Inhalt

OLG München, Endurteil v. 18.10.2021 – 3 U 999/21
Titel:

Restschadensersatzanspruch wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenkette:
BGB § 31, § 826, § 831, § 852
Leitsätze:
1. Das Thermofenster ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Dies gilt auch dann, wenn der Hersteller mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anwendungsbereich des § 852 S. 1 BGB ist eröffnet, wenn der Käufer eines Neufahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller aus § 826 BGB einen Anspruch auf Erstattung des aufgrund eines ungewollten Vertragsschlusses an ihn gezahlten Kaufpreises hat. Der Anwendung steht nicht entgegen, dass der Käufer das Fahrzeug nicht direkt von dem Fahrzeughersteller, sondern über einen Vertragshändler erworben hat. Die Anwendung kann auch nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass der Käufer durch die dem Anspruch aus § 826 BGB zugrunde liegende deliktische Handlung keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe. (Rn. 28 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 189, Dieselabgasskandal, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Verjährung, Restschadensersatzanspruch
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 03.02.2021 – 6 O 1450/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.10.2022 – VIa ZR 406/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58582

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 03.02.2021, Az. 6 O 1450/20 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 15.853,85 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.10.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges VW Tiguan mit der …863.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Tiguan mit der …863 im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von € 1.100,51 freizustellen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
7. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 77%, die Klägerin trägt 23%.
8. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenpartei jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
9. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klagepartei macht einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs geltend. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors vom Typ EA189 des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
2
Die Klagepartei erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug am 25.04.2013 von einem Händler zu einem Kaufpreis von € 32.189,51. Es handelte sich um einen Neuwagen. Das Fahrzeug ist vom sogenannten Abgasskandal betroffen, da in ihm eine Software verbaut ist, welche bewirkt, dass es im Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv ist, zu einer höheren Abgasrückführungsrate kommt. Die vom Motorhersteller installierte Software, die für die Abgaskontrollanlage zuständig ist, erkennt dabei die Prüfungssituation durch ein unnatürliches Fahrverhalten. Bei diesen Bedingungen ist die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxide entstehen. Im normalen Fahrbetrieb hingegen sind die Abgasaufbereitung und -rückführung so gestaltet, dass die Stickoxid-Emissionen erheblich höher sind. Das Fahrzeug wurde in die Schadstoffklasse Euro 5 eingeordnet, da die nach dieser Abgasnorm geltenden Stickoxid-Grenzwerte auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Am 22.09.2015 gab die Beklage eine Ad-hoc-Mitteilung heraus, in der sie auf Unregelmäßigkeiten bei der Steuerungssoftware von Diesel-Motoren hinwies. Durch das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) wurde mit Bescheid vom 15.10.2015 dieses Programm als unzulässige Abschalteinrichtung eingeordnet, zugleich wurde durch das KBA eine nachträgliche Nebenbestimmung für die jeweils erteilte Typgenehmigung angeordnet, dergestalt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen sowie geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen. Im Jahr 2016 wurden die Halter von Fahrzeugen mit EA189-Motor von der Beklagten angeschrieben, auf den Rückruf hingewiesen und in der Folge zur Durchführung eines Softwareupdates aufgefordert.
3
Am Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) hat sich die Klagepartei nicht beteiligt.
4
Am 16.09.2021 wies das Fahrzeug einen Kilometerstrand von 126.871 auf.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht Traunstein hat die Klage durch Endurteil vom 03.02.2020 abgewiesen. Das Endurteil wurde der Klagepartei am 03.02.2021 zugestellt. Mit Schriftsatz ihres Prozessvertreters vom 24.02.2021 legte die Klagepartei gegen das Endurteil Berufung ein. Die Berufung wurde mit weiterem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 06.04.2021, eingegangen am selben Tag, begründet.
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Die Klagepartei stützt ihre Berufung darauf, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von der Verjährung der klägerischen Ansprüche ausgegangen. Die Klagepartei habe in den Jahren 2015 und 2016 keine grob fahrlässige Unkenntnis vor den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt. Die Klageerhebung sei in dem genannten Zeitraum nicht zumutbar gewesen, weil die Rechtslage nicht geklärt gewesen sei.
8
Mit der Berufung macht die Klagepartei weiter geltend, dass selbst für den Fall, dass Verjährung eingetreten sei, ein unverjährter Anspruch nach § 852 BGB auf Ersatz des Restschadens gegeben sei. Die Beklagte habe durch unerlaubte Handlung auf Kosten der Klagepartei etwas erlangt. Der Anspruch, bei dem es sich um einen Bereicherungsanspruch handele, sei nach dem Kaufpreis des Fahrzeugs abzüglich der Händlermarge zu bemessen.
