Titel:
COVID-19-Pandemie und Transparenz von Versicherungsbedingungen einer Betriebsschließungsversicherung
Normenketten:
VVG § 1
BGB § 307 Abs. 1
Leitsatz:
Der durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer kann der Klausel einer Betriebsschließungsversicherung dahin, dass lediglich und abschließend die in den AVB aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, klar entnehmen, für welche Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht, und es wird sich ihm im Umkehrschluss ebenso unschwer erschließen, dass er für dort nicht genannte Krankheiten und Krankheitserreger (hier: COVID-19) eben keinen Versicherungsschutz beanspruchen kann. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versicherungsvertrag, Betriebsschließungsversicherung, Allgemeine Versicherungsbedingungen, Transparenz, Deckungsumfang, COVID-19-Pandemie
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 03.12.2021 – 25 U 5568/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 18.05.2022 – IV ZR 467/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 21.09.2022 – IV ZR 467/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58144
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 122.900,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.
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Die Klägerin betreibt die Lokalität … in … Für den Betrieb besteht bei der Beklagten eine Betriebsschließungsversicherung unter der Nr. … Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist für jeden Schließungstag eine Tagesentschädigung in Höhe von 3.580 € sowie eine Warenschaden-Versicherung für einen Warenwert von 21.000 € vereinbart (Anlage K1).
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Der Versicherung liegen die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern (AVB-dyn. BS 311/05)“ zugrunde (Anlage K 2). Dort heißt es unter Abschnitt A wie folgt:
„§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung?
I. Welchen Versicherungsschutz bietet Ihnen die Betriebsschließungsversicherung?
Die Betriebsschließungsversicherung bietet Ihnen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger
1. den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; als Schließung ist es auch anzusehen, wenn sämtliche Betriebsangehörige Tätigkeitsverbote erhalten;
II. Wann ist der Versicherungsfall gegeben?
Ein Versicherungsfall ist
1. im Fall des Abs. I. Nr. 1: die behördliche Anordnung der Schließung;
III. Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
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Es folgen 2 Listen mit insgesamt 18 Krankheiten und 50 Krankheitserregern. Das Coronavirus SARS-CoV-2 und die hierauf beruhende Erkrankung COVID-19 sind dort namentlich nicht genannt.
„§ 4 Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
4. Krankheiten und Krankheitserreger
Wir haften nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“
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Mit Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020 wurde die Meldepflicht nach §§ 6 und 7 IfSG mit Wirkung zum 01.02.2020 auf das neuartige Coronavirus erstreckt. Der Gesetzestext der §§ 6 und 7 IfSG selbst wurde mit Wirkung zum 23.05.2020 entsprechend geändert.
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In Vollzug des Infektionsschutzgesetzes untersagten das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit sowie das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales am 16.03.2020 den Betrieb der Gastronomie (zunächst mit Ausnahme der Mittagsöffnung) ab 17.03.2020. Die Untersagung wurde durch Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit vom 20.03.2020 verschärft. Ausgenommen hiervon war jeweils die Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen. Von den später verfügten Lockerungen der Schließung von Gastronomiebetrieben waren Speiselokale begünstigt, jedoch keine Bars.
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Die Arbeitnehmer der Klägerin bezogen für die Monate März bis Mai 2020 Kurzarbeitergeld in Höhe von insgesamt 48.290,13 €, die Klägerin bezog Corona-Soforthilfen in Höhe von insgesamt 45.000 €.
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Die Klägerin behauptet, der klägerische Betrieb sei durch die vorgenannten Anordnungen vom 21.03.2020 bis zum Ablauf des 17.05.2020 vollständig geschlossen worden. Die rechtlich mögliche Vorbereitung von Speisen und Getränken zur Mitgabe habe sich nicht ergeben, da diese keinen Sinn gemacht hätte angesichts der Dimensionierung der Küche mit einer zahlenmäßig großen Mannschaft.
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Die Klägerin meint, „Corona“ sei im versicherten Risiko mitenthalten. Es sei bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen auf die Sichtweise eines durchschnittliche Versicherungsnehmers abzustellen. Die Formulierung in den AVB führe rechtlich nicht dazu, dass „Corona“ nicht mitversichert sei. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer brauche nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht.
