Titel:
Streitwert - Haupt- und Hilfsanspruch - wirtschaftliche Identität - Feststellungsantrag
Normenkette:
GKG § 42, § 44, § 45, § 63
Schlagworte:
Schadensersatz, Leistungen, Beschwerde, Schadensersatzanspruch, Streitwert, Festsetzung, Feststellungsklage, Frist, Auskunft, Kostenerstattung, Wert, Forderung, Leistungsantrag, Verfahren, wiederkehrende Leistungen, Wert des Beschwerdegegenstandes, von Amts wegen
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Endurteil vom 10.06.2021 – 8 Ca 1539/20
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58200
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg vom 18.06.2021 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 03.08.2021, Az. 8 Ca 1539/20, unter Zurückweisung der Beschwerde des Beklagtenvertreters abgeändert.
2. Der Gebührenstreitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 25.200,- € festgesetzt.
Gründe
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Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, Krankenversicherungsbeiträge für den Kläger auch im Ruhestand zu tragen, hilfsweise um Schadensersatz, soweit dem Kläger höhere Versicherungsbeiträge entstehen, hilfsweise um Auskunft zu welchem Prozentsatz sich der Kläger selbst privat versichern muss. Der Kläger hat die Mehrkosten für eine private Vollversicherung mit bisherigem Leistungsanspruch mit ca 700,- € monatlich angegeben.
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Das Arbeitsgericht hat den Streitwert mit Beschluss 01.03.2021 zunächst auf 25.200,- (36 × 700,- €) festgesetzt (Blatt 76 der Akten)
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Das erstinstanzliche Verfahren endete durch klageabweisendes Urteil vom 10.06.2021 (Blatt 106 der Akten). Dort wurde der Streitwert auf 29.900,- € festgesetzt Auf ein Schreiben der Beklagtenvertreter vom 16.06.2021 (Blatt 115 f der Akten) setzte das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf 40.320,- € fest. Hierbei ging es für den Antrag zu 1 von einem Wert von 25.200,- € aus, für den Hilfsantrag (Schadensersatz) von 12.600,- und für den Hilfsantrag (Auskunft) von 2.520,- €.
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Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 24.06.2021, eingegangen beim Arbeitsgericht am 25.06.2021, Beschwerde ein. Er habe keinen Leistungsantrag auf wiederkehrende Leistungen gestellt. Bei einer Feststellungsklage sei ein Abschlag von 20% zu machen. Die Festsetzung für den Hilfsantrag zu 2 (Schadensersatz) sei willkürlich erfolgt. Es gehe dem Kläger nur um die Mehrkosten. Es habe daher bei geschätzten 2.000,- € für diesen Antrag zu bleiben. Der Hilfsantrag zu 3 (Auskunft) könne deshalb auch keinen Bestand haben.
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Mit Beschluss vom 03.08.2021 half das Arbeitsgericht der Beschwerde teilweise ab, setzte den Gebührenstreitwert auf 32.784,- € fest und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Es ging für den Antrag zu 1 vom 36-fachen Unterschiedsbetrag (700,- €) aus, nahm aber einen Abschlag von 20% im Hinblick auf die Erhebung als Feststellungsklage vor (= 20.160,- €). Den Hilfsantrag (Schadensersatz) bewertete es mit der Hälfte dieses Betrages, den Hilfsantrag (Auskunft) mit 2.520,- €. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf Blatt 149 der Akten verwiesen Das Landesarbeitsgericht gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger ist u.a. der Auffassung, dass der im Urteil festgesetzte Wert nicht geändert werden könne. Der Beklagtenvertreter verteidigt die ursprüngliche Festsetzung auf 40.320,- €. Auf den Schriftsatz des Klägers vom 24.08.2021 (Blatt 152 f der Akten) und des Beklagtenvertreters vom 27.08.2021 (Blatt 156 f der Akten) wird Bezug genommen.
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I. Der Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 27.08.2021 ist als Beschwerde gegen den Teilabhilfebeschluss zu werten, so dass nunmehr zwei Beschwerden zu verbescheiden sind.
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II. Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richten sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt jeweils 200,- €. Die Beschwerden sind innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Beklagtenvertreter können aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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III. Die Beschwerde des Klägers ist begründet, die der Beklagtenvertreter unbegründet. Sie führen zur Abänderung des angegriffenen Beschlusses und zur Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.200,- €. Die Festsetzung auf diesen Betrag konnte auch von Amts wegen erfolgen, § 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
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1. Der im Urteil vom 10.06.2021 nach § 61 Abs. 3 ArbGG festgesetzte Streitwert ist im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen für die Gebühren nicht maßgebend (§ 62 Satz 2 GKG). Das Arbeitsgericht war daher nicht gehindert, einen abweichenden Streitwert zur Gebührenberechnung festzusetzen. Ebenso konnte das Arbeitsgericht den zunächst auf 25.200,- € festgesetzten Gebührenstreitwert mit dem angegriffenen Beschluss von Amts wegen ändern (§ 63 Abs. 3 Nr. 1 GKG).
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2. Für den Hauptantrag war ein Streitwert von 25.200,- € anzusetzen.
