Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 02.12.2021 – 101 AR 163/21
Titel:

Keine Bestimmung des zuständigen Gerichts, solange lediglich ein Gericht seine Zuständigkeitsleugnung bekanntgegeben hat

Normenketten:
ZPO § 3, § 5, § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 329 Abs. 2 S. 1
EGZPO § 9
GKG § 63 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt unter anderem voraus, dass sich verschiedene Gerichte "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben; dies erfordert, dass die entsprechenden Entscheidungen durch Bekanntgabe an alle Parteien wirksam geworden sind (vgl. BGH BeckRS 1997, 4811 unter II.1). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein den Parteien bekanntgegebener Vorlagebeschluss gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist keine "rechtskräftige" Leugnung der Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, wenn die Begründung lediglich darauf abstellt, der eigene Verweisungsbeschluss sei bindend, ohne zu begründen, warum das vorlegende Gericht unzuständig sei (Abgrenzung zu OLG Hamm BeckRS 2012, 7137 unter B.I). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem Zurückverweisungsbeschluss (vgl. BayObLG BeckRS 2021, 34816 Rn. 32) kommt jedenfalls dann keine Bindungswirkung zu, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht (vgl. BGH BeckRS 2017, 123744 Rn. 15). (Rn. 25 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Klageantrag auf Feststellung der Unwirksamkeit von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge erhöht den Streitwert nicht, soweit sich der Feststellungsantrag auf dieselben Zeiträume bezieht wie ein daneben gestellter Zahlungsantrag (vgl. BGH BeckRS 2021, 5402 Rn. 37). (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
5. Für einen Auskunftsanspruch über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in der privaten Krankenversicherung ist der Streitwert auf einen Bruchteil des vom Kläger erwarteten Zahlungsbetrags festzusetzen, wenn der Sach- und Streitstand genügende Anhaltspunkte bietet, nicht auf einen "Pauschbetrag" oder einen "Auffangstreitwert". (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
6. Bei der Prüfung seiner sachlichen Zuständigkeit ist das Gericht nicht an einen vorläufigen Streitwertbeschluss gebunden (vgl. OLG Hamm BeckRS 2013, 11175 unter C.III). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeitsbestimmungsverfahren, sachliche Zuständigkeit, Zuständigkeitsleugnung, Rechtskraft, bindende Verweisung, Streitwert, Prämienanpassung, Feststellungsantrag, Auskunftsanspruch, vorläufiger Streitwertbeschluss
Vorinstanzen:
AG München vom -- – 211 C 8600/21
LG München I vom -- – 12 O 13115/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58361

Tenor

Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts liegen nicht vor.

Gründe

I.
1
Die Klägerin ist bei der Beklagten privat kranken- und pflegeversichert.
2
Mit ihrer am 18. Mai 2021 beim Amtsgericht München eingereichten Klage begehrt sie die Feststellung, dass Prämienerhöhungen im Tarif PZ/10 zum 1. Januar 2015 (7,21 €) und 1. Januar 2017 (21,42 €) sowie im Tarif COMFORT zum 1. Januar 2016 (5,18 €) und 1. Januar 2018 (44,77 €) unwirksam sind und sie nicht zur Bezahlung des jeweiligen Differenzbetrags verpflichtet war (Klageantrag Ziffer 1).
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Außerdem fordert sie von der Beklagten die Rückzahlung zu viel gezahlter Prämienanteile in Höhe von 2.183,28 € nebst Zinsen hieraus (Klageantrag Ziffer 2).
4
Zudem begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte zur Herausgabe von Nutzungen nebst Zinsen, die sie bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus dem Prämienanteil gezogen hat, verpflichtet ist (Klageantrag Ziffer 3).
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Weiter macht sie einen Auskunftsanspruch über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien in sämtlichen ehemaligen und derzeitigen Tarifen des Versicherungsvertrags für die letzten zehn Jahre geltend (Klageantrag Ziffer 4).
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Schließlich beantragt sie Freistellung von der Verpflichtung zur Bezahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Klageantrag Ziffer 5).
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Den Streitwert hat die Klägerin in der Klageschrift mit 2.183,28 € angegeben. Er setze sich aus der Höhe des konkreten Rückforderungsanspruchs und dem Wert der begehrten Auskunft (Antrag Ziffer 4) zusammen. Der Wert des Rückforderungsanspruchs belaufe sich auf 2.183,28 €; der Streitwert für das Auskunftsverlangen sei mangels konkreter Vorstellungen über den Leistungs- und Herabsetzungsanspruch, der sich aus den begehrten Informationen ergeben könnte, mit 5.000,00 € zu bestimmen. Dieser Wert werde sowohl vom Gesetzgeber (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG; § 52 Abs. 2 GKG) als auch von der Rechtsprechung etwa zu Art. 15 DSGVO herangezogen, wenn die Bezifferung eines Auskunftsanspruchs objektiv nicht bestimmbar sei. Nach Addition des Wertes des Rückforderungsanspruchs belaufe sich der Gesamtstreitwert demnach auf 2.183,28 €.
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In der Verfügung zur Zustellung der Klage hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass es sachlich unzuständig sei. Auf Basis des klägerischen Vortrags sei von einem Streitwert von mindestens 7.183,28 € (Auskunfts- und Rückforderungsanspruch) auszugehen. Ferner sei auch der Feststellungsantrag streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Außergerichtlich sei die Klägerin offenbar von einem Gegenstandswert von 15.175,10 € ausgegangen.
9
In der Klageerwiderung hat die Beklagte die Rüge der sachlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts erhoben. Angegeben werde ein Streitwert von 2.183,28 €, dies entspreche dem Zahlungsantrag. Damit werde unterstellt, dass dem Feststellungsantrag Ziffer 1 entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein wirtschaftlicher Wert zukomme. Sollte die Klagepartei dies tatsächlich so sehen, sei ein Feststellungsinteresse nicht nachvollziehbar. Zudem habe die Klägerin selbst ausgeführt, dass ihr Auskunftsanspruch mit einem Streitwert von 5.000,00 € anzusetzen sei.
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Mit Schriftsatz vom 28. September 2021 hat die Klägerin die Verweisung an das Landgericht München I beantragt. Dem Antrag Ziffer 4 komme ein Wert von 5.000,00 € zu. In der Klageschrift sei dies nicht berücksichtigt worden.
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Ohne der Beklagten den Verweisungsantrag zu übermitteln, hat sich das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. September 2021 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO. Das angegangene Gericht sei sachlich unzuständig. Auf Antrag der Klägerin habe es sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Gericht zu verweisen.
12
Nach Aktenlage ist zwar verfügt worden, dass den Parteien der Beschluss formlos zu übermitteln sei; die Verfügung ist allerdings nicht ausgeführt worden (Bl. 56 d. A.).
13
Das Landgericht hat mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 6. Oktober 2021 den Streitwert für das Verfahren vorläufig auf 2.999,00 € festgesetzt und das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung des Amtsgerichts sei evident rechtswidrig. Vor der Verweisung sei zwingend rechtliches Gehör zu gewähren. Der Schriftsatz der Klägerin, mit dem Verweisung beantragt worden sei, sei der Beklagten nicht zur Stellungnahme zugeleitet worden. Die Streitwertfestsetzung beruhe auf § 3 ZPO. Der Wert des Auskunftsanspruchs sei zwar grundsätzlich zum Streitwert des bezifferten Zahlungsanspruchs hinzuzuaddieren. Die Ausführungen der Klägerin zu diesem Punkt seien jedoch nicht nachvollziehbar. Soweit sie Auskunft über die Faktoren für die Neukalkulation der Prämienanpassungen verlange, für die bereits ein Rückforderungsanspruch gemäß Ziffer 1 und 2 der Klage geltend gemacht werde, habe der Anspruch keinen eigenen Wert. Im Übrigen mache die Klägerin keinerlei Ausführungen dazu, welche weiteren Beitragsanpassungen es in der streitgegenständlichen Zeit überhaupt gegeben habe. Von den Anträgen Ziffer 1 und 2 seien bereits Beitragsanpassungen für die letzten sechs Jahre erfasst, für die ein Streitwert von 2.183,28 € angegeben werde. Ein eventueller Zahlungsbetrag für einen weiteren Zeitraum von vier Jahren liege daher bereits deutlich unter 2.000,00 €. Außerdem betrage der Wert eines reinen Auskunftsanspruchs nur einen Bruchteil des Werts des Anspruchs, dessen Geltendmachung vorbereitet werde.
