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AG München, Endurteil v. 06.08.2021 – 322 C 7536/21
Titel:

Reparaturkosten, Ersatzpflicht, Ermessen, Herstellungsaufwand, Werklohnanspruch, Reparaturwerkstatt, Erstattung, Sachgrund, Schadensregulierung, Rechnung, Erforderlichkeit, Verfahren, Notwendigkeit, Kenntnis, billigem Ermessen, subjektbezogene Schadensbetrachtung

Schlagworte:
Reparaturkosten, Ersatzpflicht, Ermessen, Herstellungsaufwand, Werklohnanspruch, Reparaturwerkstatt, Erstattung, Sachgrund, Schadensregulierung, Rechnung, Erforderlichkeit, Verfahren, Notwendigkeit, Kenntnis, billigem Ermessen, subjektbezogene Schadensbetrachtung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58273

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 134,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.06.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 134,68 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

1
Gemäß § 495 a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
2
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 134,68 € aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 VVG, 1 PflVG aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis.
3
Die Beklagte hat auch die weiteren bisher nicht regulierten Reparaturkosten zu erstatten.
4
Die Einwände der Beklagtenpartei gegenüber der klägerseits vorgelegten Reparaturrechnung greifen im Ergebnis nach Auffassung des Gerichts nicht durch. Für die Klagepartei streitet hier das sog. Werkstatt- bzw. Prognoserisiko.
5
Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei den genannten Positionen um erforderliche Reparaturmaßnahmen handelt. Vor diesem Hintergrund war eine weitere Beweiserhebung zur Erforderlichkeit der strittigen in der Rechnung enthaltenen Positionen, namentlich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, nicht veranlasst. Die vom Geschädigten zur Mängelbeseitigung von ihm beauftragten Drittunternehmer sind regelmäßig nicht seine Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 278 BGB im Verhältnis zum Schädiger, so dass die Klagepartei als Geschädigte im Rahmen des Anspruchs auf Erstattung des erforderlichen Geldbetrages nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich nicht das so genannte Werkstattrisiko zu tragen hat (vgl. nur LG Hagen; Urteil vom 04.12.2009, AZ: 8 O 97/09 m.w.N.). Dieses muss vielmehr in der Sphäre des Schädigers verbleiben, denn es besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das Werkstattrisiko abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde. Die dem Geschädigten durch § 249 Abs. 2 BGB gewährte Möglichkeit der Ersetzung ist kein Korrelat für eine Überbürdung dieses Risikos auf ihn, sondern der Schädiger haftet ebenfalls für Folgeschäden, die während der Reparatur eines verunfallten Kfz durch Fehler der Reparaturwerkstatt entstehen (BGH, Urteil vom 29.10.1974, AZ: VI ZR 42/73). Die Ersatzpflicht erstreckt sich vor allem auch auf diejenigen Mehrkosten, die ohne Schuld des Geschädigten - etwa durch unsachgemäße Maßnahmen der von ihm beauftragen Werkstatt - verursacht worden sind (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.10.2004, Az: 17 U 107/04). Den beschränkten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten sind bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt, vor allem, sobald er, wie im vorliegenden Fall der Kläger, einen Reparaturauftrag erteilt und das zu reparierende Objekt in die Hände von Fachleuten gibt. Allenfalls kann der Zurechnungszusammenhang bei ungewöhnlich grobem Fehlverhalten des Dritten entfallen, welches billigerweise nicht mehr dem durch den Ersteingriff begründeten Schadensrisiko zugeordnet werden kann (LG Hagen a.a.O.). Selbst wenn also im vorliegenden Fall objektiv eine Notwendigkeit der von der Beklagten gekürzten Positionen nicht bestanden haben sollte, kann aufgrund des den Schädiger treffenden Werkstattrisikos die Beklagte sich gegenüber der Klagepartei hierauf nicht berufen.
6
Im vorliegenden Fall war insoweit allein streitig, ob der von der Klagepartei vorgelegten Reparaturrechnung hier eine Indizwirkung für die Erforderlichkeit des insoweit verlautbarten Aufwands zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zukommt.
7
