Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 27.09.2021 – 22 O 46/21
Titel:

Schadensersatz, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Unfall, Berufung, Beschwerde, Kaufpreis, Streitwert, Zulassung, Genehmigungsverfahren, Software, Zahlung, Betriebserlaubnis, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, anwaltliche Mitwirkung, Wert des Beschwerdegegenstands

Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Unfall, Berufung, Beschwerde, Kaufpreis, Streitwert, Zulassung, Genehmigungsverfahren, Software, Zahlung, Betriebserlaubnis, Sicherheitsleistung, Kosten des Rechtsstreits, anwaltliche Mitwirkung, Wert des Beschwerdegegenstands
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58364

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 49.022,71 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkws.
2
Der Kläger erwarb am 20.03.2015 bei der … GmbH in B. einen gebrauchten Pkw Porsche Cayenne S Diesel zu einem Preis von 97.700,00 € mit einer Laufleistung von 14.000 km (Anlagenkonvolut K2). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs 4,2 l V8 TDI ausgestattet, der seitdem reihenweise in den Verkehr gebracht wurde.
3
Das Fahrzeug wurde durch den Kläger am 07.03.2019 für 20.000,00 € bei einem Kilometerstand von 87.381 km weiterverkauft.
4
Zu dem Fahrzeug existiert ein Rückrufbescheid des KBA. Seitens der Beklagten wurde deswegen auf Anordnung des KBA ein Softwareupdate zur Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware entwickelt und angeboten, welches seitens des KBA freigegeben worden ist.
5
Der Kläger behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über eine Motorsteuerungssoftware verfüge, die erkenne, ob das Fahrzeug einer Abgasprüfung auf dem Prüfstand unterzogen wird. In diesem Fall reduziere es den Abgasausstoß, insbesondere in Bezug auf NOx.
6
Es seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 1, 2 VO (EG) 715/2007 verbaut, darunter ein „übergroßes“ Thermofenster, ein Abschaltmechanismus für die Harnstoffeinspritzung, wenn der Harnstoff im Tank zur Neige gehe, sowie eine Aufheizstrategie.
7
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf den klägerischen Vortrag Bezug genommen.
8
Der Kläger beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von € 63.658,56 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 63.658,56 seit dem 13.11.2020 zu bezahlen.
II. Weiter wird die Beklagte verurteilt, der Klagepartei weitere € 965,33 für die außergerichtliche Interessenvertretung seiner Prozessbevollmächtigten zu erstatten.
9
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung.
10
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass der Vortrag des Klägers zum Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung unzulässig sei, da dieser „ins Blaue hinein“ erfolge. Im Ergebnis gehe der Vortrag der Klagepartei nicht über pauschale, unsubstantiierte Behauptungen hinaus.
11
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über keinen SCR-Katalysator, sodass der Vortrag über eine nicht ordnungsgemäße AdBlue-Einspritzung nicht verfange.
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Weiter komme in dem Fahrzeug auch kein unzulässiges Thermofenster zum Einsatz. Sie ist weiter der Ansicht, dass - sofern es sich bei dem sogenannten Thermofenster überhaupt um eine Abschalteinrichtung im Sinne der Verordnung 715/2007 handele, diese zumindest zulässig sei nach Art. 5 Abs. 2 lit. a der Verordnung, da eine entsprechende Reduzierung der Abgasrückführung im Gesamtkontext der Abgasreinigung zum Schutze der Bauteile des Motors erforderlich sei.
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Auch sonst seien in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut. Die Ausführungen der Klagepartei zu den Entscheidungen in EA189-Verfahren könnten daher nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen werden.
14
Die Beklagte bestreitet, dass es dem Kläger bei seiner Kaufentscheidung auf die konkreten Emissionswerte oder die Umweltfreundlichkeit angekommen sei. Auch die Kausalität zwischen der behaupteten Täuschung und der Kaufentscheidung des Beklagten sei nicht hinreichend dargetan.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.08.2021 (Bl. 120 ff. d.A.) und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
16
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
17
Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz auf Grundlage deliktischer Normen (§§ 826 Abs. 1 BGB; 823 Abs. 2 BGB iVm 263 StGB bzw. iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV) zu.
