Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 24.03.2021 – 9 O 8425/20
Titel:

Schadensersatz, Kaufpreis, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Marke, Annahmeverzug, Herausgabe, Streitwert, Berichterstattung, Software, Anspruch, Ermessen, Anrechnung, Streitwertfestsetzung, Zug um Zug, Kosten des Verfahrens, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Schlagworte:
Schadensersatz, Kaufpreis, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Marke, Annahmeverzug, Herausgabe, Streitwert, Berichterstattung, Software, Anspruch, Ermessen, Anrechnung, Streitwertfestsetzung, Zug um Zug, Kosten des Verfahrens, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Endurteil vom 21.09.2022 – 12 U 1165/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58055

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.601,12 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.01.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Beetle 1.6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ….
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.072,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 30.01.2021 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Verfahrens haben die Beklagte 45 % und die Klägerin 55 % zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen vom sog. „Abgasskandal“ betroffenen PKW als Schadensersatz.
2
Am 02.06.2014 erwarb die Klägerin von der einen Pkw VW Beetle 1.6 TDI als Neuwagen zum Kaufpreis von 18.938,94 EUR. Das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattete Fahrzeug mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … wurde der Klägerin in der Folgezeit mit einem Kilometerstand von 0 km übergeben und diese bezahlte den Kaufpreis an die Händlerin.
3
In dem Aggregat EA189 war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, welche die Stickoxidwerte (NOx) der Abgase des Dieselmotors auf dem Prüfstand optimierte. Die Software wies zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf, die die Abgasrückführung steuerten. Im NOxoptimierten Modus 1, der im NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) aktiv war, kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden sind, war der partikeloptimierte Modus 0 aktiv. Das Fahrzeug befand sich im normalen Straßenverkehr durchgehend im Modus 0.
4
Mit Bescheid vom 15.10.2015 verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte, die als unzulässige Abschalteinrichtung gewertete Software-Programmierung zu entfernen und nachzuweisen, dass nun die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Die Beklagte entwickelte in der Folgezeit Software-Updates für die betroffenen Fahrzeuge. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt die technischen Maßnahmen für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs freigegeben hatte, ließ die Klagepartei das Software-Update aufspielen.
5
Zur Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht (Az. 4 MK 1/18) hat sich die Klägerin nicht angemeldet.
6
Mit Schreiben der Klägervertreter vom 30.06.2020 (Anlage K 19) wurde die Beklagte dazu aufgefordert, ihre Schadensersatzpflicht anzuerkennen.
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Die Klägerin behauptet, das Fahrzeug habe über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Auch nach erfolgtem Update weise das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines „Thermofensters“ auf. Die Klägerin sei über das Vorhandensein der Manipulationssoftware getäuscht worden. In Kenntnis des Sachverhalts hätte die Klagepartei das Fahrzeug nicht gekauft. Die Klägerin lasse sich eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 400.000 km und auf Grundlage eines um 25% reduzierten Kaufpreises in Abzug bringen. Die Verjährung habe nicht schon aufgrund der Berichterstattung in den Medien über den sog. Abgasskandal im September 2015 zu laufen begonnen. Hilfsweise stehe der Klagepartei ein Anspruch aus § 852 BGB zu, wobei der Beklagten der Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge von üblicherweise 15% zugeflossen sei.
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Die Klägerin beantragt mit ihrer der Beklagten am 29.01.2021 zugestellten Klage:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Hersteller: Volkswagen, Fahrzeug-Identifizierungs-Nummer (FIN): …97, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 18.938,94 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: 75% x 18.938,94 € x (Kilometerstand im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – Kilometerstand bei Kauf) / (in das Ermessen des Gerichts gestellte Gesamtlaufleistung – Kilometerstand bei Kauf).
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Klageantrag zu 1) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.637,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, durch das vom KBA genehmigte Software-Update würden keine technischen Nachteile für das Fahrzeug entstehen. Der Klagepartei sei auch kein kausaler Vermögensschaden entstanden. Die Beklagte erhebt ferner die Einrede der Verjährung. Die Klagepartei müsse sich jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände im Jahr 2015 bzw. spätestens im Jahr 2016 vorhalten lassen. Ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB scheide von vornherein aus.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 17.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
13
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB auf Zahlung von 8.601,12 EUR Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.
I.