9
Die Klagepartei beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 20.493,99 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …863.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 19.06.2020 in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 2.231,25 € freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und schließt sich dessen Ausführungen an.
12
Ergänzend wird auf die von den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung ist begründet. Das Endurteil des Landgerichts war aufzuheben. Zwar ist der Anspruch der Klagepartei aus § 826 BGB verjährt, jedoch steht ihr ein Anspruch aus § 852 BGB zu.
14
1. Der Klagepartei steht ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19).
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a) Das Verhalten der Beklagten ist im Verhältnis zur Klagepartei objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren. Sie hat durch die strategische Unternehmensentscheidung der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus Gewinnstreben die Arglosigkeit ihrer Kunden systematisch und über Jahre ausgenutzt. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint, unabhängig davon, ob sich der einzelne Käufer konkrete Vorstellungen über die Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung und die Erfüllung der gesetzlichen Abgasgrenzwerte gemacht hat (BGH aaO, Rz. 23). Die unzweifelhaft vorhandene Kenntnis des vormaligen Leiters der Entwicklungsabteilung und des verantwortlichen vormaligen Vorstands von der Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung muss sich die Beklagte gemäß § 31 BGB zurechnen lassen (BGH aaO, Rz. 29 ff).
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b) Die Klagepartei hat das streitgegenständliche Dieselfahrzeug im Jahr 2013 gekauft und damit vor dem öffentlichen Bekanntwerden des „Dieselskandals“ am 22.09.2015 (zur Maßgeblichkeit dieses Stichtags vergleiche BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 5/20).
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c) Die Höhe des Schadensersatzes, der Zug um Zug gegen Weggabe des Fahrzeugs zu zahlen ist, errechnet sich aus dem Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz. Der Senat schätzt in diesem Zusammenhang die Laufleistung eines Diesel-Pkw mit einem Motor EA 189 nach § 287 ZPO auf 250.000 km. Eine darüber hinausgehende Laufleistung resultiert bei wirtschaftlicher Betrachtung regelmäßig nicht aus dem ursprünglichen Kauf, sondern aus späteren Investitionen in das Fahrzeug insbesondere in Form von Reparaturen und Instandhaltungen.
18
Der Nutzungsvorteil errechnet sich nach der Formel: Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer (seit Erwerb) / voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (vgl. BGH, NJW 2020, 2796, Rn. 12 f.; Reinking/Eggert/Eggert, Der Autokauf, Rn. 3563).
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Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung wies der von der Klagepartei als Neuwagen gekaufte Pkw einen Kilometerstand von 126871 auf. Dies ergibt nach obiger Formel eine Nutzungsentschädigung in Höhe von € 16.335,66, die im Rahmen der Schadensberechnung als Vorteilsausgleich vom Kaufpreis abzuziehen ist.
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Im Ergebnis ist somit ein Schadensersatzanspruch in Höhe von € 15.853,85 entstanden, Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Fahrzeugs aus §§ 826, 31 BGB gegen die Beklagte.
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2. Dem Anspruch aus § 826 BGB steht jedoch gemäß § 214 BGB die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen, so dass die Beklagte die Leistung verweigern kann.
22
a) Die Verjährungsfrist ist mit Schluss des Jahres 2019 abgelaufen, so dass die am 26.07.2020 eingereichte Klage die Verjährung nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmen konnte. Im Unterschied zu dem vom BGH am 29.07.2021, VI ZR 1118/20, entschiedenen Fall wurde vorliegend die Klage erst im Jahr 2020 erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war der Anspruch bereits verjährt, ohne dass es dabei auf die Frage einer grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers noch im Jahr 2015 ankommt. Der Klagepartei wurde im Jahr 2016 das Rückrufschreiben der Beklagten mit der Aufforderung zur Aufspielung des Software-Updates übermittelt. Damit wurde sie auf Probleme mit der Abgasbehandlung im Dieselmotor ihres Fahrzeugs ausdrücklich hingewiesen. Dass die Beklagte in diesem Rückrufschreiben die Manipulation nicht ausdrücklich einräumt, ist für den Verjährungsbeginn unerheblich. Die Klagepartei wusste ab diesem Zeitpunkt von einem Rückrufbescheid und von Unregelmäßigkeiten bei der Abgasbehandlung des Fahrzeugs. Im Übrigen geht der Senat auch unabhängig von dem genannten Schreiben davon aus, dass die Klagepartei jedenfalls im Jahr 2016 Kenntnis von dem in allen Medien ständig präsenten „Dieselskandal“ erlangte.
