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LG Kempten, Endurteil v. 09.07.2021 – 13 O 564/21
Titel:

Marke, Fahrzeug, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Nebenbestimmung, Streitwert, Widerruf, Software, Feststellung, Haftung, Sicherheitsleistung, Kaufpreiszahlung, Darlegungslast, Zeitpunkt, Kosten des Rechtsstreits, Zug um Zug

Schlagworte:
Marke, Fahrzeug, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Nebenbestimmung, Streitwert, Widerruf, Software, Feststellung, Haftung, Sicherheitsleistung, Kaufpreiszahlung, Darlegungslast, Zeitpunkt, Kosten des Rechtsstreits, Zug um Zug
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58172

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 49.983,37 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.05.2021 Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Porsche 95BAD1 Macan S Diesel mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 51.118,30 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen behaupteter unzulässiger Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug geltend.
2
Der Kläger erwarb am 23.11.2017 einen Porsche Macan S als Gebrauchtwagen mit 33.000 km zu einem Kaufpreis von 58.500 € (für die Einzelheiten wird auf Anlage K1 Bezug genommen). In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein 3,0 l V6 Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 6 verbaut, der von der Beklagten entwickelt und hergestellt wurde.
3
Das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) hat durch nachträgliche Nebenbestimmung für Fahrzeuge dieses Typs, darunter auch das streitbefangene Fahrzeug, wegen des Vorliegens zumindest einer unzulässigen Abschalteinrichtung (sogenannte „Strategie A“) einen verbindlichen Rückruf angeordnet. Die Beklagte hat in der Folge ein Software-Update entwickelt, das am 01.08.2018 vom KBA freigegeben wurde.
4
Der Kläger trägt vor, der Vorstand der Beklagten habe von dem Einbau und dem Einsatz der Motorsteuerungssoftware Kenntnis gehabt und dies sowie nachteilige Folgen für die Käufer aus Gewinnstreben zumindest gebilligt. Er behauptet weiter, er hätte den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug bei Kenntnis der gesetzeswidrigen Software nicht geschlossen.
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Der Kläger beantragt zuletzt
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 58.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges der Marke Porsche 95BAD1 Macan S Diesel mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagte behauptet, es gebe in der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs keine Umschaltung zwischen zwei Betriebsmodi der Abgasrückführung, wie dies bei dem Motortyp EA 189 (EU 5) der Fall gewesen sei. Zudem könne alleine aus der Verwendung einer Abschalteinrichtung nicht auf ein sittenwidriges Handeln geschlossen werden. Das KBA habe keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt. Das Fahrzeug entspreche in seinem Abgasverhalten den Vorgaben der Euro-6-Norm und stimme insbesondere mit der erteilten EG-Typgenehmigung überein. Nach Aufspielen des vom KBA genehmigten SoftwareUpdates liege keine unzulässige Abschalteinrichtung mehr vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Mit Zustimmung der Parteien wurde durch Beschluss vom 07.06.2021 (Bl. 60/62 d.A.) im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.
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I. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte nach § 826 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 49.983,37 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges.
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Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und daher mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Hinzutreten muss eine nach den Maßstäben der allgemeinen Moral, der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder dem eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, § 826, Rn. 4, 74. Auflage).
13
1. Ausweislich der Anlagen K 2 sind in dem Motor des Porsche Macan insgesamt 4 Abschalteinrichtungen verbaut (Strategien A-D), von denen das KBA zwei, und zwar eine nur im Prüfstand wirksame Aufheizstrategie sowie eine außerhalb des Prüfstandes erfolgende Reduzierung des Wirkungsgrades des SCR-Systems (Strategien A und D), als unzulässig eingestuft und deshalb einen verpflichtenden Rückruf angeordnet hat.
14
Das diesbezügliche klägerische Vorbringen ist hinreichend substanziiert (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, Rn. 9 ff; OLG Stuttgart, WM 2019, 1704, 1706 f; OLG Köln, Urt. v. 12.03.2020, 3 U 55/19, Rn. 36 ff; LG Heilbronn, Urt. v. 22.05.2018, Ve 6 35/18, Rn. 56, 57; LG Münster, Urt. v. 28.01.2019, 14 O 163/19, Rn. 35; jeweils zitiert nach juris), mit der Folge, dass die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nunmehr gehalten ist, vorzutragen, dass und warum die technische Funktionsweise der vorgenannten Strategien sich anders darstellt, als vom Kläger behauptet und deshalb keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen (vgl. OLG Stuttgart, WM 2019, 1704, 1707; LG Düsseldorf, Urt. v. 31.03.2020, 7 O 67/19, Rn. 35, 40; LG Ingolstadt, Beschluss vom 04.11.2019, 64 O 1551/18, Rn. 36; LG Offenburg, Urt. v. 30.09.2019, 3 O 474/18, Rn. 40).