14
Grundsätzlich haftet die Beklagte der Klagepartei gem. §§ 826, 31 BGB wegen des Inverkehrbringens des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors vom Typ EA 189, der eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielt, aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Ersatz der hierdurch entstandenen Schäden (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19 – juris Rn 12 ff.). Die Beklagte müsste gem. § 249 Abs. 1 BGB die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe des PKWs erstattet. Hierbei sind die von der Klagepartei während der Besitzzeit gezogenen Fahrzeugnutzungen im Rahmen der Vorteilsanrechnung abzuziehen (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19 – juris Rn 64). Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB (BGH, a.a.O., Rn 66). Unstreitig belief sich die Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs am 16.03.2021 auf 163.755 km. Die Nutzungsentschädigung errechnet sich aus der Multiplikation des Bruttokaufpreises (18.938,94 EUR) und der von der Klagepartei zurückgelegten Fahrtstrecke von 163.755 km geteilt durch die beim Kauf zu erwartende Gesamtlaufleistung, die vom Gericht auf 300.000 km geschätzt wird (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19 – juris Rn 80). Die Nutzungsentschädigung beläuft sich mithin auf 10.337,82 EUR. Der Zahlungsanspruch bestünde demnach in Höhe von (18.938,94 EUR – 10.337,82 EUR =) 8.601,12 EUR.
II.
15
Die Beklagte ist jedoch berechtigt, der Klagepartei die Erfüllung des vorstehend genannten Anspruchs wegen der erhobenen Einrede der Verjährung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB).
16
1.) Die Verjährung hat am 01.01.2017 zu laufen begonnen.
17
a) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
18
Dass auch die Klagepartei – wie die meisten Fahrzeughalter – im Februar 2016 aufgrund des Informationsschreibens der Beklagten positive Kenntnis davon erhalten, dass im Fahrzeug der Klagepartei ein Motor mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik verbaut worden war, hat die Klagepartei – soweit ersichtlich – nicht ausdrücklich bestritten.
19
Selbst ohne Erhalt des individuellen Informationsschreibens der Beklagten trifft einen Fahrzeughalter jedoch der Vorwurf grober Fahrlässigkeit i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, wenn er sich nicht bis zum Ende des Jahres 2016 darüber informiert hat, ob sein Fahrzeug über die streitgegenständliche Abschaltvorrichtung verfügt. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH NJW-RR 2016, 1187 (1189); BeckOGK/Piekenbrock, BGB, Stand: 01.08.2019, § 199 Rn. 122). Grob fahrlässige Unkenntnis liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. BGH NJW-RR 2016, 1187 (1189) m.w.N.).
20
Die Verwendung der unzulässigen Abschaltvorrichtung in den Dieselmotoren vom Typ EA 189 war aufgrund der auf die Bekanntmachung der Beklagten vom 22.09.2015 folgenden intensiven Medienberichterstattung bis Ende des Jahres 2016 allgemein bekannt. Über die bereits im Oktober 2015 im Internet durch die Beklagte eingerichtete und öffentlich bekannt gegebene Webseite konnten potentiell betroffene Fahrzeughalter zudem durch einfache Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer ihres Fahrzeugs leicht überpüfen und erkennen, ob in ihrem Fahrzeug ein mit der Abschaltvorrichtung versehener Motor verbaut war. Wer bis Ende des Jahres 2016 eine solche Abfrage nicht durchgeführt hat – insbesondere wenn es um ein Fahrzeug der Marke VW geht –, hat schlichtweg die Augen davor verschlossen, dass sein Fahrzeug von dem medial breit und langandauernd thematisierten sog. „VW-Abgasskandal“ betroffen sein konnte, und handelte damit grob fahrlässig i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. b)
21
Die Klagepartei hat auch bereits bis zum 31.12.2016 eine schlüssige Klage gegen die Beklagte erheben können. Das belegen unzählige bundesweit im Jahr 2016 gegen die Beklagte eingeleitete Klageverfahren, in denen Schadensersatzansprüche von betroffenen Fahrzeughaltern bejaht wurden (statt vieler Landgericht Nürnberg-Fürth, Az. 9 O 3631/16). Dabei ist unerheblich, dass die Beklagte – bis jetzt – weder die für den Einsatz der Manipulationssoftware verantwortlichen Personen namentlich benennt noch ein vorsätzliches Handeln zugesteht. Denn diese Tatsachen haben sich stets nur aus dem äußeren Geschehen (Verwenden einer gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung) folgern lassen. Dem Verjährungsbeginn steht es im übrigen gerade nicht entgegen, wenn der Schuldner – wie hier – seine Verantwortlichkeit bestreitet (Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 199 Rn 28). c)
22
Es ist auch nicht anzunehmen, dass es angesichts einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar gewesen wäre, eine Klage gegen die Beklagte anzustrengen. Denn eine Klageerhebung muss anhand der zur Kenntnis gelangten bzw. grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen lediglich Erfolg versprechend, nicht jedoch risikolos möglich sein (BGH, NJW-RR 2010, 681). Eine Rechtsverfolgung ist daher nicht allein deshalb unzumutbar, weil Divergenzen in der (obergerichtlichen) Rechtsprechung bestehen oder weil noch keine höchstrichterliche Entscheidung zur maßgeblichen Rechtsfrage ergangen ist (Piekenbrock, in: BeckOGK, BGB, Stand: 1.8.2020, § 199 Rn 134; BGH NJW 2018, 1469 (1470)). Schließlich dienen der Rechtsweg und insbesondere die Revisionsinstanz gerade dazu, offene Rechtsfragen zu klären, vgl. § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO (Piekenbrock, in: BeckOGK, BGB, Stand: 1.8.2020, § 199 Rn 133; BAG NZA 2013, 785).
