Titel:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, untersagung, Ersatzpflicht, Beschaffenheit, Sachmangel, Vertragsschluss, Sittenwidrigkeit, Zulassung, Annahmeverzug, Kaufpreis, Herausgabe, Mangel, Zug um Zug, Anspruch auf Feststellung, Vorbringen der Parteien
Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, untersagung, Ersatzpflicht, Beschaffenheit, Sachmangel, Vertragsschluss, Sittenwidrigkeit, Zulassung, Annahmeverzug, Kaufpreis, Herausgabe, Mangel, Zug um Zug, Anspruch auf Feststellung, Vorbringen der Parteien
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58058
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.294,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 04.12.2020 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touareg 3.0 I V6 TDI SCR mit der Fahrzeugsidentifikationsnummer ….
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
4. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 61.573,94 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagte als Herstellerin Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen geltend.
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Die Klagepartei erwarb von einem nicht beteiligten Händler am 13.04.2017 (Anlage K1) den streitgegenständlichen Pkw VW Touareg 3.0 TDI SCR, der mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten 3.0 Liter V6-Turbodieselmotor ausgestattet ist, als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 65.120,00 €. Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 19.07.2021 eine Laufleistung von 22.232 km auf. Für das Fahrzeug wurde eine EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse Euro 6 ausgestellt.
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Um den Ausstoß von Stickoxid zu optimieren, wird bei dem Fahrzeug im Wege der sog. Abgasrückführung ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs zurückgefahren (sog. Thermofenster). Die genaue Beschaffenheit des Thermofensters ist zwischen den Parteien umstritten. Das streitgegenständliche Fahrzeug besitzt zudem einen SCR-Katalysator, der mit einer Harnstofflösung (AdBlue) betrieben wird.
4
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat betreffend den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung angeordnet. In dem dieser Anordnung zu Grunde liegenden Bescheid geht das KBA davon a is, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. Aufgrund dieser Anordnung nimmt die Beklagte eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps vor.
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Die Klagepartei behauptet daher, dass das Fahrzeug über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verfüge. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug komme eine Motorsteuerungssoftware zum Einsatz, die erkenne, ob das Fahrzeug einen Prüzyklus durchläuft oder sich im Realbetrieb befindet. Nur im Prüfzyklus würden die NOx - Emissionen unter das gesetzlich zulässige Maß verringert. Dies werde unter anderem damit erreicht, dass bei erkannten Prüfbedingungen ein höherer Füllstand im SCR-Katalysator herbeigeführt werde. Auch im Übrigen werde der SCR-Katalysator mit zwei verschiedenen Betriebsmodi gesteuert. Insbesondere werde bei Absinken des Füllstandes zu wenig AdBlue eingespritzt. Sämtliche Maßnahmen würden im Ergebnis dazu dienen, dass die Stickoxidemissionen lediglich im Prüfbetrieb auf das zulässige Maß reduziert werden. Auch das Thermofenster sei als unzulässig zu bewerten. Ohne die unzulässigen Abschalteinrichtungen hätte das streitgegenständliche Fahrzeug keine Typengenehmigung erhalten.
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Hätte die Klagepartei gewusst, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine verbotene Abschalteinrichtung verwendet werde, hätte sie den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Der Vorstand der Beklagten habe demgegenüber Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabpt.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, dass das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO-EG 715/2007 verfüge. Es liege eine sittenwidrige Schädigung vor, so dass die Beklagte nach § 826 BGB hafte. Darüber hinaus ergebe sich eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB.
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Die Klagepartei beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 61.573,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszissatz hier aus seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touareg 3.0 I V6 TDI SCR mit der Fahrzeugsidentifikationsnummer … .
