Titel:
Schadensersatzanspruch, Reparaturkosten, Abtretung, Berufung, Ermessen, Zahlung, Forderung, Nebenforderung, Verfahren, Vollstreckbarkeit, Reparaturwerkstatt, Beweisaufnahme, Werkstatt, Inanspruchnahme, billigem Ermessen
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Reparaturkosten, Abtretung, Berufung, Ermessen, Zahlung, Forderung, Nebenforderung, Verfahren, Vollstreckbarkeit, Reparaturwerkstatt, Beweisaufnahme, Werkstatt, Inanspruchnahme, billigem Ermessen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58274
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 71,99 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.09.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 71,99 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 71,99 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis.
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Die Beklagte hat auch die weiteren bisher nicht regulierten Reparaturkosten zu erstatten.
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Die Einwände der Beklagtenpartei gegenüber der klägerseits vorgelegten Reparaturrechnung greifen im Ergebnis nach Auffassung des Gerichts nicht durch. Für die Klagepartei streitet hier das sog. Werkstatt- bzw. Prognoserisiko.
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Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei der streitigen Rechnungsposition „Covid-19 Schutzmaßnahme inkl. Material“ um erforderliche Reparaturmaßnahmen handelt. Vor diesem Hintergrund war eine weitere Beweiserhebung zur Erforderlichkeit dieser strittigen in der Rechnung enthaltenen Position nicht veranlasst. Die vom Geschädigten zur Mängelbeseitigung von ihm beauftragten Drittunternehmer sind regelmäßig nicht seine Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB im Verhältnis zum Schädiger, so dass die Klagepartei als Geschädigte im Rahmen des Anspruchs auf Erstattung des erforderlichen Geldbetrages nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nicht das so genannte Werkstattrisiko zu tragen hat (vgl. nur LG Hagen, Urteil vom 04.12.2009, AZ: 8 O 97/09 m.w.N.). Dieses muss vielmehr in der Sphäre des Schädigers verbleiben, denn es besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde. Die dem Geschädigten durch § 249 Abs. 2 BGB gewährte Möglichkeit der Ersetzung ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn, sondern der Schädiger haftet ebenfalls für Folgeschäden, die während der Reparatur eines verunfallten Kfz durch Fehler der Reparaturwerkstatt entstehen (BGH, Urteil vom 29.10.1974, AZ: VI ZR 42/73). Die Ersatzpflicht erstreckt sich vor allem auch auf diejenigen Mehrkosten, die ohne Schuld des Geschädigten - etwa durch unsachgemäße Maßnahmen der von ihm beauftragen Werkstatt - verursacht worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2004, Az: 17 U 107/04). Den beschränkten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten sind bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt, vor allem, sobald er, wie im vorliegenden Fall der Kläger, einen Reparaturauftrag erteilt und das zu reparierende Objekt in die Hände von Fachleuten gibt. Allenfalls kann der Zurechnungszusammenhang bei ungewöhnlich grobem Fehlverhalten des Dritten entfallen, welches billigerweise nicht mehr dem durch den Ersteingriff begründeten Schadensrisiko zugeordnet werden kann (LG Hagen a.a.O.). Selbst wenn also im vorliegenden Fall objektiv eine Notwendigkeit der von der Beklagten gekürzten Position nicht bestanden haben sollte, kann aufgrund des den Schädiger treffenden Werkstattrisikos die Beklagte sich gegenüber der Klagepartei hierauf nicht berufen.
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Die streitgegenständlichen Desinfektionskosten in Höhe von 71,99 € sind für einen Laien auch nicht erkennbar erhöht. Ein Laie hat regelmäßig keine Kenntnisse, wie hoch die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie in Kfz-Reparaturwerkstätten sind.
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Im vorliegenden Fall war zudem streitig, ob die Theorie vom Werkstattrisiko auch dann anwendbar ist, wenn die Reparaturrechnung vom Geschädigten (noch) nicht vollständig bezahlt wurde.
