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VG München, Urteil v. 12.07.2021 – M 23 K 20.1902
Titel:

Parklizenz für gewerblichen Anlieger in einem Bewohnerparklizenzgebiet – Verpflichtungsklage

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
VwGO § 113 Abs. 5, § 114 S. 1
StVO § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2a, § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 11
Leitsätze:
1. Die Regelung des § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2a StVO enthält in doppelter Hinsicht eine Ermessensermächtigung, nämlich neben der Ermächtigung zur Einrichtung von Bewohnerparkzonen auch die Rechtsgrundlage für die in diesem Zusammenhang erfolgende Erteilung von Bewohnerparkausweisen, und belässt der Straßenverkehrsbehörde einen weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen sie ihre Entscheidung im Einvernehmen mit der Gemeinde zu treffen hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Verwaltungspraxis, gewerblichen Anliegern nur einen Parkausweis und lediglich bei nachgewiesener Unzumutbarkeit eine weitere Ausnahmegenehmigung zu erteilen, überschreitet den Gestaltungsspielraum nicht und beruht auf einem legitimen Sachgrund, nämlich die im innerstädtischen Gebiet „knappe Ressource Parkraum“ vorrangig Bewohnern vorzubehalten. Zumal wenn nach der Verwaltungspraxis auch Bewohner regelmäßig nur einen Parkausweis erhalten, ist es nicht willkürlich, auch Gewerbetreibende bei der Anzahl zu erteilender Ausnahmegenehmigungen gleich zu behandeln. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die bloße Vereinfachung des Betriebsablaufs oder die Schaffung eines „Bonus“ für die Angestellten zur Zeitersparnis bei der Parkplatzsuche genügen den Anforderungen an eine unzumutbare Härte, die eine weitere Ausnahmegenehmigung gebieten könnte,  nicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausnahmegenehmigung für gewerbliche Anlieger, Keine zwingende Erforderlichkeit, doppelte Ermessensermächtigung, Einrichtung von Bewohnerparkzonen, Erteilung von Bewohnerparkausweisen, weiter Gestaltungsspielraum, Verwaltungspraxis, nur einen Parkausweis, legitimer Sachgrund, unzumutbare Härte
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.10.2022 – 11 ZB 21.2089
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58402

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt als gewerbliche Anliegerin die Erteilung einer weiteren Parklizenz für das seit dem 14. Juni 2010 an ihrem Firmensitz seitens der Beklagten eingerichtete Bewohnerparklizenzgebiet „…“.
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Auf ihrem Internetauftritt (http://www.muenchen.de/dienstleistungsfinder/muenchen /1072045/; abgerufen am 12.7.21) informiert die Beklagte zu Bewohnerparkausweisen darüber, dass jeder Bewohner nur einen Parkausweis erhält. Weiter heißt es, dass Anhänger, Busse und Fahrzeuge, die aufgrund ihrer Bauart vorrangig zur gewerblichen Nutzung vorgesehen seien, nicht in den Bewohnerparkausweis eingetragen werden können. Zu Parkausweisen für gewerbliche Anlieger heißt es (http://www.muenchen.de/dienstleistungsfinder/muenchen/1072024/, abgerufen am 12.7.2021), „In der Regel erhält jeder Betrieb nur einen Parkausweis“.
3
Die Klägerin ist Inhaberin zweier Firmenfahrzeuge. Für eines dieser Fahrzeuge ist der Klägerin eine gültige Ausnahmegenehmigung für gewerbliche Anlieger des Lizenzgebiets „…“ erteilt.
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Sie beantragte am 5. März 2020 über ihre Geschäftsführerin die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung für einen „Pritschenwagen“ bzw. Lieferwagen unter Hinweis auf eine unzumutbare Erschwerung des Betriebsablaufs. Insbesondere sei ihrem ebenfalls im Lizenzgebiet wohnhaften Mitarbeiter eine Parkraumsuche nicht zumutbar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf den Antrag Bezug genommen.
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Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 9. März 2020 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an und gab ihr Gelegenheit, eine Existenzgefährdung oder unzumutbare Erschwerung des Betriebsablaufs darzulegen. Mit Schreiben vom 17. März 2020 wiederholte die Klägerin ihre Antragsbegründung.
6
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25. März 2020 - seitens der Klägerin mit Eingangsdatum „8. April 2020“ versehen - lehnte die Beklagte den Antrag unter Verweis darauf, dass sie gewerblichen Anliegern grundsätzlich nur einen Parkausweis erteile und eine darüber hinaus rechtfertigende besondere Dringlichkeit nicht dargelegt sei, ab.
7
Am 5. Mai 2020 erhob die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit den in der mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2021 aufrechterhaltenen Anträgen,
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1. die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 25. März 2020 zu verpflichten, ihr die beantragte Genehmigung einer weiteren Parklizenz mit Gültigkeit für das Lizenzgebiet „…“ für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … … zu erteilen,
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2. hilfsweise, die Beklagte zur erneuten Entscheidung über den Antrag zu verpflichten.
