Inhalt

LG München I, Beschluss v. 29.11.2021 – 36 T 9979/21
Titel:

Erfolgreiche sofortige Beschwerde gegen Beschluss, ein selbständiges Beweisverfahren sei zum Teil beendet

Normenketten:
ZPO § 485 Abs. 2 S. 2, § 490 Abs. 1, § 492 Abs. 1, § 567 Abs. 1 Nr. 2
WEG § 18 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig gegen einen Beschluss, durch den das Gericht ein selbständiges Beweisverfahren hinsichtlich einzelner Beweiserhebungen mangels Mitwirkung der Verfahrensparteien für beendet erklärt. Denn ein solcher Beschluss kann, wenn er vor der gesetzlichen Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens ergeht, verhindern, dass einer Verfahrenspartei das ihr zustehende rechtliche Gehör auch mit Blick auf das rechtliche Interesse iSv § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO gewährt wird. (Rn. 35 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein selbstständiges Beweisverfahren ist erst beendet, wenn der Gutachter sich zu den gestellten Beweisfragen geäußert hat und innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der mündlichen Anhörung keine Anträge einer Partei zur Ergänzung des Gutachtens gestellt werden. Ein vor diesem Zeitpunkt ergangener Ausspruch, das selbständige Beweisverfahren sei (teilweise) beendet, verletzt das Recht des Antragstellers auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Verweigert der Beweisführer die Bauteilöffnung bei einer vom Gericht angeordneten Begutachtung bzw. erteilt der zur Zustimmung zur Bauteilöffnung ggf. Verpflichtete sein Einverständnis hiermit nicht, führt dies noch nicht dazu, dass der Beweisführer als beweisfällig geblieben anzusehen ist. Vielmehr muss das Gericht alle anderen Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen, insbesondere eine Begutachtung ohne die Bauteilöffnung veranlassen. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentümer, selbständiges Beweisverfahren, Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens, sofortige Beschwerde, rechtliches Gehör, rechtliches Interesse, Bauteilöffnung, Sachverständigengutachten
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 18.05.2021 – 414 H 20715/19
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.09.2022 – V ZB 71/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58275

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 18.05.2021, Az. 414 H 20715/19 WEG, aufgehoben.
2. Die Akte wird zur weiteren Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens an das Amtsgericht München zurückgegeben.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 04.06.2021 (Bl. 97 d. A.) gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 18.05.2021 (Bl. 95 d. A.).
2
Mit Schreiben vom 03.12.2019 hat der Antragsteller die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beim Amtsgericht München beantragt (Bl. 1/7 d. A.).
3
Mit Schreiben vom 02.02.2020 hat der Antragsteller die Bezeichnung der Antragsgegnerpartei von „WEG H. straße 3-76, D. straße 19, ... M.“ auf „die übrigen Eigentümer der WEG …“ geändert und eine Antragsschrift vom 01.02.2020 beigefügt (Bl. 12/20 d. A.).
4
Mit Beschluss vom 05.03.2020 hat das Amtsgericht München die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens darüber, ob die in der Antragsschrift vom 01.02.2020 gem. Ziffer I bis III behaupteten Zustände bestehen und aus technischer Sicht Mängel vorliegen, und was die Ursachen für etwaige Mängel sind, angeordnet (Bl. 23/25 d. A.).
5
Mit Schreiben gemäß Verfügung vom 17.04.2020, zugestellt am 23.04.2020 wurde der Gutachter vom Amtsgericht beauftragt (Bl. 33/34 d. A.).
6
Am 17.06.2020 fand ein erster Ortstermin statt (Bl. 50/51 d. A.).
7
Mit Schreiben vom 17.07.2020 forderte der Sachverständige weitere Unterlagen an und bat um Fristverlängerung für die Fertigstellung des Gutachtens bis 01.01.2021 (Bl. 50/51 d. A.).
8
Mit Schreiben vom 11.09.2020 lud der Sachverständige zum Ortstermin am 09.11.2020 ein (Bl. 60/62 d. A.). Zugleich führte er aus, dass für den Ortstermin eine Hebebühne und speziell ausgerüstete Handwerker erforderlich seien, um Bauteilöffnungen durchzuführen; diese seien von den Parteien zu beauftragen.