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Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 18. Oktober 2021 hat das Amtsgericht den Rechtsstreit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt. Die Verweisung an das Landgericht sei für dieses Gericht bindend. Der Beklagten sei vor dem Verweisungsbeschluss ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden.
15
Die Parteien sind im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren angehört worden.
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Die Klägerin bringt vor, hinsichtlich des Antrags Ziffer 1 seien die „Ausführungen des Gerichts“ korrekt. „Aus diesem Grund“ sei dieser Antrag nicht streitwerterhöhend berücksichtigt worden. Für die Anträge Ziffern 2 und 3 belaufe sich der Streitwert auf 2.183,28 €. Lediglich dem Antrag Ziffer 4 sei ein weiterer Streitwert in Höhe von 5.000,00 € beigemessen worden, was auch sachgerecht sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei ohne genügende Anhaltspunkte auf den Wert abzustellen, den der Gesetzgeber in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auf 5.000,00 € festgelegt habe (Beschluss vom 17. November 2015, II ZB 8/14). Entsprechende Pauschalstreitwerte ergäben sich aus § 52 Abs. 2 GKG und nach der Rechtsprechung auch für den Auskunftsanspruch aus Art. 15 DS-GVO.
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Die Beklagte weist darauf hin, es sei von der Klageschrift auszugehen. Es handele sich um eine typische Klage der Klägervertreter, die bundesweit in den letzten Jahren in mindestens vierstelliger Höhe eingereicht und stets gleich aufgebaut worden sei. Es habe sich umfangreiche Rechtsprechung auch zur Bemessung des Streitwerts entwickelt, exemplarisch werde auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in VersR 2021, 564 verwiesen. Ein Verstoß des Amtsgerichts gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs liege nicht vor. Sie habe allerdings nur eine Mitteilung des Amtsgerichts vom 30. September 2021 erhalten, dass das Verfahren zuständigkeitshalber abgegeben worden sei. Der Streitwert des Verfahrens liege jedenfalls über 5.000,00 €. Es sei neben dem Zahlungsantrag Ziffer 2 der Feststellungsantrag Ziffer 1 zu berücksichtigen. Auch der Auskunftsantrag Ziffer 4 habe einen wirtschaftlichen Wert, den die Klägerin mit 5.000,00 € angegeben habe.
II.
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Die Voraussetzungen für die Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.
19
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht wäre zwar für die Bestimmungsentscheidung gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig, weil das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über dem Amtsgericht München und dem Landgericht München I in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof ist; dass beide am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts München liegen, führt deshalb nicht zur Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Bestimmungsverfahren (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 101 AR 114/20, juris Rn. 12; Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris Rn. 8 ff; Toussaint in BeckOK, ZPO, 42. Ed. Stand 1. September 2021, § 36 Rn. 45.2).
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2. Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist auch der negative Kompetenzkonflikt zwischen Amtsgericht (§ 23 GVG) und Landgericht (§ 71 GVG) über die sachliche Zuständigkeit als Eingangsgericht zu entscheiden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 101 AR 114/20, juris Rn. 14; Toussaint in BeckOK, ZPO, § 36 Rn. 38.1).