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Zur Begründung ließ sie schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung am 12. Juli 2021 ausführen. Sie legte ihre Betriebspraxis dar. Es sei nicht zumutbar, müssten die ebenfalls im Lizenzgebiet wohnhaften Angestellten Parkraum außerhalb des Lizenzgebiets suchen und sich ein eigenes Fahrzeug anschaffen, um zur Wohnung zurückzufahren bzw. in den Morgenstunden das Firmenfahrzeug abzuholen. Dies würde für die Mitarbeiter einen erheblichen Mehraufwand an Zeit und Kosten bedeuten. Überdies würden die Mitarbeiter für ein eigens angeschafftes Fahrzeug als Bewohner im Lizenzgebiet eine Parklizenz erhalten und damit den Parkdruck weiter erhöhen. Eine Übertragbarkeit der bereits bestehenden Parklizenz sei nicht lösungseffizient, da beide Fahrzeuge nach der Arbeit über Nacht abgestellt werden müssten. Eine eigene Abstellmöglichkeit bestünde nicht. Auch ein Abstellen auf in der Nähe befindlichen Parkplätzen sei nicht praxistauglich, da diese nach der Arbeit erfahrungsgemäß bereits belegt seien.
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Die Beklagte trat der Klage schriftsätzlich am 19. Mai 2020 entgegen und beantragte
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Klageabweisung.
13
In der Sache sei die Situation der Klägerin vergleichbar mit vielen anderen vergleichbaren gewerblichen Anliegern. Eine unzumutbare außergewöhnliche Härte sei nicht dargelegt. In der mündlichen Verhandlung legte sie ihre Verwaltungspraxis dar. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Klageerwiderung Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 5. Mai 2021 hat die Kammer die Streitsache zur Verhandlung und Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
16
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO (bzw. § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO) im Raummanagement S* … straße nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auch der hierin enthaltene und hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Beklagten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) wurde von der Beklagten bereits rechtsfehlerfrei erfüllt.
17
Nach § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a der Straßenverkehrsordnung (StVO) treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von Parkmöglichkeiten für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel durch vollständige oder zeitlich beschränkte Reservierung des Parkraums für die Berechtigten oder durch Anordnung der Freistellung von angeordneten Parkraumbewirtschaftungsmaßnahmen. Sie können in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen von den Verboten oder Beschränkungen, die durch Vorschriftzeichen, Richtzeichen, Verkehrseinrichtungen oder Anordnungen erlassen sind (§ 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO). Gemäß § 45 Abs. 1b Satz 2 erfolgt die Anordnung der Parkmöglichkeiten für Bewohner im Einvernehmen mit der Gemeinde. Die Vorschrift enthält neben der Ermächtigung zur Einrichtung von Bewohnerparkzonen auch die Rechtsgrundlage für die in diesem Zusammenhang erfolgende Erteilung von Bewohnerparkausweisen. Diese gesetzliche Regelung enthält somit in doppelter Hinsicht eine Ermessensermächtigung, nämlich neben der Ermächtigung zur Einrichtung von Bewohnerparkzonen auch die Rechtsgrundlage für die in diesem Zusammenhang erfolgende Erteilung von Bewohnerparkausweisen. Die streitgegenständliche Vorschrift belässt der Straßenverkehrsbehörde einen weiten Gestaltungsspielraum, innerhalb dessen sie ihre Entscheidung im Einvernehmen mit der Gemeinde zu treffen hat. Hat die Straßenverkehrsbehörde in einem ersten Schritt von ihrem Ermessen und der Ermächtigung zur Kennzeichnung bzw. Einrichtung einer Bewohnerparkzone Gebrauch gemacht, so folgt auf einer zweiten Stufe die Ermessensentscheidung zur Erteilung von Bewohnerparkausweisen.
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Die Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde kann von dem Gericht nur eingeschränkt gemäß § 114 Satz 1 VwGO dahin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
19
Gemessen daran erweist sich die Ablehnung einer (weiteren) Ausnahmegenehmigung bei gleichzeitig bestehender Parklizenz für die Klägerin als ermessensfehlerfrei. Die Ablehnung entspricht der willkürfreien und tatsächlich ausgeübten Verwaltungspraxis, Die Klägerin hat auch nicht aufgrund individueller und eine unzumutbare Härte begründender Umstände einen Anspruch auf Erteilung bzw. (erneute) ermessensfehlerfreie Entscheidung.
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Eine tatsächlich ausgeübte Verwaltungspraxis der Beklagten zugunsten einer Zweitgenehmigung für Gewerbetriebe, die Grundlage für eine Selbstbindung unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 GG sein könnte, besteht nicht. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung ausführlich dargestellt, dass sie Ausnahmegenehmigungen nur restriktiv und entsprechend der hier angewandten Praxis erteilt. Dies entspricht auch den Hinweisen auf ihrem Internetauftritt. Danach erhalten gewerbliche Anlieger nur eine Ausnahmegenehmigung.
