Titel:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Streitwert, Versammlungsverbot, Anfechtung, Verletzung, Beschlussanfechtung, Wirksamkeit, Versammlung, Frist, Klage, Zeitpunkt, Vollmacht, Teilnahme, Sicherheitsleistung, Stimmrecht, Kosten des Rechtsstreits, Bemessung des Streitwerts, unter freiem Himmel
Schlagworte:
Coronavirus, SARS-CoV-2, Streitwert, Versammlungsverbot, Anfechtung, Verletzung, Beschlussanfechtung, Wirksamkeit, Versammlung, Frist, Klage, Zeitpunkt, Vollmacht, Teilnahme, Sicherheitsleistung, Stimmrecht, Kosten des Rechtsstreits, Bemessung des Streitwerts, unter freiem Himmel
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58194
Tenor
1. Der auf der Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 unter TOP 2 gefasste Beschluss wird für ungültig erklärt.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Die Bemessung des Streitwerts richtet sich nach § 49a GKG a.F. aufgrund § 71 Abs. 1 Satz 1 GKG .
Das Interesse der Parteien entspricht jeweils dem Maximal-Budget von 5.000 €, welches im Beschluss unter TOP 2 zur Verfügung gestellt wird, so dass dieses als Streitwert festzusetzen ist.
Tatbestand
1
Gegenstand der Klage ist die Anfechtung des unter TOP 2 der Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 gefassten Beschlusses der Wohnungseigentümergemeinschaft .
2
Mit E-Mail-Schreiben vom 27.04.2020 (Anlage K 1) lud die Verwalterin für den 06.05.2020 zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung ein. Das Einladungsschreiben enthielt den Hinweis, dass im Hinblick auf die Corona-Virus-Pandemie und dem damit einhergehenden Versammlungsverbot kein Eigentümer persönlich erscheinen dürfe, so dass es wichtig sei, dass jeder Eigentümer die beiliegende Vollmacht verwendet, um seine Weisung geltend zu machen.
3
In der außerordentlichen Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 wurde sodann unter TOP 2 mehrheitlich folgender Beschluss gefasst:
„Wer stimmt, konkretisierend zum Beschluss TOP 10 der Eigentümerversammlung vom 08.10.2018, zu, dass die ermächtigt wird, die und Kollegen,, mit der klageweisen Geltendmachung des Schadens der infolge des Dachausbaus entstanden ist, gegen die Herrn und beauftragen zu dürfen.“
4
Der Kläger behauptet, dass die Einladung ausschließlich per E-Mail versendet worden sei. Ein Versammlungsverbot habe zu diesem Zeitpunkt nicht bestanden. Trotz des angeblich bestehenden Versammlungsverbotes hätten mindestens 5 Personen an der Versammlung teilgenommen.
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Er ist der Ansicht, dass die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen worden sei, da den Eigentümern die Teilnahme an der Versammlung verboten worden sei. Jeder Eigentümer habe das Recht, persönlich an einer Eigentümerversammlung teilnehmen zu dürfen. Weiterhin sei die Einberufung zu einer außerordentlichen Versammlung mittels E-Mail nicht eilbedürftig gewesen, nachdem es im Bezugsrechtsstreit noch zu keiner mündlichen Verhandlung gekommen sei. Unmittelbar bevorstehende Lockerungen der Corona-Beschränkungen hätten abgewartet werden müssen.
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Der Beschluss sei weiterhin unwirksam, weil Rechtsanwalt nicht beauftragt werden könne, da der Anfangsverdacht des Parteiverrats bestehe.
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Der Kläger beantragte zunächst:
„Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung vom 5.2020, Tagesordnungspunkt 1 und 2 werden für unwirksam erklärt.“
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Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 konkretisierte der Kläger die Klage und beantragt zuletzt,
Der Beschluss der Antragsgegnerin in der Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 konkretisierend zum Beschluss TOP 10 der Eigentümerversammlung vom 08.10.2018, dass die Hausverwaltung ermächtigt wird, die, mit der klageweisen Geltendmachung des Schadens, der infolge des Dachausbaus entstanden ist gegen die Herren beauftragen zu dürfen, wird für unwirksam erklärt.,
Die Beschlüsse der Wohnungseigentümerversammlung, Tagesordnungspunkt 1 und 2 werden für unwirksam erklärt.
