Titel:
Sittenwidrigkeit, Marke, Fahrzeug, Annahmeverzug, Zulassungsverfahren, Widerruf, Zulassung, Software, Streitwert, Genehmigung, Beweislast, Haftung, Einstellung, Herausgabe, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, Darlegungs und Beweislast
Schlagworte:
Sittenwidrigkeit, Marke, Fahrzeug, Annahmeverzug, Zulassungsverfahren, Widerruf, Zulassung, Software, Streitwert, Genehmigung, Beweislast, Haftung, Einstellung, Herausgabe, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, Darlegungs und Beweislast
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58366
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar..
Der Streitwert wird auf 46.116,98 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkws.
2
Die Beklagte ist eine große Automobil - und Motorenherstellerin, die unter anderem 3-Liter-Dieselmotoren mit der Typenbezeichnung EA897 produziert hat, die in zahlreichen von ihr produzierten und in den Verkehr gebrachten Fahrzeugserien verbaut sind.
3
Der Kläger erwarb am 11.05.2012 bei der … GmbH in Bamberg einen gebrauchten, von der Beklagten entwickelten und produzierten Audi Q7 SUV 3.0 TDI Q (180 kW / 245 PS) mit einem Kilometerstand von 10 km für 58.250,00 € (Anlage K1).
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Dieses Fahrzeug verfügt über eine EG-Typengenehmigung und wurde vom Kläger im Straßenverkehr genutzt. Zum 05.07.2021 betrug der Kilometerstand 52.071 km.
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Auch in diesem Fahrzeug ist durch die Beklagte, die Herstellerin, ein Motor des oben genannten Typs verbaut worden.
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Das KBA vertritt die Auffassung, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme, weshalb für das gegenständliche Fahrzeug ein verbindlich angeordneter Rückruf vorliegt (Anlage K3). Seitens der Beklagten wurde auf Anordnung des KBA ein Softwareupdate zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware entwickelt und angeboten, welches seitens des KBA freigegeben worden ist.
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Der Kläger behauptet, in dem gegenständlichen Dieselmotor seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1, 2 VO (EG) 715/2007 verbaut worden.
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Die für die Erteilung der Typengenehmigung erforderlichen Abgaswerte würden nur auf dem Prüfstand erreicht, da die standardisierte Testsituation aufgrund des „unnatürlichen Fahrverhaltens“ erkannt werde und die Abgasaufbereitung hierbei so programmiert sei, dass möglichst wenig Stickoxide ausgestoßen werden.
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Dies gelinge unter anderem durch eine Software, die auf dem Prüfstand das Zusetzen von „AdBlue“ (durch das KBA als Strategie D bezeichnet) verringere und zudem die Abgasreinigung durch einen SCR-Katalysator mittels AdBlue herunterfahre, sobald das AdBlue zur Neige gehe (Strategie E).
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Weiter sei das gegenständliche Fahrzeug mit einer Motorwärmfunktion ausgestattet. So erkenne die Software, dass sich das Fahrzeug auf einem Rollprüfstand befindet und aktiviere infolgedessen eine Aufheiztstrategie, die den Ausstoß von Schadstoffen reduziere. Diese Software bezwecke in erster Linie, die Abgaswerte auf dem Prüfstand im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben der Abgasnorm möglichst niedrig zu halten. Im normalen Fahrbetrieb hingegen schalte sie diesen umweltfreundlichen oder auch gesetzeskonformen Modus wieder ab, es komme zu einem höheren Stickoxidausstoß.
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Zudem behauptet der Kläger, dass in dem Fahrzeug ein „Thermofenster“ verbaut sei, wonach die Abgasreinigung in Abhängigkeit von der Außentemperatur stattfinde, die optimale Reinigung werde abgeschaltet, wenn bestimmte Temperaturbereiche unter- bzw. überschritten würden. Je nach Einstellung des Thermofensters setze die Abgasreinigung bei heißen und kühleren Temperaturen komplett aus bzw. werde stark verringert.