9
Mit Schreiben vom 06.11.2020 sagte der Sachverständige den Ortstermin am 09.11.2020 ab, da sich herausgestellt habe, dass keine Partei die dafür benötigte Hebebühne und Handwerker stelle; gegebenenfalls möge das Gericht dies anordnen (Bl. 70/71 d. A.). Das Gericht verfügte eine Wiedervorlage von 3 Monaten.
10
Mit Schreiben vom 15.12.2020 erinnerte der Sachverständige an sein Schreiben vom 06.11.2020 (Bl. 72 d. A.). Das Gericht gab dem Antragsteller mit Verfügung vom 22.12.2020 hierzu eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen (Bl. 73 d. A.).
11
Mit Schreiben vom 19.01.2021 nahm der Antragsteller Stellung und beantragte die Auferlegung der Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen (Hebebühne etc.) an die Antragsgegnerin (Bl. 74/75 d. A.). Das Gericht gab der Antragsgegnerin hierzu mit Verfügung vom 22.01.2021 Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen (Bl. 74 d. A.).
12
Mit Schreiben vom 06.02.2021 teilte der Sachverständige mit, dass er nach Mitteilung, wer die Hebebühne und die Handwerker stelle, zu einem weiteren Ortstermin einladen werde (Bl. 76/78 d. A.).
13
Mit Schreiben vom 11.02.2021 fragte das Gericht daraufhin bei den Parteien an, ob eine Hebebühne und Handwerker für die Begutachtung gestellt werden (Bl. 79 d. A.).
14
Mit Schriftsatz vom 15.02.2021 teilte der Antragsgegnervertreter mit, dass die Antragsgegner weder Hebebühne noch Handwerker stellen würden, der Antragsteller sei Beweisführer (Bl. 80/81 d. A.). Das Gericht gab dies mit Verfügung vom 22.02.2021 an den Antragsteller hinaus.
15
Mit Beschluss vom 04.04.2021 wies das Amtsgericht darauf hin, dass der Antragsteller Beweisführer sei, sowie, dass eine Beweiserhebung ggf. nach entsprechenden Haftungsfreistellungserklärungen des Antragstellers und Einzahlung eines weiteren Kostenvorschusses für die Beauftragung durch den Sachverständigen fortgesetzt werden könne (Bl. 82/84 d. A.).
16
Mit Schreiben vom 14.04.2021 nahm der Antragsteller hierzu Stellung (Bl. 85/87 d. A.). Er verlangte darin u. a. einen Ortstermin durch das Gericht zur Klärung von Unstimmigkeiten zur Aufstellung einer Hebebühne sowie eine Entscheidung, die ihn von gemeinschaftlichen Nutzungseinschränkungen freistelle und die Gemeinschaft veranlasse, ihr Gemeinschaftseigentum in einen einwandfrei nutzbaren Zustand zu versetzen; Haftungsfreistellungen gebe er nicht ab.
17
Mit Schriftsatz vom 18.05.2021 nahm der Antragsgegnervertreter hierzu Stellung (Bl. 89/94 d. A.). Der Antragsteller habe gegen die übrigen Eigentümer ohne Vorbefassung der Eigentümerversammlung ein selbständiges Beweisverfahren beantragt. Dieser werde für etwaige Schäden, die durch die Begutachtung am gemeinschaftlichen Eigentum entstehen, in Haftung genommen. Haftungsfreistellungen für den Antragsgegner durch die übrigen Eigentümer seien nicht möglich.
18
Am 18.05.2021 erließ das Amtsgericht München folgenden Beschluss (Bl. 95/96 d. A.):
„Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass weder Antragsteller noch Antragsgegner Handwerker und Hebebühne stellen. Im Hinblick auf das Schreiben des Sachverständigen vom 06.02.2021 wird daher nur für den Innenbereich das selbständige Beweisverfahren weitergeführt, im übrigen ist es beendet. Nach Angaben des Sachverständigen kann für den Innenbereich eine Gutachtenserstattung erfolgen. Der Sachverständige wird insoweit beauftragt, für den Innenbereich aufgrund der am 17.06.2020 getroffenen Feststellungen sein Gutachten zu erstatten.“
19
Der Beschluss wurde am 19.05.2021 formlos an den Antragsteller hinausgegeben (Bl. 96 d. A.).