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1. Der Kläger hat bereits nicht substantiiert vorgetragen, dass der Motor des streitgegenständlichen PKWs über eine Software entsprechend derjenigen, die in dem Motor EA 189 eines anderen Herstellers verbaut ist, und damit über eine illegale Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1, 2 VO (EG) 715/2007 verfügt und die Beklagte damit ein Verhalten (bewusstes Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, dessen technische Gegebenheiten objektiv einer Zulassung des Fahrzeugs entgegenstehen) gezeigt hat, dass auf Klägerseite durch Abschluss eines so nicht gewünschten, wirtschaftlich nachteiligen Vertrages einen subjektiven Schaden verursacht hat (§ 826 Abs. 1 BGB), dass zudem Täuschungscharakter hatte (§ 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 Abs. 1 StGB) bzw. dass ein Verstoß gegen europarechtliche Normen (deren drittschützenden Charakter unterstellt) vorliegt (§ 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 16 UWG).
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2. Der Sachvortrag des Klägers zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ist bereits nicht hinreichend substantiiert. Die Klageschrift (Bl. 2 d.A.) weist nur floskelhaft darauf hin, dass das Fahrzeug mit einem Dieselmotor ausgestattet sei, „der vom Kraftfahrtbundesamt als 'Schummeldiesel' vergleichbar mit dem berühmt gewordenen EA 189 Motor von VW identifiziert wurde“. Weder die Klageschrift, noch die nachfolgenden Schriftsätze enthalten konkrete Ausführungen zu Vorhandensein und konkreter Funktionsweise möglicher Abschalteinrichtungen. Mangels Substanz war dieser Behauptung daher nicht durch Beweiserhebung nachzugehen.
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a) Grundsätzlich ist es einer Partei nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb im Einzelfall genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Unzulässig wird ein solches Vorgehen aber dann, wenn die Parteien ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts oder die Richtigkeit ihres Vortrags willkürlich Vermutungen „aus Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ anstellt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16.04.2015 - IX ZR 195/14).
21
So liegt der Fall jedoch hier.
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b) Zu dem Sachvortrag des Klägers gibt es keiner durchgreifenden Anhaltspunkte. Die in den VWVerfahren vom KBA festgestellte und von VW eingeräumte Abschaltautomatik der Motorbaureihe EA 189 hat für Gerichtsverfahren anderer Autohersteller keine Relevanz (OLG Nürnberg Urteil v. 19.7.2019 - 5 U 1670/18).
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Der Kläger hat nur bedingt Beanstandungen sein konkretes Fahrzeug betreffend vorgetragen.
24
Für das Fahrzeug existiert zwar ein Rückruf durch das KBA. Dennoch erfolgt durch die Klagepartei lediglich der Vortrag, dass das Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung aufwies, wobei sie auf Anlage K1 Bezug nimmt. Hieraus ist ersichtlich, dass der Rückruf unter dem Code ALA1 wegen „unzulässiger Abschalteinrichtungen“ erfolgen sollte, ohne dass sich hieraus eine nähere Spezifikation dieser Abschalteinrichtung ersehen ließe.
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c) Durch den Sachvortrag des Klägers ist jedenfalls eine Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten nicht schlüssig dargetan. Der Kläger begnügt sich hier damit, die Rechtsprechung der Gerichte zu den VW EA 189 Motoren zu zitieren, ohne jedoch Ausführungen zu dem gegenständlichen Fall zu machen.
26
(1) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handels zu beurteilen ist. Nicht bei jedem Pflichtverstoß sind diese Voraussetzungen zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.6.2016 = WM 2019, 1929 Rdn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an.
27
Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seines objektiven Verwendungszwecks im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d. h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannte, konstruktive Eigenschaften gefährdet ist. Dies setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungsund Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrtbundesamt erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Inhalt und Fortdauer enthaltenen Vorschriften tatsächlich nicht entspricht.
28
Wurde die Rechtslage fahrlässig verkannt, fehlt es an dem für die Sittenwidrigkeit in subjektiver Hinsicht erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. Das auf Seiten der Beklagten das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes, verbunden mit einer zumindest billigenden Inkaufnahme desselben, vorhanden war, ist vom Kläger - zumindest hinsichtlich der klägerseits behaupteten „Aufheizstrategie“ - weder ausreichend dargetan noch ersichtlich.
29
Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 sieht vor, dass die Verwendung einer Abschalteinrichtung zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten“.
30
Die Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist eine Auslegung des Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007, wonach „Aufheizstrategien“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, nicht unvertretbar gewesen, weshalb auch das Inverkehrbringen unter Verwendung einer entsprechenden Software auch nicht als sittenwidrig angesehen werden kann.
31
Die Annahme des Vorsatzes bzw. einer besonderen Verwerflichkeit steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung EG Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste.
32
Auch greift nach Ansicht des Gerichts keine Vermutung bzw. Beweiserleichterung nach Art und Weise des, angeblich, sittenwidrigen Handelns. Bei einer deliktischen Haftung trägt der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen.
