Titel:
Haftung von Audi für den entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi Q5 3.0 TDI)
Normenketten:
BGB § 31, § 249, § 826
ZPO § 287
VO (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2021, 41003; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; BeckRS 2022, 25169; BeckRS 2022, 25068; BeckRS 2022, 25069; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 5590; OLG München BeckRS 2022, 25037; LG Memmingen BeckRS 2022, 26799; BeckRS 2022, 27802; LG Augsburg BeckRS 2022, 26492 sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der sog. Strategie A, bei der mittels Aufheizstrategie (dh übermäßiger Durchführung einer Erwärmung der Betriebskomponenten zu Beginn des NEFZ) nahezu ausschließlich im Prüfstand das Stickoxidemissionsverhalten so verändert wird, dass die gesetzlichen Abgaswerte eingehalten werden, handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware handelt es sich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) eingegriffen wird. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei einem neueren Dieselfahrzeug erscheint eine Gesamtlaufleistung von 500.000 km durchaus realistisch. (Rn. 81) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA 897, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, NEFZ, Aufheizstrategie, Prüfstand, Gesamtlaufleistung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58171
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 37.188,95 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 16.11.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi, Typ Q5 3.0 TDI, mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 17% und die Beklagte 83% zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 44.666,12 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen des Erwerbs eines Pkws.
2
Die Klägerin erwarb im Sommer 2016 einen neuen Pkw Audi Q5, 3.0 TDI zum Preis von netto 57.474,79 € bei der Fa. F. B. GmbH (Anlage K 1 = Kaufunterlagen). In dem von der Beklagten produzierten Fahrzeug befindet sich ein Motor des Typs EA 897 V-TDI (EU 6).
3
Das Kraftfahrtbundesamt hat für das Fahrzeug einen amtlichen Rückruf angeordnet (Anlage K 3 = Rückrufbescheid), mit dem Grund: „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. der unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Konkret werden vom KBA dort vier technische Einrichtungen (Strategien A - D) genannt, wie folgt:
4
Insoweit handelt es sich um eine Aufheizstrategie bei der Prüfung des Typs 1. Zum Starten dieser Strategie wird eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verknüpft sind. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) sind dabei so eng bedatet, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleine Abweichungen im Fahrprofil und den Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie. Bei Abschaltung der Strategie A verschlechtert sich das Stickoxidemissionsverhalten.
5
Insoweit handelt es sich um eine dem Prüfzyklus Typ 1 und der Strategie A vorgelagerte Strategie, bei der ein Softwarealgorithmus die Vorkonditionierung des Fahrzeugs zur Durchführung der Prüfung Typ 1 erkennen kann. Mit dieser Vorkonditionierungserkennung wird ein höherer NH3-Füllstand im SCR erreicht. Die Parameter sind dabei so bedatet, dass sie die Vorkonditionierung des Fahrzeugs mit drei außerstädtischen Fahrzyklen des NEFZ sowie das damit einhergehende Lastprofil erkennen.
6
Das Fahrzeug besitzt keine Strategie, mit der unter normalen Betriebsbedingungen der erneute Einstieg in die Aufheizstrategie ermöglicht wird.
7
Beim Betrieb des SCR-Katalysators werden zwei unterschiedliche Betriebsarten zur Eindüsung von Reagens verwendet, welche als Parameter für die Umschaltung u.a. die Fahrzeuggeschwindigkeit verwenden. Unterschieden weren der Speicher- und der Onlinebetrieb.
8
Bezüglich der Strategie A geht das KBA vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und hat deren Entfernung angeordnet. Zu den Strategien B - D hat das KBA keine abschließende Aussage getroffen, weil die Beklagte diese freiwillig entfernen will.
9
Die Beklagte hat in Zusammenarbeit mit dem KBA ein Softwareupdate entwickelt, um die Problematik zu beheben. Dieses hat die Klägerin bereits aufspielen lassen.
10
Die Klägerin nutzt ihr Fahrzeug auch seit Erwerb uneingeschränkt. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der km-Stand des Fahrzeugs 88.238 km.
11
Weiter - dies ist aber nicht Teil des Rückrufbescheides - verfügt das Fahrzeug über ein sog. Thermofenster, also die Reduzierung der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Außentemperatur. Ab einer Temperatur von 17°C erfolgt ein Zurückfahren der AGR-Rate und damit verbunden kommt es zu einem höheren NOx-Ausstoß.