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Von dem Einbau der entsprechenden Funktionen in das streitgegenständliche Fahrzeug habe Kenntnis bei der Beklagten bis in die Vorstandsebene bestanden.
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Der Kläger behauptet, das Fahrzeug nicht erworben zu haben, wenn er gewusst hätte, dass durch dieses die angegebenen Messwerte im normalen Straßenverkehr nicht eingehalten werden.
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs
Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN): …
an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 58.250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: 75% x 58.250,00 € (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung - Kilometerstand bei Kauf).
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu 1) genannten Zugum-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.994,04 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte behauptet, dass tragendes Motiv für den Fahrzeugkauf der Wunsch des Klägers nach einem möglichst leistungsstarken Fahrzeugs gewesen sei.
17
Der in dem Fahrzeug verbaute Motor verfüge nicht über die Umschaltlogik des EA 189. Das gegenständliche Fahrzeug unterfalle der Euro 6-Norm und halte diese auch ein.
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Die Vorwürfe des Klägers zur Verwendung angeblich unzulässiger Funktionen gingen fehl und erfolgten „ins Blaue hinein“.
19
Sie ist der Meinung, dass es sich bei dem sog. „Thermofenster“ um keine unzulässige Abschalteinrichtung handle.
20
Die Beklagte ist der Meinung, eine Täuschung und sittenwidrige Schädigung sei nicht substantiiert genug dargetan. Es fehle bereits an der Darlegung von Anknüpfungstatsachen, die auf das Vorliegen von subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen schließen lassen würden. Ein Schädigungsvorsatz werde von Klägerseite nicht dargelegt.
21
Auch ein Schaden sei weder dargelegt, noch ersichtlich. Die Benutzbarkeit des Fahrzeugs sei in keiner Weise eingeschränkt.
22
Die Klageschrift wurde der Beklagte am 22.01.2021 zugestellt.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf das erworbene Fahrzeug zu.
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I. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche wegen sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit der behaupteten Manipulation zu (§ 826 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB).
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1. Die Voraussetzungen dieser Norm - wonach derjenige, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist - liegen nicht vor.
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Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 kann im Einzelfall durchaus deliktische Schadensersatzansprüche begründen.
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Voraussetzungen hierfür sind
- der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 durch die Beklagte, als deliktisches Verhalten (bewusstes Inverkehrbringen eines Fahrzeugs dessen technische Gegebenheiten objektiv einer Zulassung des Fahrzeugs entgegenstehen und bei dem trotz Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts der EGTypengenehmigung das Erschleichen einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung durch den Fahrzeughersteller vorliegt, als deren Folge mit Betriebsuntersagung oder dem Widerruf der erschlichenen Typengenehmigung zu rechnen ist),
- eine darauf beruhende Schädigung des Klägers, die regelmäßig darauf beruht, dass er einen wirtschaftlich nachteiligen - weil für ihn ungewünschten - Vertrag geschlossen hat,
- die Sittenwidrigkeit des Handels der Beklagten, einschließlich einem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und
- ein Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten.
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2. Diese Voraussetzungen hat der Kläger hier in Bezug auf das Vorliegen einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 bzw. in Bezug auf die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten nicht hinreichend dargetan:
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Ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, § 826 BGB, setzt zunächst ein objektiv sittenwidriges Verhalten voraus; mithin ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
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Dies allein genügt aber noch nicht, um einen Anspruch nach § 826 BGB auszulösen.
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Hinzutreten muss eine nach der allgemeinen Geschäftsmoral und dem als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des in Frage stehenden Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (zum Ganzen Palandt, BGB, 80. Auflage, § 826 BGB Rn. 4 f. m.w.N.).
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Für diesen objektiven Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung trägt regelmäßig der Anspruchsteller die volle Darlegungs- und Beweislast.