33
Der vorliegende Fall unterscheidet sich erheblich von der Konstellation des EA 189 Motors im sog. „VW-Abgasskandal“, da es sich bei der dort verwendeten Software um eine solche handelt, welche das Durchfahren des Prüfstandes erkannte und einen allein dafür konzipierten Betriebsmodus verwendete, um eine besondere Emissionsarmut vorzutäuschen, um die Zulassung zu erlangen. Eine pauschale Annahme der Sittenwidrigkeit allein unter Bezugnahme auf die zu dem Motortyp EA 189 ergangenen Urteile genügt daher für die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten in dem gegenständlichen Verfahren nicht.
34
Nach alledem vermag das Gericht dem Vortrag des Klägers ein Bewusstsein der etwaigen Rechtswidrigkeit auf Seiten der Beklagten als Voraussetzung der Sittenwidrigkeit ihres Handelns nicht zu entnehmen.
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3. Es kann darüber hinaus dahingestellt bleiben, ob ein Motortyp verbaut ist, dessen Motorsteuerung über ein sogenanntes „Thermofenster“ verfügt, somit die Abgasrückführung in den Verbrennungsprozess als Teil der Abgasreinigung nur in einem bestimmten thermischen Fenster vollständig und ansonsten teilweise reduziert ausgeführt wird.
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a) Hierbei würde es sich aus Sicht des Gerichts ohne nennenswerte Zweifel um eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 217/2007 handeln. Hiernach ist Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrgeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nichts anders liegt jedoch bei einer Motorsteuerungssoftware, die die Abgasrückführung als Teil des Emissionskontrollsystems bei unterschiedlichen Temperaturen verändert, vor.
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b) Aus Sicht des Gerichts kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, ob diese Abschalteinrichtung unzulässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 217/2007 ist, sich die Beklagte somit auf den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 1 a) VO (EG) 217/2007 berufen kann.
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Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 sieht vor, dass die Verwendung einer Abschalteinrichtung zulässig ist, „wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten“.
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Das OLG Stuttgart hat hinsichtlich des sog. „Thermofensters“ Folgendes ausgeführt:
„Die Auslegung, dass Abschalteinrichtungen zum Motorschutz nur dann „notwendig“ sein können, wenn keine andere konstruktive Lösung möglich ist, auch wenn diese erheblich teurer sein sollte, ist möglich, aber letztlich nicht überzeugend. Gegen eine solche Auslegung spricht der Aufbau des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 sowie dessen Zweck. Gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung sind Fahrzeuge vom Hersteller so auszurüsten, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Darüber hinausgehende Anforderungen werden von der Verordnung nicht vorgegeben. Abschalteinrichtungen sind generell unzulässig und nur in dem in der Verordnung in Art. 5 Abs. 2 beschriebenen Ausnahmefall erlaubt. Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) will danach nicht die Entwicklung aufwendiger Konstruktionen eines Motors vorgeben, sondern für Motoren, die grundsätzlich den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 genügen, zum Schutz vor Beschädigungen oder Unfall und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs einen Handlungsspielraum in Form einer ansonsten verbotenen Abschalteinrichtung einräumen. Dieses Ziel der Norm, den Fahrzeugherstellern ausnahmsweise eine konstruktive Freiheit einzuräumen, würde es widersprechen, dem Wort „notwendig“ in Art. 5 Abs. 2 S. 2 a einen eigenen, unter Umständen sogar über die Anforderung des Art. 5 Abs. 1 hinausgehenden Konstruktionsauftrag der Verordnung zu entnehmen. Mit dem Wort „notwendig“ wird lediglich klargestellt, dass die Abschalteinrichtung dem Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und dem sicheren Betrieb dienen muss und eine reine Zweckmäßigkeit nicht genügt, sondern sie dafür erforderlich sein muss. Eine engere Auslegung würde im übrigen unter Umständen zu der gerade nicht gewollten Benachteiligung von Kleinwagenherstellern führen, wenn diese gezwungen wären, eine sehr aufwendige und sehr teure Lösung, soweit eine solche zur Verfügung steht, in ihre Fahrzeuge einzubauen, obwohl Kleinwagen auf günstige Verkaufspreise angewiesen sind und Kleinwagen im Vergleich zu Fahrzeugen mit größerem Gewicht und häufig größeren Motoren in der Regel dem Ziel der Verordnung, Emissionen zu reduzieren, eher entsprechen.“ (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19).
