Inhalt

OLG München, Endurteil v. 29.07.2021 – 32 U 6511/20
Titel:

Kaufvertrag, Schadensersatzanspruch, Restwert, Fahrzeug, Leasingvertrag, Berufung, Vertragsschluss, Schadensereignis, Schaden, Vorteilsausgleichung, Anrechnung, PKW, Verletzung, Zugang, Bestreiten mit Nichtwissen

Schlagworte:
Kaufvertrag, Schadensersatzanspruch, Restwert, Fahrzeug, Leasingvertrag, Berufung, Vertragsschluss, Schadensereignis, Schaden, Vorteilsausgleichung, Anrechnung, PKW, Verletzung, Zugang, Bestreiten mit Nichtwissen
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 12.10.2020 – 15 O 14102/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58174

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12.10.2020,
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist völlig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 45.352 € festgesetzt

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Kläger begehren Ersatz eines behaupteten Schadens wegen Manipulation der Schadstoffsoftware im sogenannten Diesel-Skandal.
2
Die Kläger schlossen am 22.11.2016 einen Leasingvertrag mit Andienungsrecht mit der … AG über das gebrauchte streitgegenständliche Fahrzeug SQ5 Quattro 3.0 TDI. Vereinbart war eine monatliche Leasingrate von 799,00 €, ein Restwert von 37.000,00 € sowie eine Leasing-Sonderzahlung von 7.000,00 €. In Ziffer XIII. Nr. 2 des Leasingvertrags (Anlage K 1) war vereinbart: „… ist nach ihrer Wahl auch berechtigt, aber nicht verpflichtet, das Objekt dem LN zum Vertragsende zu seinem Restwert anzudienen. Im Falle der Andienung kommt der Kaufvertrag zwischen … und dem LN durch Zugang der Erklärung beim LN zustande. Ein Erwerbsrecht für den LN wird durch das Andienungsrecht nicht begründet. … ist nicht verpflichtet, das Andienungsrecht auszuüben.“ Die Beklagte ist eine Auto- und Motorenherstellerin und hat den im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motor (dessen Nummernbezeichnung zwischen den Parteien streitig ist) entwickelt.
3
Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete für das streitgegenständliche Fahrzeug einen verpflichtenden Rückruf an.
4
Die Aktualisierung beim streitgegenständlichen Fahrzeug erfolgte am 21.02.2019.
5
Ein Widerruf der EG-Typengenehmigung durch das KBA erfolgte nicht.
6
Die Kläger leisteten, beginnend ab dem 01.12.2016 jeweils die monatlich fälligen Leasingraten an die … AG in Höhe von monatlich 799,00 € brutto.
7
Nach Ablauf des Leasingvertrags zum 31.12.2020 (Anlage K 1) gaben die Kläger das Fahrzeug an die Leasinggeberin zurück.
8
Die Kläger sind der Ansicht, ihr stünden gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche u. a. aus § 826 BGB zu.
9
Das Erstgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 12.224,37 € verurteilt sowie zur Freistellung von Verbindlichkeiten Zug um Zug gegen Abgabe eines Angebots der Klagepartei an die Beklagte auf Übergabe des Fahrzeugs und Abgabe eines Angebots der Klagepartei an die Beklagte auf Abtretung aller Rechte und Pflichten aus dem benannten Leasingvertrag sowie Zahlung der Rechtsanwaltskosten.
10
Im Übrigen erfolgte Klageabweisung.
11
Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass den Klägern gegen die Beklagte gemäß § 826 Abs. 2 i. V. m. § 31 BGB analog wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ein Schadensersatzanspruch zustehe. Nach Anrechnung der gezogenen Nutzungen verbleibe ein Zahlungsanspruch in Höhe von 12.224,37 € sowie Freistellung in der tenorierten Höhe Zug um Zug gegen Abgabe der Angebote.
12
Es handle sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung, die Bedatung sei zu eng gewesen. Bei der Beklagten liege auch vorsätzliches Handeln vor. Sie habe nicht substantiiert die Behauptung der Kläger bestritten, dass der Vorstand in Person von Herrn … Kenntnis von der möglichen Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung gehabt habe. Ein Bestreiten mit Nichtwissen sei unzulässig.
13
Den Klägern sei der Schaden entstanden, der die Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertige. Nach Anhörung des Klägers zu 1) sei das Gericht davon überzeugt, dass der Leasingvertrag nicht abgeschlossen worden wäre, wenn er von der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst hätte.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der getroffenen Feststellungen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
15
Die Beklagte wendet sich gegen das Urteil mit der Berufung, mit der sie den Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt.
16
Sie wendet sich zunächst gegen die behauptete fehlende Aktivlegitimation, da die Kläger für eventuelle deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte des von ihr geleasten PKW nicht aktivlegitimiert seien.