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Eine Kenntnis aller notwendigen Details oder gar die Einräumung der Haftung durch die Beklagte ist für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich. Ebensowenig ist es notwendig, dass ein etwaiger Gerichtsprozess für den Käufer risikolos ist (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20). Mangels Anmeldung zur Musterfeststellungsklage kommt auch eine darauf basierende Verjährungshemmung nicht in Betracht. Die dreijährige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 BGB begann somit mit dem Schluss des Jahres 2016 und endete mit dem Schluss des Jahres 2019.
24
b) Ein Anspruch aus § 826 BGB aufgrund des Software-Updates besteht nicht. Die Klagepartei stellt diesbezüglich darauf ab, dass maßgeblich für den Schadensersatzanspruch nicht die Prüfstanderkennung in dem ursprünglich hergestellten Motor sei, sondern vielmehr die Beklagte durch das Aufspielen des Updates eine neue vorsätzliche sittenwidrige Handlung begangen habe, in dem in diesem Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters installiert worden sei. Das Thermofenster ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, VI ZR 433/19). Dies gilt auch dann, wenn die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt hat. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2019, 2164 Rn. 8; NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH ZIP 2020, 1715 Rn. 29; ZIP 2020, 1179 Rn. 15; NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN).
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Danach reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klagepartei nach ihrem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten der Klagepartei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19).
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3. Der Klagepartei steht allerdings der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB trotz Verjährung aufgrund der Regelung des § 852 BGB zu. Der Senat schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des 10. Senats des Oberlandesgerichts Stuttgart im Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, an.
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a) Die Rechtsnatur des § 852 BGB ist umstritten, sie kann vorliegend aber offen bleiben. Vertreten wird, dass es sich bei § 852 BGB um eine „Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung“ (BGH, NJW 1978, 1377, zur Rechtslage vor dem Schuldrechtsmodernisierungsgesetz), einen sonstigen Rechtsbehelf (MükoBGB/Wagner, § 852, Rz. 3) oder eine eigene Anspruchsgrundlage handelt (zum Diskussionsstand siehe Bruns, Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121). Jedenfalls „verlängert“ § 852 BGB einen bestehenden deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein. Der Streitgegenstand dieses „Restschadensersatzanspruches“ entspricht dem des deliktischen Anspruchs, so dass eine Prüfung nur den Vortrag der Klagepartei voraussetzt, die Beklagtenpartei habe aufgrund der deliktischen Handlung etwas erlangt. Die Klagepartei hat unbestritten vorgetragen, dass die Beklagte den vollen Kaufpreis erlangt hat.
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b) Die Vorschrift des § 852 BGB ist auf die vorliegende Konstellation grundsätzlich anwendbar:
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aa) Der Anwendung des § 852 BGB steht nicht entgegen, dass die Klagepartei das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten, sondern über einen Vertragshändler erworben hat. Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Formulierung „auf Kosten“ in § 852 S. 1 BGB (der § 852 Abs. 3 BGB in der bis 31.12.2001 geltenden Fassung entspricht) nicht identisch mit der in § 812 Abs. 1 S. 1 BGB, da es sich nicht um eine Rechtsgrund-, sondern um eine Rechtsfolgenverweisung handelt. Danach behält der Bereicherungsanspruch des § 852 Abs. 3 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt. § 852 S. 1 BGB enthält somit eine Regelung des Umfangs der deliktischen Verschuldenshaftung. Aus der Verwendung der Worte „auf Kosten … erlangt“ kann nicht hergeleitet werden, dass die Voraussetzungen der Bereicherungshaftung den §§ 812 ff. BGB zu entnehmen sind. Würde man das Merkmal „auf Kosten … erlangt“ in § 852 BGB analog der Eingriffskondiktion in § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB zur Bestimmung des Zuweisungsgehalts der rechtlich geschützten Position begreifen und nur unmittelbare Vermögensverschiebungen akzeptieren, würde das den Zweck des § 852 BGB konterkarieren, wonach derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung einen anderen geschädigt und dadurch sein eigenes Vermögen vermehrt hat, nicht im Genuss dieses unrechtmäßig erlangten Vorteils bleiben soll (BGH, Urteil vom 14. 02.1978, X ZR 19/76 Fahrradgepäckträger II). Die Vermögensverschiebung muss sich daher nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen. Der Begriff „auf Kosten (…) erlangt“ stellt in § 852 S. 1 BGB auf die Handlung ab, durch die die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da es eine unerlaubte Handlung war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (BGH aaO).