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer I. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte erwidert, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über die bei Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 enthaltene Umschaltlogik verfüge. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterfalle der Emissionsklasse EU 6 und erfülle diese auch. Das im Rahmen der Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware angebotene Update zeige keinerlei negative Auswirkungen. Weiter als die im Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts enthaltenen Funktionen gingen fehl und würden seitens der Klagepartei „ins Blaue hinein“ erfolgen. Dies gelte insbesondere für die Ausführungen der Klagepartei zur AdBlue-Einspritzung und zum Thermofenster. Ein Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeug sei ebenso wenig begründet wie eine sonstige Nachteilhaftigkeit des Kaufvertrags. Zudem sei auch der Vorsatz der Beklagten nicht schlüssig dargelegt worden. Das Fahrzeug sei technisch fahrbereit und sicher und verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 VO-EG 715/2007 nicht erfüllt seien. Ein vorsätzliches, sittenwidriges Handeln der Beklagten liege fern. Weder eine unzulässige Abschalteinrichtung, noch ein Schädigungsvorsatz würden substantiiert dargelegt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das wechselseitige schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat am 20.07.2021 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen (Bl. 103 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
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Die Klage ist insgesamt zulässig.
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Der Antrag Ziffer 2. ist als Feststellungsklage zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich insoweit aus dem Interesse an einer einfacheren Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Regelung der §§ 756, 765 ZPO.
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Die gegen die Beklagte gerichteten Anträge sind in dem tenorierten Umfang begründet.
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Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Rückzahlungsanspruch Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs abzüglich eines abweichend vom Klagevorbringen berechneten Nutzungsersatzes zu (1.).
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Der Feststellungsantrag ist demgegenüber nicht begründet (2.).
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1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung einer manipulierenden Motorsoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 O 470/18 -, juris Rn. 37 ff.; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 76 ff.).
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Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. So liegt der Fall hier.
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a) Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem arglistigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Abschalteinrichtung zur Beeinflussung der Emissionswerte auf dem Prüfstand (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 79 ff.).
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In das Fahrzeug der Klagepartei war zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Auslieferung eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut, wodurch es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignete.;
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Das Fahrzeug ist unstreitig Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes. Dieser bezieht sich ebenso unstreitig auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Emissionskontrollsystem. Legt man diesen unstreitigen Umstand zugrunde, ist von einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen. Denn die Beklagte bestreitet nicht hinreichend substantiiert, dass die vom Kraftfahrtbundesamt angenommene unzulässige Abschalleinrichtung eingebaut wurde, um die Abgasnorm zu erfüllen (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 82). Die Beklagte hätte - worauf das Gericht mit Verfügung vom 12.04.2021 (Bl. 88 d. A.) hingewiesen hat - im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast substantiiert schildern müssen, vor welchem Hintergrund die Annahme des Kraftfahrtbundesamts, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem betreffenden Fahrzeugtyp vorhanden ist, unzutreffend ist. Insoweit ist die Klagepartei ihrer primären Darlegungslast durch Bezugnahme auf dan Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes hinreichend gerecht geworden. Welcher Art die Abschalteinrichtung im Einzelnen ist, ist dabei unerheblich, zumal nur der Beklagten der entsprechende Bescheid des Kraftfahrtbundesamts vorliegt.
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Die Beklagte wäre daher gehalten gewesen, anhand von detaillierten Darlegungen zu schildern, worin die vom KBA gesehene Problematik genau besteht und welche Konsequenzen sich hieraus ergeben. Da sie einen solchen substantiierten Sachvortrag nicht unterbreitet hat, muss sie sich an den behördlichen Feststellungen des Kraftfahrtbundesamts festhalten lassen. Eine Beweisaufnahme war mangels substanziierten Bestreitens der Beklagten nicht angezeigt. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Beklagte ein Software-Update entwickelt hat, um den Vorgaben des Kraftfahrtbundesamts Rechnung zu tragen. Während der Beklagten somit im Hinblick auf die vom Kraftfahrtbundesamt angenommene unzulässige Abschalteinrichtung ein detailliertes Vorbringen ohne weiteres möglich gewesen wäre, ist dies für die Klagepartei naturgemäß nur eingeschränkt möglich. Vor diesem Hintergrund ist von einer zur Erfüllung der Abgasnorm eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen.