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3. Einer Gerichtsstandsbestimmung steht jedoch entgegen, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 29. September 2021 den Parteien nicht bekannt gegeben worden ist und sich das Amtsgericht auch mit dem Vorlagebeschluss nicht „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt hat. Ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen dem Amtsgericht und dem Landgericht liegt daher nicht vor.
22
a) Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass sich verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt haben. Entscheidend ist, dass die beiderseitige Kompetenzleugnung unanfechtbar und - jedenfalls ihrem äußeren Anschein nach und tatsächlich - für die Parteien verbindlich ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. August 2019, 32 SA 50/19, juris Rn. 17; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 35). Das erfordert, dass die entsprechenden Entscheidungen durch Bekanntgabe an alle Parteien wirksam geworden sind, § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997, XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 22. Februar 1995, XII ARZ 2/95, NJW-RR 1995, 641 [juris Rn. 11]; BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, juris Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, juris Rn. 8; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35).
23
Das Landgericht hat sich mit beiden Parteien mitgeteiltem Zurückverweisungsbeschluss „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht die Parteien vor seiner Entscheidung nicht angehört und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat, denn es hat seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gemacht, so dass diese nicht mehr als gerichtsinterner Vorgang angesehen werden kann, der die Anforderungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht erfüllte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. Juni 2021, 101 AR 64/21, juris Rn. 16).
24
Jedoch ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts den Parteien nicht übermittelt und damit noch nicht wirksam geworden; er kann daher nicht als Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO angesehen werden. Auch die Mitteilung einer Geschäftsstelle, dass das Verfahren zuständigkeitshalber abgegeben worden sei, ist keine unanfechtbare und verbindliche Leugnung der eigenen Zuständigkeit. Schließlich genügt auch der Vorlagebeschluss des Amtsgerichts nicht den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind. Zwar ist der Beschluss den Parteien bekanntgegeben worden. Gegen die Annahme, der Beschluss stelle eine weitere Zuständigkeitsleugnung dar, spricht aber die Begründung der Vorlageentscheidung, in der das Amtsgericht lediglich darauf abstellt, sein Verweisungsbeschluss sei bindend. Eine Begründung, warum es selbst unzuständig sei, fehlt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, das Amtsgericht habe erkannt, dass sein Verweisungsbeschluss nicht wirksam gewesen ist; somit hat es keine neuerliche, verbindliche Entscheidung hinsichtlich der eigenen Unzuständigkeit getroffen. Dieser Bewertung stehen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. März 2012, 32 SA 12/12 (juris Rn. 13) und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 21. September 2011, 1 AR 47/11 (juris Rn. 4) nicht entgegen, weil ihnen andere Fallkonstellationen zugrunde lagen. Zwar kann ein die eigene Zuständigkeit abschließend verneinender Vorlagebeschluss grundsätzlich als Unzuständigkeitserklärung ausreichend sein (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, § 36 Rn. 39.1 m. w. N.). Dem Vorlagebeschluss des Amtsgerichts - wie auch bereits dem Verweisungsbeschluss - kann hier aber keine Entscheidung im Hinblick auf die eigene Unzuständigkeit entnommen werden.
