Inhalt

OLG München, Endurteil v. 23.11.2021 – 18 U 1136/21
Titel:

Restschadensersatzanspruch nach § 852 S. 1 BGB in einem Diesel-Fall (hier: VW Tiguan)

Normenkette:
BGB § 31, § 195, § 204 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a, § 242, § 818, § 819, § 826, § 852 S. 1
Leitsätze:
1. Zum Anspruch aus § 852 BGB bei verjährten "Diesel-Fällen" vgl. auch BGH BeckRS 2022, 4174; BeckRS 2022, 4153; BeckRS 2022, 4167; BeckRS 2022, 4175; BeckRS 2022, 32683; BeckRS 2022, 30269; BeckRS 2022, 28815; BeckRS 2022, 29965; BeckRS 2022, 32685; BeckRS 2022, 32828; BeckRS 2022, 33226; BeckRS 2022, 33435; BeckRS 2022, 33903; BeckRS 2022, 35506; BeckRS 2022, 37680; BeckRS 2022, 40454 sowie BGH BeckRS 2022, 32458 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25067 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beklagte ist nicht daran gehindert, im Berufungsverfahren erneut die Einrede der Verjährung zu erheben, die sie in erster Instanz fallen gelassen hat, wenn keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die Beklagte auf die Einrede verzichtet haben könnte. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Beim Inverkehrbringen eines Neufahrzeugs kann die Verpflichtung von VW zur Herausgabe des zugeflossenen Verkaufserlöses nicht davon abhängen, ob das Fahrzeug direkt oder über einen Händler an den Endkunden verkauft wurde (anders nachfolgend BGH BeckRS 2022, 29965). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist VW ein Vermögensvorteil zugeflossen, der den Schaden, dessen Ersatz der Käufer nach § 826 BGB beanspruchen kann, übersteigt, kann der Käufer seinen gesamten Schaden als Restschadensersatz nach § 852 S. 1 BGB geltend machen (anders BGH BeckRS 2022, 37680). (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 189, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, fallen gelassene Einrede der Verjährung, Neuwagen, Restschadensersatzanspruch, Händlereinkaufspreis, Vergleichsbetrachtung, Vertragshändler
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 27.01.2021 – 8 O 3285/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 26.09.2022 – VIa ZR 663/21
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58425

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 27.01.2021, Az. 8 O 3285/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger, der am 17.06.2011 bei einem Vertragshändler der Beklagten einen vom sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffenen Pkw VW Tiguan mit einem Motor der Baureihe EA 189 als Neufahrzeug erworben hat, nimmt die Beklagte als dessen Herstellerin auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises nebst Inspektionskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung und damit in Höhe von 25.413,40 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs in Anspruch. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befindet, und verlangt die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.335,04 €. Die Beklagte hat in erster Instanz zunächst die Einrede der Verjährung erhoben, diese allerdings in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 20.01.2021 fallen gelassen (Bl. 86 d.A.).
2
Hinsichtlich der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 27.01.2021 (Bl. 90/92 d.A.) Bezug genommen.
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Ergänzend trifft der Senat folgende Feststellungen:
4
Eine Anmeldung zur Musterfeststellungsklage beim Oberlandesgericht Braunschweig, Az. 4 MK 1/18, ist durch die Ehefrau des Klägers erfolgt (Anlage K 2). Von der Betroffenheit des Fahrzeugs vom sog. Diesel-Skandal erhielt der Kläger mit Schreiben der Beklagten im Februar 2016 Kenntnis, die Aufforderung zur Vornahme des Software-Updates erfolgte im Oktober 2016. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung vor dem Senat belief sich der Kilometerstand des Fahrzeugs auf 66.900.
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Das Landgericht hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben und diese nur hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Zinsen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger ein Anspruch gegen die Beklagte jedenfalls aus §§ 826, 31 BGB zustehe. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung seien erfüllt. Der Kläger könne daher Ersatz der von ihm aufgewendeten Erwerbskosten in Höhe von 34.782,27 € verlangen. Dabei müsse er sich allerdings im Rahmen des Vorteilsausgleichs - auf Grundlage einer zu schätzenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km und gefahrenen Kilometern von 63.318 - eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.809,38 € anrechnen lassen. Auch wenn sich danach ein zuzusprechender Betrag von 25.972,26 € errechne, könne wegen der Bindung an die gestellten Anträge nur ein Betrag von 25.413,40 € zugesprochen werden. Zinsen könne der Kläger erst ab Rechtshängigkeit verlangen, §§ 291, 288 BGB. Die Beklagte befinde sich mit Blick auf das vorgerichtliche Schreiben vom 25.07.2020 (Anlage K 3) in Annahmeverzug. Der erstattungsfähige Schaden des Klägers umfasse auch die Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit seines anwaltlichen Vertreters in Höhe der geltend gemachten 1.335,04 €.