30
Die Klagepartei hat vorliegend einen Neuwagen bei einem Vertragshändler der Beklagten gekauft. In einem solchen Fall erhält die Beklagte den Kaufpreis oder das wirtschaftliche Äquivalent. Dies geschieht auf Kosten des Endkunden und nicht auf Kosten des Händlers, den in diesem Fall kein Absatzrisiko trifft. Anders ist dies bei Gebrauchtwagenkäufen. Dort vollzieht sich die relevante Vermögensverschiebung auch bei der vom BGH betonten „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ (BGH aaO, Rn 63 bei juris) nicht zwischen Gebrauchtwagenkäufer und Hersteller, sondern bereits im Rahmen des ersten Kaufes zwischen Neuwagenkäufer und Hersteller. Der Gebrauchtwagenkäufer ist zwar Geschädigter im Sinne des § 826 BGB (BGHZ 225, 316 = NJW 2020, 1962), der ihm durch Abschluss des aufgrund falscher Vorstellungen über die Eigenschaften des Fahrzeugs unerwünschten Kaufvertrags entstandene Schaden steht aber außerhalb der durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zugunsten der Beklagten in Gang gesetzten Vermögensverschiebung, auf die im Rahmen des § 852 BGB abzustellen ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, Rz. 42). Ob in Fällen des Leasings, des Re-Imports oder eines Vorführwagens ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB gegen die Beklagte in Frage kommt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
31
bb) Die Anwendung des § 852 S. 1 BGB kann nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Klagepartei durch die dem Anspruch aus § 826 BGB zugrunde liegende deliktische Handlung keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe (so aber OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss gemäß § 522 II ZPO v. 5.1.2021 - 2 U 168/20, BeckRS 2021, 1641). Diese Ansicht stützt sich darauf, dass der Schaden des Fahrzeugkäufers gemäß der Grundsatzentscheidung des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, nicht in einem wirtschaftlichen Minus, sondern in einer ungewollten Verbindlichkeit bestehe. Diese Argumentation überzeugt im Lichte der Rechtsprechung des BGH nicht. Stellt die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit einen Schaden gemäß § 826 BGB dar, so ist kein Grund ersichtlich, dies im Rahmen des § 852 BGB abweichend zu beurteilen. § 852 BGB verlängert den deliktischen Anspruch in die verjährte Zeit hinein, an den Haftungsvoraussetzungen des § 826 BGB ändert die Vorschrift nichts. Die Rechtsfolgen des § 852 BGB sind dem Bereicherungsrecht zu entnehmen, das ebensowenig einen (noch) wirtschaftlichen Schaden beim Geschädigten fordert.
32
cc) Die Anwendung des § 852 BGB ist nicht aufgrund einer teleologischen Reduktion der Vorschrift ausgeschlossen.
33
Die Beklagte beruft sich auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens von Martinek (vorgelegt als „Beilage § 852 BGB“) darauf, dass aufgrund einer teleologischen Reduktion § 852 BGB nur anwendbar sei auf Konstellationen mit besonderem Prozessrisiko; ein solches habe wegen der gerade für diese Fälle geschaffenen Musterfeststellungsklage hier nicht bestanden. Diese Auffassung wird damit begründet, dass im Zusammenhang mit der Schuldrechtsreform die Abschaffung dieser Regelung (§ 852 Abs. 3 BGB aF) erwogen worden sei. Sie sei aber aufrechterhalten worden wegen ihrer zeitlichen Begünstigungsfunktion. Die Besonderheit im vorliegenden Fall liege darin, dass die Musterfeststellungsklage zielgerichtet darauf angelegt worden sei, gerade den Prozesskostenrisiken potenzieller Anspruchsteller und Kläger sowie den Unsicherheiten der Informationslage angesichts der drohenden Verjährung zu begegnen. Das Gesetz sei am 1.11.2018 in Kraft getreten, um einer Verjährung zuvor zu kommen.
34
Im Zusammenhang mit der Reform des Verjährungsrechts durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts wurde die Aufhebung des damaligen § 852 Abs. 3 BGB aF diskutiert, aber letztlich verworfen. In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt (BT-Drs. 14/6040, 270):
„Bedeutung erlangt der deliktische Bereicherungsanspruch beispielsweise in dem Fall, dass der Dieb nach seiner Festnahme behauptet, das Diebesgut „versetzt“ und den Erlös verbraucht zu haben, oder in dem Fall, dass ein Lösegelderpresser behauptet, das Lösegeld auf seiner Flucht „verjubelt“ zu haben. Der Gläubiger kann dann auch nach der Verjährung des Schadensersatzanspruchs innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist für den deliktischen Bereicherungsanspruch entscheiden, ob er den Bekundungen des Täters Glauben schenken oder ihn auf Herausgabe der Bereicherung verklagen möchte. Es hat sich zudem gezeigt, dass die Beibehaltung des Bereicherungsanspruchs bei deliktsähnlichen Verletzungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums erforderlich ist (s. die Erläuterungen zur Änderung des Patent-, Gebrauchsmuster-, Marken-, Halbleiterschutz-, Urheberrechts-, Geschmacksmuster- und Sortenschutzgesetzes). Daher soll der Bereicherungsanspruch auch für die §§ 823 ff. fortbestehen.“
35
Die Argumentation der Beklagten stützt sich darauf, § 852 BGB sei angesichts dieser Gesetzesbegründung zu weit formuliert, da es an einem einschränkenden Tatbestandsmerkmal fehle, das den vom Gesetzgeber bei Aufrechterhaltung der Norm verfolgten Zweck berücksichtige. Da es im Hinblick auf die Musterfeststellungsklage kein Prozesskostenrisiko gegeben habe, das einen Käufer davon hätte abhalten können, bis spätestens 2018 seinen Anspruch zu verfolgen oder zumindest eine Hemmung der Verjährung zu bewirken, müsse die Norm dahingehend teleologisch reduziert werden, dass sie jedenfalls bei Käufern, die sich der Musterfeststellungsklage hätten anschließen können, nicht anwendbar sei.