40
Auf Grundlage dieser rechtlichen Erwägungen - denen sich das Gericht anschließt - wäre es für die Beklagte zumindest nicht fernliegend, sich im Hinblick auf die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung auf den Motorschutz zu berufen. Zu diesem Ergebnis kommt auch der 5. Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 des GG des deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900), wenn ausgeführt wird, dass „den Herstellern ein zu großer Auslegungsspielraum gegeben wird“. Es wird weiter ausgeführt, dass die Hersteller weitreichend das sogenannte Thermofenster definieren können, indem die Abschalteinrichtung nur innerhalb eines bestimmten Außentemperaturbereichs zum Tragen kommt, auch wenn eine weite Spannbreite der nicht eingeschlossenen Außentemperaturen eher die Regel denn die Ausnahme in Europa darstellt. Zurzeit sei es der Hersteller, der durch seine Motorkonstruktion bestimme, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen müsse, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden könne (Seite 537 der zitierten Drucksache).
41
c) Jedenfalls fehlt es aus Sicht des Gerichts auch hier an einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung bzw. an einer vorsätzlichen Täuschung (§§ 826 BGB, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB).
42
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkender verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handels zu beurteilen ist. Nicht bei jedem Pflichtverstoß sind diese Voraussetzungen zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen.
43
Die Annahme des Vorsatzes bzw. einer besonderen Verwerflichkeit steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung EG Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (vgl. die obigen Ausführungen).
44
Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) 692/2008 vom 18.07.2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typengenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems einschließlich seines Funktionierens bei niedrigen Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen gemacht hat, sodass das Kraftfahrtbundesamt bei Erteilung der Typengenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm jedoch - offensichtlich - nicht beanstandet worden ist (…). Die Beklagte konnte somit durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten vom Kraftfahrtbundesamt eben beanstandet worden wäre (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 - 5 U 1670/18).
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Selbst wenn man mangels gegenteiliger Darlegung der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien einsetzt, um eine höhere - und vor allem durchgehend hohe - Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typengenehmigungsbehörde - und letztlich auch die Käufer - täuschen wollen (OLG Nürnberg a.a.O.).
46
Nach alledem vermag das Gericht auch hinsichtlich eines „Thermofensters“ eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung bzw. eine vorsätzliche Täuschung im Sinne des § 263 StGB nicht festzustellen.
47
4. Weiterhin ist auch nicht substantiiert dargetan, woraus sich die haftungsausfüllende Kausalität ergeben soll.
48
Das Gericht ist schon nicht überzeugt, dass der geringe Ausstoß von Stickoxiden beziehungsweise die Einhaltung von Stickoxidwerten und der geringe Kraftstoffverbrauch die tragende Motivation für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen sein sollen.
49
Bei dem gegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um ein etwa zwei Tonnen (Leergewicht) schweres, hoch motorisiertes Fahrzeug der Luxusklasse mit einer Leistung von 385 PS und einem Kraftstoffverbrauch von nahezu 10,00 Litern/100 km (kombiniert). Es ist für das Gericht nur schwer nachvollziehbar, dass der Hauptgrund der Anschaffung nicht alleine die Tatsache gewesen sein soll, dass der Kläger schlichtweg ein leistungsstarkes Luxusfahrzeug besitzen wollte.
II.
50
Im Ergebnis hat der Kläger gegen die Beklagte keine Ansprüche nach § 826 Abs. 1 BGB, § 831
51
BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV, 16 UWG. 22 O 46/21 - Seite 10 - Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV scheidet bereits mangels drittschützendem Charakter der Normen aus (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19).
III.
52
Mangels Anspruch auf Schadensersatz war auch der Antrag hinsichtlich der Nebenforderungen (Zinsen sowie Klageantrag Ziff. 2) abzuweisen.
B.
53
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
C.
54
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ist § 709 ZPO zu entnehmen.
D.
55
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt, wobei das Gericht von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km ausgeht.
56
Der Kläger hat das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 14.000 km erworben und am 07.03.2019 bei einem Kilometerstand von 87.381 km zu einem Preis von 20.000,00 € weiterverkauft.
57
Vorliegend errechnet sich damit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 28.677,29 €, die mit dem Kaufpreis zu verrechnen ist. Weiterhin ist auch der erzielte Verkaufserlös von 20.000,00 € in Abzug zu bringen, sodass sich bei einem Kaufpreis von 97.700,00 € lediglich ein berechtigter Streitwert von 49.022,71 € ergibt.
58
Wie sich die geltend gemachten Finanzierungskosten zusammensetzen, ist vom Kläger nicht substantiiert dargelegt worden. Die bloße Bezugnahme auf ein nicht nummeriertes Anlagenkonvolut ersetzt einen schlüssigen Sachvortrag nicht. Diese waren daher im Rahmen der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen.