Titel:
Fahrzeug, Annahmeverzug, Sittenwidrigkeit, Streitwert, Bescheid, Haftung, Beweisaufnahme, Anspruch, Sicherheitsleistung, Autokauf, Rechtsverfolgung, Klage, Verwendung, Voraussetzungen, Kosten des Verfahrens
Schlagworte:
Fahrzeug, Annahmeverzug, Sittenwidrigkeit, Streitwert, Bescheid, Haftung, Beweisaufnahme, Anspruch, Sicherheitsleistung, Autokauf, Rechtsverfolgung, Klage, Verwendung, Voraussetzungen, Kosten des Verfahrens
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 16.08.2021 – 21 U 2293/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 16.05.2022 – VIa ZR 254/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58510
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 22.447,18 Euro festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger macht Ansprüche wegen sittenwidriger Schädigung durch einen Autokauf geltend.
2
Am 23.07.2016 schloss der Kläger mit einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Autohaus in 8... M. einen Kaufvertrag über einen von der Beklagten produzierten Pkw Audi A6 3.0 l zum Preis von 30.600,00 Euro. Das Fahrzeug ist mit der Schadstoffklasse Euro 5 ausgezeichnet. In der Software dieses Fahrzeugs ist ein sogenanntes „Thermofenster“ integriert, das bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate in bestimmten Temperaturbereichen abgeschaltet bzw. reduziert wird und der Ausstoß an Stickoxiden höher ist.
3
Der Kläger sieht sich durch die Verwendung des Thermofensters im streitgegenständlichen Fahrzeug sowie durch unzulässige Abschalteinrichtungen, über die das Fahrzeug nach seiner Darstellung verfügt, in sittenwidriger Weise von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin getäuscht.
4
Der Kläger beantragte zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 30.600 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 10.514,98 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A6 3.0 l mit der Fahrgestellnummer …16 zu zahlen.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 30.04.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
- 3.
-
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.394,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2020 zu zahlen.
5
Die Beklagte beantragte,
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Der Kläger wurde in der öffentlichen Verhandlung vom 12.02.2021 persönlich angehört (Protokoll Bl. 141/143 d.A.).
Entscheidungsgründe
7
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
8
I. Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Ingolstadt ist örtlich zuständig gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
9
II. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer mangels vertraglicher Beziehung zwischen den Parteien allein denkbaren deliktischen Haftung der Beklagten sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen.
10
1. Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu. Nach § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die Klagepartei hat die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs nach § 826 BGB nicht schlüssig vorgetragen.
11
a) Soweit der Kläger das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung - abgesehen vom „Thermofenster“ - behauptet, weist dieser Vortrag nicht die für eine weitere Beweisaufnahme erforderliche Substanz auf. Er rechtfertigt daher nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v.18.06.2019, Az. 3 U 416/19 m.w.N.). Grundsätzlich ist bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Es muss einer Partei möglich sein, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorligen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69, 70). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt für den Einsatz der Manipulationssoftware aus den EA 189 im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeug fehlt.
12
So besteht augenscheinlich der klägerische Vortrag über weite Strecken aus Versatzstücken, die teilweise nicht nur pauschal gehalten, sondern ersichtlich für eine andere Fallkonstellation erstellt worden sind, und zusammengesetzten Schriftsätzen, ohne eine stringente argumentative Verknüpfung ihrer generalisierenden Ausführungen mit gerade dem streitgegenständlichen Fahrzeug herzustellen.
13
Das streitgegenständlichen Fahrzeug ist gerichtsbekannt nicht von einem verbindlichen 64 O 3475/20 - Seite 4 - Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes in Bezug auf sein Emissionsverhalten betroffen. Die Rückrufe können abgerufen werden unter: www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht_betroffener_FzVarianten.html
14
b) Auch der Vorwurf der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einem als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehenden sog. „Thermofenster“ ausgestattet, begründet keinen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte.
15
Dies gilt jedenfalls auch vor dem Hintergrund, dass der EuGH die allgemein bekannt weitverbreiteten und von vielen Automobilherstellern eingesetzten „Thermofenster“ zwischenzeitlich als grundsätzlich unzulässig angesehen hat (EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C-693/18).
16
Denn die Verwendung eines „Thermofensters“ begründet jedenfalls für sich gesehen noch nicht den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung des Klägers.
17
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Die Verletzung einer Rechtsvorschrift reicht - ohne weitergehende besondere Umstände - jedenfalls für sich gesehen grundsätzlich noch nicht aus, um den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung zu begründen. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (so st. Rspr.).
18
aa) Dass die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs unstreitig über ein sog. „Thermofenster“ verfügt, reicht jedenfalls für sich allein gesehen keinesfalls aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (so BGH, Beschluss vom 19.1.2021 - VI ZR 433/19). Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18).