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Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung weist das Fahrzeug einen erheblichen Mangel auf. Unerheblich ist hierbei, dass die Beklagte angibt, dass das Fahrzeug die Vorgaben der Euro-6-Norm erfüllen würde. Aus dem Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt die Nachbesserung für verpflichtend erklärt hat, kann ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug ohne Update nicht zulassungsfähig ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 - 11 O 197/18 -, juris Rn. 42). Die Rückrufaktion der Beklagten ist nicht freiwillig erfolgt oder eine bloße Kulanzmaßnahme, sondern notwendig um den Anforderungen des Kraftfahrtbundesamtes zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu genügen. Den Fahrzeughaltern ist es nicht freigestellt, das Update durchführen zu lassen oder nicht. Da bei Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeugs, solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Aufgrund der gesetzeswidrigen Manipulation besteht daher zumindest die latente Gefahr, dass im Falle einer noch nicht erfolgten Nachrüstung die EG-Typengenehmigung und die daraus folgende Betriebszulassung widerrufen werden. Diese Gefahr hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt und damit ein Sachmangel vorliegt. Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss damit rechnen, es aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu dürfen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Fahrzeug derzeit eine entsprechende Zulassung entzogen wurde oder ob eine solche zunächst unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 - VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 17 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 24. April 2018 - 6 U 409/17 -, juris Rn. 38).
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b) Die schädigende Handlung der Beklagten erfolgte sittenwidrig und die Klagepartei ist auch vom Schutzbereich des § 826 BGB umfasst.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggrün den des Handelns zu beurteilen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pflichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassung erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. Hierbei ist die Ersatzpflicht eines Schädigers - wie bei allen deliktsrechtlichen Ansprüchen - auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann daher hinsichtlich bestimmter Personen und Schadensfolgen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während diese Bewertung für andere ebenfalls adäquat verursachte Schadensfolgen ausscheidet. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Geht man von diesen Grundsätzen aus, haftet die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB.
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Ein Verstoß gegen die guten Sitten liegt hier seitens der Beklagten dahingehend vor, als Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden (allgemein LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 - juris Rn. 86 f.). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bewegen, handelt in der Regel sittenwidrig (Sprau, in: Palandt, 79. Auflage 2020, § 826 BGB Rn. 20). Der Fahrzeughersteller täuscht die Erwerber der manipulierten Fahrzeuge vorsätzlich, wenn er die bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt.
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Die unzulässige Abschalteinrichtung wurde von der Beklagten bewusst eingesetzt, eine fahrlässige Programmierung der Software scheidet aus.
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Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich auch als sittenwidrig. Denn Zweck der Konstruktion war es, die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen, dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen und höhere Gewinne zu generieren. Ein anderes Motiv für den bewussten Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen, die ansonsten keinerlei legitimen Zweck hatten, ist nicht ersichtlich und wurde von der insoweit sekundär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auch nicht aufgezeigt. Die Sittenwidrigkeit ist dahingehend begründet, dass die Beklagte einen unmittelbaren Vorteil aus der Täuschung zieht, da sie Fahrzeug kostengünstiger als ihr sonst möglich produzieren und damit ihren Gewinn erhöhen kann. Die Täuschung bezieht sich aus Sicht des Fahrzeugherstellers vor diesem Hintergrund gerade darauf, Kunden zum Kauf der Fahrzeuge zu bewegen. Zugleich musste den handelnden Personen auch bewusst sein, dass durch diese Vorgehensweise zumindest die Möglichkeit eines beträchtlichen Schadens für die Erwerber bestand. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteinrichti ng entzogen wird. Diese mögliche Folge wurde offensichtlich von den handelnden Personen billigend in Kauf genommen, um weitere Gewinne erzielen zu können. Die Beklagte hat daher nicht nur gegen Vorschriften zum Umweltschutz verstoßen, sondern auch gegenüber Verbrauchern planmäßig das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschleiert, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und so aus Gewinnstreben gegenüber den Erwerbern des Fahrzeugs sittenwidrig gehandelt. Ein solches Handeln verstößt ersichtlich gegen das Anstandsgefühl alter billig und gerecht Denkenden und erfüllt damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB.
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c) Die Beklagte hat durch Personen gehandelt, für deren sittenwidrige Schädigung sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht.
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Zwar trifft hierfür grundsätzlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings ist es vorliegend der Beklagten ausnahmsweise zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen kennt (LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 - 12 O 262/17 -, juris Rn. 89).