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b) Aus den genannten Gründen ist das Verfahren an das vorlegende Gericht zurückzugeben. Mangels rechtskräftiger Unzuständigkeitserklärung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO stellt die „Verweisung“ des Amtsgerichts eine bloße Aktenübersendung an das Landgericht dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, juris Rn. 10). Die Sache ist bei dem Amtsgericht anhängig geblieben, das den Rechtsstreit (neuerlich) an das Landgericht zu verweisen hat, wenn es sich für unzuständig hält, § 281 Abs. 1 ZPO. Dem steht der Zurückverweisungsbeschluss des Landgerichts nicht entgegen, denn dieser entfaltet jedenfalls keine Bindungswirkung, § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
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aa) Dahinstehen kann, ob das Verfahren an das Amtsgericht zurückverwiesen werden konnte. Es wird zwar vertreten, dass das Gericht, an das verwiesen worden ist und das sich nach den Zuständigkeitsvorschriften nicht für zuständig hält, das Verfahren mit einem Beschluss nach § 281 ZPO, also nach erneuter Anhörung der Parteien, zurück- oder auch weiterverweisen könne (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17. November 2015, 11 SV 72/15, juris Rn. 15 - zu einer Weiterverweisung; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Juni 2012, 32 SA 38/12, NJW-RR 2012, 1464 Rn. 19 - zu einer Rückverweisung; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 19; vgl. auch zur Rückverweisung nach Klageänderung: BGH, Beschluss vom 17. Mai 1989, I ARZ 254/89, NJW 1990, 53 [juris Rn. 8]; vgl. dagegen zur fortdauernden Bindungswirkung der Erstverweisung: BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995, XII ARZ 36/94, FamRZ 1995, 792 [juris Rn. 5]; Beschluss vom 6. Oktober 1993, XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126 [juris Rn. 7]; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Mai 2016, 32 SA 19/16 Rn. 20; hinsichtlich der Annahme, ein Zurückverweisungsbeschluss sei zulässig, Willkür verneinend: BayObLG, Beschluss vom 11. November 2021, 101 AR 145/21, juris Rn. 32; offenlassend BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 23/20, juris Rn. 30). Hier fehlt dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts aber nicht (nur) die Bindungswirkung, sondern er ist bereits nicht wirksam geworden, weshalb der Rechtsstreit nicht bei dem Landgericht, das die Rückverweisung ausgesprochen hat, anhängig geworden war.
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bb) Jedenfalls kommt dem Zurückverweisungsbeschluss keine Bindungswirkung zu, da das Landgericht gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs verstoßen hat.
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Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 f.; jeweils m. w. N.).
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Bei Anlegung dieses Maßstabs ist der Rückverweisungsbeschluss des Landgerichts nicht bindend, da er unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen ist. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt jedem Verfahrensbeteiligten die grundsätzliche Möglichkeit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass einer Entscheidung in tatsächlicher (und rechtlicher) Hinsicht zu äußern (st. Rspr. seit BVerfG, Beschluss vom 18. September 1952, BVerfGE 1, 418 [429, juris Rn. 46]; vgl. Beschluss vom 10. September 2021, 1 BvR 1029/20, juris Rn. 14; Beschluss vom 20. September 2012, 1 BvR 1633/09, juris Rn. 11; Beschluss vom 8. Juni 1993, 1 BvR 878/90, BVerfGE 89, 28 [35, juris Rn. 26]; jeweils m. w. N.). Den Parteien ist vom Landgericht keine Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Zurückverweisung eingeräumt worden, zumal beide Parteien die Ansicht vertreten hatten, dass der Streitwert über 5.000,00 € liege.
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4. Für die weitere Prüfung der Zuständigkeit (§ 1 ZPO, § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG) weist der Senat auf Folgendes hin:
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Neben dem Klageantrag Ziffer 2, der auf Rückzahlung der vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2018 im Tarif PZ/10 und vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 im Tarif COMFORT in Höhe von insgesamt 2.183,28 € gerichtet ist (vgl. Seite 20 der Klageschrift), erhöht der wirtschaftlich identische Klageantrag Ziffer 1 auf Feststellung der Unwirksamkeit der zum 1. Januar 2015 und 1. Januar 2017 (Tarif PZ/10) bzw. zum 1. Januar 2016 und 1. Januar 2018 (Tarif COMFORT) erfolgten Prämienerhöhungen und der Nichtverpflichtung zur Tragung der Erhöhungsbeträge den Streitwert nicht, soweit er sich auf dieselben Zeiträume bezieht (vgl. BGH, Urt. v. 10. März 2021, IV ZR 353/19, VersR 2021, 564 Rn. 37; Beschluss vom 20. Januar 2021, IV ZR 294/19, juris Rn. 2).