17
Zudem werde eine Täuschung oder sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte bestritten. Auf Anordnung des KBA sei eine Aktualisierung der Motorsoftware der Fahrzeuge vom streitgegenständlichen Typ erfolgt. In der Freigabebestätigung habe das KBA auch ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege (Anlage B 22).
18
Der klägerische Vortrag zur unzulässigen Abschalteinrichtung sei unsubstantiiert.
19
Zudem sei der Schaden nicht dargetan. Es handle sich nicht um einen Kauf, sondern einen Leasingvertrag, der sich auf die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit beschränke.
20
Jedenfalls wäre der Schaden durch die anzurechnende Nutzungsentschädigung aufgezehrt. Letztlich liege auch kein ersatzfähiger Schaden wegen Subsidiarität vor. Selbst wenn ein Schaden vorliegen sollte, hätte sich dieser nicht realisiert, wenn es der Klagepartei gelänge, gegenüber der Verkäuferin die (gewährleistungsrechtliche) Rückabwicklung durchzusetzen. Dies habe die Klagepartei ersichtlich nicht getan.
21
Die Beklagte beantragt daher:
I. In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts München I vom 12.10.2020 wird die Klage abgewiesen.
II. Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nach Ziffer I. nicht stattgegeben werden sollte: Der Rechtsstreit wird, soweit zu Lasten der Beklagten entschieden wurde, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht München I zurückverwiesen.
22
Die Kläger beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
23
Der Senat hat mit der Ladungsverfügung vom 12.02.2021 einen Hinweis erteilt (Bl. 418 d.A.).
II.
24
Auf die zulässige Berufung der Beklagten war das Ersturteil des Landgerichts München I vom 12.10.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
25
1. Es kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und ob weitere Feststellungen die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung stützen würden.
26
Selbst wenn festgestellt werden könnte, dass die Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der behaupteten Mängel nicht geleast hätten, steht ihnen der geltend gemachte Schadensersatz nicht zu.
27
Grundsätzlich kann bereits der ungewollte Vertragsabschluss einen Schadensersatzanspruch begründen. Er ist darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob die Kläger den Vertrag nicht abgeschlossen hätten (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, nach juris Rz. 55).
28
Dies führt bei einem ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrag dazu, dass der Käufer Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an den in Anspruch genommenen Hersteller verlangen kann.
29
Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass es sich nicht um einen Kaufvertrag, sondern um einen Leasingvertrag mit Andienungsrecht der Leasinggeberin handelt.
30
Bei der konkreten Schadensberechnung sind grundsätzlich alle adäquaten Folgen des haftungsbegründenden Umstands bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, dem aus prozessualen Gründen letztmöglichen Beurteilungszeitpunkt, in die Schadensberechnung einzubeziehen.
31
Dabei ist vor allem hier zu berücksichtigen, dass die Kläger inzwischen das geleaste Fahrzeug zurückgegeben haben und die Leasinggeberin damit von ihrem Andienungsrecht offensichtlich nicht Gebrauch gemacht hat.
32
Der Vertrag ist somit bereits abgewickelt. Wenn der Anspruch aus § 826 BGB dem Geschädigten ermöglichen soll, sich von dem ungewollten Vertrag zu lösen, so greift dieser Zweck im vorliegenden Fall nicht.
33
Die Kläger müssen sich zudem wegen der Nutzung des Fahrzeugs nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die gezogenen Nutzungsvorteile anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, nach juris Rz. 64). Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH a.a.O., nach juris Rz. 65).
34
Die gezogenen Nutzungsvorteile sind hier genau so hoch, wie die von den Klägern an die Leasinggeberin erbrachten Zahlungen. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an. Diese liegen darin, dass die Kläger das Fahrzeug genutzt haben (BGH a.a.O., nach juris Rz. 81).
35
Deshalb hat im Fall des Finanzierungsleasings der Leasingnehmer eines vom Abgasskandal betroffenen Pkws keinen Anspruch auf Ersatz der von ihm gezahlten Leasingraten gegen den Automobilhersteller, da die im Rahmen der Vorteilsausgleichung anzurechnenden Gebrauchsvorteile den gezahlten Leasingraten entsprechen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.01.2020, 17 U 2/19). Wegen der nur auf eine bestimmte Laufzeit ausgerichteten Nutzung berechnen sich die anzurechnenden Nutzungsvorteile bei einem Leasingvertrag - anders als bei einem Kaufvertrag - nicht nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung, also nach einem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Werts der Sache oder des Kaufpreises (OLG Karlsruhe a.a.O.).