9
Die Beklagten beantragen
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Die Beklagten behaupten, dass die Ladung zur Eigentümerversammlung nicht nur per E-Mail, sondern auch postalisch an alle Eigentümer geschickt worden sei. Zum Zeitpunkt Ende April 2020 und am 06.05.2020 habe ein gesetzliches Versammlungsverbot in Bayern bestanden. Bei der Versammlung am 06.05.2020 seien keine Eigentümer anwesend gewesen. Die Unterschriften seien nachträglich geleistet worden.
11
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klage unbestimmt und daher unzulässig sei, da sich aus dem Klageantrag nicht erkennen lasse, auf welche Beschlüsse und auf welche Wohnungseigentümerversammlung er sich beziehen soll. Der Antrag gemäß Schriftsatz vom 20.11.2020 sei verspätet.
12
Den Eigentümern sei die Teilnahme an der Versammlung nicht verboten worden. Vielmehr müsse die Einladung im Sinne der Wirksamkeit und Durchführbarkeit dergestalt ausgelegt werden, dass vom persönlichen Erscheinen Abstand genommen und stattdessen dem Verwalter Vollmacht mit Weisung zur Abstimmung erteilt werde. Dies entspreche der Handlungsempfehlung des Verbandes der Immobilienverwalter Bayern VDIV als sogenannte „Ein-Mann-Versammlung“.
13
Die Dringlichkeit sei gegeben gewesen, da das Gericht im Bezugsrechtsstreit eine Frist zur Stellungnahme bis 15.05.2020 gesetzt habe. Die Nichteinhaltung der Ladungsfrist von 2 Wochen sei jedenfalls nicht ursächlich für den unter TOP 2 gefassten Beschluss.
14
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 09.09.2021 (Bl. 37/39 d. A.).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
16
I. Die Klage ist zulässig.
17
Die sachliche Zuständigkeit folgt aus § 23 Nr. 2 c GVG, die örtliche Zuständigkeit aus § 43 Nr. 4 WEG a.F.. Die Frist des § 46 WEG a.F. wurde eingehalten, nachdem die Eigentümerversammlung am 06.05.2020 stattgefunden hatte und die Klage am 08.06.2020 (Montag) bei Gericht eingegangen ist.
18
Zwar ist im Klageantrag vom 08.06.2020 das Datum der Eigentümerversammlung nur unvollständig mit „5.2020“ angegeben. Aufgrund der Gesamtumstände und insbesondere aus der Klagebegründung ergibt sich aber unzweifelhaft, dass es sich dabei um ein Schreibversehen handelt und die Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 gemeint war.
19
Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 konkretisierte der Kläger die Klage dann weitergehend, dass sie sich nur gegen den Beschluss unter TOP 2 richtet. Auch dies erklärt sich insoweit von selbst, als unter TOP 1 kein Beschluss gefasst wurde, so dass auch diesbezüglich von einem Schreibversehen auszugehen ist. Da mit der Klage vom 08.06.2020 die Anfechtungsfrist hinsichtlich der Beschlussanfechtung von TOP 2 bereits gewahrt wurde, ist die Klage auch nicht verfristet.
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II. Die Klage ist begründet.
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Der unter TOP 2 der Eigentümerversammlung vom 06.05.2020 gefasste Beschluss ist für unwirksam zu erklären, da er unter Verletzung des Kernbereichs der Rechte der Eigentümer auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung aus § 23 Abs. 1 WEG a.F. zustande gekommen ist.
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Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Versammlung am 06.05.2020 in den Geschäftsräumen der Verwaltung dergestalt durchgeführt wurde, dass allein der Geschäftsführer der Verwalterin anwesend war, zugleich als Versammlungsleiter und als Vertreter der Wohnungseigentümer. Dass die übrigen Unterschriften im Nachgang geleistet wurden, erscheint dem Gericht nachvollziehbar (vgl. Anlage B 4).
23
Durch die sogenannte „Ein-Mann-Versammlung“ wurden den Wohnungseigentümern unentziehbare Mitwirkungsrechte entzogen, indem sie an der persönlichen Teilnahme und Stimmabgabe in der Wohnungseigentümerversammlung vom 06.05.2020 gehindert wurden.
24
Von einer solchen Behinderung ist auszugehen, nachdem die Wohnungseigentümer in der Einladung zur Eigentümerversammlung darauf hingewiesen worden waren, dass in Zeiten der Corona-Virus-Pandemie und dem damit einhergehenden Versammlungsverbot kein Eigentümer zur Eigentümerversammlung persönlich erscheinen dürfe. Hierin ist eine klare Aufforderung an die Eigentümer zu sehen, der Versammlung fernzubleiben und der Hausverwaltung Stimmrechtsvollmacht zu erteilen. Für die Hausverwaltung stand nach dem Einladungsschreiben auch nicht zur Diskussion, dass einer oder wenige Eigentümer zur Eigentümerversammlung erscheinen können oder dass bei Interesse mehrerer Eigentümer eine andere Lösung gefunden wird. Damit stellt sich die Einladung im Ergebnis als „Ausladung“ dar. Jedenfalls durften und mussten die Wohnungseigentümer die Einladung allein dahin verstehen, dass ihnen die persönliche Teilnahme an der Eigentümerversammlung verwehrt wird.