20
Gegen den Beschluss legte der Antragsteller mit Schreiben vom 04.06.2021, eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde ein (Bl. 97 d. A.).
21
Diese begründete er u. a. damit (Bl. 101/102 d. A.), dass die Feststellung des Amtsgerichts, dass vom Antragsteller keine Hebebühne bereitgestellt werde, nicht der Wahrheit entspreche, da sich diese Angelegenheit erst in der Klärungsphase befunden habe. Der Umstand, dass er als Antragsteller bislang keine Hebebühne habe stellen können, läge einzig und allein am nicht verkehrssicheren Zustand des Rettungsweges der Gemeinschaft. Nach der Beseitigung dieser Behinderungen könne kurzfristig auch eine Lkw-Hebebühne gestellt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung verwiesen.
22
Mit Schreiben vom 02.07.2021 teilte der Sachverständige mit, dass die Handwerker von den Parteien gestellt werden müssten. Er verstehe die Ausführungen des Antragstellers so, dass die Hebebühne nun vom Antragsteller gestellt werden könne und ein weiterer Ortstermin gewünscht sei; diesen könne er durchführen, wenn eine Hebebühne gestellt werde. Er bitte um Mitteilung des Gerichts, ob von ihm nun zu einem Ortstermin eingeladen werden solle (Bl. 106/107 d. A.).
23
Mit Verfügung vom 07.07.2021 gab das Gericht dieses Schreiben an die Parteien hinaus.
24
Mit Beschluss vom 22.07.2021 half das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde vom 04.06.2021 nicht ab und legte die Akten dem Landgericht München I als Beschwerdegericht vor (Bl. 109/110 d. A.). Unabhängig davon, ob die sofortige Beschwerde überhaupt zulässig sei, sei sie auf jeden Fall unbegründet. Auch wenn der Antragsteller nunmehr offenbar bereit sei, eine Hebebühne zu stellen, verbleibe es dabei, dass daneben speziell ausgerüstete Handwerker erforderlich seien, die die Bauteilöffnungen durchführen. Eine Weisung nach § 404 Abs. 1, Abs. 4 ZPO an den Sachverständigen, diese zu beauftragen, halte das Gericht unabhängig davon, ob dies überhaupt möglich sei, nicht für sachgerecht, da der Sachverständige sich ansonsten verschiedenen potentiellen Anspruchstellern gegenübersehen könnte, wenn bei den Bauteilöffnungen etwas schiefgehe. Der Sachverständige werde daher sein Gutachten nur für den Innenbereich erstatten, im Übrigen sei keine weitere Begutachtung erforderlich.
25
Mit Beschluss vom 06.08.2021 hat das Beschwerdegericht Gelegenheit zur Stellungnahme zum Nichtabhilfebeschluss vom 22.07.2021 gegeben und gem. § 571 Abs. 3 S. 1 ZPO eine Frist von drei Wochen gesetzt (Bl. 114/116 d. A.).
26
Die Antragsgegner beantragen mit Schriftsatz vom 11.08.2021 (Bl. 117/119 d. A.),
die Beschwerde zurückzuweisen.
27
Die Innenbegutachtung sei möglich, die Außenbegutachtung ohne die Mitwirkung des Antragstellers nicht. Der Beschluss, durch den die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens festgestellt werde, habe nur deklaratorische Wirkung. Eine Beschwerde gegen einen solchen Beschluss sei, wie das OLG München entschieden habe, mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der vom OLG entschiedene Fall, wonach ein Dritter die Begutachtung mit Verweis auf den Grundrechtsschutz seiner Wohnung verweigere und damit eine Beschwerde zulässig mache, sei hier nicht gegeben.
28
Mit Schreiben vom 02.09.2021 nahm der Antragsteller zum Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts München Stellung (Bl. 122/124 d. A.). Das Problem mit der Hebebühnenaufstellung sei mittlerweile gelöst. Allerdings sei sein Haftungsrisiko bei der Beauftragung von Handwerkern für Bauteilöffnungen nicht abgesichert. Eine solche Maßnahme werde er ohne Haftungsfreistellung durch die WEG nicht beauftragen.
