deren Zustellung erfolgte. Eine Überprüfung, ob die Rüge mit Schriftsatz vom 11.02.2021 insoweit rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 S. 1 StPO erfolgt ist, konnte deshalb nicht erfolgen.
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Nicht zutreffend ist, dass sich die Mitteilung der Besetzung mit Verfügung vom 07.01.2021 durch die Mitteilung der Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters durch Verfügung vom 10.02.2021 überholt habe. Bei einer Besetzungsänderung beginnt die Frist nicht für die gesamte Kammerbesetzung von Neuem zu laufen, sondern nur für die neu hinzugekommene, zur Urteilsfindung berufene Person (Claus, NStZ, 2020, 57, 59). Denn alles andere würde dem Zweck des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens zuwiderlaufen, welches die Beschleunigung des Strafverfahrens zum Ziel hat und durch das neu eingeführte Vorabentscheidungsverfahren zeitnahe Rechtssicherheit über die ordnungsgemäße Besetzung der Gerichte schaffen will (BT-Drs. 19/14747, S. 1, 29 ff.). Würde man mit jeder Mitteilung der Änderung der Gerichtsbesetzung erneut die gesamte Kammerbesetzung zur Überprüfung stellen, liefe die beabsichtigte Beschleunigung ins Leere.
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Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die genannte Rüge auch unbegründet wäre, da die Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers aufgrund des mit der Besetzungsrüge vorgelegten kammerinternen Geschäftsverteilungsbeschlusses der 2. Strafkammer des Landgerichts München I vom 18.12.2019 in Verbindung mit der dort genannten, vom Vorsitzenden geführten Eingangsliste aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale erfolgte. Entgegen dem Vortrag des Angeklagten im Schriftsatz seines Verteidigers vom 11.02.2021 hätte dieser die zuständige Spruchgruppe bereits aus dem Studium der Eingangsliste - aus der ersichtlich ist, welchen Spruchgruppen die zuvor mit der Endziffer 0 registrierten Verfahren zugewiesen waren - in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsbeschluss ersehen können und musste diese nicht aus der tatsächlichen Besetzung schlussfolgern.
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3. Soweit der Angeklagte die Besetzung des Gerichts mit RiLG Dr. Si. als Ergänzungsrichter rügt, ist die Besetzungsrüge ebenfalls unzulässig, da nicht formgerecht erhoben.
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Zunächst fehlt auch hier der Vortrag, wann und wie die Mitteilung der Besetzung erfolgte. Da die Frist des § 222b Abs. 1 StPO jedoch zweifelsfrei eingehalten wurde, war dieser Vortrag vorliegend allerdings als bloße Förmelei entbehrlich. Ebenfalls in der Besetzungsrüge nicht mitgeteilt wurden Tatsachen, die sich auf eine mögliche Fehlbesetzung durch RiLG Dr. Si. beziehen, insbesondere kein Präsidiumsbeschluss, durch den ggf. der zuständige Ergänzungsrichter bestimmt wurde. Da der Vortrag jedoch erkennbar nicht die Besetzung des Gerichts durch diesen Richter, sondern die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters an sich rügt, war ein entsprechender Vortrag ebenfalls nicht erforderlich.
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Darüber hinaus fehlt aber, auch soweit die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters an sich bemängelt wird, der entscheidende Vortrag, insbesondere zu der voraussichtlichen Dauer der Hauptverhandlung. Nachdem ein möglicher Ausfall der Berichterstatterin im 2. Quartal, spätestens Anfang des 3. Quartals behauptet wird, steht zu vermuten, dass die Hauptverhandlung, die am 11.02.2021 begonnen hat, sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinstrecken wird. Auf Grundlage einer Vermutung kann jedoch vorliegend keine Sachentscheidung getroffen werden.
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Nur ergänzend ist deshalb darauf hinzuweisen, dass die Hinzuziehung eines Ergänzungsrichters nicht nur dann in Betracht kommt, wenn in einem längeren Verfahren krankheitsbedingte, sondern auch, wenn Ausfälle anderer Art drohen, wie zum Beispiel das Ausscheiden eines Berufsrichters aus dem Spruchkörper. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift des § 192 Abs. 2 GVG gebieten die von Seiten des Angeklagten behauptete Einschränkung. Sowohl das Ausscheiden eines Richters aus dem Spruchkörper als auch die Tatsache, dass der Ergänzungsrichter bis zu seinem Eintritt nicht an Beratungen mitwirken darf, sind gesetzlich vorgesehen. Inwieweit diese zu einer Fehlbesetzung des Gerichts führen sollten, ist nicht ersichtlich.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO (BT-Drs. 19/14747, S. 32).