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Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 92/97 d.A.) Bezug genommen.
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Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt. Sie erhebt erneut die Einrede der Verjährung und verweist darauf, dass in dem Fallenlassen der Verjährungseinrede grundsätzlich kein Verzicht zu sehen sei und einer Wiedererhebung der Einrede nichts im Wege stehe. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger bereits im Jahr 2015 aufgrund der Medienberichterstattung und der Informationen der Beklagten Kenntnis von der EA189-Thematik und der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs erhalten habe. Spätestens sei dies im Februar 2016 durch das Kundenanschreiben der Beklagten und ihrer Tochtergesellschaften erfolgt, so dass Verjährung spätestens mit Ablauf des Jahres 2019 eingetreten sei. Ungeachtet dessen habe jedenfalls wegen grob fahrlässiger Unkenntnis des Klägers von den anspruchsbegründenden Umständen im Jahr 2015 bzw. spätestens 2016 die Verjährung zu laufen begonnen. Die Erhebung einer schlüssigen Klage sei ab dem Jahr 2015 problemlos möglich und zumutbar gewesen.
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Ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB stehe dem Kläger nicht zu, weil er keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe. Zudem scheide ein solcher Anspruch aus, weil der Kläger die Möglichkeit nicht genutzt habe, sich als Verbraucher der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) anzuschließen. Der Anwendungsbereich des § 852 BGB sei teleologisch auf diejenigen Fälle zu reduzieren, in denen sich der Verletzte besonderen Prozessrisiken ausgesetzt sehe. Derartige Risiken hätten für die Anschlussberechtigten der Musterfeststellungsklage zum Verjährungszeitpunkt nicht mehr bestanden. Sinn und Zweck des § 852 Satz 1 BGB sei es, deliktischen Schadensersatzgläubigern bei unklaren Prozessaussichten auch nach Ablauf der Verjährungsfrist noch einen teilweisen Schadensausgleich zu ermöglichen. Dieser Zweck finde im Wortlaut der Norm keinen Ausdruck, weshalb die Vorschrift durch ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einzuschränken sei. Demnach finde die Norm keine Anwendung auf Fälle, in denen der Verletzte vor Verjährungseintritt keinem besonderen Prozessrisiko ausgesetzt gewesen sei. Ein Anspruch aus § 852 Satz 1 komme ferner nicht in Betracht, wenn die Beklagte nichts auf Kosten der Anspruchsteller erlangt habe, wie beim Gebrauchtwagenkauf, Re-Importen, Leasingfahrzeugen oder Vorführfahrzeugen.
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Vorsorglich beruft sich die Beklagte darauf, dass bei der Bemessung des erlangten Etwas eine vermögensorientierte Betrachtung anzulegen wäre mit der Folge, dass nicht auf den Kaufpreis, sondern den von der Beklagten erzielten Nettogewinn abzustellen wäre. Das Vermögen der Beklagten sei nur insoweit gewachsen, als sie einen Gewinn nach Abzug ihrer Kosten erzielt habe. Dementsprechend habe die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit ihrem Bußgeldbescheid vom Juni 2018 bei der Beklagten einen Gewinn von 995 Mio. € abgeschöpft, wobei sie als Anknüpfungspunkt für die Gewinnermittlung die Kosten für die Umrüstung der betroffenen Fahrzeuge gewählt habe. Bei 10,7 Mio. betroffenen Fahrzeugen entfielen auf das einzelne Fahrzeug rund 93 €; dieser Betrag sei auch im vorliegenden Fall anzusetzen.
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Sofern man einen Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB dem Grunde nach annehmen wollte, seien diverse bereicherungsrechtliche Abzugsposten in Ansatz zu bringen, die den Anspruch „auf Null“ reduzierten. Dies betreffe namentlich solche Kosten, die bei der Beklagten für die Entfernung der „Umschaltlogik“ und die „Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit“ angefallen seien, einschließlich der dazugehörigen Information der Öffentlichkeit. Insoweit könne sich die Beklagte auf den Entreicherungseinwand nach § 818 Abs. 3 BGB berufen; dem stünden die Regelungen zur Bösgläubigkeit in § 819 Abs. 1, § 818 Abs. 4 BGB nicht entgegen. Darüber hinaus müsse eine Gewinnabschöpfung nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgen.
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Im Übrigen seien die Feststellungen des Landgerichts zur Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten rechtsfehlerhaft, da der Kläger von der Beklagten die Zahlung eines deutlich überhöhten Betrags verlangt und damit kein zur Begründung des Annahmeverzugs geeignetes Angebot abgegeben habe.