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Sie meint weiter, die Versicherungsbedingungen setzten nicht voraus, dass die Corona-Erkrankung bzw. der diesbezügliche Krankheitserreger gerade im versicherten Betrieb aufgetreten sein müssten. Es reiche aus, das ein Zusammenhang bestehe zwischen dem objektiven Auftreten meldepflichtiger Krankheitserreger und der Schließung des versicherten Betriebs.
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Die Klägerin meint zudem, aus § 1 a VVG ergebe sich die Anforderung an den Versicherer, anlässlich von geänderter Rechtslage auf staatlicher Ebene den Kunden zu beraten und ein Angebot betreffend Vertragsänderung zur ausdrücklich wörtlichen Einbeziehung von auf staatlicher Ebene schon einbezogenen Erregern in den Vertrag zu unterbreiten.
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Es handle sich um eine Summenversicherung, so dass die Beklagte unabhängig vom Eintritt eines Vermögensschadens die vertraglich fest vereinbarte Summe zu leisten habe. Kurzarbeitergeld und Corona-Soforthilfen seien nicht zu berücksichtigen. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liege nicht vor.
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Die Klägerin beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, 122.900,00 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klagepartei zu zahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, 1.052,20 € (halbe vorgerichtliche Geschäftsgebühr als gerichtskostenneutrale Kosten i.S.d. § 4 Abs. 1 ZPO) zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit an die Klagepartei zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Sie bestreitet, dass der klägerische Betrieb vollständig habe schließen müssen. Es fehle bereits am Einzelfallbezug der Betriebsschließung. Eine Schließung im Sinne der Versicherungsbedingungen setze ein zielgerichtetes behördliches Handeln gegen den einzelnen Betrieb voraus.
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Sie meint, Sars-Cov-2/Covid 19 sei nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Welche Krankheiten und Krankheitserreger über die Versicherungsbedingungen versichert seien, ergebe sich nicht isoliert aus der Klausel A § 1 I 1 der AVB, sondern aus dem Zusammenspiel dieses Bedingungsteils mit § 1 III 1 und 2 AVB. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe, dass nur die Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien, die in den Versicherungsbedingungen enumerativ aufgelistet seien. Der Versicherungsschutz werde nicht ausgehöhlt, nur weil nicht alle Krankheiten und Krankheitserreger versichert seien, die nach dem IfSG meldepflichtig seien. Wenn ausdrücklich auf die „folgenden“ aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger verwiesen werde, seien solche, die nicht in der Liste stünden, nicht gedeckt.
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Eine rechtlich wirksame Betriebsschließung durch die zuständige Behörde habe nicht vorgelegen
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Zur Ergänzung wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Leistungen aus der Betriebsschließungsversicherung zu. Ein Versicherungsfall liegt nicht vor.
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Die streitgegenständlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Coronavirus gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren. Entgegen der Ansicht der Klagepartei sind das Coronavirus SARS-CoV-2 und die hierauf beruhende Erkrankung COVID-19 nicht von den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen umfasst (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 18.02.2021 - 7 U 351/20; OLG Oldenburg, Urteil vom 06.05.2021 - 1 U 10/21; OLG Schleswig, Urteil vom 10.05.2021 - 16 U 25/21 jeweils zu vergleichbaren Versicherungsbedingungen).
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1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Ist Adressat der Bedingungen eine bestimmte Gruppe von Versicherungsnehmern, ist auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers dieser Gruppe abzustellen (BGH, Urteil vom 25.05.2011, Az. IV ZR 117/09). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
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Die in A § 1 III AVB aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20). Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
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1.1 Zwar besteht nach A § 1 I AVB ein Anspruch auf Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.
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Der Versicherungsumfang wird aber nicht allein durch § 1 I AVB bestimmt, sondern auch durch § 1 III AVB, in der die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger näher definiert sind. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei den Ziffern I und III des § 1 um zwei Absätze innerhalb ein und desselben Paragraphen handelt. Dieser ist überschrieben mit „§ 1 Was ist Gegenstand der Versicherung“ und definiert erkennbar den Gegenstand der Versicherung und das versicherte Risiko. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist somit klar, dass der Versicherungsumfang in § 1 I AVB nicht allein definiert ist, sondern durch die Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 III AVB konkretisiert wird. Dies wird auch durch die Überschrift der Ziffer III „Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?“ verdeutlicht. Damit handelt es sich bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 III AVB erkennbar um eine Beschreibung des versicherten Risikos, nicht um einen Risikoausschluss (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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1.2 Der Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 III AVB ist abschließend. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…)“.