Auch bei noch nicht vollständig beglichener Rechnung kommt dieser nach Auffassung des erkennenden Gerichts im vorliegenden Fall eine Indizwirkung dergestalt zu, dass die in der Rechnung verlautbarten Aufwendungen tatsächlich den erforderlichen Reparaturaufwand widerspiegeln. Der erforderliche Herstellungsaufwand bestimmt sich nämlich nicht allein nach Art und Ausmaß des Schadens, sondern auch nach den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Behebung des eingetretenen Schadens (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 314/90 sowie jüngst BGH, Urteil vom 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19). Insoweit ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung zu Grunde zu legen: Der Geschädigte, der nach Einholung eines privaten Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der Höhe der erforderlichen Reparaturkosten entsprechend dieses Gutachtens Reparaturauftrag erteilt und sich sodann gemäß der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Reparaturwerkstatt deren Werklohnanspruch ausgesetzt sieht, soll am Risiko, dass die Reparaturkosten dass tatsächlich zur Wiederherstellung erforderliche Maß übersteigen, nur in dem Maße beteiligt werden, in welchem er hierauf tatsächlich Einfluss nehmen kann. Daran anknüpfend kommen dem Geschädigten die Vorteile der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nicht zugute, wenn er auch im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten bei sorgfältiger Prüfung der Reparaturrechnung hätte erkennen können, dass hier überhöhte Positionen bzw. nicht zur Behebung des unfallbedingten Schadens erforderliche Positionen in Rechnung gestellt werden oder wenn ihn in sonstiger Weise ein Auswahlverschulden hinsichtlich der Reparaturwerkstatt trifft. Letzteres ist weder vorgetragen noch erkennbar.
8
Die Grundsätze der subjektbezogenen Schadensbetrachtung konkretisieren das im Schadensrecht verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot: Dieses gilt nicht absolut, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren und unter Berücksichtigung der individuellen Lage und der konkreten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten (BGH, Urteil vom 29.10.2019, Az. VI ZR 45/19).
9
Dem liegt eine Risikobewertung zu Gunsten des Geschädigten zugrunde. Diese greift nach Auffassung des erkennenden Gerichts in gleicher Weise, ob nun der Geschädigte die Rechnung bereits beglichen hat oder noch nicht vollständig beglichen hat. Unzweifelhaft ist der Geschädigte auch im vorliegenden Fall dem Werklohnanspruch der Reparaturwerkstatt ausgesetzt. Auch wenn also der Geschädigte die Reparaturrechnung noch nicht vollständig beglichen hat, kann er hierauf in Anspruch genommen und ggf. verklagt werden.
10
Nichts anderes ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung des BGH zur Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten bei noch nicht beglichener Honorarrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 19.7.2016, Az. VI ZR 491/15 sowie BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674). Die sich aus dieser Rechtsprechung ergebende Wertung, dass einer unbeglichenen Honorarrechnung im Falle einer Zession keine Indizwirkung zukomme, ist auf die hier im Raum stehende Fallkonstellation nicht übertragbar. Zwar trifft es zu, dass derjenige Aufwand, der zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich ist, nicht pauschal durch den in Rechnung gestellten Betrag abgebildet wird, sondern dem tatsächlich zur Befriedigung des Finanzierungsbedarfs des Geschädigten objektiv erforderlichen Geldbetrag zur Durchführung der Reparatur entspricht (BGH, Urteil vom 5.6.2018, Az. VI ZR 185/16 = DAR 2018, 674, 675). Unter Berücksichtigung der individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten bildet jedoch im hier zu entscheidenden Fall, wenn der Geschädigte nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens reparieren lässt, der in der Rechnung verlautbarte Betrag denjenigen Aufwand ab, der aus Sicht des Geschädigten zur Durchführung der Reparatur erforderlich ist. Der Geschädigte hat nämlich aufgrund des zuvor eingeholten Sachverständigengutachtens einen konkreten Anhaltspunkt, in welcher Größenordnung Reparaturkosten voraussichtlich anfallen werden und ist im Vertrauen hierauf eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung des Werklohns eingegangen.
11
Auch bezüglich der in der Rechnung aufgeführten Kosten für Schutzmaßnahmen gegen das Corona-Virus kann sich der Kläger auf das Werkstattrisiko berufen. Ob diese Desinfektionsarbeiten tatsächlich erforderlich waren und die dafür in Rechnung gestellten Kosten der Höhe nach angemessen sind, ist hier nicht zu entscheiden. Hierauf käme es bei einer fiktiven Abrechnung der Reparaturkosten auf Gutachtenbasis an, nicht jedoch bei konkreter Abrechnung nach tatsächlicher Durchführung der Reparatur.
12
Der Klage war damit in der Hauptsache in vollem Umfange stattzugeben.
13
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
15
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.