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Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Sie steht im diametralen Gegensatz zur Intention des Gesetzgebers bei Einführung der Musterfeststellungsklage, deren Ziel es - neben der Effektivierung des gerichtlichen Verfahrens - insbesondere war, dem Verbraucher eine zusätzliche leicht handhabbare und niederschwellige Klagealternative zu bieten, um dem vor allem bei geringen Schäden in der Gesetzesbegründung so bezeichneten „rationalen Desinteresse“ entgegenzuwirken (Gesetzesbegründung zum Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, BT-Drs. 19/2439, S. 1). Keinesfalls hat der Gesetzgeber beabsichtigt, mit der Einführung der Musterfeststellungsklage bestehende Rechte der Verbraucher zu beschränken. Es kann für den Verbraucher gute Gründe geben, den Anspruch per Individualklage zu verfolgen und sich nicht vom Engagement und Verhandlungsgeschick Dritter abhängig zu machen, auf die der Verbraucher keinen Einfluss hat. Hinzu kommt, dass es zwar zutreffend ist, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung des § 852 Abs. 3 BGB aF damit begründete, dass die Regelung in Fällen Bedeutung erlange, in denen im Hinblick auf das Bestehen des Anspruchs oder die Solvenz des Schuldners eine Klage innerhalb der Verjährungsfrist mit Risiken verbunden wäre. Anhaltspunkte dafür, dass diese Begünstigung des Geschädigten nur dann eingreifen soll, wenn ein solches Risiko auch tatsächlich besteht, ergeben sich jedoch weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung.
37
Da somit schon nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Wortlaut zu weit gefasst ist, besteht keinerlei Notwendigkeit für eine teleologische Reduktion der Norm. Es ist der Beklagten unbenommen zu versuchen, durch die Finanzierung von Auftragsgutachten, zweifelhafte Rechtsansichten „wissenschaftlich“ zu untermauern. Es ist allerdings den Gerichten ebenso unbenommen, sich diesen Ansichten nicht anzuschließen.
38
c) Der Klagepartei steht gemäß §§ 826, 852, 812 BGB ein Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.
39
aa) Da § 852 S. 1 BGB eine Rechtsfolgenverweisung auf das Bereicherungsrecht darstellt (vgl. nur BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 15), bewirkt die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs „auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte“ (BGH 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 20). Es findet somit eine doppelte Deckelung statt, zum einen durch den verjährten Schadensersatzanspruch zum anderen durch das erlangte Etwas. Daher ist zunächst die Höhe des verjährten Anspruchs aus § 826 BGB festzustellen und danach, was die Beklagte durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten erlangt hat.
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bb) Die Höhe des Anspruchs aus § 826 BGB ergibt sich aus den Ausführungen unter Ziff. 1. Dabei ist auch der nach Eintritt der Verjährung entstehende Nutzungsvorteil zu berücksichtigen. Denn hätte die Beklagte sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, wären bei der Schadensberechnung die bis zur Rückabwicklung durch Herausgabe des Fahrzeugs gezogenen Nutzungen zu berücksichtigen. Dass die Beklagte sich auf die Einrede der Verjährung berufen hat, kann nicht zur Erhöhung des Anspruchs führen, da die Vorschrift eine Beschränkung des verjährten deliktischen Anspruchs auf das durch den Schädiger Erlangte bewirkt (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 20) und damit keine Erweiterung des Anspruchs zulässt. Der verjährte Schadensersatzanspruch beträgt somit € 15.853,85, Zug um Zug gegen Rückübereignung und Rückgabe des Fahrzeugs cc) Als erlangt in diesem Sinne ist vorliegend der Kaufpreis anzusehen, den die Beklagte aus der Veräußerung des Fahrzeugs erzielt hat.