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Diese Form der Einladung verletzte die Wohnungseigentümer im Kernbereich ihrer Rechte, nämlich dem Recht auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung und Ausübung des Stimmrechts. Zwar konnten die Wohnungseigentümer schriftlich ihr Stimmrecht ausüben. Eine Auseinandersetzung und Diskussion über die verschiedenen Beschlussanträge konnte indes nicht stattfinden. Genau dies stellt aber den Wesensgehalt einer Eigentümerversammlung als dem Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft im Sinne von § 23 Abs. 1 WEG a.F. dar.
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Diese eklatante Einschränkung der Teilnahme- und Stimmrechte der Wohnungseigentümer im Rahmen einer Eigentümerversammlung war hier auch nicht ausnahmsweise im Hinblick auf die derzeitige Corona-Pandemie gerechtfertigt.
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Zum einen hätte am 06.05.2020 § 3 der 3. BayIfSMV entsprechend (Gültigkeit vom 04.05.2020 bis 10.05.2020) eine Versammlung mit höchstens 50 Teilnehmern stattfinden können, sofern die Versammlung unter freiem Himmel stattgefunden hätte. Dies wäre bei einer außerordentlichen Eigentümerversammlung mit nur einem Beschlussantrag wetterunabhängig möglich gewesen.
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Zum anderen war bereits zu diesem Zeitpunkt abzusehen, dass die Corona-Einschränkungen in den folgenden Wochen abgemildert werden würden. Damit hätte die Versammlung einfach um wenige Wochen nach hinten verschoben und das Gericht im Bezugsrechtsstreit hierüber in Kenntnis gesetzt werden können.
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Schließlich ändert auch die Tatsache, dass den Eigentümern durch Erteilung einer Vollmacht an die Hausverwaltung eine „indirekte Teilnahme“ an der Eigentümerversammlung über einen Vertreter ermöglicht wurde, nichts an der vorgenommenen Beurteilung, da gerade die Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an Eigentümerversammlungen zum Kernbereich des Wohnungseigentums zählt. Da die Wohnungseigentümer ein Recht auf Anwesenheit in der Wohnungseigentümerversammlung haben, können Sie grundsätzlich nicht gezwungen werden, sich in einer Eigentümerversammlung vertreten zu lassen.
30
Nach Ansicht des Gerichts führt der Verstoß gegen § 23 Abs. 1 WEG a.F. aber nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses. Denn es besteht ein grundsätzliches Bedürfnis der Eigentümer, trotz Corona-Pandemie und Versammlungsverboten ihre WEG-Angelegenheiten durch Beschlussfassung zu regeln. Der Verweis auf das Umlaufverfahren genügt hierbei nicht, weil hierzu nach alter Rechtslage Einstimmigkeit erforderlich war. Diesem berechtigten Anliegen der Eigentümer auf angemessene Selbstverwaltung trotz Corona-Pandemie auf der einen Seite und dem berechtigten Anliegen einzelner Eigentümer, dass Mehrheitsbeschlüsse nur nach ordnungsgemäßer Durchführung einer Eigentümerversammlung mit entsprechenden Diskussions- und Abstimmungsmöglichkeiten wirksam gefasst werden können, wird nur dadurch Rechnung getragen, dass die Beschlüsse einer sogenannten „Ein-Mann-Versammlung“ nicht als nichtig angesehen werden, sondern nur als anfechtbar. Denn wenn alle Eigentümer mit dem Ergebnis einverstanden sind und kein Eigentümer die in einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse anficht, besteht kein Grund, warum die gefassten Beschlüsse nicht in Bestandskraft erwachsen sollten. Ficht ein Eigentümer, wie hier geschehen, die gefassten Beschlüsse jedoch an, so sind diese selbstverständlich aufgrund des Verstoßes gegen § 23 Abs. 1 WEG für ungültig zu erklären.
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Aus diesen Gründen kann dahinstehen, ob die Ladungsfrist eingehalten wurde und ob der Beschluss den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht.
32
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.