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Wie das LG Coburg in der von der Klagepartei vorgelegten Entscheidung vom 12.05.2021 (32 S 7/21) zutreffend ausführt, ändert sich an den vorgenannten Grundsätzen nichts, wenn der Geschädigte die Werkstattrechnung noch nicht vollständig bezahlt hat. Der Geschädigte kann nämlich auch in Fällen der unsachgemäßen oder unwirtschaftlichen Arbeitsweise bzw. im Falle des Ansatzes überhöhter Material- oder Arbeitszeitkosten nicht darauf verwiesen werden, der übersetzten Forderung der Werkstatt seine Einwände entgegenzusetzen, um die Forderung in gerichtlicher Auseinandersetzung auf die angemessene Höhe zurückzuführen, vgl. BGH, NJW 1975, 160. Der Geschädigte muss bei nicht vollständiger Zahlung jederzeit mit einer Inanspruchnahme durch die Werkstatt rechnen.
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Nichts anderes ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeitvon Sachverständigenkosten bei noch nicht beglichener Honorarrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 19.7.2016, Az. VI ZR 491/15 sowie BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674). Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebende Wertung, dass einer unbeglichenen Honorarrechnung im Falle einer Zession keine Indizwirkung zukomme, ist auf die hier im Raum stehende Fallkonstellation nicht übertragbar. Zwar trifft es zu, dass derjenige Aufwand, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist, nicht pauschal durch den in Rechnung gestellten Betrag abgebildet wird, sondern dem tatsächlich zur Befriedigung des Finanzierungsbedarfs des Geschädigten objektiv erforderlichen Geldbetrag zur Durchführung der Reparatur entspricht (BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674, 675). Unter Berücksichtigung der individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten bildet jedoch im hier zu entscheidenden Fall, wenn der Geschädigte nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens reparieren lässt, der in der Rechnung verlautbarte Betrag denjenigen Aufwand ab, der aus Sicht des Geschädigten zur Durchführung der Reparatur erforderlich ist. Der Geschädigte hat nämlich aufgrund des zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens einen konkreten Anhaltspunkt, in welcher Größenordnung Reparaturkosten voraussichtlich anfallen werden und ist im Vertrauen hierauf eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns eingegangen. Dies gilt hier umso mehr, als die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten die im Sachverständigengutachten verlautbarten Kosten von 3.604,52 € nur um knapp 6 Prozent übersteigen.
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Auch die zu den Sachverständigenkosten von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen, wenn ein sog. „Schadensservice aus einer Hand“ vorliegt, greifen vorliegend bei tatsächlicher Reparatur nach Einholung eines Sachverständigengutachtens aus den obengenannten Gründen nicht. Daher war auch keine Beweisaufnahme dazu durchzuführen, ob die Voraussetzungen eines „Schadensservice aus einer Hand“ gegeben sind.
12
Ob die in der Rechnung enthaltenen Desinfektionsarbeiten tatsächlich durchgeführt wurden, gegebenenfalls erforderlich waren und die dafür in Rechnung gestellten Kosten der Höhe nach angemessen sind, ist daher nicht entscheidungserheblich. Hierauf käme es bei einer fiktiven Abrechnung der Reparaturkosten an, nicht jedoch bei konkreter Abrechnung nach tatsächlicher Durchführung der Reparatur.
13
Die Beklagtenseite kann sich auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht aus § 255 BGB berufen. Die Klagepartei hat der Beklagten mehrfach die Abtretung ihrer etwaigen Ansprüche gegen die Reparaturwerkstatt angeboten. Es steht der Beklagten daher frei, diese Abtretungserklärung anzunehmen.
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Der Klage war damit in der Hauptsache in vollem Umfange stattzugeben.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
18
Der Streitwert ergibt sich aus der Klageforderung ohne Einbeziehung der Zinsen.
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Die Berufung war nicht zuzulassen.
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Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.
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Die absolut herrschende Meinung in der Rechtsprechung bejaht die Anwendung der sog. Theorie vom Werkstattrisiko auch dann, wenn die Reparaturrechnung vom Geschädigten nicht vollständig bezahlt wurde. Die von der Beklagtenseite diesbezüglich zitierten Entscheidungen betreffen hingegen entweder eine andere Konstellation (BGH, Urt. V. 19.07.2016 zu den Sachverständigenkosten, nicht den Reparaturkosten) oder stellen einzelne Mindermeinungen dar. Da vermutlich sämtliche Amts- und Landgerichte Deutschlands mittlerweile mit in den Reparaturrechnungen enthaltenen Desinfektionskosten befasst sind, wird es zu diesem Thema regelmäßig auch abweichende Einzelentscheidungen geben.