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Die Beklagte beantragt,
das am 27.01.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Traunstein, 8 O 3285/20, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet eine Verjährung seiner Ansprüche. Die Beklagte habe die Einrede der Verjährung in erster Instanz fallen gelassen und sei daher mit der nunmehr erhobenen Einrede im Berufungsverfahren präkludiert, was ausdrücklich gerügt werde. Auch stelle die Erhebung der Einrede eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar.
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Selbst wenn ein Anspruch des Klägers nach § 826 BGB verjährt wäre, verbleibe es aufgrund des klägerischen Restschadensersatzanspruchs aus § 852 BGB bei dem erstinstanzlichen Urteil. Der Kläger sei bezogen auf das von der Beklagten in Verkehr gebrachte Fahrzeug durch den täuschungsbasierten Vertragsschluss zur Zahlung des Kaufpreises letztendlich auch an die Beklagte veranlasst worden, deren Vermögen entsprechend auf Kosten des Klägers vermehrt worden sei. Für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs des § 852 BGB auf Fälle eines „bosonderen Prozesskostenrisikos wegen ungewisser Informationslage“ bestehe kein Anlass. Auch sei es abwegig, einen von der Staatsanwaltschaft abgeschöpften Betrag als Gewinnentzug anzusetzen. Der Kläger habe für das Fahrzeug einen Kaufpreis von 34.782,27 € gezahlt, von dem die Beklagte als Herstellerin von ihrem Markenhändler zumindest 28.000 € erhalten habe.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 01.03.2021 (Bl. 111/146 d.A.), die Berufungserwiderung des Klägers 14.04.2021 (Bl. 155/158 d.A.) und das Protokoll vom 07.09.2021 (Bl. 171/173 d.A.) Bezug genommen.
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Mit Ladungsverfügung vom 02.08.2021 (Bl. 160/162 d.A.) hatte der Vorsitzende rechtliche Hinweise erteilt. Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.08.2021 (Bl. 167/170 d.A.) ergänzend ausgeführt und insbesondere unter Verweis auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart ihre Auffassung bekräftigt, dass bei der Bemessung des erlangten Etwas im Rahmen des § 852 BGB nicht der Kaufpreis, sondern der bei der Beklagten erzielte Nettogewinn zugrunde zu legen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die vorgenannte Ladungsverfügung vom 02.08.2021 und den Schriftsatz der Beklagten vom 30.08.2021 Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
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Die Beklagte war zwar nicht gehindert, in der Berufungsinstanz die Einrede der Verjährung erneut zu erheben, so dass der vom Landgericht zutreffend bejahte Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB mit Ablauf des Jahres 2019 als verjährt anzusehen ist. Der Kläger kann den ihm zustehenden Schadensersatzanspruch aber gemäß § 852 Satz 1 BGB weiterhin in voller Höhe geltend machen.
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1. Die Beklagte haftet dem Kläger dem Grunde nach wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz (§§ 826, 31 BGB). Auf die zutreffenden Feststellungen des Landgerichts, die im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316) und die auch von der Beklagten mit der Berufung nicht angegriffen werden, wird vollumfänglich Bezug genommen.
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2. Der Schaden des Klägers liegt nach der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Belastung mit dem in Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht abgeschlossenen Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw (vgl. BGH a.a.O., Rn. 44 ff). Der Kläger kann deshalb Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs verlangen.
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Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung legt der Senat in ständiger Rechtsprechung mangels besonderer Umstände - die im vorliegenden Fall nicht ersichtlich sind - bei einem Dieselfahrzeug mit einem Motor EA 189 eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde. Der Kläger hat das Fahrzeug als Neufahrzeug erworben. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat belief sich der Kilometerstand unstreitig auf 66.900 (vgl. Protokoll vom 07.09.2021, S. 2; Bl. 172 d.A.).
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Setzt man die vom Kläger gefahrenen 66.900 km zur voraussichtlichen Gesamt-/Restlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km ins Verhältnis und multipliziert das Ergebnis mit dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis von 34.782,27 €, so errechnet sich die angemessene Nutzungsentschädigung mit 9.307,74 €. Der erstattungsfähige Schaden des Klägers beträgt folglich 25.474,53 €. Insoweit hat aber bereits das Landgericht zutreffend darauf verwiesen, dass nur der vom Kläger beantragte Betrag von 25.413,40 € zugesprochen werden kann (§ 308 ZPO).
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Der erstattungsfähige Schaden des Klägers umfasst außerdem die Kosten für die vorgerichtliche Tätigkeit seines anwaltlichen Vertreters in Höhe von 1.335,04 € (Anlage K 8), die das Landgericht ebenfalls zugesprochen hat.
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3. Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB ist allerdings verjährt.
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a) Die Beklagte war nicht daran gehindert, im Berufungsverfahren erneut die Einrede der Verjährung zu erheben, die sie in erster Instanz fallen gelassen hatte (Protokoll vom 20.01.2021, S. 2; Bl. 86 d.A.).