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Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten, ob im Rahmen des § 852 BGB als „erlangtes Etwas“ der Kaufpreis (so OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021 - 10 U 339/20; OLG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2021 - 14 U 22/20) oder ein eventueller Gewinn (OLG Stuttgart, Urteil vom 10.02.2021 - 9 U 402/20; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2021 - 23 U 143/20) anzusehen ist.
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Richtigerweise ist auf den Kaufpreis abzustellen. Dies ergibt sich dogmatisch aus dem Verweis des § 852 BGB auf die bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Die Verpflichtung des Bereicherungsschuldners besteht darin, das erlangte Etwas, also exakt jenen Vorteil herauszugeben, der ihm zugeflossen ist. Es ist eben gerade nicht - anders als im Schadensersatzrecht - eine vermögensorientierte Differenzhypothese aufzustellen. Einfach ausgedrückt lautet die richtige Frage im Bereicherungsrecht: „Was habe ich bekommen?“. Die Frage „Was hat es mir gebracht?“ stellt sich erst auf der Ebene des Haftungsumfangs nach § 818 BGB (MüKoBGB/Schwab, 8. Auflage 2020, § 812, Rz. 1).
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(1) Sinn und Zweck des § 852 BGB ist, dass der Deliktsschuldner nicht besser stehen sollte als der Empfänger einer Nichtschuld vom Zeitpunkt seiner Bösgläubigkeit an (Staudinger/Hager, § 852, Rz. 1). Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, den deliktischen Schuldner im Hinblick auf die Rechtsfolge gegenüber dem bösgläubigen Nichtschuldner zu privilegieren, indem er dem Deliktsschuldner systemwidrig erlaubte, bereits bei Ermittlung des erlangten Etwas eine Saldierung in Form der Gewinnermittlung vorzunehmen. Dafür finden sich weder in der Gesetzesbegründung noch im Wortlaut der Vorschrift Anhaltspunkte. Ganz im Gegenteil hat sich der Gesetzgeber durch den insoweit eindeutigen Wortlaut entschieden, das Rückabwicklungsregime des Bereicherungsrechts zur Anwendung zu bringen. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, dies anders zu regeln und z.B. hinsichtlich der Rechtsfolgen auf die schadensersatzrechtlichen Vorschriften der §§ 249 BGB zu verweisen. Dies ist jedoch nicht erfolgt, die diesbezügliche gesetzgeberische Entscheidung ist zu respektieren.
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Der gegenteiligen Ansicht, wie sie zum Beispiel vom 9. Senat des OLG Stuttgart im Urteil vom 10.02.2021, 9 U 402/20, vertreten wird, ist nicht zuzustimmen. Wie dargestellt ist ein Abstellen auf die vermögensrechtliche Differenz dem Bereicherungsrecht fremd. Damit fehlt es an jeglicher rechtlichen Grundlage den Restschadensersatzanspruch des § 852 BGB als Gewinnabschöpfungsanspruch zu qualifizieren. Die hierfür vorgebrachte Begründung erschöpft sich in der Aussage, dass sich „im Bereicherungsrecht jede schematische Betrachtungsweise verbietet“ (OLG Stuttgart aaO, Rz. 48). Diese die Gerichte zu jeder beliebigen Lösung legitimierende Aussage ist nur dann gerechtfertigt, wenn andernfalls ein schlechterdings unter keinen Gesichtspunkten zu rechtfertigendes Ergebnis stünde. Das ist aber vorliegend nicht der Fall. Der Restschadensanspruch nach § 852 BGB ist auf die Höhe des ursprünglichen deliktischen Schadensersatzanspruchs begrenzt. Damit steht dem Anspruch des Klägers auf Kaufpreisrückerstattung ein Anspruch der Beklagten sowohl auf Rückgabe des Fahrzeugs als auch auf Nutzungsersatz zu. Unter der Prämisse der korrekten Nutzungsersatzberechnung ist dieser Anspruch mit dem auf Gewinnabschöpfung wirtschaftlich identisch. Er unterscheidet sich nur in der Verteilung des Risikos der Unveräußerlichkeit oder sonstigen Verschlechterung des Fahrzeugs. Dieses Risiko kann angesichts des deliktischen Handeln der Beklagten auferlegt werden, ohne dass sich dadurch eine inakzeptable Lastenverteilung ergeben würde.
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(2) Die Beklagte hat durch das Inverkehrbringen des mit einer manipulierten Software ausgestatteten Fahrzeugs den Kaufpreis oder ein wirtschaftliches Äquivalent z.B. in Form eines Anspruchs gegen den Vertragshändler erlangt. Die genaue Konstruktion der Transaktion zwischen Hersteller und Vertragshändler kann regelmäßig offenbleiben, da es an der Höhe des erlangten Etwas nichts ändert, ob der Beklagten Bargeld, ein auf einer Überweisung basierender Bankanspruch oder eine sonstige Gutschrift zu Gute gekommen ist.