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Durch das Wort „folgende“ und die sich anschließende Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass nur bei Betriebsschließungen aufgrund der dort genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20). Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
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Etwas anderes folgt nicht daraus, dass vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20). Zwar kann dem Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch die Bedeutung „insbesondere“, „vor allem“ oder „hauptsächlich“ zukommen. Aufgrund der konkreten Satzstellung ist dies vorliegend jedoch ersichtlich nicht der Fall. Denn würde man das Wort „namentlich“ durch eines der oben genannten Synonyme ersetzen, würde der gesamte Satz keinen Sinn ergeben. Dies ist auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbar.
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1.3 Auch der Hinweis auf §§ 6 und 7 IfSG in § 1 III AVB führt zu keinem anderen Ergebnis (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Weder ist damit eine dynamische Verweisung verbunden, noch kann ein verständiger Versicherungsnehmer davon ausgehen, dass sämtliche von §§ 6 und 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus dem Hinweis kann nicht abgeleitet werden, dass die Kataloge identisch sind. Denn in diesem Fall hätte es einer Aufzählung bzw. „Wiederholung“ der Krankheiten und Krankheitserreger in den AVB nicht bedurft. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf §§ 6 und 7 IfSG, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Wenn der Versicherer hier eine Liste der versicherten Krankheiten und Erreger in eine Klausel seiner Versicherungsbedingungen aufnimmt, macht dies deutlich, dass damit nicht nur über den Inhalt des Infektionsschutzgesetzes informiert werden oder Versicherungsschutz angepriesen werden soll. Vielmehr werden im Sinne einer rechtlich verbindlichen Regelung die Krankheiten aufgezählt, für die Versicherungsschutz versprochen wird (OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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Hieran vermag auch der Einwand der Klagepartei, dass allein der Staat, nicht jedoch die Beklagte als Versicherer regeln könne, welche Krankheiten bzw. Krankheitserreger meldepflichtig sind, nichts zu ändern. Denn die Beklagte bestimmt in § 1 III AVB nicht, welche Krankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz meldepflichtig sind. Vielmehr definiert sie lediglich, für welche der im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten sie haftet. § 1 III AVB normiert also keine Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz, sondern konkretisiert den Umfang des Versicherungsschutzes. Dies ist aber gerade Sinn und Zweck von Allgemeinen Versicherungsbedingungen.
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Es ist auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von §§ 6 und 7 IfSG umfassten Bereich verweist, insbesondere die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und des § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt vielmehr gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Krankheiten und Krankheitserreger versichern wollte, nicht aber über die im IfSG enthaltenen Generalklauseln für alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können, haften wollte. Gerade die Generalklauseln der §§ 6 und 7 IfSG sollten vielmehr erkennbar ausgeschlossen werden. Der Hinweis auf §§ 6 und 7 IfSG kann daher nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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1.4 Auch der Ausschluss von Prionenerkrankungen in § 4 Nr. 4 AVB ändert daran nichts. Die Regelung ist zwar angesichts des abschließenden Katalogs der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 III AVB überflüssig, schadet aber auch nicht. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird dem Ausschluss von Prionenerkrankungen nicht entnehmen, dass die Aufzählung in § 1 III AVB nicht abschließend ist. Insbesondere kann er hieraus nicht schließen, dass der Risikoausschluss in § 4 Nr. 4 AVB den abschließenden Katalog des § 1 III AVB wieder öffnet und der Versicherer trotz der detaillierten Auflistung auch für alle anderen nicht im Katalog genannten Krankheiten und Krankheitserreger haften möchte. Ein derartiges Verständnis ist fernliegend. Der Ausschluss hat erkennbar nur den Erklärungswert, dass der Versicherer in bestimmten Fällen keinesfalls Versicherungsschutz gewähren will, unabhängig davon, was nach der primären Risikobeschreibung versichert wäre (OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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Zudem kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannte Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen letztlich überhaupt keine Schlüsse ziehen.