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Nach den vorstehend aufgezeigten Maßstäben kommt eine Schadensersatzpflicht eines Fahrzeugherstellers gemäß § 826 BGB gegenüber Fahrzeugkäufern in Betracht, wenn die Zulassungsbehörden, die Öffentlichkeit und die Fahrzeugkäufer durch den gezielten Einbau einer genau hierfür programmierten Motorsteuerungssoftware im Interesse rücksichtslosen Gewinnstrebens und in Gleichgültigkeit gegenüber dem durch die gesetzliche Festlegung von Abgasgrenzwerten angestrebten Schutz von Umwelt und Gesundheit darüber getäuscht wurden, dass die Grenzwerte mittels einer im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausschließlich auf dem durch die Software erkannten Prüfstand eingehalten werden, infolge dieser Täuschung durch die zuständigen Behörden die EG-Übereinstimmungsbescheinigung erteilt wurde, und die ahnungslosen Fahrzeugkäufer mit einer Stilllegung ihrer Fahrzeuge bei Bekanntwerden des Sachverhalts - wie in Bezug auf den VW-Motor EA 189 im Raum stand - rechnen mussten (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19).
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Dem Tatsachenvortrag des Klägers lässt sich ein dem Vorstehenden vergleichbarer Sachverhalt, der unter Anlegung der oben aufgezeigten strengen Maßstäbe den Tatbestand des § 826 BGB ausfüllen könnte, nicht entnehmen.
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Der Kläger stützt den Anspruch aus § 826 BGB, dessen er sich berühmt, im Wesentlichen (Seiten 14 bis 19 der Klageschrift sowie Seiten 9 bis 13 der Replikschrift/Bl. 115 bis 119 d.A.) auf die Installation eines Thermofensters im Motor seines Fahrzeugs, das sich aufgrund der in Deutschland vorherrschenden relativ niedrigen Außentemperaturen so auswirke, dass die Abgasgrenzwerte im wesentlichen nur unter Laborbedingungen eingehalten würden, während in der Fahrpraxis erheblich höhere NOx-Werte aufträten und die gesetzlichen Grenzwerte in der Regel nicht eingehalten werde; hierin liege eine vorsätzliche Manipulation und Täuschung der Kunden, die letztlich auf eine grundlegende Entscheidung der Beklagten zurückgehe.
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Das behauptete Verhalten der Beklagten füllt bereits den objektiven Tatbestand des § 826 BGB nicht aus. Weder ist ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten, noch die erforderliche besondere Verwerflichkeit dargetan.
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Gerade unter Berücksichtigung der grundlegenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) zum VW-Motor EA 189 kann, anders als der Kläger offenbar meint, nicht davon ausgegangen werden, dass jedwede Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch einen Autohersteller im Gewinninteresse und das Inverkehrbringen entsprechender Fahrzeuge ohne weiteres den Tatbestand der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ausfüllt.
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In dem der angeführten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die VW AG „auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden“ (a.a.O., Rn 16). Hinsichtlich der zum Einsatz gelangten Software lag eine „aktive, im Hinblick auf dieses Ergebnis gewollte präzise Programmierung der Motorsteuerungssoftware zur Beeinflussung der Abgasrückführung“ vor (a.a.O., Rn 19).
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Die besondere Verwerflichkeit ergab sich dabei daraus, dass Gewinnerzielung „auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA (§ 2 Abs. 1 EGFGV) -“ erreicht werden sollte, getragen von „einer Gesinnung …, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt“ (a.a.O., Rn 23).
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Hingegen stellt der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems („Thermofenster“) als solcher kein derartiges arglistiges Vorgehen des beklagten Automobilherstellers dar, das die Qualifikation dieses Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris, Rn 18). Bei einer temperaturabhängigen Steuerung des Abgasrückführungssystems, die im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniert wie auf dem Prüfstand, handelt es sich um einen völlig anderen Sachverhalt, als bei einer Programmierung, von der die Abgaswerte anhand einer speziellen Prüfstanderkennung - wie beim Motor EA 189 - ausschließlich auf dem Prüfstand reduziert werden (s. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 04.02.2021, 1 U 484/20). Das Element der Täuschung darüber, dass die Funktionsweise der Abgasrückführung auf dem Prüfstand dieselbe ist, wie im normalen Straßenbetrieb, fehlt insoweit.