23
Im Übrigen ist eine besonders unsichere oder zweifelhafte Rechtslage, die zur Unzumutbarkeit der Klageerhebung führen würde, vorliegend nicht ansatzweise erkennbar (vgl. Ittner/Halder, WVR 2020, 283 (288)). Der in Frage stehende deliktsrechtliche Anspruch gegenüber der Beklagten, dessen Bejahung allgemeinen delikts- und schadensrechtlichen Grundsätzen folgt, ist nicht mit den Fallkonstellationen vergleichbar, in denen der Bundesgerichtshof ausnahmsweise die Unzumutbarkeit der Klageerhebung bejaht hatte (OLG Köln, Beschluss v. 04.03.2020, Az. 26 U 73/19, BeckRS 2020, 4947 Rn 16). Bei diesen bestand entweder im Zeitpunkt des eigentlichen Verjährungsbeginns eine entgegengesetzte höchstrichterliche Rechtsprechung (so BGH, NJW 2014, 3713), oder die bisherige Rechtsnormanwendung erfuhr nach diesem Zeitpunkt eine höchstrichterliche Rechtsfortbildung (so BGH NJW 1999, 20141).
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2.) Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB endete am 31.12.2019. Die erst am 10.12.2020 eingegangene und der Beklagten am 29.01.2021 zugestellte Klage konnte die Verjährung somit nicht mehr gem. §§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, 167 ZPO hemmen.
III.
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Die Klagepartei hat allerdings gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 852 S. 1 BGB.
26
1. Im Falle der erhobenen Verjährungseinrede ist das Vorliegen der Voraussetzungen des Herausgabeanspruchs nach § 852 S. 1 BGB von Amts wegen zu prüfen (BGH, Urt. v. 13.10.2015 – II ZR 281/14). Danach ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt gem. § 852 S. 2 BGB in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf seine Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an. Nicht vorausgesetzt ist weiterhin, dass der deliktische Anspruch tatsächlich verjährt ist (BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 01.12.2020, § 852 Rn. 21).
27
Bei § 852 BGB handelt es sich um einen sog. Restschadensersatzanspruch, also einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, der in Höhe der Bereicherung nicht verjährt ist (BGH, Urt. v. 15.01.2015 – I ZR 148/13). Nicht herauszugeben ist demgegenüber der vom Ersatzpflichtigen mit Hilfe des Bereicherungsgegenstandes erzielte Gewinn (BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 01.12.2020, § 852 Rn. 23). Die Kondiktionsvoraussetzungen müssen nicht vorliegen, da es sich um eine Rechtsfolgenverweisung handelt (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 852 Rn. 5; BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 01.8.2020, § 852 Rn. 10). Daher ist zunächst anhand der Voraussetzungen des maßgeblichen Deliktsanspruchs ein möglicher Anspruch zu prüfen. Nachdem feststeht, was der Geschädigte nach Deliktsrecht hätte beanspruchen können, ist in einem zweiten Schritt anhand der §§ 818 ff. BGB zu ermitteln, welchen Umfang die vom Schädiger durch die unerlaubte Handlung erlangte Bereicherung hat (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 852 Rn. 5). Diese ist danach allenfalls bis zur Grenze der ursprünglichen Schadenshöhe herauszugeben. Es erfolgt somit keine generelle Abschöpfung sämtlicher Vorteile aus einer unerlaubten Handlung, sondern nur soweit, wie der ursprüngliche Schadensersatzanspruch bestand. Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB ist folglich „doppelt limitiert“ – durch Schaden und Bereicherung (BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 01.12.2020, § 852 Rn. 25 (26), Martinek, JM 2021, 9 (10)).