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1.5 Zwar ist der Versicherungsnehmer an einem umfassenden Versicherungsschutz interessiert, dies vermag aber an der vorgenannten Auslegung nichts zu ändern. Denn angesichts des klaren Wortlauts der hier maßgeblichen Bestimmungen kann ein verständiger Versicherungsnehmer den AVB schlechterdings nicht entnehmen, dass der Versicherer über die in § 1 III AVB ausdrücklich aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger hinaus für sämtliche weiteren denkbaren bekannten und unbekannten Infektionskrankheiten haften und ein insoweit unkalkulierbares Risiko eingehen werde.
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Erkennbarer Zweck der Leistungsbeschreibung ist es, den Leistungsumfang zu bestimmen. Insbesondere soll dem Versicherer eine Kalkulation ermöglicht werden. Der Versicherungsnehmer soll informiert entscheiden können, ob die Versicherung die ihm drohenden Risiken abdeckt und abgeschlossen werden soll. Ausgehend von diesem Zweck ist eine Erwartung des Versicherungsnehmers nicht begründbar, der Versicherer werde Versicherungsschutz für alle Infektionskrankheiten ohne Unterschied gewähren und ohne die Möglichkeit, die Gefahrträchtigkeit einer Krankheit abschätzen zu können (vgl. OLG Hamm, r+s 2020, 506; OLG Stuttgart, r+s 2021, 139 Rn. 18 ff m.w.N., 31). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt anhand der Klausel die Krankheiten und Erreger, für die Schutz besteht. Er muss davon ausgehen, dass er nur insoweit geschützt- und dass die Prämie entsprechend kalkuliert - ist, weil andernfalls keine Aufzählung erforderlich wäre und weil kein Zusatz wie „insbesondere“ angebracht ist (OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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1.6 Damit ist der Umstand, dass die Meldepflicht nach §§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1 S. 1 IfSG mit Wirkung zum 01.02.2020 auf das Coronavirus SARS-CoV-2 und die durch das Coronavirus verursachte Erkrankung COVID-19 ausgeweitet wurde bzw. diese nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentlich als Krankheit bzw. Krankheitserreger in §§ 6 Abs. 1 und 7 Abs. 1 IfSG aufgenommen wurden, aufgrund der abschließenden Auflistung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger für das streitgegenständliche Verfahren unbeachtlich.
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1.7 Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist nach alldem auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
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2. Gegen die Wirksamkeit des § 1 III AVB bestehen keine Bedenken. Bei § 1 AVB handelt es sich - wie bereits ausgeführt - um die Leistungsbeschreibung, weil dort der Gegenstand der Versicherung definiert und somit der Umfang des Versicherungsschutzes festgelegt wird. Damit ist für diese Klausel nur eine Transparenzkontrolle vorzunehmen (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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Nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die jeweilige Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Urteil vom 14.08.2019 - IV ZR 279/17). Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden; nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht (BGH Urteil vom 20.11.2019 - IV ZR 159/18). Diesen Anforderungen wird die Regelung in § 1 III AVB gerecht.
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Ein um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer wird den Regelungsgehalt der Klausel dahin, dass lediglich und abschließend die in § 1 III AVB aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, unschwer und eindeutig erkennen. Dies folgt bereits aus dem klaren Wortlaut der Klausel, wonach meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger die „folgenden“ aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger sind. Der durchschnittliche, verständige Versicherungsnehmer kann der Klausel demnach klar entnehmen, für welche Krankheiten und Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht, und wird sich ihm im Umkehrschluss ebenso unschwer erschließen, dass er für dort nicht genannte Krankheiten und Krankheitserreger eben keinen Versicherungsschutz beanspruchen kann. Eines klarstellenden Hinweises, dass nicht aufgeführte Krankheiten und Krankheitserreger nicht dem Versicherungsschutz unterfallen, bedurfte es insoweit nicht (vgl. auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 12.05.2021 - 25 U 5794/20).