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Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auf die Einrede verzichtet haben könnte, sind nicht ersichtlich; an einen Verzichtswillen sind stets strenge Anforderungen zu stellen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung führt das Fallenlassen einer Einrede regelmäßig (nur) dazu, dass die Rechtslage vor deren Erhebung wiederhergestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1956 - III ZR 212/55, BGHZ 22, 267, juris Rn. 13). Hiervon ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte auch im konkreten Fall auszugehen. Allein die erneute Erhebung der Einrede begründet einen Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht.
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Die Erhebung der Verjährungseinrede ist auch nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert, da die den Verjährungseintritt begründenden Tatsachen unstreitig sind (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 531 Rn. 20 m.w.N.).
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b) Der Kläger hat nach seinen Angaben und den Angaben seines Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2021 über die Medien im Herbst 2015 vom sog. Dieselskandal und im Februar bzw. Oktober 2016 auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs Kenntnis erlangt. Damit waren dem Kläger jedenfalls im Jahr 2016 alle Umstände bekannt, die einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin aus § 826 BGB begründeten (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Dass eine Klageerhebung mit diesem Kenntnisstand auch zumutbar war, hat der Bundesgerichtshof - sogar bezogen auf das Jahr 2015 - ausdrücklich festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20, Rn. 20 ff.).
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Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) begann deshalb mit dem Schluss des Jahres 2016 zu laufen und endete mit Ablauf des 31.12.2019. Die am 07.12.2020 beim Landgericht Traunstein eingereichte Klage konnte die bereits eingetretene Verjährung nicht mehr hemmen (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Gleiches gilt für die von der Ehefrau des Klägers im eigenen Namen vorgenommene Anmeldung zur Musterfeststellungsklage (Anlage K 2); eine Anmeldung der dem Kläger zustehenden Ansprüche zur Musterfeststellungsklage ist nicht erfolgt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB).
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4. Der Kläger kann den ihm zustehenden Schadensersatzanspruch aber gemäß § 852 Satz 1 BGB trotz eingetretener Verjährung weiterhin in voller Höhe gegen die Beklagte geltend machen, weil dieser infolge der unerlaubten Handlung zum Nachteil des Klägers ein Vermögensvorteil zugeflossen ist, der bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung dem Schaden des Klägers korrespondiert und ihn wertmäßig sogar übersteigt.
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a) Gemäß § 852 Satz 1 BGB ist der ersatzpflichtige Schädiger, wenn er durch die unerlaubte Handlung etwas auf Kosten des Verletzten erlangt hat, auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus der unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe des Erlangten nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung behält der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch. Er trägt den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen; er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 61 m.w.N.; die Entscheidung erging noch zu § 852 Abs. 3 BGB in der bis einschließlich 31.12.2001 geltenden Fassung). Damit enthält die Vorschrift nach herrschender Meinung eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften der §§ 818 ff. BGB (vgl. Staudinger/Vieweg, 2015, § 852 Rn. 17; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 852, Rn. 6; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 852 Rn. 2).
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b) Entgegen der Ansicht der Beklagten scheidet die Anwendung von § 852 Satz 1 BGB im vorliegenden Fall nicht bereits deshalb aus, weil dem Kläger lediglich ein „normativer“, aber kein „wirtschaftlicher“ Schaden entstanden sei.
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a) Die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen einem „normativen“ und einem „wirtschaftlichen“ Schaden findet in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze: Im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verbindlichkeit wieder befreien können. Eine solche Verbindlichkeit stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar; insoweit bewirkt die Vorschrift einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962, Rn. 47 m.w.N.).
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b) Vor allem aber widerspricht die Ansicht der Beklagten dem Charakter des § 852 BGB als Modifizierung des verjährten Schadensersatzanspruchs hinsichtlich seines Umfangs durch eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften der §§ 818 ff. BGB. Die Frage, ob und in welchem Umfang dem Geschädigten ein erstattungsfähiger Schaden entstanden ist, bestimmt sich ausschließlich nach den tatbestandlichen Voraussetzungen des verjährten Schadensersatzanspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 61 m.w.N.). Erst wenn feststeht, was der Geschädigte nach Deliktsrecht hätte beanspruchen können, ist in einem zweiten Schritt anhand der §§ 818 ff. BGB zu ermitteln, welchen Umfang die vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erlangte Bereicherung hat (Mar. : Die Abwicklung des Dieselskandals über
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§ 852 Satz 1 BGB - Rettungsanker oder Rohrkrepierer? (Teil 1), JM 2021, 9, 10).
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c) Ebenso wenig scheidet die Anwendung von § 852 Satz 1 BGB im vorliegenden Fall deshalb aus, weil der Kläger nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hatte, sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) anzuschließen.