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2. Im vorliegenden Fall gilt daher folgendes:
29
a) Ein deliktischer Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus §§ 826, 31, 249 BGB bestünde, wie dargestellt, in Höhe von 8.601,12 EUR.
30
b) Die Beklagte hat auch auf Kosten der Klagepartei als Verletztem etwas erlangt – nämlich den für das Neufahrzeug gezahlten Kaufpreis abzüglich der Händlermarge.
31
aa) Nach überwiegender Auffassung ist – entgegen dem Wortlaut des § 852 BGB (“auf Kosten des Verletzten“) – ein unmittelbarer Vermögenszufluss beim Ersatzpflichtigen nicht zu verlangen (vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 852 Rn. 5 m.w.N.). Auch ein mittelbarer Vermögenszufluss beispielsweise über Vertragspartner ist herauszugeben. Gleichwohl muss die Bereicherung Folge der unerlaubten Handlung sein, d.h. die Beklagte müsste dabei gerade etwas durch die unerlaubte Handlung erlangt haben (BeckOGK/Eichelberger, BGB, Stand 01.08.2020, § 852 Rn. 17), also hier durch die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei im Rahmen des Kaufvertragsabschlusses. Während das erlangte etwas bei einem Direktkauf der gesamte gezahlte Kaufpreis sein dürfte, ist in Fällen des durch Händler veräußerten Neuwagens regelmäßig der Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge (hierzu: Augenhofer, VuR 2019, 83 (86)) maßgeblich. Die Frage nach einem möglichen Gewinn (so wohl Martinek, JM 2021, 9 (13)) der Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt würde indes zu einer unzutreffenden Vermengung der einzelnen Prüfungsschritte im Rahmen der Vorschrift des § 818 BGB führen. bb)
32
Dabei setzt die Prüfung des § 852 BGB zunächst den Vortrag der Klagepartei dazu voraus, dass und in welcher Höhe die Beklagte, die nicht Verkäuferin des Fahrzeugs war, etwas aus dem Fahrzeugverkauf erlangt hat (BGH, Urt. v. 17.12.2020, Az.: VI ZR 739/20).
33
Soweit die Klagepartei vorträgt, seitens der Beklagten sei der für das Neufahrzeug entrichtete Kaufpreis abzüglich einer üblichen Händlermarge von 15% erlangt worden, genügt dies den erforderlichen Voraussetzungen. Die Beklagte hat weder die von Klägerseite behauptete Händlermarge von 15% noch generell den Zufluss des Kaufpreises bestritten. Eines Hinweises, dass der Beklagten hinsichtlich der Händlermarge bzw. des tatsächlich an sie geflossenen Zahlbetrags eine sekundäre Darlegungslast obliegen würde, bedurfte es daher nicht. Es kann mithin davon ausgegangen werden, dass der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Neuwagenverkauf ein Betrag von (18.938,94 EUR – 2.840,84 EUR =) 16.098,10 EUR zugeflossen ist.
34
Da die Herausgabe des erlangten etwas in Form des durch die Händlermarge verringerten Kaufpreises in natura ausscheidet, ist grundsätzlich Wertersatz in entsprechender Höhe zu leisten, § 818 Abs. 2 BGB.
35
c) Bedingt durch die Rechtsnatur als im Umfang beschränkter Schadensersatzanspruch kann die herauszugebende Bereicherung den Schaden des Geschädigten allerdings nicht übersteigen. Dies führt vorliegend dazu, dass nur der im Rahmen der Prüfung des (verjährten) Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB ermittelte Betrag von 8.601,12 EUR herauszugeben ist.
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d) Die Beklagte kann sich vorliegend auch nicht erfolgreich auf den Einwand der Bereicherung berufen, § 818 Abs. 3 BGB.