12
Der Zweck der - jedenfalls der im Rückrufbescheid genannten - Abschalteinrichtungen besteht einzig darin, das Fahrzeug bei Prüfzyklen „sauberer“ erscheinen zu lassen, als im Realbetrieb, mithin die Erlangung der Typgenehmigung sicherzustellen bzw. „zu erschleichen“. Insoweit haben Test der Deutschen Umwelthilfe sowie der Untersuchungskommission Volkswagen (Anlagen K 4 - 6) im Straßenbetrieb deutliche Überschreitungen der Abgasgrenzwerte festgestellt.
13
Der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen erfolgte auf Seiten der Beklagten in dem Wissen, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen. Auch einzelne - von Klägerseite namentlich benannte - Vorstände hatten insoweit konkret Kenntnisse von der Verwendung.
14
Der Grund liegt in eigenem Gewinnstreben sowie der Unfähigkeit einen den gesetzlichen Bestimmungen entsprechenden Motor zu entwickeln, weshalb die Beklagte auf eine für Testzwecke entwickelte Software zurückgegriffen habe.
15
Die Klägerin behauptet, sie hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie gewusst hätte, das eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist und sie mit einem Rückruf, einem weit überdurchschnittlichen Wertverlust und einem drohenden Entzug der Typgenehmigung ihres Autos belastet würde.
16
Die Klägerin behauptet weiter, das Thermofenster sei nicht zum Motorschutz nötig, entsprechendes sei auch vom KBA nicht bestätigt worden und das Thermofenster sei dem KBA im Typgenehmigungsverfahren auch nicht offengelegt worden.
17
Die Klägerin meint, aufgrund der Falschangaben im Typgenehmigungsverfahren sei die Typgenehmigung nicht wirksam. Das Fahrzeug dürfe faktisch nicht betrieben werden.
18
Die Klägerin meint weiter, das Software-Update stehe einem Schadensersatzanspruch nicht entgegen, weil unsicher sei, ob das Fahrzeug danach entweder noch denselben Mangel besitze und / oder nach dem Eingriff einen höheren Kraftstoffverbrauch und damit gleichzeitig höhere CO₂-Emissionen aufweise.
19
Die Klägerin behauptet, das Fahrzeug sei aufgrund der Betroffenheit vom Abgasskandal um 20% im Wert gesunken.
20
Bei Berechnung einer Nutzungsentschädigung sei von einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km auszugehen.
21
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei 57.474,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 14.489,89 € Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi, Typ Q5 3.0 TDI, mit der Fahrgestellnummer …zu zahlen.
22
Die Beklagte beantragt,
23
Die Beklagte bestreitet den Sachvortrag der Klägerin zur Kaufmotivation. Es sei angesichts der Leistungsdaten des Fahrzeugs (Leergewicht von 2 Tonnen, 258 Ps) unglaubhaft, dass die Kaufentscheidung von der Einhaltung der Stickoxidemissionen abhängig gemacht worden sei. Wichtiger seien vielmehr Anschaffungspreis, Zuverlässigkeit, Kraftstoffverbrauch und Aussehen gewesen und insgesamt sei davon auszugehen, dass das Fahrzeug selbst bei Kenntnis von der Existenz der Abschalteinrichtungen und in Kenntnis der behaupteten Gefahr der Betriebsbeschränkung- oder untersagung erworben worden wäre. Die Beklagte meint deshalb, es fehle bereits an der Kausalität zwischen der Handlung der Beklagten und einem etwaigen Schaden.
24
Die Beklagte behauptet, das Thermofenster stelle eine zulässige Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 dar, weil es zum Motorschutz notwendig sei. Insoweit beruft sie sich darauf, dass - unstreitig - in sämtlichen in den letzten Jahren in der EU produzierten Dieselfahrzeugen Thermofenster enthalten sind und auch im Untersuchungsbericht „Volkswagen“ die Notwendigkeit von Thermofenstern ausdrücklich anerkannt wurde.