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Erklärtes Ziel der Ausweisung des Parklizenzgebiets durch die Beklagte ist die nutzergruppenspezifische und den jeweils lokalen Gegebenheiten angepasste Steuerung der Verkehrsnachfrage in den Kerngebieten der Innenstadt. Durch ein Parkraummanagement soll das Gesamtaufkommen an Kraftfahrzeugverkehr reduziert und die Parkplatzsituation für Bewohner verbessert werden, die über keine private Abstellmöglichkeit für ihr Fahrzeug verfügen. Nur wer mit Wohnsitz im Lizenzgebiet angemeldet ist und über keinen privaten Stellplatz verfügt, erhält auf Antrag einen kennzeichenbezogenen Parkausweis.
22
Ungeachtet dessen, dass die Beklagte über § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2a StVO hinaus ohnehin nicht nur Anwohner bei der Vergabe von Parklizenzgebieten berücksichtigt, erweist es sich im vorliegend zu entscheidenden Fall nicht als ermessensfehlerhaft, dass sie der Klägerin keine weitere Ausnahmegenehmigung erteilt. So hat es die Rechtsprechung sogar für rechtens erachtet, wenn Gewerbetreibenden überhaupt keine Ausnahmegenehmigung für das Parken erteilt wird (vgl. etwa VG Arnsberg vom 25.01.2007, 7 K 2398/06 - juris). Demgegenüber handhabt die Beklagte vorliegend die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Gewerbetreibende ohnehin großzügiger, als sie hierzu nach der Rechtsprechung verpflichtet ist.
23
Gewerbliche Anlieger erhalten der dargelegten (ermessenslenkenden) Verwaltungspraxis der Beklagten folgend jedoch lediglich einen Parkausweis, und lediglich bei nachgewiesener Unzumutbarkeit einen weiteren. Der von Klägerseite vorgetragenen Argumentation, wonach diese Entscheidungspraxis tatsächlich zu einem höheren Parkdruck führt, da die Angestellten mit eigenen Fahrzeugen über eine eigene Parklizenz den Parkdruck erhöhen könnten, sodass das erklärte Ziel der Beklagten obsolet sei, folgt das Gericht nicht. Eine Überschreitung des Gestaltungsspielraums ist damit nicht gegeben. So stellt die Beibehaltung der Verwaltungspraxis, wonach ein Gewerbe nur eine Parklizenz erhält, einen legitimen Sachgrund dar, nämlich die im innerstädtischen Gebiet „krappe Ressource Parkraum“ vorrangig Bewohnern vorzubehalten. Ob diese von ihrem Anspruch tatsächlich Gebrauch machen, lässt den Sachgrund der Begrenzung von Ausnahmegenehmigungen auf gruppenspezifische Gegebenheiten unberührt. Im Übrigen sieht die Verwaltungspraxis der Beklagten auch bei Bewohnern regelmäßig nur die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vor, sodass es nicht willkürlich ist, auch Gewerbetreibende bei der Anzahl zu erteilender Ausnahmegenehmigungen gleich zu behandeln. Ob es überdies (wirtschaftlich) überhaupt naheliegt, dass sich ein tatsächlicher Bewohner eines mit öffentlichen Verkehrsmittel ausgebauten und erreichbaren Parklizenzgebiets ein Fahrzeug anschafft, um mit diesem das außerhalb des Lizenzgebiets geparkte Firmenfahrzeug zu erreichen, kann daher dahingestellt bleiben.
24
Auch ein Härtefall liegt nicht vor. Der Fall der Klägerin unterscheidet sich nicht wesentlich von in der Nachbarschaft zu einem Parklizenzgebiet oder in dem Parklizenzgebiet liegenden Gewerbetreibenden oder Selbständigen. Zwar trifft es sicherlich zu, dass der Klägerin als Gewerbetreibende eine weitere Ausnahmegenehmigung von Vorteil ist. Die bloße Vereinfachung des Betriebsablaufs oder die Schaffung eines „Bonus“ für die Angestellten zur Zeitersparnis bei der Parkplatzsuche genügen den Anforderungen an eine unzumutbare Härte nicht. Dass kein Fall einer solchen Härte vorliegt, lässt sich vorliegend auch daran erkennen, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung durchaus ernsthaft in Erwägung hat ziehen lassen, die begehrte Ausnahmegenehmigung an den Wohnsitz des Angestellten im Lizenzgebiet zu knüpfen, diese also wieder zurückzugeben, sobald der Angestellte außerhalb des Lizenzgebietes wohnhaft ist. Tatsächlich eine unzumutbare Härte begründende betriebliche Interessen sind damit fraglich und jedenfalls nicht hinreichend dargelegt.
25
Auch ein Verstoß gegen die Berufsfreiheit des Art. 12 GG scheidet schon deshalb aus, weil die Klägerin in der Ausübung ihres Berufes in keiner Weise behindert ist. Die Bindung an das Parkraummanagement stellt lediglich eine finanzielle und organisatorische Mehrbelastung dar. Auch eine Ausnahmegenehmigung garantiert überdies keinen betriebsnahen Parkplatz. Auch hat jeder Gewerbetreibende sein Unternehmenskonzept an den von der Rechtsordnung vorgegebenen Rahmenbedingungen und hier dem Gestaltungsspielraum des Beklagten auszurichten.
Die Klagen waren somit unter Ausspruch der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.