32
Sollte der Feststellungsantrag Ziffer 1 aber auch den Zeitraum ab 1. Januar 2019 (Tarif PZ/10) und ab 1. Januar 2020 (Tarif COMFORT) (vgl. Seite 20 der Klageschrift) und insbesondere die Feststellung der künftigen Nichtleistungspflicht betreffen, würde sich der Streitwert erhöhen. Da die Klage am 18. Mai 2021 anhängig geworden ist, sich der Zahlungsantrag jedoch nur auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2018 (Tarif PZ/10) bzw. 31. Dezember 2019 (Tarif COMFORT) erstreckt, würden in diesem Fall allein wegen des für die Feststellung der künftigen Nichtleistungspflicht grundsätzlich gemäß § 9 ZPO analog zugrunde zu legenden Zeitraums von 3,5 Jahren dementsprechend 42 Monate streitwerterhöhend wirken (vgl. BGH, VersR 2021, 564 Rn. 37; Beschluss vom 20. Januar 2021, IV ZR 294/19, juris Rn. 2). Es könnte sich somit eine Streitwerterhöhung für den Klageantrag Ziffer 2 von mindestens 3.300,36 € (42 Monate x 28,63 € [Erhöhungsbeträge 7,21 € + 21,42 €] für den Tarif PZ/10 und 42 Monate x 49,95 € [Erhöhungsbeträge 5,18 € + 44,77 €] für den Tarif COMFORT) und damit ein Gesamtstreitwert von über 5.000,00 € ergeben. Die Reichweite des Feststellungsantrags wäre durch Auslegung des Klageantrags - auch unter Berücksichtigung der Klagebegründung - zu ermitteln. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass festgestellt werden soll, dass die Prämienanpassungen „… unwirksam sind“ (und nicht „unwirksam waren“), es aber auch heißt, „… und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrags verpflichtet war“ (Hervorhebungen durch den Senat).
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Der Klageantrag Ziffer 4 wirkt streitwerterhöhend. Es wäre zunächst zu ermitteln, ob sich der Auskunftsantrag auch auf die für den Zahlungsantrag maßgeblichen Prämienanpassungen der Tarife PZ/10 und COMFORT bezieht (vgl. die teilweise Erledigterklärung im Schriftsatz der Klägerin vom 28. September 2021) oder ob nur andere ehemalige und derzeitige Tarife bzw. Zeiträume erfasst sein sollen. Der Streitwert für den Auskunftsanspruch wäre gemäß § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen; die Schätzung richtete sich nach objektiven Anhaltspunkten in der Klagebegründung bei Einreichung (§ 40 GKG) unter Berücksichtigung der Erwartung der Klägerin (vgl. Herget in Zöller, ZPO, § 3 Rn. 16.28). Auszugehen wäre vom erwarteten Zahlungsbetrag; da der Antrag nur auf Auskunft gerichtet ist, wäre ein Bruchteil von diesem anzusetzen. Wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts genügende Anhaltspunkte bietet, ist nicht auf einen „Pauschbetrag“ oder einen „Auffangstreitwert“ von 5.000,00 € abzustellen.
34
Das Amtsgericht ist im Rahmen der Prüfung seiner sachlichen Zuständigkeit an den vorläufigen Streitwertbeschluss des Landgerichts nicht gebunden. Diese wird nicht originär durch einen Streitwertbeschluss begründet, sondern richtet sich nach § 1 ZPO in Verbindung mit den Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und ergänzend den §§ 3 bis 9 ZPO. Eine Abänderung des vorläufigen Streitwertbeschlusses des Landgerichts wäre daher keine Voraussetzung für eine neuerliche Verweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Mai 2013, 32 SA 8/13, juris Rn. 20).