25
Die Beklagte meint, die Abgastests seien irrelevant, weil für die Typengenehmigung allein der Schadstoffausstoß im NEFZ kalt zu berücksichtigen sei. Abweichungen der Werte zwischen Test- und Realbetrieb seien der gesetzgeberischen Entscheidung zum Prüfverfahren immanent. Zudem seien die Messungen im Realverkehr nicht aussagekräftig, weil sie stark von individuellen Faktoren wie Geschwindigkeit, Fahrverhalten, Beschaffenheit der Straße und Witterung etc. abhängig seien.
26
Die Beklagte meint, die Klägerin habe einen Vorsatz der Beklagten nicht schlüssig dargelegt.
27
Die Beklagte behauptet, das Software-Update habe die Problematik vollständig und ohne negative Auswirkungen auf das Fahrzeug beseitigt. Ein Mehrverbrauch an AdBlue werde durch Gutscheine ausgeglichen.
28
Die Beklagte meint, bei Berechnung einer Nutzungsentschädigung sei nach der sog. Ingolstädter Formel vorzugehen, jedenfalls aber von einer Gesamtlaufleistung von maximal 250.000 km auszugehen. Auch die nach Schluss der mündlichen Verhandlung gefahrenen km seien noch zu berücksichtigen.
29
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2021 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
30
Die zulässige Klage hat auch in der Sache zum großen Teil Erfolg.
31
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 37.188,95 € wegen sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit der behaupteten Manipulation der Motorsteuerungssoftware zu (§ 826 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249 ff. BGB).
32
Die Voraussetzungen dieser Norm - wonach derjenige, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt, zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist - liegen vor und werden durch das Verteidigungsvorbringen der Beklagten nicht infrage gestellt.
33
I. Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 kann im Einzelfall deliktische Schadensersatzansprüche begründen.
34
Voraussetzungen hierfür sind
a) der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 durch die Beklagte, als deliktisches Verhalten (bewusstes Inverkehrbringen eines Fahrzeugs dessen technische Gegebenheiten objektiv einer Zulassung des Fahrzeugs entgegenstehen und bei dem trotz Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts der EG-Typengenehmigung das Erschleichen einer objektiv rechtswidrigen Genehmigung durch den Fahrzeughersteller vorliegt, als deren Folge mit Betriebsuntersagung oder dem Widerruf der erschlichenen Typengenehmigung zu rechnen ist),
b) eine darauf beruhende Schädigung des Klägers, die regelmäßig darauf beruht, dass er einen wirtschaftlich nachteiligen - weil für ihn ungewünschten - Vertrag geschlossen hat,
c) die Sittenwidrigkeit des Handels der Beklagten, einschließlich einem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und d) ein Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten.
35
II. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
36
1. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 verbaut - nämlich jedenfalls in Form der unstreitig vorhandenen Strategie A, bei der mittels Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Prüfstand das Stickoxidemissionsverhalten so verändert wird, dass die gesetzlichen Abgaswerte eingehalten werden.
37
a) Die objektiven Zulassungsvoraussetzungen in Bezug auf Abschaltvorrichtungen ergeben sich aus folgenden Normen:
38
Gemäß Art. 10 Abs. 1 EG-VO 715/2007 erteilt die nationale Zulassungsbehörde die Typgenehmigung, wenn das betreffende Fahrzeug den Vorschriften der Verordnung und ihrer Durchführungsbestimmungen entspricht.
39
Gemäß § 4 Abs. 4 der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge (EG-FGV) darf eine EG-Typgenehmigung nur erteilt werden, wenn die erforderlichen Prüfverfahren ordnungsgemäß und mit zufriedenstellenden Ergebnis durchgeführt wurden.
40
Nach Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 hat der Hersteller das Fahrzeug so auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
41
Gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist eine „Abschalteinrichtung“ ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
42
b) Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nach Auffassung des Gerichts über eine unzulässige Abschalteinrichtung im derartigen Sinne, so dass die Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht vorliegen.
43
Die unstreitig vorhandene Aufheizstrategie (Strategie A) - d.h. die übermäßige Durchführung einer Erwärmung der Betriebskomponenten zu Beginn des NEFZ mit der Folge, das das Stickoxidemissionsverhalten positiv beeinflusst wird - ist Teil eines Emissionskontrollsystems im Sinne von Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007. Die Emissionen werden ersichtlich kontrolliert und gesteuert: Die Motorsteuerung initiiert, aufgrund der engen Bedatung nahezu ausschließlich im Prüfzyklus, eine Aufheizstrategie, die dazu führt, dass der Schadstoffausstoß reduziert wird.