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Die Beklagte vertritt die Ansicht, der Anwendungsbereich von § 852 Satz 1 BGB sei im Wege teleologischer Reduktion auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen sich der Verletzte besonderen Prozessrisiken wegen unklarer Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruchs ausgesetzt sehe. Kläger, die sich der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte hätten anschließen können, habe aber kein besonderes Prozessrisiko getroffen, weshalb sie auch keiner über die Regelverjährungsfrist hinausgehenden „zusätzlichen Bedenkzeit“ bedurft hätten.
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Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die von der Beklagten angenommene ratio legis des § 852 Satz 1 BGB steht nicht im Einklang mit den Motiven des historischen Gesetzgebers und der Interpretation der Vorschrift durch den Bundesgerichtshof (ablehnend auch Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123).
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a) Für ihre Behauptung, Sinn und Zweck des § 852 Satz 1 BGB sei es, deliktischen Schadensersatzgläubigern bei unklaren Prozessaussichten auch nach Ablauf der Verjährungsfrist noch einen teilweisen Schadensausgleich zu ermöglichen, bleibt die Beklagte eine überzeugende Begründung schuldig.
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In dem im Auftrag der Beklagten erstellten Rechtsgutachten mit dem Titel „Bedeutung und Anwendung des sogenannten Restschadensanspruchs nach § 852 BGB in den VW-Abgasfällen“ von Prof. em. Dr. iur. Dr. rer. pol. Dr. h.c. mult. Mar. vom 22.10.2020 (im Folgenden: „Mar.-Gutachten“, beklagtenseits in zweiter Instanz vorgelegt als „Beilage § 852“) wird die ratio legis der Vorschrift nach den Motiven zutreffend in der Abschöpfung einer Bereicherung des Schädigers gesehen: „Derjenige, welcher ein Delikt begangen hat, bleibt auch nach der Vollendung der … Verjährung insoweit verhaftet, als er aus dem Vermögen des Beschädigten bereichert ist“ (Mot., Bd. II, 1988, zu §§ 719, 720 des 1. Entwurfs, S. 743, zit. nach Mar. -Gutachten, S. 20 m. Fußnote 9). In Übereinstimmung mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers hat der Bundesgerichtshof in seinem bereits zitierten Urteil vom 14.02.1978 (Az.: X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86) den mit der Vorschrift verfolgten Zweck dahin umschrieben, dass derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung einen anderen geschädigt und dadurch sein eigenes Vermögen gemehrt hat, nicht im Genuss dieses unrechtmäßig erlangten Vorteils verbleiben soll (a.a.O., Rn. 62 m.w.N.).
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Im Mar. Gutachten wird in Anlehnung an Überlegungen von Gerhard Wa. und Ernst von Ca. darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 852 Satz 1 BGB es dem Geschädigten erlaube, den Eintritt der kurzen schadensersatzrechtlichen Verjährungsfrist sehenden Auges verstreichen zu lassen, um sich danach auf die Gewinnabschöpfung zu konzentrieren (a.a.O., S. 22; vgl. hierzu auch MüKo-Wagner, 8. Aufl., § 852 Rn. 4). Diese - von Mar. so genannte - „zeitliche Begünstigungsfunktion“ stellt sich aber nur als Nebenfolge des mit der Vorschrift verfolgten Zwecks dar, auch über den Eintritt der Verjährung des Schadensersatzanspruchs hinaus beim Schädiger den durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten erlangten Vermögensvorteil abzuschöpfen. Die von der Beklagten befürwortete teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf diejenigen Fälle, in denen das Verhalten des Geschädigten, seinen primären Schadensersatzanspruch verjähren zu lassen, wegen eines zunächst bestehenden besonderen Prozessrisikos nachvollziehbar erscheint, liefe letztlich darauf hinaus, diese Nebenfolge zum eigentlichen Normzweck des § 852 BGB zu erheben.
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b) Unabhängig davon fehlt es an der für die teleologische Reduktion einer Norm erforderlichen planwidrigen Überdehnung ihres Anwendungsbereichs.
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Die Beklagte will ihre Neuinterpretation der ratio legis des § 852 Satz 1 BGB darauf stützen, dass der Aspekt, dem Geschädigten eine zusätzliche „Bedenkzeit“ für die Geltendmachung seiner Ansprüche einzuräumen, für den Gesetzgeber des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes erklärtermaßen ein wichtiger Grund für die Beibehaltung der bisherigen gesetzlichen Regelung gewesen ist (vgl. Mar. -Gutachten, S. 22 mit Fußnote 13). Entscheidend ist jedoch, dass der Gesetzgeber die Vorschrift des § 852 Abs. 3 BGB a.F. in Kenntnis ihrer Interpretation durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nahezu unverändert in das neue Schuldrecht übernommen hat, obwohl in der Reformdebatte für eine ersatzlose Streichung der Norm plädiert worden war. Damit fehlt ein belastbarer Anhaltspunkt dafür, dass die Vorschrift im Hinblick auf das mit ihr verfolgte gesetzgeberische Ziel planwidrig zu weit gefasst sein könnte.