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(3) Auf der Ebene des erlangten Etwas scheidet jegliche Saldierung aus. Es ist eben gerade nicht so, dass bei der Frage des erlangten Etwas bereits Abzugsposten oder Gegenforderungen der Beklagten zu berücksichtigen wären. Dies geschieht erst im Rahmen der Bestimmung des Umfangs der Bereicherung nach § 818 BGB.
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Der Abzug von Herstellungskosten und sonstigen Aufwendungen der Beklagten scheidet aufgrund der von Anfang an bestehenden Bösgläubigkeit der Beklagten aus. Die Beklagte wusste bereits bei Herstellung des Fahrzeugs, dass die Autos mit einer manipulierten Software ausgestattet waren, sie war daher schon bei Herstellung der Fahrzeuge bösgläubig im Sinne des § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB. Aus diesem Grund ist ihr ein Abzug etwaiger Herstellungskosten oder sonstiger Aufwendungen im Rahmen der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB nicht zuzugestehen. Mangels berücksichtigungsfähiger Abzugsposten verbleibt es hinsichtlich des Haftungsumfangs bei der Herausgabe des erlangten Etwas im Sinne des § 812 BGB, mithin der Rückzahlung des Kaufpreises. Eine etwaige Händlermarge wäre grundsätzlich bei der Bestimmung des erlangten „Etwas“ abzuziehen, da die Beklagte in dieser Höhe keinen Vermögenszuwachs zu verzeichnen hat. Dass sie den Kaufpreis nicht in Gänze erhalten hätte, hat die Beklagten nicht konkret unter Bezifferung z.B. einer angefallenen Händlermarge vorgetragen. Im Übrigen schätzt der Senat die Händlermarge dahingehend, dass sie jedenfalls geringer ist als die abzuziehende Nutzungsentschädigung.
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dd) Der Rückzahlungsanspruch ist allerdings durch den ursprünglichen deliktischen Anspruch in der Höhe begrenzt. Bei § 852 BGB handelt es sich um die Verlängerung eines deliktischen Anspruchs in dessen verjährte Zeit hinein. Die Haftung aus § 852 BGB kann somit nicht weitergehen als der dieser Haftung zugrunde liegende deliktische Anspruch. Der Anspruch auf das Erlangte wird daher begrenzt durch den dem Deliktsgläubiger entstandenen Schaden. Bei Austauschgeschäften, die einem deliktischen Anspruch zugrunde liegen, kann danach die Anwendung des § 852 S. 1 BGB dazu führen, dass der Deliktsschuldner nach Eintritt der Verjährung des ursprünglichen deliktischen Anspruchs über § 852 S. 1 BGB im Umfang des verjährten deliktischen Anspruchs weiterhin haftet. Dies entspricht allerdings der Intention des Gesetzgebers, der den Deliktsschuldner hinsichtlich des Umfangs der Haftung (und ursprünglich auch hinsichtlich der Dauer der Haftung, was heute keine Rolle mehr spielt) nicht besserstellen wollte als einen bösgläubigen Bereicherungsschuldner.
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Diesem Verständnis steht die - von den Besonderheiten des Patentrechts geprägte - Entscheidung des BGH vom 26.3.2019 (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496) nicht entgegen. Der BGH hatte sich in dieser Entscheidung mit dem dort geltend gemachten Anspruch auf Herausgabe des erzielten Gewinns zu beschäftigen, da bei Patentverletzungen der ersatzfähige Schaden unter anderem auf der Grundlage des vom Schädiger erzielten Gewinns berechnet werden kann (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 17). Es kam daher nicht darauf an, ob dem Gläubiger auch ein Anspruch auf Herausgabe des Erlangten im Sinn einer Gegenleistung zusteht, weshalb sich der BGH auch nicht mit den Motiven des Gesetzgebers auseinandersetzen musste. Im Übrigen ergibt sich aus dieser Entscheidung, dass es der BGH für möglich hält, dass die Herausgabe des Erlangten nach einer Patentverletzung nicht nur in der Herausgabe eines Gewinns, sondern auch in der Zahlung einer für die Nutzung des Schutzguts angemessenen Lizenzgebühr bestehen kann (BGHZ 221, 342 = GRUR 2019, 496 Rn. 23). Der BGH ging auch in einer weiteren Entscheidung vom 15.1.2015 davon aus, dass § 852 BGB nicht voraussetze, dass der Verletzer einen Gewinn erzielt hat. Vielmehr genüge es, dass er einen Vermögensvorteil in Gestalt eines Gebrauchsvorteils erlangt habe. Mit dem Restschadensersatzanspruch aus § 852 BGB könne daher die Herausgabe des durch die Verletzung eines Schutzrechts erlangten Gebrauchsvorteils im Wege der Zahlung einer fiktiven Lizenzgebühr verlangt werden (BGH NJW 2015, 3165 Rn. 34).