29
Mit Beschluss vom 20.10.2021 wurde das Verfahren gem. § 568 ZPO zur Entscheidung der Kammer übertragen (Bl. 128/130 d. A.).
30
Ergänzend wird auf den gesamten Akteninhalt im Übrigen verwiesen.
II.
31
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
32
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig.
33
a) Im Ansatz zu Recht weisen die Antragsgegner zwar darauf hin, dass der Beschluss, mit dem die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens festgestellt wird, nur deklaratorische und keine konstitutive Wirkung hat, denn das selbständige Beweisverfahren endet mit seiner sachlichen Erledigung (OLG München Beschluss vom 12.12.2019 - 20 W 1503/19, BeckRS 2019, 31704 Rn. 11; vgl. BGH, Beschluss vom 24.03.2009, VII ZR 200/08 = NJW-RR 2009, 1243). Vor diesem Hintergrund geht das Oberlandesgericht München in der zitierten Entscheidung zunächst davon aus, dass eine gegen einen solchen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde mangels Rechtsschutzbedürfnisses grundsätzlich unzulässig ist (OLG München Beschluss vom 12.12.2019 - 20 W 1503/19, BeckRS 2019, 31704 Rn. 11; ebenso Zöller/ Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 490 ZPO, Rn. 4).
34
b) Allerdings weist das Oberlandesgericht München in der genannten Entscheidung auch darauf hin, dass die Abweisung eines Antrags auf Durchführung der Beweiserhebung durch Beschluss gem. § 490 Abs. 2 ZPO im Gesetz ausdrücklich vorgesehen sei ist (OLG München Beschluss vom 12.12.2019 - 20 W 1503/19, BeckRS 2019, 31704 Rn. 16). Mit diesem Fall erachtet es das Oberlandesgericht München als vergleichbar, wenn das Gericht einen Antrag auf Fortsetzung der Beweisaufnahme mit anderen Mitteln ablehnt und statt dessen das selbständige Beweisverfahren deklaratorisch für beendet erklärt; gegen diesen Beschluss hat es die sofortige Beschwerde für zulässig gehalten (OLG München Beschluss vom 12.12.2019 - 20 W 1503/19, BeckRS 2019, 31704 Rn. 16).
35
c) Ebenso ist die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässig gegen Beschlüsse, durch die das Gericht im selbstständigen Beweisverfahren einen zunächst antragsgemäß erlassenen Beweisbeschluss teilweise wieder aufgehoben hat (OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 30.7.2013 - 4 W 30/13, BeckRS 2013, 15869).
36
d) Hiermit ist aus Sicht der Kammer der Fall vergleichbar, dass das Gericht ein selbständiges Beweisverfahren durch Beschluss hinsichtlich einzelner Beweiserhebungen mangels Mitwirkung der Verfahrensparteien teilweise für beendet erklärt, während das Verfahren teilweise noch weiter geführt wird. Zwar kann das Gericht, wie auch das OLG München dargelegt hat, durch einen solchen Beschluss das selbständige Beweisverfahren nicht beenden. Allerdings kann ein solcher Beschluss jedenfalls dann, wenn er vor der gesetzlichen Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens ergeht, verhindern, dass einer Verfahrenspartei das ihr zustehende rechtliche Gehör gewährt wird (so OLG Köln Beschluss vom 7.11.2019 - 7 W 45/19, BeckRS 2019, 31517 Rn. 6). Aus diesem Grunde erachten andere Oberlandesgerichte die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluss, der die Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens ausspricht, entgegen dem OLG München gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO als zulässig (OLG Köln Beschluss vom 7.11.2019 - 7 W 45/19, BeckRS 2019, 31517 Rn. 6; ebenso OLG Celle, Beschluss vom 7. 4. 2009 - 16 W 27/09, DS 2009, 318). Das Rechtsschutzbedürfnis wird insoweit jedenfalls aus dem rechtlichen Interesse iSv § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO abgeleitet (OLG Celle, Beschluss vom 7. 4. 2009 - 16 W 27/09, DS 2009, 318), der ausgesprochen weit zu fassen ist (grundlegend BGH, Beschluss vom 14.3.2018 - V ZB 131/17, NJW 2018, 1749, Rn. 11). Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an. Denn der Begriff des rechtlichen Interesses iSv § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO als Voraussetzung der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wäre letztlich entkernt, wenn der sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den ein Gericht feststellt, das selbständige Beweisverfahren sei (ganz oder teilweise) beendet und damit letztlich die Weiterführung der Begutachtung verhindert, das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen würde.