44
2. Auf dieser deliktischen Handlung beruht auch eine Schädigung der Klägerin:
45
a) Ein Schaden im Sinne von § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vemögenslage, in dem Sinne, dass sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt.
46
Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist vielmehr subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen oder nachteilige Einwirkungen auf die Vermögenslage umfasst sind, wie - bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit - die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts (BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02 = zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2004 - VI ZR 306/03 = BGHZ 161, 361 BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 - VI ZR 15/14 = zitiert nach juris; Münchener Kommentar zum BGB / Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 41ff.). Dabei ist bei dem Abschluss von Verträgen unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit maßgeblich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, nicht auf die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 - XI ZR 51/10 = BGHZ 192, 90).
47
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze - denen das Gericht folgt - stellt bereits die Tatsache, dass die Klägerin aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung einen für sie ungewollten wirtschaftlich nachteiligen Vertrag (Anlage K1) mit der Feser & Biermann GmbH geschlossen hat, einen derartigen Schaden dar, da ihr Vermögen bereits dadurch - unabhängig von einem messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust - mit einer ungewollten Verbindlichkeit negativ belastet ist.
48
(1) Die wirtschaftliche Nachteiligkeit des Vertrages für die Klägerin ergibt sich dabei schon daraus, dass die Klägerin nicht das erhalten hat, was ihr nach dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
49
Stattdessen hat die Klägerin einen Vertrag über einen Pkw geschlossen, der zwar formal über eine erteilte EG-Typgenehmigung verfügte, in den aber gleichzeitig eine unzulässige Abschaltvorrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 eingebaut war, die einer Zulassung objektiv entgegenstand.
50
(2) Die durch den wirtschaftlich nachteiligen Vertrag begründete Verbindlichkeit war für die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) auch ungewollt:
51
Das Gericht hat insoweit den Geschäftsführer der Klägerin persönlich angehört, der in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, dass ein Auto mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Klägerin ein „No-Go“ sei - man das Auto in Kenntnis der Problematik und ihrer Folgen nicht erworben hätte. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass sie dann überhaupt nicht hätten absehen können, was in puncto Rückruf, Software-Update und Nutzbarkeit des Fahrzeugs auf sie zu kommen würde, wobei das Fahrzeug gewerblich (u.a. als Zugmaschine für schweres Fotoequipment) genutzt werde und uneingeschränkt zur Verfügung stehen müsse.
52
Diese Ausführungen sind für das Gericht in vollem Maße überzeugend.
53
Dies folgt schon daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte (oder der Verkäufer) ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform ist und er deshalb jedenfalls für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das KBA (wenn auch erst in einigen Jahren) mit Problemen bis hin zum Entzug der Zulassung rechnen muss.
54
Ein Durchschnittskäufer kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass auf dem Prüfstand so auf das Emissionsverhalten Einfluss genommen wird, dass in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
55
Insoweit kann auch zwanglos davon ausgegangen werden, dass die Gesetzmäßigkeit des Fahrzeugs schon allein wegen des Einflusses der Manipulation auf die Schadstoffklasseneingruppierung - mit den damit verbundenen steuerlichen und sonstigen Folgen - und die Zulassung des Fahrzeugs für die Kaufentscheidung immer von Bedeutung ist, ohne dass es auf konkrete Äußerungen im Verkaufsgespräch ankäme (so auch LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2017 - 1 O 227/16 = zitiert nach juris; LG Kleve, Urteil vom 31.03.2017 - 3 O 252/16 = zitiert nach juris).
56
Bei gehöriger Aufklärung hätte die Klägerin vielmehr erkannt, dass sich aus der geschilderten Problematik die Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs sowie zumindest die Gefahr eines massiven Wertverlustes der Kaufsache ergeben und vom Kauf abgesehen (wofür nach Auffassung des LG Duisburg, Urteil vom 19.02.2018 - 1 O 178/17= zitiert nach juris bereits ein Anscheinsbeweis spricht), zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht absehbar gewesen wäre, dass die Beklagte kurzfristig in der Lage ist, ein Software-Update zu entwickeln, dass tatsächlich die Zulassungsfähigkeit herstellt ohne negative Auswirkungen für das Fahrzeug mit sich zu bringen. Der Käufer eines Neufahrzeuges erwartet regelmäßig, dass er sein Fahrzeug dauerhaft und uneingeschränkt nutzen kann und er sich nicht zu einem ungewissen Zeitpunkt in der Zukunft damit konfrontiert sieht, dass ein Entzug der Zulassung und bei Weiterveräußerung des Fahrzeugs ein massiver Wertverlust droht.