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a. In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 48 Abs. 1 Satz 1 GKG). Für Ansprüche von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen ist nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. In Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen werden die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge dem Streitwert nicht hinzugerechnet (§ 42 Abs. 3 Satz 1 HS 2 GKG).
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b. Der Kläger wollte mit dem Hauptantrag festgestellt haben, dass die Beklagte verpflichtet ist, monatliche Versicherungsbeiträge für den Kläger und seine Familienangehörigen ab 01.07.2021 zu zahlen. Damit macht der Kläger eine Forderung gerichtet auf wiederkehrende Leistungen geltend. Wiederkehrende Leistungen sind gleichartige Leistungen, die in gewissen Zeitabschnitten aus demselben Schuldverhältnisses fällig werden. Wiederkehrende Leistungen sind zwar in erster Linie Arbeitsentgelt, Prämien, Ruhegelder und Betriebsrenten. Aber auch wiederkehrende Leistungen, die ein Arbeitnehmer als monatliche Zuschüsse oder als monatlich fällig werdenden Schadenersatz verfolgt, fallen darunter (Schwab/Weth, ArbGG; 5. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 182; Tschöpe/Ziemann/Altenburg, Streitwert und Kosten im Arbeitsrecht, Teil 1 A Rz 595). Der Kläger gibt in der Klage seine monatlichen Mehrkosten bei Abschluss einer privaten Vollversicherung mit 700,- € an. Daraus ergibt sich ein Streitwert von 25.200,- € (700,- € × 36 Monate). Die Beklagte nennt ihrerseits konkret keine abweichenden Beträge.
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c. Der Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 1 GKG steht nicht entgegen, dass Gegenstand des Rechtsstreits Ansprüche sind, die erst nach Eintritt in den Ruhestand am 31.07.2021 zur Zahlung fällig werden und damit erst nach Abschluss des hier streitgegenständlichen erstinstanzlichen Verfahrens (BAG 22.09.2015 - 3 AZR 391/13 (A) Rn 4, juris).
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d. Ein pauschaler Abschlag von 20% ist nicht vorzunehmen. Ein Abschlag folgt nicht daraus, dass der Kläger statt einer Leistungsklage eine Feststellungklage erhoben hat. Der für den Wert der Beschwer entwickelte Gesichtspunkt, dass eine positive Feststellungsklage nicht zu einem vollstreckbaren Titel führe und daher ein Abschlag vorzunehmen sei, ist nicht auf die Festsetzung des Gebührenstreitwerts übertragbar. Entscheidend ist vielmehr die wirtschaftliche Bedeutung der Anträge (BAG a.a.O Rn 10 ff). Zwar ist eine Reduzierung dann möglich, wenn die Durchsetzung der geltend gemachten Forderung problematisch ist (BAG a.a.O. Rn 12). Hierfür bestehen aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.
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3. Der hilfsweise gestellte Antrag zu 2 (Schadensersatz) ist nicht gesondert zu bewerten.
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a. Nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG wird ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch zwar mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die Ansprüche jedoch denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Der „Gegenstand“ iSd. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht mit dem Streitgegenstand in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO identisch. Ob unterschiedliche (prozessuale) Streitgegenstände vorliegen, ist danach für die Frage des Additionsverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG unerheblich. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist. Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in ein Eventualverhältnis gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass - die vom Kläger gesetzte Bedingung fortgedacht - allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (LAG Berlin-Brandenburg 09.04.2019 - 26 Ta (Kost) 6010/19 - Rn 6; Schwab/Weth, ArbGG, 5. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 156).
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b. Dies ist im Verhältnis des Antrags zu 1 zum Hilfsantrag zu 2 der Fall. Der Kläger macht mit dem Hilfsantrag einen Schadensersatzanspruch geltend, der in vom Kläger zu tragenden höheren Versicherungsbeiträgen besteht, wenn die Beklagte nicht zur Beihilfe verpflichtet ist und er sich selbst neu versichern muss. Auch insoweit schätzt der Kläger die monatliche Mehrbelastung auf 700,- €. Die Beklagte nennt auch hier konkret keine abweichenden Beträge. Damit sind Haupt- und Hilfsantrag auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet, nämlich auf die Tragung der Mehrkosten durch höhere monatliche Versicherungsbeiträge entweder als Beihilfeanspruch oder als Schadensersatzanspruch. Beide Ansprüche hat der Kläger in gleicher Höhe geschätzt, jedenfalls nicht höher als 700,- € monatlich.
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4. Der hilfsweise geltend gemachte Auskunftsanspruch zu 3 dient der Ermittlung des Schadens für den Hilfsantrag zu 2 (Schadensersatz). Der Kläger hat insoweit eine Stufenklage erhoben. Hier ist nur der höhere Wert der erhobenen Ansprüche festzusetzen (§ 44 GKG). Da der Hilfsantrag zu 2 (Schadensersatz) im Grunde mit dem vollem Wert von 25.200,- € angesetzt wurde, der allerdings mit dem Hauptantrag zu verrechnen war, war für den Auskunftsanspruch ein gesonderter Wert nicht festzusetzen.
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
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Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.