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Ein derartiges Vorbringen der Beklagten vermag das Gericht nicht zu erkennen, weshalb es vom Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen ausgeht (§ 138 Abs. 3 ZPO).
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Insbesondere trat die Beklagte nicht der Feststellung des KBA im Hinblick auf die „Strategie A“ entgegen und die dort festgestellte Aufheizstrategie. Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich auf die Themen Lenkwinkelerkennung, AbBlue-Einspritzung, Thermofenster, Getriebemanipulation, Manipulation des OBD-Systems, AECD-Steuergerät und NOxSpeicher-Katalysator.
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Der Einbau einer Umschaltlogistik in die Software des Motorsteuergeräts, die erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befindet und in diesem Fall in einen Modus schaltet, in welchem der Stickoxidausstoß im Vergleich zum realen Fahrbetrieb optimiert ist, stellt folglich ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten dar. Mit der Einwirkung auf die Motorsteuergerätesoftware in der beschriebenen Art und Weise verfolgte die Beklagte den Zweck, die Ergebnisse der Messung des Schadstoffausstoßes während des NEFZPrüfverfahrens so zu manipulieren, dass die von der Beklagten konstruierten Motoren insbesondere in Ansehung der Schadstoffklassen („Euro-Normen“) in eine höhere - und damit besser verkäufliche - Klasse eingruppiert werden, als es der im realen Fahrbetrieb aktivierte Modus ermöglicht hätte. Eine andere Motivation für diese Manipulation, als unberechtigterweise auf Kosten jedes einzelnen Erwerbers auf der einen sowie der Gemeinschaft der Erwerber auf der anderen Seite Umsatz und Gewinn zu steigern, ist nicht ersichtlich.
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2. Dass zwischenzeitlich ein vom KBA freigegebenes Software-Update entwickelt und aufgespielt worden ist, ändert hieran nichts, da es auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 m.w.N.)
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3. Unabhängig von der Frage, ob die genannten Strategien tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen - was von der Beklagten bestritten wird - kommt eine Bewertung als sittenwidrig dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch belastbare Anhaltspunkte dafür ersichtlich wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 - 3 U 148/18; OLG Stuttgart NZV 2018, 579, 584; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 - 5 U 1670/18; OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019 - 12 U 123/18).
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Ausweislich den Feststellungen des KBA zur Strategie A, funktioniert diese nur durch ein Zusammenspiel engmaschiger Systeme und Umgebungsvoraussetzungen, welche lediglich auf dem Prüfstand erreicht werden. Aufgrund dieses Umstandes ist das Gericht überzeugt, dass die Beklagte hier nicht lediglich die Rechtslage fahrlässig verkannte, was für Sittenwidrigkeit nicht genügen würde. Vielmehr kam es der Beklagten darauf an, gezielt die Prüfmechanismen zu umgehen und sich eine Typengenehmigung zu erschleichen. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass das Wollenselement erfüllt ist: Die Beklagte vertraute nicht lediglich darauf vertraute, dass ihre Rechtsansicht zutreffend war, sondern installierte gezielt die Strategie A, um die Kontrollmechanismen des KBA zu umgehen.
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Der Vortrag der Beklagten konnte das Gericht nicht vom Gegenteil überzeugen. Der Vortrag setzte sich lediglich damit auseinander, dass die Klagepartei keine konkreten Geschehensabläufe innerhalb der Beklagten darstellte. Dabei wäre es vielmehr an der Beklagten aufgrund der vorgelegten Anlage K2 gewesen, darzulegen, dass die Beklagte nicht sittenwidrig handelte.
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4. Im Rahmen des § 826 BGB kann ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber nicht mehr als sittenwidrig zu werten sein.
23
Da der Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor dem mit Bestätigung vom 01.08.2018 freigegeben Softwareupdates erworben wurde - nämlich am 23.11.2017 - kann sich die Beklagte auch nicht auf eine relevante Verhaltensänderung berufen.
24
5. Da die Haftung an das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors anknüpft, ist die Beklagte als Herstellerin des Motors auch passiv legitimiert.