57
Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dies im konkreten Fall ausnahmsweise anders war - die Klägerin das Fahrzeug mithin auch in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung zu den vereinbarten Konditionen erworben hätte - sind nicht ersichtlich. Den diesbezüglichen Beweisantritt gerichtet auf Vernehmung des Geschäftsführers der Klägerin als Partei hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten.
58
c) Soweit von Beklagtenseite und teilweise auch in der Rechtsprechung (vgl. LG Köln, Urteil vom 07.10.2016 - 7 O 138/16 LG Ellwangen, Urteil vom 10.06.2016 - 5 O 385/15 LG Braunschweig, Urteil vom 19. Mai 2017 - 11 O 4153/16 - jeweils zitiert nach juris) die Auffassung vertreten wird, eine Haftung nach § 826 BGB scheide schon deshalb aus, weil die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen, gegen die die Beklagte durch den Einsatz der Software und die Manipulation des Prüfungsverfahrens verstoßen hat, nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen diene, und deshalb Vermögensschäden im Zusammenhang mit dem Verstoß der Beklagten nicht unter den Schutzbereich des § 826 BGB fielen, folgt das Gericht dieser Auffassung nicht.
„Die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche gesetzlichen Vorschriften der Schädiger gehandelt hat (vgl. LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 139/16; LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 - 13 O 174/16 - jeweils zitiert nach juris). Es steht auch nicht zu befürchten, dass es andernfalls zu einer Ausuferung der Haftung kommen würde: Der Schädiger haftet allein für die durch seine sittenwidrige Schädigung verursachten Vermögensschäden, der Kreis der Ersatzberechtigten wird dadurch eingegrenzt, dass der Schädiger hinsichtlich der Schädigung mit Vorsatz handeln muss (s.u.) und dadurch diejenigen Personen, deren Vermögensschäden zu ersetzen sind, von vornherein ausreichend genau bestimmt werden; erfasst werden im vorliegenden Fall nämlich nur die Erwerber der von der Manipulation betroffenen Fahrzeuge. Im Übrigen übersieht die vorzitierte Rechtsauffassung, dass der Beklagten nicht allein ein Verstoß gegen das Genehmigungsverfahren anzulasten ist, sondern insbesondere, dass sie der Allgemeinheit und den betroffenen Fahrzeugkäufern durch ihre öffentlichen Angaben und die - von ihr zu verantwortenden Übereinstimmungsbescheinigungen - suggeriert, dass die Fahrzeuge bestimmte technische Eigenarten aufweisen, die tatsächlich nicht gegeben sind. Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB hängt schließlich auch nicht davon ab, ob der Käufer seinen Vermögensschaden von einer anderen Person ersetzt verlangen kann. Das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten nämlich keinesfalls aus.“ (so zutreffend LG Duisburg, Urteil vom 19.02.208 - 1 O 178/17 = zitiert nach juris; sowie inhaltlich ebenso LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 139/16 LG Frankfurt (Oder), Urteil vom 17.07.2017 - 13 O 174/16 - jeweils zitiert nach juris).
59
3. Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig zu qualifizieren.
60
a) Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114, 124). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob die Handlung nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.1999 - VII ZR 132/97, BGHZ 141, 357, 361 Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 157; Urteil vom 03.12.2013 - XI ZR 295/12, WM 2014, 71, Rn. 23 m. w. N.). Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12, NJW 2014, 1380, Rn. 8 m. w. N.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.2010 - VI ZR 124/09, WM 2010, 2256, Rn. 12 Urteil vom 20.11.2012 - VI ZR 268/11, WM 2012, 2377, Rn. 25 jeweils m. w. N.). Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15 -, Rn. 16, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler BGB [2014] § 826, Rn. 31).