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Der Vorstand der Beklagten kann sich das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entwickeln und einzusetzen. Die Klagepartei behauptet, Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Dies ist nachvollziehbar und lebensnah. Bei dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem ganzen Fahrzeugtyp handelt sich um eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, die von untergeordneten Mitarbeitern grundsätzlich nicht ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen wird. Auch ist im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben davon auszugehen, dass bei der Beklagten Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrolmaßnahmen auch gewährleistet waren. Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Vorstand eines Fahrzeugherstellers sich hinreichende Kenntnis davon verschafft, ob der eingesetzte Motor den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Der Vortrag der Klagepartei ist somit als hinreichend substantiiert anzusehen. Vor diesem Hintergrund oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, welche Entscheidungsträger wann und in welchem Umfang von dem Einsatz der ur zulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis erlangten und aufgrund welcher Umstände sie gegebenenfalls davon hätten ausgehen können, dass es sich nicht um eine solche handelt. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass die betreffende Behauptung der Klagepartei, dass Vorstandsmitglieder Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung und diesen gebilligt hätten, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO gilt.
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Der Annahme einer sekundären Darlegungslast steht hierbei nicht entgegen, dass möglicherweise einzelnen Vertreter der Beklagten ein Schweigerecht im Hinblick auf die Gefahr einer Strafverfolgung zustehen könnte. Der Beklagten als eigenständige juristische Person steht ein solches Schweigerecht jedenfalls nicht zu (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris, Rn. 45).
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d) Der Klagepartei ist ferner durch das Handeln der betreffenden Personen der Beklagten ein kausaler Schaden entstanden.
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Im Rahmen der Haftung nach § 826 BGE liegt ein Schaden auch dann vor, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhaken beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. nur BGH NJW-RR 2015, 275, 276). Entscheidend und ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
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Diese Voraussetzungen liegen vor (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 26 ff.).
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aa) Es steht außer Zweifel, dass unter normalen Umständen kein verständiger Autokäufer ein Kraftfahrzeug kauft, welches zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die behördlicherseits gleichwohl erteilte Typgenehmigung durch Manipulationen erschlichen hat. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Betriebsuntersagung ausspricht, wodurch das Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung überhaupt nicht mehr geeignet wäre. Dass der Käufer das Risiko bewusst eingegangen wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit das hypothetische Verhalten der Klagepartei bei Vertragsschluss nicht bereits als offenkundig angesehen werden kann, streitet nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises dafür, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 38). Die so begründete Vermutung wurde seitens der Beklagten noch nicht einmal im Ansatz erschüttert.
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bb) Zudem besteht kein Zweifel daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung für Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war. Dies ist bei einer ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit als einschränkendes Korrektiv für die weite Fassung des Vermögensschadensbegriffs zu sehen. Die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung darf nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen werden, sondern auch die Verkehrsanschauung muss bei Berücksichtigung der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehen (BGH DNotZ 1998, 349, 354). Zumindest ex ante bestand die nicht nur theoretische Gefahr einer Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung. Da hiermit der hauptsächliche Verwendungszweck (allgemeine Nutzung im Straßenverkehr) gefährdet ist, begründet bereits dies nach der Verkehrsanschauung eine Nachteiligkeit des Vertrags (vgl. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 32 f.).
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cc) Dem Schaden der Klagepartei steht auch nicht entgegen, dass an ihrem Fahrzeug auf Kosten der Beklagten das Softwareupdate durchgeführt werden kann. Das Update kann nicht im Nachhinein den bereits entstandenen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB beseitigen, selbst wenn hierdurch die Mängel beseitigt sein sollten. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ebenso OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 34).
42
e) Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich. Für § 826 BGB ist zu fordern, dass der Täter Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, des Schadenseintritts und der Kausalität hat. Hierbei reicht das Bewusstsein aus, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB Rn. 25 ff.). Für die verantwortlichen Personen der Beklagten war ohne weiteres ersichtlich, dass aufgrund der unzulässigen Abschalteinric tung zumindest die latente Gefahr eines Widerrufs der Betriebszulassung bestand und dass die Kunden ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Zulassungsvorgaben entspricht. Auch war ihnen der Zweck des Einbaus der Abschalteinrichtung bewusst. Die betreffenden verfassungsmäßig berufenen Vertreter hatten daher Kenntnis von allen maßgeblichen haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen und handelten vorsätzlich. Auch insoweit kommt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zum Tragen, der diese nicht nachgekommen ist (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 -, juris Rn. 46 ff.).