25
6. Die Klagepartei wurde durch das sittenwidrige Handeln der Beklagten auch geschädigt.
26
a.) Die Voraussetzungen für die Bejahung eines Schadens im Sinne der §§ 249ff. BGB liegen vor. Mit dem Inverkehrbringen gibt der Hersteller eines Motors konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs, in dem der Motor verbaut ist, entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist und dass der Hersteller die für den Motor/Fahrzeugtyp erforderlichen Erlaubnisse und Genehmigungen nicht durch eine Täuschung erwirkt hat. Tatsächlich war dies beim Klägerfahrzeug im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags nicht der Fall. Vielmehr war der uneingeschränkte Einsatz des Fahrzeugs gemäß seinem Verwendungszweck gefährdet, da die verwendete Umschaltlogik in der Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist und damit der Widerruf der Typengenehmigung drohte.
27
Die Klagepartei erlitt einen Schaden, der darin besteht, dass er im Vertrauen auf die Ordnungsmäßigkeit des Zulassungsverfahrens das mangelhafte Fahrzeug erwarb. Insofern geht das Gericht im Rahmen einer typisierten Betrachtungsweise davon aus, dass ein Erwerb unterblieben wäre, wenn der Käufer gewusst hätte, dass die Typengenehmigung und die Betriebserlaubnis aufgrund Vorspieglung falscher Tatsachen gegenüber der Genehmigungsbehörde erschlichen wurde. Es wäre schlicht lebensfremd anzunehmen, dass bei Kenntnis des wahren Sachverhalts der Kauf erfolgt wäre. Ein Käufer geht beim Kauf einer Sache, die am Markt nur bei Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen angeboten werden darf, schlicht davon aus, dass dieses Genehmigungsverfahren auch ordnungsgemäß absolviert wurde und daher nicht aufgrund Erschleichens von behördlichen Genehmigungen Fahrverbote oder unter Umständen gar eine Zwangsstilllegung droht.
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Das von der Beklagten angebotene Softwareupdate führt nicht zum Entfallen des Schadens. Dieser liegt hier darin, dass die Klagepartei einen ihr nachteiligen Vertrag geschlossen hat, aufgrund dessen seinem Vermögen kein adäquater Gegenwert zufloss. Zudem steht nicht fest, dass das Softwareupdate tatsächlich zu einer kompletten Kompensation des eingetretenen Schadens führt. Selbst wenn eine Stilllegung damit ausgeschlossen werden kann, steht nicht fest, ob das Update nicht selbst negative Auswirkungen auf das Fahrzeug hat, etwa höherer Verbrauch/Verschleiß, so dass das Fahrzeug dennoch minderwertig bleibt. Wenn das Fahrzeug durch die Software alle (Fahr-)Eigenschaften besäße, die es auch ohne die Software hat, erschlösse sich nicht, warum es überhaupt zu einer Manipulation kam.
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b.) Als Rechtsfolge ist die Klagepartei so zu stellen, als hätte er das ihn benachteiligende Geschäft nicht getätigt. Die Beklagte hat ihm daher den gezahlten Kaufpreis Zugum-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs (vgl. OLG Köln, a.a.O) und Übertragung des Anwartschaftsrechts an dem Fahrzeug zu erstatten, wobei die während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen zu erstatten sind (BGH NJW 06, 1582; Grüneberg, in: Palandt-BGB, 78. A. 2018, v. § 249 Rn 94 mwN).
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Die aufgrund der Laufleistung des Fahrzeugs anzusetzende Nutzungsentschädigung ist im Wege des Vorteilsausgleichs vom durch die Kaufpreiszahlung eingetretenen Schaden in Abzug zu bringen, so dass sich insofern der Anspruch des Klägers nur auf einen einheitlichen Schadensersatzbetrag beläuft und nicht wie vom Kläger beantragt der Kaufpreis Zug um Zug gegen Nutzungsersatz zu zahlen ist. Der vom Kaufpreis in Abzug zu bringende Nutzungsersatz berechnet sich ausgehend von einer vom Gericht gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 300.000 Kilometern wie folgt:
Bruttokaufpreis x zurückgelegte Fahrstrecke / erwartbare Gesamtlaufleistung
58.500,00 € x (76.675 km - 33.000 km) / 300.000 km = 8.516,63 €
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7. Der Anspruch auf Zahlung der Zinsen ergibt sich aus § 291 BGB.
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II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.