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Die Lizenzgebühr ist die Gegenleistung für die Benutzung des Schutzrechts und kann - abhängig von der Höhe des Aufwandes, der dem Schädiger bei der wirtschaftlichen Verwertung des Patents entsteht - höher sein als der dabei entstehende Gewinn. Der Anspruch aus § 852 BGB kann sich demnach gemäß der Rechtsprechung des BGH auf den durch den deliktischen Vorgang erzielten Gewinn beziehen, aber auch auf eine ersparte Gegenleistung wie eine Lizenzgebühr und muss damit nicht auf den Gewinn beschränkt sein; maßgeblich ist vielmehr das erlangte Etwas. Wenn nach der Rechtsprechung des BGH die Gegenleistung Inhalt des Anspruchs nach § 852 BGB sein kann, dann muss dies auch auf eine deliktisch erlangte Gegenleistung wie hier den von der Beklagten erlangten Kaufpreis gelten.
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Die Beklagte hat den Kaufpreis in Höhe von € 32.189,51 erlangt. Dieser Betrag liegt über dem sich aus § 826 BGB ergebenden und bereits um die gezogenen Nutzungen gekürzten Schadensersatzanspruch einschließlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten, so dass im Ergebnis der verjährte Anspruch aus § 826 BGB den Restschadensersatzanspruch nach § 852 BGB der Höhe nach beschränkt.
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4. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB. Ein Verzug aufgrund der vorgerichtlichen Leistungsaufforderung der Klagepartei trat nicht ein. Die Klagepartei verlangte vorgerichtlich die Zahlung des vollen Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung. Darauf hat sie jedoch - wie dargelegt - keinen Anspruch. Erst mit der Klage wurde ein Nutzungsersatz berücksichtigt. Die Klagepartei hat damit Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit.
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5. Wie beantragt war auch festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet. Mit der Klageschrift hat die Klagepartei die Schadensersatzforderung unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung geltend gemacht und die Rückgabe des Fahrzeuges ordnungsgemäß angeboten. Ein zur Begründung des Annahmeverzugs geeignetes Angebot ist somit gegeben.
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Soweit beantragt wurde, abstellend auf ein vorgerichtliches Forderungsschreiben einen früheren Eintritt des Annahmeverzugs festzustellen, besteht darauf kein Anspruch. Zum einen hat die Klagepartei vorgerichtlich die Zahlung des vollen Kaufpreises ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs gefordert. Weil sie darauf keinen Anspruch hatte, war die Forderung wesentlich überhöht. Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung jedoch aus (vgl. BGH, Urteile vom 20.04.2021 - VI ZR 521/19, juris Rn. 7; vom 23.03.2021 - VI ZR 3/20, juris Rn. 15; vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85; vom 29.06.2021 - VI ZR 130/20, BeckRS 2021, 20057 Rn. 16, beck-online).
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Zum anderen bedarf es ohnehin keines Ausspruchs des Beginns des Annahmeverzugs, weil dieser für die Rechtsfolgen der §§ 756, 765 ZPO ohne Bedeutung ist. Maßgeblich ist, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung Annahmeverzug vorliegt.
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6. Ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht gemäß § 826 BGB. Der Höhe nach waren diese jedoch herabzusetzen.
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Zum Zeitpunkt des vorgerichtlichen Tätigwerdens der Rechtsanwälte wies das streitgegenständliche Fahrzeug eine durch den Senat auf der Grundlage der aktenkundigen Laufleistungen zu verschiedenen Zeitpunkten geschätzte Gesamtlaufleistung von 116.261 km auf. Nach Abzug der dafür anzurechnenden Nutzungsentschädigung errechnet sich ein zutreffender vorgerichtlicher Gegenstandswert in Höhe von 17.219,96 €, woraus sich bei Ansatz einer angemessenen und in jedem Fall ausreichenden 1,3-Gebühr nebst Umsatzsteuer und Auslagenpauschale erforderliche und dementsprechend ersatzfähige vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 1.100,51 € ergeben. Der Ansatz einer 2,5 - Gebühr überzogen. Es handelt sich um ein vorgerichtliches Aufforderungsschreiben, wie es von den Klägervertretern massenhaft gefertigt und jeweils nur geringfügig angepasst wurde.
III.
58
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
59
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO zuzulassen: Insbesondere die Frage, ob und in welcher Höhe nach Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB ein Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB besteht, ist für zahlreiche andere rechtshängige Verfahren relevant und hat grundsätzliche Bedeutung. Sie ist zudem, wie oben ausgeführt, zwischen den Oberlandesgerichten umstritten, so dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.