36
2. Die geltend gemachten Ansprüche bestehen auch schon deshalb nicht, da die Kläger das Fahrzeug nur geleast und nicht erworben haben.
37
Die Kläger beachten nicht die Besonderheiten, die sich aus der leasingtypischen Vertragskonstruktion ergeben.
38
Die Leasinggeberin hat den Klägern die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte gemäß Ziffer XI Nr. 2 des Leasingvertrags übertragen.
39
Bei Vorliegen eines Sachmangels (vgl. BGH Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17) kann der Kläger als Leasingnehmer aus den Rechten der Leasinggeberin gegen die Verkäuferin vorgehen und Nacherfüllung verlangen oder gegebenenfalls von dem Kaufvertrag zurücktreten. Der Hersteller ist im Rahmen der leasingtypischen Vertragskonstellation rechtlich nicht in die Abwicklung eines Leasingvertrages eingebunden.
40
Grundsätzlich haben die Kläger zunächst die Gewährleistungsrechte gegenüber der Verkäuferin geltend zu machen. Wenn es ihnen gelingt, aus abgetretenem Recht vom Kaufvertrag zurückzutreten und anschließend im Rahmen der Rückabwicklung des Leasingvertrags ihre gezahlten Leasingraten wieder zu erlangen, hat sich bei den Klägern der Schaden in Form der gezahlten Leasingraten nicht realisiert (vgl. Harriehausen, NJW 2018, 3137). Die an sich bestehende Anspruchskonkurrenz zwischen den Schadensersatzansprüchen aus eigenem Recht gegen den Hersteller und den übertragenen Gewährleistungsansprüchen gegen den Verkäufer ist aufgrund der leasingtypischen Besonderheiten einzuschränken, wenn sich beide Ansprüche im Ergebnis auf die Rückabwicklung des Vertrages richten. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann die Rückabwicklung auf Grundlage deliktischer Ansprüche nur verlangt werden, wenn die Rückabwicklung nach einem Rücktritt von dem Kaufvertrag ohne Erfolg bleibt.
41
Ein Rücktritt vom Kaufvertrag wäre nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung möglich gewesen, wenn man nach dem unterstellten Vortrag der Kläger von einem arglistigen Verschweigen eines Mangels, einer vorsätzlichen Verletzung der Leistungspflicht oder einer Täuschung durch die Verkäuferin ausgeht (vgl. Palandt/Grüneberg BGB, 80. Auflage, § 323 BGB Rz. 22). Kann der Leasingnehmer wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten, erfolgt die Rückabwicklung der Vertragsverhältnisse beim Leasing zwischen den ursprünglichen Vertragspartnern. Nach Umwandlung des Kaufvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis kann der Leasingnehmer wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ebenfalls Rücktritt vom Leasingvertrag gemäß § 313 Abs. 3 BGB erklären und seine Leasingraten gemäß § 346 Abs. 1 BGB zurückfordern.
42
Etwas anders könnte allenfalls dann gelten, wenn den Klägern infolge des Andienungsrechts der Beklagten ein möglicher weiterer Schaden entstanden ist.
43
Hierzu fehlt aber jeglicher substantiierte Sachvortrag. Denn nur für den Fall der Ausübung des Andienungsrechts stehen die Kläger einem Käufer gleich und der Schaden könnte dann insoweit eingetreten sein, weil der Vertragsschluss nach den vom BGH festgestellten Grundsätzen (VI ZR 252/19) als unvernünftig anzusehen ist und die Kläger durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten haben, die für ihre Zwecke nicht voll 32 U 6511/20 - Seite 8 - brauchbar war. Gerade dieser Fall liegt aber hier nicht vor. Es wäre daher Sache der Kläger gewesen darzulegen, welcher sonstige Schaden ihnen entstanden ist. Dies ist nicht erfolgt.
44
Ein möglicher weiterer Schaden wäre auch grundsätzlich denkbar, weil die Kläger nach Ziffer XIII der AGB das Restwertrisiko zu tragen haben.
45
Hierzu fehlt aber ebenfalls jeglicher Vortrag, welcher Schaden ihnen möglicherweise hierdurch entstanden ist.
46
Die Entscheidung des Landgerichts war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
III.
47
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
48
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
50
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO.
51
Das wirtschaftliche Interesse der Kläger richtet sich auf die Befreiung von der finanziellen Belastung aus dem streitgegenständlichen Leasingvertrag. Diese wird durch die geschuldeten Leasingraten abgebildet (hier: 48 Leasingraten zu je 799,00 € = 38.352,00 €) und die Sonderzahlung von 7.000,00 €, somit gesamt 45.352,00 €.
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Der beantragten Zugum-Zug-Verurteilung kommt kein eigener wirtschaftlicher Wert zu.