61
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze - denen das Gericht folgt - ist das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren:
62
Die berechtigten Verkehrserwartungen gehen dahin, dass ein Autohersteller sich gewissenhaft an die Regeln hält, denen er im Rahmen des Zulassungsverfahrens unterliegt, und er sich nicht durch falsche Angaben zu wichtigen zulassungsrelevanten Eigenschaften eine Typgenehmigung erschleicht. Dabei wird eine sehr hohe Sorgfalt erwartet, weil das Handeln von einer großen Tragweite sowohl für die Mobilität als auch das Vermögen der einzelnen (zigtausend bis Millionen) Kunden, als auch für die Umwelt (bei in großer Stückzahl produzierten Fahrzeugen hohen Auswirkungen auf die Umweltbelastung und damit wiederum für die Gesundheit der Allgemeinheit) ist und Verstöße zu hohen Schäden führen können. „Den europäischen Normen entsprechend erwartet der Verbraucher objektive und genaue, und somit wahrheitsgemäße Informationen. Verbrauchs- und Emissionswerte haben allgemein eine hohe Bedeutung bei den Anschaffungsentscheidungen. Die allgemeine Verkehrserwartung geht auch dahin, dass sich ein Hersteller nicht durch falsche Angaben oder durch Manipulationen im Rahmen des Prüfverfahrens mit nicht vergleichbaren Werten Wettbewerbsvorteile verschafft. An die Redlichkeit werden besonders hohe Erwartungen gestellt, da der Verbraucher auf die Richtigkeit der Angaben durch den Hersteller angewiesen ist, weil er zu einer eigenen Überprüfung nicht in der Lage ist.
63
Gegen diese berechtigte Verkehrserwartung hat die Beklagte in einem erheblichen Maße verstoßen. Die Installation einer Abschalteinrichtung widersprach offensichtlich den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Ein Fahr- und Emissionsverhalten, das durch eine spezielle Steuerungssoftware allein auf das Prüfverfahren abgestimmt war und somit - wie die Beklagte selbst vorträgt - keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften im Normalbetrieb erlaubt, widersprach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift und erfüllte die Zulassungsvoraussetzungen nicht. […] Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit des Handelns ist der hohe Schaden, den die Beklagte verursacht hat, sowie das hohe Risiko für die zahlreichen Fahrzeugkäufer zu berücksichtigen, das die Beklagte in Kauf genommen hat. Der Beklagten war bewusst, dass sie die Anforderungen der Abgasnormen nicht ohne die unzulässige Abschalteinrichtung erfüllen konnte. Dies folgt bereits aus der Installation der Software, die speziell eine Motorsteuerung für den Prüfzyklus vorsah, und somit für die Prüfung nicht geeignete Emissionswerte erzeugte. Als Automobilhersteller war ihr weiter bekannt, dass sie keine rechtsbeständige EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung im Prüfverfahren erhalten kann und somit die Gefahr des Widerrufs der EG-Typgenehmigung und der Allgemeinen Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge bestand. Der dadurch drohende Schaden war angesichts der hohen Stückzahl der produzierten Motoren enorm. Die Inkaufnahme eines derartigen Schadens zum Zwecke des Gewinnstrebens enthält ein hohes Maß an Skrupellosigkeit. Gleichzeitig hat sich die Beklagte gegenüber ihren Mitbewerbern, die auf ordnungsgemäße Weise die Einhaltung der Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nachgewiesen haben, einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil verschafft. Sie hat sich die Kosten der Entwicklung einer Technik gespart, die den Anforderungen der Vorschriften gerecht geworden wäre.“(so zutreffend LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 - 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
„Die daraus zu entnehmende Gesinnung, aus Gewinnstreben massenhaft die Käufer der so produzierten Autos bei ihrer Kaufentscheidung zu täuschen, die Wettbewerber zu benachteiligen und die Umwelt so zu schädigen, dass Gesundheitsgefahren [für die Allgemeinheit] drohen, weil die Schadstoffwerte (NOx) erhöht werden, lässt das Verhalten insgesamt als sittenwidrig erscheinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Anschaffung eines Fahrzeugs für einen Verbraucher in der Regel um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht handelt und ein Verbraucher als technischer Laie die Manipulation nicht erkennen kann. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit des Verbrauchers bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt, was eine besonders verwerfliche Vorgehensweise darstellt. Mit der Motorsteuerungssoftware wurde mit erheblichem Aufwand ein System zur planmäßigen Verschleierung gegenüber Behörden und Verbrauchern geschaffen, um den Umsatz und Gewinn durch die bewusste Täuschung zu steigern.“ (so zutreffend LG Krefeld, Urteil vom 28.02.2018- 7 O 10/17 = zitiert nach juris m. w. Nachweisen).