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Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das Klägerfahrzeug konkret von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamts (KBA) wegen „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“ betroffen gewesen ist.
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Soweit auf dem Prüfstand wegen der insoweit gesetzlich vorgeschriebenen Umgebungstemperatur von 20 bis 30 Grad Celsius (Anhang III Ziff. 5.1.1. der RL 70/220/EWG) niedrigere Abgaswerte erzielt werden, als es bei abweichenden - insbesondere niedrigeren - Temperaturen im Straßenbetrieb der Fall ist, kann dies keine Haftung nach § 826 BGB begründen. Die (vormalige) Entscheidung des Gesetzgebers, Abgaswerte zuzulassender Fahrzeuge bzw. Fahrzeugtypen ausschließlich unter Laborbedingungen und ausschließlich bei 20 bis 30 Grad Celsius zu messen, bringt zwangsläufig mit sich, dass abweichende Emissionswerte, die bei tieferen Temperaturen im normalen Straßenbetrieb entstehen, im Rahmen des Zulassungsverfahrens und bei der Ermittlung der maßgeblichen Schadstoffemissionen außer Betracht bleiben. Dass sich die Außentemperaturen zumindest in Mittel- und Nordeuropa überwiegend in einem Bereich unterhalb von 20 Grad Celsius bewegen, kann dem Gesetzgeber dabei nicht unbekannt gewesen sein. Ein besonders verwerfliches Verhalten der Autohersteller liegt deshalb selbst dann nicht vor, wenn das Abgaskontrollsystem so ausgerichtet wird, dass gerade im Temperaturbereich von 20 bis 30 Grad Celsius niedrigere - die Grenzwerte einhaltende - Emissionswerte erzielt werden.
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Dass das vom Gesetzgeber vorgesehene Prüfverfahren fragwürdig sein könnte, sich zur Erreichung des angeblich angestrebten Ziels - Reduzierung der Schadstoffemissionen im normalen Straßenverkehr - möglicherweise nicht uneingeschränkt eignet, und unter Umständen erheblicher Nachbesserung bedarf, fällt nicht in die Verantwortlichkeit der Autohersteller.
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Auch aus dem Urteil des EuGH vom 17. 12.2020 (C-693/18) lässt sich nichts zur Sittenwidrigkeit der Installation von Thermofenstern herleiten, weil die genannte Entscheidung sich nicht mit der Frage der Sittenwidrigkeit von Abschalteinrichtungen befasst. In der genannten Entscheidung ging es - unter anderem - um „eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der in der Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahren erkennt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen“, wobei „eine solche Verbesserung punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden“ konnte, und um die - vom EuGH bejahte - Einordnung einer derartigen Einrichtung als Abschalteinrichtung.
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In Anbetracht des Umstands, dass Temperaturen von 20 bis 30 Grad Celsius in Deutschland zwar bei weitem nicht ganzjährig, aber wiederum auch nicht nur vereinzelt vorkommen, erscheint aber bereits fraglich, ob es sich bei einem in diesem Temperaturbereich wirksamen Thermofenster um eine in diesem Sinn nur „punktuell“ im normalen Fahrbetrieb wirksame Einrichtung handelt. Zudem handelt es sich bei einem Thermofenster gerade nicht um eine Einrichtung, die „jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der in der Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahren erkennt“ (EuGH a.a.O.).
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB sind nach alledem nicht hinreichend dargetan.