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Eine Intransparenz folgt insbesondere nicht daraus, dass die Klausel einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird weder davon ausgehen, dass der gesamte von §§ 6 und 7 IfSG umfasste Bereich einschließlich der Auffangbestimmungen der §§ 6 und 7 IfSG vom Versicherungsschutz umfasst ist, noch dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Versicherungsvertrag Anwendung finden. Gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für sämtliche anderen Krankheiten und Krankheitserreger, insbesondere nicht für bei Vertragsschluss unbekannte Krankheitserreger.
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Dass § 1 III AVB noch klarer hätte formuliert werden können, etwa durch den Zusatz „nur“ vor den Worten „die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ vermag an dem Ergebnis nichts ändern. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ist nicht schon dann zu bejahen, wenn die Bedingungen im Einzelfall noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können (BGH, Urteil vom 04.04.2018 - IV ZR 104/17).
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3. Das Vorbringen der Klagepartei insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 25.05.2021 zum Verständnis der streitgegenständlichen Klauseln greift aus den vorgenannten Erwägungen daher nicht durch.
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4. Die Klagepartei vermag mit ihrem Einwand, die Beklagte verstoße gegen Treu und Glauben, § 242 BGB, indem diese hochdotierte Betriebsschließungsversicherungsverträge bediene und nur bei weniger hochdotierten Verträgen die Ausbezahlung der Vertragsansprüche verweigere, wie der vor dem Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 12 O 6496/20 verhandelte Fall … gegen die Beklagte zeige, nicht durchzudringen. Zum einen kann schon nicht angenommen werden, dass die Beklagte durch die Vereinbarung in dem vorgenannten Verfahren zeige, dass sie die Vertragsansprüche generell für berechtigt halte. Andernfalls hätte es nämlich schon kaum einer Klage der … gegen die Beklagte bedurft. Zum anderen sind die Hintergründe des dortigen Vergleichsschlusses nicht bekannt und ist eine Vereinbarung in dem dortigen Verfahren für den hiesigen Einzelfall daher rechtlich unbeachtlich.
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5. Entgegen der Auffassung der Klagepartei hat sich die Beklagte auch nicht durch Äußerungen ihres Konzernchefs … in den Medien rechtsgeschäftlich selbst gebunden und Deckung anlässlich einer fachkundigen Sach- und Rechtsabklärung zugesagt. Den von der Klagepartei in ihrem Schriftsatz vom 24.09.2020 zitierten Äußerungen des … im Rahmen eines Spiegelgesprächs kann kein Erklärungswert dahingehend zugemessen werden, dass die Beklagte unabhängig von einer ggf. höchstrichterlichen Klärung der inmitten stehenden Rechtsfragen und ungeachtet der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls für jeden konkreten Einzelfall, einschließlich des hiesigen, eine Deckungszusage erteilen wollte.
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6. Eine Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 1 a VVG.
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Die Pflicht aus § 1 a VVG umfasst zwar über den Wortsinn hinaus neben der Vertriebstätigkeit im engeren Sinn - also dem „Verkauf“ von Versicherungsverträgen - ausdrücklich auch die gesamte Verwaltung und Erfüllung des Versicherungsvertrages, gilt also für das Anbahnungs- und Abwicklungsstadium wie für die Dauer des Versicherungsverhältnisses (Langheid/Rixecker/Rixecker, 6. Aufl. 2019, VVG § 1 a Rn. 2). Daraus lässt sich indes nicht schließen, dass ein Versicherungsvertrag derart ausgestaltet sein müsste, dass er sich dynamisch an etwaige Änderungen von tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten anpassen müsste. Auch wenn der Versicherer nach § 1 a VVG im „bestmöglichen“ Interesse des Versicherungsnehmers zu handeln verpflichtet ist, ergibt sich daraus keine Pflicht zur Anpassung eigener Produkte oder zu deren Neugestaltung, um dem Versicherungsnehmer einen weitergehenden - gegebenenfalls besseren - Schutz gegenüber versicherten Gefahren zu bieten (OLG Stuttgart Urt. v. 18.2.2021 - 7 U 335/20, BeckRS 2021, 2001 Rn. 34, beck-online).
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Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die Nebenforderungen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
52
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.