37
e) Die sofortige Beschwerde wurde auch form- und fristgerecht gem. § 569 ZPO eingelegt. Zwar wurde der Beschluss des Amtsgerichts München vom 18.05.2021 nicht förmlich zugestellt, doch ist angesichts der Hinausgabe des Beschlusses am 19.05.2021 und der Einlegung der Beschwerde am 04.06.2021 angesichts üblicher Postlaufzeiten nicht widerlegbar, dass die Frist des § 569 ZPO gewahrt wurde.
38
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.
39
a) Das Amtsgericht hat gemäß § 492 Abs. 1 ZPO die Fortsetzung der Begutachtung durch den Sachverständigen im Rahmen der bestehenden tatsächlichen Möglichkeiten - wenn Bauteilöffnungen von den Parteien verweigert werden, ggf. auch ohne Bauteilöffnungen - anzuordnen. Ein selbstständiges Beweisverfahren ist ungeachtet des Inhalts des Gutachtens erst beendet, wenn der Gutachter sich zu den gestellten Beweisfragen geäußert hat und innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach der mündlichen Anhörung keine Anträge einer Partei zur Ergänzung des Gutachtens gestellt werden (BGH, Beschluss vom 24. 3. 2009 - VII ZR 200/08, NJW-RR 2009, 1243, 1244). Der Ausspruch, das selbständige Beweisverfahren sei (teilweise) beendet, verletzt das Recht des Antragstellers auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO.
40
b) Das Beschwerdegericht verkennt nicht, dass die Problematik, ob und an wen Bauteilöffnungen im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums in einer Wohnungsgemeinschaft im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens, bzw. deren Duldung, angeordnet werden können, schwierig und in der Rechtsprechung nicht in jeder Hinsicht geklärt ist. Höchstgerichtlich geklärt ist, dass es den übrigen Wohnungseigentümern bzw. der Gemeinschaft nicht aufgegeben werden darf, Bauteilöffnungen am gemeinschaftlichen Eigentum im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens zu dulden, an dem sie nicht beteiligt und damit „Dritte“ im Verhältnis zu den Verfahrensparteien sind (BGH, Beschluss vom 16. 5. 2013 - VII ZB 61/12, NJW 2013, 2687). Bauteilöffnungen ohne Zustimmung des Berechtigten - das ist hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums gemäß § 18 Abs. 1 WEG seit 1.12.2020 die Gemeinschaft - sind grundsätzlich unzulässig (MüKoBGB/ Hogenschurz, 8. Aufl. 2021, WEG § 43 Rn. 54). Dies wirft in Konstellationen wie hier, in denen ein Wohnungseigentümer das selbständige Beweisverfahren bei Gericht beantragt hat, die übrigen Wohnungseigentümer aber ihre ablehnende Haltung zu Bauteilöffnungen zum Ausdruck bringen und dem Antragsteller mit Schadensersatzansprüchen infolge der Bauteilöffnungen drohen, besondere Schwierigkeiten auf. Einerseits obliegen grundsätzlich dem Beweisführer etwaige Bauteilöffnungen, wenn diese - wie regelmäßig - nicht der Sachverständige selbst vornimmt (vgl. Toussaint, Anm. zu BGH, Beschluss vom 15.01.2020 - VII ZB 96/17, BeckRS 2020, 1275, FD-ZVR 2020, 426243; OLG Celle, Beschluss vom 7.4.2009 - 16 W 27/09, DS 2009, 318) und diese auch nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts zulässigerweise nicht angeordnet werden (BGH, Urt. v. 23.9.2020 - IV ZR 88/19, NZM 2020, 1047). Andererseits dürften die übrigen Wohnungseigentümer - bzw. nach § 18 Abs. 1 WEG die Gemeinschaft - nach dem Grundsatz ordnungsmäßiger Verwaltung an der Mitwirkung an einem selbständigen Beweisverfahren zur Feststellung etwaiger Schäden am gemeinschaftlichen Eigentum verpflichtet sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14.3.2018 - V ZB 131/17, NJW 2018, 1749). Dies gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller vor der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens eine Vorbefassung der Eigentümerversammlung herbeigeführt hat, da dies, wie zwischenzeitlich vom Bundesgerichtshof entschieden, gerade nicht Zulässigkeitsvoraussetzungen eines selbständigen Beweisverfahrens ist (BGH, Beschluss vom 14.3.2018 - V ZB 131/17, NJW 2018, 1749). Insoweit könnte sich, wenn im vorliegenden Verfahren die Antragsgegner weiterhin darauf beharren, dass sie den Antragsteller für etwaige Beschädigungen des gemeinschaftlichen Eigentums durch Bauteilöffnung in Haftung nehmen würden, möglicherweise in einem späteren Hauptsacheverfahren die Frage stellen, zu wessen Lasten hier ggf. die Grundsätze der Beweisvereitelung zur Anwendung kommen (vgl. BeckOK WEG/ Müller, 46. Ed. 1.10.2021, WEG § 9a Rn. 293).