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Hinzu kommt, dass der Vortrag des Klägers zu weiten Teilen aus pauschalen Behauptungen unter Wiedergabe von Presseberichten und sonstigen allgemein zugänglichen Quellen besteht, die keinen konkreten Bezug zum Klägerfahrzeug aufweisen. Konkreter Tatsachenvortrag, der sich gerade auf das Klägerfahrzeug und dessen Abgasverhalten bezieht, fehlt. Insbesondere soweit der Kläger - beispielhaft - eine Überschreitung zulässigen Emissionsgrenzwerte Schadstoffgrenzwerte (Klageschrift S. 19) behauptet, fehlt jeglicher Tatsachenvortrag dazu, welche konkreten erhöhten Emissionswerte im Straßenbetrieb seines Fahrzeugs auftreten. Die als Anlage K13 vorgelegten Messungen der Deutschen Umwelthilfe beziehen sich ersichtlich auf andere Fahrzeugmodelle und lassen ebenfalls keinen konkreten Bezug zum klägerischen Fahrzeug erkennen. Beim Abgasverhalten seines Fahrzeugs im Straßenbetrieb handelt es sich aber um Tatsachen, über die der Kläger durchaus Kenntnisse erlangen könnte, etwa durch die vorprozessuale Einholung entsprechender technischer Stellungnahmen. Die pauschale Behauptung, die Abgaswerte im Straßenbetrieb seien erhöht und die Grenzwerte würden eingehalten, reicht deshalb nicht aus.
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Darüber hinaus ist der Vortrag des Klägers in sich widersprüchlich. Einerseits trägt er - von der Beklagten unbestritten - vor, durch das Thermofenster würden die Schadstoffemissionen nur in dem für das Prüfverfahren vorgeschriebenen Temperaturbereich von 20 bis 30 Grad Celsius reduziert. Zugleich behauptet er, die vorgeschriebenen gesetzlichen Grenzwerte würden im Straßenbetrieb deutlich überschritten (Klageschrift S. 19 unten). Es kann aber - gerichtsbekannt - keine Rede davon sein, dass in Deutschland Außentemperaturen von 20 bis 30 Grad Celsius nur ganz ausnahmsweise erreicht werden.
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Der unzureichende Vortrag des Klägers ist nicht geeignet, die beantragten Beweiserhebungen, die auf dieser Grundlage eine Ausforschung darstellen würden, zu rechtfertigen oder eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen.
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3. Ein Anspruch ergibt sich auch nicht durch den Einsatz eines vorgeblich manipulierten SCRKatalysator oder Form einer sog. „Aufheizstrategie“.
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Auch in diesen Punkten gelingt es dem Kläger nicht, Anknüpfungstatsachen darzulegen, aus denen sich ein sittenwidriges Handeln der Beklagten ergeben könnte.
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4. Weiterhin ist das Gericht ist nicht überzeugt, dass der geringe Ausstoß von Stickoxiden beziehungsweise die Einhaltung von Stickoxidwerten und der geringe Kraftstoffverbrauch die tragende Motivation für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen sein sollen.
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Bei dem gegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um ein nahezu zwei Tonnen (Leergewicht) schweres, hoch motorisiertes Fahrzeug der Luxusklasse mit einer Leistung von 245 PS und einem tatsächlichen Kraftstoffverbrauch von ca. 10 Litern/100 km (kombiniert). Es ist für das Gericht nur schwer nachvollziehbar, dass der Hauptgrund der Anschaffung nicht alleine die Tatsache gewesen sein soll, dass der Kläger schlichtweg ein leistungsstarkes Fahrzeug besitzen wollte.
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II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch aus einer anderen Rechtsgrundlage.
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Eine Haftung des Herstellers, hier der Beklagten, nach §§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB ist vorliegend beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs von einem Dritten fernliegend, wie bereits vom BGH entschieden (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20). Das gleiche gilt für die geltend gemachten Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH aaO) sowie die weiteren geltend gemachten Anspruchsgrundlagen, da eine entsprechende Schutzwirkung nicht gegeben ist.
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III. Mangels Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs zu.
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IV. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung, sodass die Klage auch hinsichtlich der Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Zahlung von Zinsen abzuweisen war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 GKG festgesetzt und orientiert sich an dem ursprünglichen Klageantrag.
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Der Kläger begehrt die Rückerstattung des Kaufpreises, von dem eine Nutzungsentschädigung abzuziehen ist, die das Gericht anhand einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km bemisst.