64
Die subjektive Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände war bei den handelnden Personen unzweifelhaft gegeben.
65
Ebenso das bei - jedenfalls zum (hier äußerst geringen) Teil auch unter Realbedingungen arbeitenden Abschalteinrichtungen - notwendige besondere Unrechtsbewusstsein, dass sich hier unstreitig daraus ergibt, dass die Beklagte in Kenntnis der Gesetzeswidrigkeit der unzulässigen Abschalteinrichtungen den Einbau vorgenommen hat.
66
Die Beklagte hat den diesbezüglichen ausdrücklichen Sachvortrag der Klägerin nicht bestritten.
67
4. Die Beklagte hat dabei auch vorsätzlich gehandelt, wobei sie sich das Wissen und Verhalten ihrer Repräsentanten zurechnen lassen muss.
68
a) Die schädigende Handlung ist der Beklagten nach § 31 BGB (analog) zuzurechnen.
69
(1) Die Haftung einer juristischen Person setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/16 = zitiert nach juris).
70
Darüber hinaus wird der Anwendungsbereich des § 31 BGB bei Organisationsmängeln erweitert (Palandt - Ellenberger, BGB - Kommentar, 77. Aufl. 2018, § 31 Rn. 7), denn juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Entspricht die Organisation diesen Anforderungen nicht, muss sich die juristische Person so behandeln lassen, als wäre der tatsächlich eingesetzte Verrichtungsgehilfe ein verfassungsmäßiger Vertreter (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980 - VI ZR 158/78 = NJW 1980, 2810).
71
(2) Hier hat die Beklagte jedenfalls entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dargelegt, dass sie den Organisationsanforderungen gerecht geworden ist.
72
Bei dem Einbau einer manipulierten Motorsteuerungssoftware handelt es sich offensichtlich nicht um das Augenblicksversagen eines einzelnen Mitarbeiters, sondern um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung - wie insbesondere die finanziellen Folgen des Abgasskandals zeigen - und Risiken, bei der millionenfach in den Motor (das „Herzstück“ des Fahrzeuges) eingegriffen wird.
73
Selbst wenn - wie die Beklagte vorträgt (zur Frage einer direkten Zurechnung unter einer sekundären Darlegungslast der Beklagten insoweit etwa LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16 = zitiert nach juris; LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018 = zitiert nach juris; LG Bonn, Urteil vom 07.03.2018 - 19 O 327/17 = zitiert nach juris) - kein Vorstandsmitglied Kenntnis von dieser Entscheidung hatte, sondern diese weitreichende Entscheidung tatsächlich von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden sein sollte, läge insoweit offenbar ein massives Organisationsdefizit vor, so dass sich die Beklagte so behandeln lassen muss, als wären die handelnden Mitarbeiter ihre verfassungsmäßigen Vertreter (so auch LG Essen, Urteil vom 28.08.2017 - 4 O 114/17 = zitiert nach juris; LG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2018 - 7 O 212/16 = zitiert nach juris).
74
b) Zudem hatten nach dem unstreitigen Sachvortrag der Klägerin gleich mehrere Vorstandsmitglieder positive Kenntnis vom Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung.
75
c) Die der Beklagten zuzurechnende Handlung war auch vorsätzlich, da die handelnden Personen jedenfalls Art und Richtung des Schadens (massenhafter Abschluss von Kaufverträgen über Fahrzeuge, deren EG-Typgenehmigung erschlichen war) und die Schadensfolgen (Begehr auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages) vorausgesehen und zumindest billigend in Kauf genommen haben.
76
5. Als Rechtsfolge kann die Klägerin Schadensersatz nach § 249 Abs. 1 BGB fordern - sie hat mithin Anspruch darauf, so gestellt zu werden, als ob das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.
77
a) Nachdem davon auszugehen ist, dass die Klägerin bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis einerseits und des Wertes des Fahrzeugs andererseits den Kaufvertrag über den streitgegenständlichen Pkw nicht geschlossen hätte und damit der Schaden bereits bei Eingehung des Vertrages bzw. mit Vertragsschluss entstanden ist, ist sie so zu stellen, als hätte sie den Vertrag nicht geschlossen.