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f) Nach §§ 249 ff. BGB kann die Klagepartei eine Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags und damit eine Rückzahlung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen F ahrzeugs verlangen. Hierbei muss sich die Klagepartei nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 04. März 2020 - 4 U 65/19 -, juris Rn. 50 ff.; OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 - 20 U 3219/18 - juris Rn. 63 ff.).
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Dem steht nicht entgegen, dass das Fahrzeug von der Beklagten gesetzeswidrig manipuliert wurde und sie wegen sittenwidriger Schädigung haftet. Bei dem Schadensausgleich im Rahmen des § 826 BGB kommt es darauf an, den Schaden auszugleichen, welcher durch den Vertrag entstanden ist. Der Schaden ist bei der Klagepartei aber nicht in der vollen Höhe des Kaufpreises eingetreten, da diese dafür die Nutzungsmöglichkeit eines Fahrzeugs erlangte. Tatsächlich konnte die Klagepartei das Fahrzeug ohne Einschränkungen nutzen, so dass sie sich jedenfalls Aufwendungen für eine anderweitige Fortbewegungsmöglichkeit ersparte. Wäre eine Nutzungsentschädigung vorliegend nicht zu berücksichtigen, würde dies zu einer Besserstellung des Käufers führen und gegen das Bereicherungsverbot verstoßen. Im deutschen Recht ist lediglich ein Schadensausgleich, nicht jedoch ein Strafshadensersatz vorgesehen (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64 ff, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019 - 13 U 142/18 - juris Rn. 112 ff.).
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Auf die bereits auf den Kaufpreis geleisteten Zahlungen hat sich die Klagepartei daher eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Da der Wertersatz für die gezogenen Nutzungen auf den Zeitpunkt des Leistungsaustausches zu bemessen ist, ist er über die Laufleistung abstrakt zu bestimmen. Bei Übergabe hatte das st eitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 0 km (Anlage K 1). Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 22.232 km. Das Gericht schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs gemäß § 287 ZPO auf 300.000 km (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 - I-13 U 81/19 -, juris Rn. 50).
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Der Nutzungsersatz bestimmt sich nach der Formel Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer: Restnutzungsdauer. Hiernach ergibt sich ein Betrag von 4.825,83 € (65.120,00 € × 22.232 km: 300.000 km). Von dem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 65.120,00 € ist die soeben berechnete Nutzungsentschädigung abzuziehen. Es errechnet sich ein Betrag in Höhe von 60.294.,17 €. Im Gegenzug hat der Kläger der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und zu übereignen.
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2. Der tenorierte Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Der Klagepartei stehen Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit zu. Die Klage wurde am 03.12.2020 zugestellt, wobei die Verzinsung am Tag nach der Zustellung beginnt.
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3. Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Zwar könnte man in der Klageerhebung, mit welcher eine Zug-um-Zug Leistung geltend gemacht wird, ein wörtliches Angebot der Klagepartei gemäß § 295 BGB sehen. Allerdings verlangt der Kläger als Gegenleistung den Kaufpreis abzüglich einer zu geringen Nutzungsentschädigung (berechnet aufgrund einer zu hoch angesetzten Laufleistung von 350.000 km) zurück. Sein Verlangen richtet sich daher auf eine weitergehnde Leistung, als die Beklagte tatsächlich schuldet, so dass hierdurch ein Annahmeverzug nicht begründet werden kann. Im Hinblick auf die Zuvielforderung des Klägers (Abzug einer zu geringen Nutzungsentschädigung) besteht daher kein Anspruch auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet (OLG Naumburg Urt. v. 18.9.2020 - 8 U 39/20, BeckRS 2020, 35220).
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4. Ob weitere Anspruchsgrundlagen durchgreifen, karnn offen bleiben, weil sich aus ihnen jedenfalls kein weitergehender Anspruch ergibt.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Streitwert: 61.573,94 €; Obsiegen Klagepartei: 60.294,17 €).
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreitkbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 S. 2 ZPO.
52
Der Streitwert war auf 61.573,94 € festzusetzen.