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c) Gegen eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 852 Satz 1 BGB im Wege teleologischer Reduktion spricht schließlich auch, dass das von Martinek postulierte „ungeschriebene Erfordernis eines besonderen Prozesskostenrisikos bei ungewisser Informationslage für den Geschädigten“ (vgl. Mar. -Gutachten, S. 28 ff.) derart unbestimmt und von Wertungen abhängig ist, dass eine dem Gebot der Rechtssicherheit als Unterfall des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) genügende Konkretisierung der in Frage kommenden Fallgruppen kaum möglich erscheint.
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d) Unvertretbar erscheint es jedenfalls, das postulierte ungeschriebene Erfordernis eines „besonderen Prozesskostenrisikos bei ungewisser Informationslage“ allein deshalb zu verneinen, weil der Geschädigte sich einer Musterfeststellungsklage anschließen kann.
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Die Musterfeststellungsklage wurde geschaffen, um die Durchsetzung individueller Schadensersatzansprüche von Verbrauchern in Rechtsstreitigkeiten mit Massencharakter zu erleichtern. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber damit zugleich die Rechtslage für Verbraucher, die sich einer solchen Klage nicht anschließen, verschlechtern wollte, sind nicht ersichtlich. Für seine These, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage „bewusst und zielgerichtet für die VW-Abgasfälle in das Regelungsprogramm des § 852 S(atz) 1 BGB hineinregiert“ habe, um den Betroffenen durch eine Verjährungshemmung und durch eine kostengünstige sowie risikoarme Verfolgung ihrer Ersatzansprüche, vor allem durch eine Minimierung des Prozesskostenrisikos, zu helfen (Mar. -Gutachten, S. 31), bleibt Mar.einen Beleg schuldig.
d) „Auf Kosten des Klägers erlangt“ im Sinne von § 852 Satz 1 BGB hat die Beklagte das Entgelt, das ihr aus dem Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Firma E. S. GmbH & Co. KG in H., von der wiederum der Kläger das Fahrzeug gekauft hat, zugeflossen ist. Beim Inverkehrbringen eines Neufahrzeugs kann die Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe des ihr zugeflossenen Verkaufserlöses nicht davon abhängen, ob sie das Fahrzeug direkt oder über einen Händler an den Endkunden verkauft hat.
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a) § 852 Satz 1 BGB setzt ähnlich dem bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. BGB voraus, dass der Schädiger einen Vermögensvorteil auf Kosten des Verletzten erlangt hat (vgl. Staudinger/Vieweg, 2015, § 852 BGB Rn. 9). Die Vermögensverschiebung muss sich aber nicht unmittelbar zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten vollziehen (BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 - Fahrradgepäckträger II, BGHZ 71, 86, juris Rn. 62). Die Forderung nach ihrer Unmittelbarkeit könnte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs vielmehr dazu führen, dass der Geschädigte in vielen Fällen den Vorteilsausgleich nicht mehr erlangen könnte. Vielmehr stellt das Tatbestandsmerkmal „auf Kosten … erlangt“ in § 852 Satz 1 BGB auf diejenige Handlung ab, durch welche die Vermögensverschiebung bewirkt worden ist. Da diese Handlung eine unerlaubte war, kommt es nicht darauf an, auf welchem Wege sich die dadurch veranlasste Vermögensverschiebung vollzogen hat (vgl. BGH a.a.O.).
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(1) Der Schaden des Klägers ist zwar erst mit dem Kauf des Fahrzeugs eingetreten, die der Beklagten zur Last liegende schädigende Handlung ist aber in der Erschleichung der Typgenehmigung für diesen Fahrzeugtyp durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und dem anschließenden Inverkehrbringen der bemakelten Fahrzeuge unter gezielter Ausnutzung der Arglosigkeit und des Vertrauens der Fahrzeugkäufer zu sehen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316, Leitsatz 1). Mit dem Verkauf des streitgegenständlichen Pkw an die Firma E. S. hat die Beklagte arglistig ein bemakeltes Fahrzeug in Verkehr gebracht und in der Erwartung gehandelt, dass diese als gewerbliche Kfz-Händlerin das Fahrzeug alsbald an einen arglosen Kunden weiterverkauft.