41
c) Aber darauf kommt es für die Begründetheit der hier zu beurteilenden Beschwerde nicht an. Denn selbst dann, wenn der jeweilige Beweisführer die Bauteilöffnung bei einer vom Gericht angeordneten Begutachtung verweigert, bzw. der zur Zustimmung zur Bauteilöffnung ggf. Verpflichtete sein Einverständnis hiermit nicht erteilt, führt dies noch nicht dazu, dass der Beweisführer als beweisfällig geblieben anzusehen ist. Vielmehr muss das Gericht alle anderen Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen, insbesondere eine Begutachtung ohne die Bauteilöffnung veranlassen (Musielak/Voit/ Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 404a Rn. 2). Ist eine Bauteilöffnung also vorliegend nicht möglich, weil keine der Parteien diese durch entsprechende Handwerker beauftragt, so kann dies zwar dazu führen, dass der Sachverständige einen Teil der vom Antragsteller aufgeworfenen Beweisfragen nicht beantworten kann. Dies zu prüfen und gegebenenfalls schriftlich darzulegen ist aber Aufgabe des Sachverständigen im Rahmen des ihm erteilten Auftrags. Diesen Auftrag durfte das Gericht nicht durch die Feststellung, das selbständige Beweisverfahren werde nur noch für den Innenbereich geführt und sei „im übrigen beendet“, (faktisch) teilweise beenden, da es damit die Weiterführung der Begutachtung und die vom Gesetz vorgesehene Beendigung des selbständigen Beweisverfahrens einschließlich der darin vorgesehenen Möglichkeiten des rechtlichen Gehörs unterbinden würde. Vielmehr ist die Beweisaufnahme mit den bestehenden Mitteln fortzusetzen. Welche Folgen die unterlassene Bauteilöffnung für die Parteien des selbständigen Beweisverfahrens hat, ist erst nachfolgend zu klären. Aus diesem Grunde ist die sofortige Beschwerde des Antragstellers begründet und das selbständige Beweisverfahren entsprechend im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten fortzusetzen.
III.
42
1. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da die Kosten des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens Kosten der Hauptsache sind und von deren Kostenentscheidung erfasst werden (BeckOK ZPO/ Kratz, 42. Ed. 1.9.2021, ZPO § 490 Rn. 6; vgl. etwa OLG Frankfurt a. M. Beschluss vom 11.12.2017 - 8 W 18/17, BeckRS 2017, 138271 Rn. 61).
43
2. Das Verfahren wurde gemäß § 568 S. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO der Kammer zur Entscheidung übertragen.
44
3. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 S. 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 2 ZPO zuzulassen, da zur Frage der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss, das selbständige Beweisverfahren sei beendet, in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte unterschiedliche Auffassungen bestehen bzw. zumindest zu bestehen scheinen (einerseits OLG München, Beschluss vom 12.12.2019 - 20 W 1503/19, BeckRS 2019, 31704 Rn. 11, andererseits OLG Köln, Beschluss vom 7.11.2019 - 7 W 45/19, BeckRS 2019, 31517 Rn. 6 und OLG Celle, Beschluss vom 7.4.2009 - 16 W 27/09, DS 2009, 318).