19
Denn Thermofenster sind allgemein anerkannte und von zahlreichen Herstellern eingesetzte technische Einrichtungen. Sie werden branchenweit bei vielen Dieselmotoren zum Motorschutz eingesetzt, um eine Versottung des Motors zu verhindern. Dabei kann dahinstehen ob der Stand der Technik auch andere technische Lösungen ermöglicht hätte. Der Kläger bleibt jeden konkreten Vortrag darüber schuldig, ob technische Alternativen im gleichen Umfang wirtschaftlich sinnvoll gewesen wären. Der Beklagten ist jedenfalls zuzubilligen, bei der Konzeption und Konstruktion ihrer Dieselmotoren auch Wirtschaftlichkeitserwägungen anzustellen. Somit ist ihr als gewerbliche Automobilherstellerin auch zuzugestehen, eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung zu wählen, wenn sich diese nach der zumindest vertretbaren Rechtsauffassung der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt innerhalb der rechtlich zulässigen Grenzen hält.
20
So wird auch die Frage der Zulässigkeit von Thermofenstern in der Motorsteuerungssoftware im Wesentlichen erst seit Bekanntwerden des Abgasskandals auf breiter Front kontrovers diskutiert, wobei das Kraftfahrtbundesamt solche Einrichtungen bislang nicht für grundsätzlich unzulässig gehalten hat:
21
Erstmals im sog. „Untersuchungsbericht Volkswagen“ hat das Kraftfahrtbundesamt Überlegungen zur Zulässigkeit von Steuerungselementen diskutiert, die das Emissionsverhalten in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur setzen. Der „Untersuchungsbericht Volkswagen“ stammt aus dem Jahre 2016, während der hier streitgegenständliche Kaufvertrag bereits 2012 stattfand. Das Kraftfahrtbundesamt hat sich bislang nicht zu einem verbindlichen Rückruf in Bezug auf das Emissionsverhalten aufgrund des sog. „Thermofensters“ veranlasst gesehen.
22
Es ist zwar auch richtig, dass der Standpunkt des Kraftfahrtbundesamtes nicht konstitutiv für die Beantwortung der rechtlichen Zulässigkeit solcher und auch anderer im Rahmen des Abgasskandals in die Diskussion geratener Einrichtungen ist. Auf dieser Grundlage kann aber jedenfalls nicht von Sittenwidrigkeit die Rede sein, wenn ein Automobilhersteller von Möglichkeiten Gebrauch macht, die seitens der zuständigen Behörde ausdrücklich akzeptiert werden. Die Kammer sieht es grundsätzlich auch nicht als sittenwidrig an, wenn ein Unternehmen versucht, etwa gegenüber einer Genehmigungsbehörde die rechtlichen Grenzen auszuloten und gegebenenfalls auch zu seinen Gunsten zu verschieben, solange dies nicht auf der Grundlage eines von vornherein unvertretbaren Ansatzes geschieht. Auch hierzu fehlt es den Klagevortrag bei Weitem an der erforderlichen Substanz.
23
Ein Thermofenster ist jedenfalls - anders als der Kläger offenbar meint - nicht mit einer „temperaturgebundenen Prüfstanderkennung“ gleichzusetzen. Das von der Beklagten in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs verwendete Thermofenster unterscheidet sich grundlegend von der Manipulationssoftware beim Motortyp EA 189 (vgl. BGH Beschluss vom 19.1.2021 - VI ZR 433/19):
24
Die Motorsteuerungssoftware in dem vom sog. „Diesel-Abgasskandal“ betroffenen Motortyp EA 189 war so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (BGH Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19).
25
Bei dem Einsatz eins sog. „Thermofensters“ fehlt es dagegen an einem derartigen arglistigen und damit obektiv sittenwidrigen Vorgehen. Bei der Abgasrückführung unterscheidet das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Die Motorsteuerungssoftware weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (ABl. L 199 vom 28. Juli 2008, S. 1 ff.) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (ABl. L 375 vom 27. Dezember 2006, S. 246 ff.)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand (BGH Beschluss vom 19.1.2021 - VI ZR 433/19).
26
bb) Weitere stichhaltige Umstände, welche die Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagte - über das bloße Verwenden eines Thermofensters hinaus - begründen könnten, wurden vom Kläger weder vorgetragen noch sind diese für das Gericht in sonstiger Hinsicht ersichtlich.
27
2. Auch aufgrund anderer Grundlage hat die Klagepartei keine Ansprüche gegen die Beklagte.
28
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert angesichts der vorstehenden Ausführungen jedenfalls daran, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beklagte die Klagepartei vorsätzlich getäuscht hat (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 18.06.2019, Az.3 U 416/19).
29
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich beim der EG-FGV nicht um ein Schutzgesetz handelt; darüber hinaus liegt aber jedenfalls eine ungültige Übereinstimmungsbescheinigung nicht vor, weil - wie vorstehend ausgeführt - nicht festgestellt ist, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Es liegt insofern insbesondere kein Bescheid des KBA vor.
30
Ein Anspruch aus § 831 BGB scheitert daran, dass das Vorliegen einer unerlaubten Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten nicht dargelegt ist.
31
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 3 ZPO.