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Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise korrespondiert der Erlös, den die Beklagte aus dem Verkauf des streitgegenständlichen Pkw an die Firma E. S. erzielt hat, einem Teil des vom Kläger für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises, in dem sich wiederum der Schaden verkörpert, der dem Kläger durch den Abschluss des „ungewollten“ - nämlich in Kenntnis der Bemakelung des Fahrzeugs nicht geschlossenen - Kaufvertrags entstanden ist. Da § 852 Satz 1 BGB keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen Geschädigtem und Schädiger voraussetzt, kann die Beklagte nicht einwenden, dass ihr der Verkaufserlös ggf. bereits zeitlich vor dem Abschluss des Kaufvertrags zwischen dem Kläger und der Firma E. S. zugeflossen war. Auf die konkrete Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Fahrzeughersteller und Händler kommt es nicht an (im Ergebnis ebenso Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123 f., 1126).
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(2) Teilweise wird zwar die Ansicht vertreten, dass im Falle der Veräußerung eines bemakelten Fahrzeugs durch den Hersteller an einen Händler ausschließlich letzterem der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB zustehe (vgl. Riehm: Der deliktische Herausgabeanspruch in „Diesel-Fällen“, NJW 2021, 1625, 1631, Rn. 30). In der Sache wird mit dieser Beschränkung des Anspruchs auf den Vertragspartner des Schädigers aber das von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich abgelehnte Erfordernis einer unmittelbaren Vermögensverschiebung zwischen Geschädigtem und Schädiger wieder eingeführt.
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(3) Unabhängig davon ist für eine Beschränkung des Anspruchs auf den Händler auch keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich. Dem gutgläubigen Händler, der ein bemakeltes Fahrzeug an einen Kunden weiterverkauft hat, wird ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte im Regelfall ohnehin nicht zustehen, weil er bereits vor Verjährung seines eigenen Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB gegen die Beklagte von seinem Kunden nicht mehr in Anspruch genommen werden kann und deshalb keinen Schaden erlitten hat. Der Restschadensersatzanspruch entsteht mit der Verjährung des primären deliktischen Schadensersatzanspruchs. Dieser verjährt in drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Geschädigte Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Der gutgläubige Händler haftet seinem Kunden dagegen nur innerhalb der zweijährigen Gewährleistungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB ab der Ablieferung des Fahrzeugs.
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b) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist bei der Bestimmung des Erlangten im Sinne von § 852 Satz 1 BGB auf den ihr zugeflossenen Kaufpreis für den streitgegenständlichen Pkw, nicht auf den von ihr erzielten Nettogewinn abzustellen. Erst recht verbietet es sich, den erlangten Vermögensvorteil danach zu bemessen, welcher finanzielle Aufwand zur Umrüstung des einzelnen, mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs erforderlich ist, weil sich in diesen Kosten in Höhe von rund 93 € der von der Beklagten durch den Einsatz der unzulässigen „Umschaltlogik“ erzielte Gewinn verkörpere.
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(1) Gegenstand der Abschöpfung ist der Vermögensvorteil, den der Schädiger infolge der unerlaubten Handlung erlangt hat. Bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten ist dies zwar regelmäßig der Verletzergewinn (vgl. Riehm: Der deliktische Herausgabeanspruch in „Diesel-Fällen“, NJW 2021, 1625, 1628 f. m.w.N.). Dies beruht jedoch auf den Besonderheiten des zugrunde liegenden deliktischen Schadensersatzanspruchs, so dass den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betreffend Patentverletzungen (vgl. BGH, Urteil vom 29.05.1962 - I ZR 132/60, NJW 1962, 1507; BGH, Urteil vom 26.03.2019 - X ZR 109/16, GRUR 2019, 496) für den Streitfall nichts weiter entnommen werden kann. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte infolge des Inverkehrbringens des bemakelten streitgegenständlichen Pkws das Entgelt aus ihrem Rechtsgeschäft mit der Firma E. S. erlangt (im Ergebnis ebenso Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121, 1123).
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(2) Eine Gleichsetzung des herauszugebenden Vermögensvorteils mit dem Nettogewinn des Herstellers ist in den „Diesel-Fällen“ schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil dem Kläger ein Restschadensanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB - wie aus § 826 BGB - nur Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Pkw an die Beklagte zusteht (vgl. Bruns a.a.O., S. 1124). In dem Fahrzeug sind wertmäßig sämtliche Aufwendungen der Beklagten zu dessen Herstellung verkörpert; sie können deshalb bei der Ermittlung des erlangten Vermögensvorteils nicht noch einmal in Abzug gebracht werden. Den infolge bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Fahrzeugs eingetretenen Wertverlust hat die Beklagte zu tragen, weil der Kläger verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob er den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht geschlossen hätte. Aus diesem Grunde hat der Bundesgerichtshof auch eine lineare Berechnung der Nutzungsentschädigung anhand der gefahrenen Kilometer gebilligt, obwohl diese Berechnung dem realen Wertverlust des Fahrzeugs nicht Rechnung trägt.