78
Sie hat folglich Anspruch auf Zahlung des unstreitigen Kaufpreises in Höhe von 57.474,79 €, muss jedoch gleichzeitig im Wege des Vorteilsausgleichs das streitgegenständliche Fahrzeug an die Beklagte herausgeben und übereignen (dem ist in Form einer Zug um Zug Verurteilung Rechnung zu tragen) sowie sich die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen.
79
b) Dass die Möglichkeit besteht, ein in Abstimmung mit dem KBA entwickeltes Software-Update aufspielen zu lassen bzw. ein solches bereits aufgespielt wurde, ist für die Schadensbeurteilung ohne Relevanz. Der Geschädigte muss sich vom Schädiger nicht das Festhalten an dem Vertrag aufdrängen lassen, zumal die (etwaig nachteiligen) Folgen des Software-Updates möglicherweise erst nach einem längeren Dauerbetrieb auftreten und nur mittels kostspieligen Sachverständigengutachtens geklärt werden können (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 08.02.2018, 19 O 68/17 = zitiert nach juris).
80
c) Die Höhe des Nutzungsvorteils berechnet sich auf Grundlage der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene km / Gesamtlaufleistung.
81
Hierbei geht das Gericht nach § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung von 500.000 km aus, was bei einem neueren Dieselfahrzeug durchaus realistisch erscheint und der Linie des OLG Bamberg entspricht.
82
Die tatsächlich gefahrenen Kilometer bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entnimmt das Gericht den unstreitigen Angaben der Klägerin - die insgesamt eine Laufleistung von 88.238 km angegeben und nachgewiesen hat.
83
Dies ergibt eine Nutzungsentschädigung von 20.285,84 €, die mit dem Kaufpreis - ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (vgl. BGH, NJW 2015, 3160) - zu verrechnen ist (37.188,95 €).
84
Nachdem die Nutzung während der gesamten Besitzzeit der Klägerin - trotz Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung - nicht beeinträchtigt war, kann aus dem bloßen Umstand der Mangelhaftigkeit nicht abgeleitet werden, dass Nutzungsentschädigung nicht geschuldet ist (so auch LG Hamburg, Urteil vom 18.05.2018 - 308 O 308/17 = zitiert nach juris). Soweit das LG Augsburg (Az.: 021 O 4310/16) kürzlich nach Presseberichten einer Klage ohne Anrechnung von Nutzungsentschädigung stattgegeben hat, weil dies dem Gedanken des Schadensersatzes nach sittenwidriger Schädigung widerspräche, teilt das Gericht diese Auffassung nicht. Die Schadensberechnung im Falle sittenwiriger Schädigung richtet sich ebenfalls nach den in §§ 249 ff. BGB verankerten Grundsätzen und richtet sich nicht nach Sonderregeln.
85
Insgesamt ergibt sich danach ein Zahlungsanspruch von 37.188,95 €, der Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist.
86
6. Der Kläger hat Anspruch auf Prozesszinsen aus §§ 288, 291 BGB ab dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Die Vorschrift setzt bei unbezifferten Forderungen voraus, dass die Grundlagen für die Bemessung im Zeitpunkt der Klagerhebung mitgeteilt werden (vgl. Staudinger/Manfred Löwisch/Cornelia Feldmann (2014) BGB § 291, Rn. 8), was hier (keine Angaben zur Laufleistung in der Klageschrift) nicht der Fall gewesen ist. „Der Schadensersatzanspruch ist von vornherein nur mit der Einschränkung begründet, dass gleichzeitig die Vorteile herausgegeben werden. Dazu bedarf es keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schuldners“ (vgl. NJW-RR 2005, 170, mwN - beckonline).
87
Erst in der mündlichen Verhandlung vom 15.11.2021 hat die Klägerin durch Angabe der aktuellen Laufleistung des Fahrzeugs dieser Besonderheit Rechnung getragen.
88
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und den Anteilen am Obsiegen und Unterliegen.
89
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
90
Der Streitwert ergibt sich aus der Streitwertangabe in der Klageschrift, die bereits eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 350.000 km berücksichtigt.