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c) Die Kosten für die Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) kann die Beklagte nicht in Abzug bringen, weil sie gemäß §§ 819, 818 Abs. 4 BGB wegen ihres arglistigen Handelns verschärft haftet und sich deshalb auf einen Wegfall ihrer Bereicherung im Sinne von § 818 Abs. 3 BGB nicht berufen kann. Nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers soll der Deliktsschuldner nicht günstiger gestellt werden, als der „Empfänger einer Nichtschuld“ vom Zeitpunkt seiner Bösgläubigkeit an (Bruns: Schadensersatz für Dieselkunden nach Ablauf der Regelverjährung, NJW 2021, 1121; Staudinger-Vieweg, 2015, § 852 BGB Rn. 1, jeweils unter Verweis auf Mot. II, S. 743).
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Die Beklagte räumt selbst ein, dass der Bundesgerichtshof den Ausschluss des § 818 Abs. 3 BGB beim bösgläubigen Schuldner „regelmäßig“ für angezeigt hält. Das Urteil vom 21.03.1996 - III ZR 245/94, BGHZ 132, 198, mit dem sie die Zulässigkeit des Entreicherungseinwands begründen will, betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Der damaligen Beklagten lag anders als der Beklagten kein arglistiges Verhalten zur Last. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof eine verschärfte Haftung der damaligen Beklagten ab Rechtshängigkeit nur wegen der Besonderheiten des Falles abgelehnt: Die verklagte Bereicherungsschuldnerin war aufgrund gesetzlicher Vorgaben gezwungen, sich weiterhin so zu verhalten, wie sie sich vor Klageerhebung verhalten hatte (vgl. BGH a.a.O., S. 213).
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e) Die Höhe des Erlöses, den die Beklagte aus der Veräußerung des streitgegenständlichen Pkws an die Firma E. S. erzielt hat, ist nicht bekannt. Der Kläger hat diesbezüglich jedoch vorgetragen, dass die Beklagte als Herstellerin von dem seinerseits an den Händler gezahlten Kaufpreis in Höhe von 34.782,27 € zumindest einen Betrag von 28.000 € erhalten habe. Die Beklagte hat dies nicht bestritten, geschweige denn, dass sie der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast zu den zwischen ihr und dem Händler getroffenen Vereinbarungen nachgekommen wäre (s. auch Hinweis in der Ladungsverfügung vom 02.08.2021, Bl. 161/162 d.A.). Der Vortrag des Klägers, dass die Beklagte von dem gezahlten Kaufpreis jedenfalls einen Betrag von 28.000 € erlangt habe, ist damit als zugestanden anzusehen (§ 138 Abs. 3 ZPO).
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Damit ist der Beklagten ein Vermögensvorteil zugeflossen, der den Schaden, dessen Ersatz der Kläger nach § 826 BGB beanspruchen kann, übersteigt. Der Kläger kann daher Zahlung des geltend gemachten Betrags von 25.413,40 € Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 1.335,04 € verlangen.
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5. Das Landgericht hat dem Kläger zutreffend Zinsen gemäß §§ 291, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zugesprochen. Die Klage ist der Beklagten am 14.12.2020 zugestellt worden. Nach dem Rechtsgedanken des § 187 Abs. 1 BGB ist Zinsbeginn deshalb der 15.12.2020.
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6. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Verzug befindet. Mit Schreiben vom 25.07.2020 (Anlage K 3) hat der Kläger seine Schadensersatzforderung unter Anrechnung einer angemessenen - sogar zugunsten der Beklagten etwas höher bemessenen - Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs geltend gemacht und die Rückgabe des Fahrzeugs damit ordnungsgemäß angeboten.
III.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
64
3. Der Senat lässt die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 2. Alt. ZPO). Die Auslegung des § 852 Satz 1 BGB in den sogenannten „Diesel-Fällen“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung stark umstritten.
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a) Der Senat weicht mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des 2. Senats des Oberlandesgerichts Oldenburg ab, der einen Anspruch des Käufers eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs aus § 852 Satz 1 BGB allgemein mit der Begründung versagt, dass dem Käufer eines derartigen Fahrzeugs kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei, wie ihn die Vorschrift voraussetze (Hinweisbeschluss vom 05.01.2021 - 2 U 168/20; Beschluss vom 21.01.2021 - 2 U 168/20).
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b) Bei der Schätzung des von der Beklagten erlangten Vermögensvorteils weicht der Senat mit seiner Entscheidung u.a. von der Rechtsprechung des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 13.04.2021 - 23 U 143/20) und des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil vom 12.05.2021 - 9 U 17/21) ab, welche den infolge der unerlaubten Handlung erlangten Vorteil lediglich dem vom Hersteller erzielten Gewinn gleichsetzen, dem Fahrzeughersteller also den Abzug der Herstellungskosten gestatten.