37
Zwar können im Rahmen von Kondiktionsansprüchen im Einzelfall Aufwendungen im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Erwerb des Bereicherungsgegenstands grundsätzlich abzugsfähig sein, doch scheitert dies vorliegend an der Vorschrift des § 819 BGB. Nach überwiegender und vorliegend auch zutreffender Auffassung ist es dem bösgläubigen Bereicherungsschuldner versagt, sich erfolgreich auf den Einwand der Entreicherung zu berufen (vgl. BeckOK BGB/Wendehorst, 56. Ed. 01.11.2020, § 818 Rn. 83), da es im Hinblick auf seine Kenntnis an der Schutzbedürftigkeit fehlt. Auch soweit nach Martinek (JM 2021, 9 (13)) zumindest solche Vermögensdispositionen über den Bereicherungsgegenstand abzugsfähig sein sollen, welche den Interessen des Bereicherungsgläubigers dienlich und erwünscht seien, ergibt sich nichts anderes. Insoweit darf unter Berücksichtigung der vorsätzlichen sittenwidrigen Handlung und der damit einhergehenden Bösgläubigkeit der Beklagten nicht verkannt werden, dass die seitens der Beklagten aufgewendeten Kosten für Entfernung der Software und Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit letztlich (mittelbare) Folgen der ursprünglichen Schädigungshandlung der Beklagten sind. Zwar kann ein grundsätzliches Interesse der jeweiligen Käufer nicht in Gänze abgelehnt werden, doch erachtet das Gericht eine Ausnahme von der verschärften bereicherungsrechtlichen Haftung unter diesen Umständen als nicht geboten. e)
38
Letztlich darf auch auf der Grundlage des § 852 S. 1 BGB mit Blick auf das schadensrechtliche Bereicherungsverbot – wie auch der ursprüngliche deliktische Anspruch – eine Verurteilung vorliegend nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeuges erfolgen.
39
f) Die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion der Vorschrift des § 852 BGB dahingehend, Fälle in denen die Möglichkeit zur Anmeldung zur Musterfeststellungsklage bestand, vom Anwendungsbereich auszunehmen (so wohl nur Martinek JR 2021, 56), ist für das Gericht nicht erkennbar. Insbesondere ist der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drs. 14/6040, S. 273) bereits das „ungeschriebene Erfordernis eines besonderen Prozesskostenrisikos“ nicht entnehmbar.
40
g) Der Anspruch aus § 852 S.1 BGB ist seinerseits auch nicht verjährt, da dessen 10-jährige Verjährungsfrist (§ 852 S. 2 BGB) erst mit Kaufvertragsschluss (02.06.2014) begonnen hat.
III.
41
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kann die Klägerin gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB seit dem der Klagezustellung folgenden Tag, d.h. seit 30.01.2021 verlangen.
IV.
42
Ein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten besteht vorliegend nicht, da sich die Beklagte nicht gemäß § 293 BGB im Annahmeverzug befindet. Ein solcher setzt voraus, dass der Schuldner dem Gläubiger die Leistung, so wie sie geschuldet wird, ordnungsgemäß anbietet (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 85; BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 397/19; OLG Nürnberg, Urt. v. 28.10.2020, 12 U 2265/18; Grüneberg in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 293, Rn. 9). Ein derartiges Angebot fehlt vorliegend. Zwar verlangt die Klagepartei Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung und kann auch in einer auf Zug-um-Zug-Leistung gerichteten Klageerhebung das Angebot der Zug um Zug zu erbringenden Leistung gesehen werden, doch bringt die Klagepartei eine deutlich niedrigere Nutzungsentschädigung in Abzug. Eine derartige Zuvielforderung hindert allerdings den Eintritt des Annahmeverzugs (BGH, Urteil vom 20. 7. 2005 – VIII ZR 275/04; NJW 2005, 284), da das Angebot so vorgenommen werden muss, dass der Gläubiger nichts weiter zu tun braucht, als zuzugreifen und die Leistung anzunehmen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252,19; OLG Nürnberg, Urteil vom 16.12.2020 – 12 U 1983/19). Die potenziell weit reichenden Folgen des Annahmeverzugs können einem Gläubiger billigerweise dann nicht aufgebürdet werden, wenn sich der Schuldner zur Herausgabe selbst gegen Erhalt der ihm seinerseits zustehenden Leistung nicht bereit erklärt (OLG Koblenz, Urt. v. 16. 9. 2019 – 12 U 61/19). Auch das außergerichtliche Schreiben der Klagepartei (K 19) hat die Beklagte nicht in Annahmeverzug gesetzt, da in diesem kein konkreter Zahlbetrag verlangt wurde, sondern Anerkenntnis der Schadensersatzpflicht.
V.
43
Die Klägerin kann von der Beklagten gem. §§ 826, 249 BGB Erstattung vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten verlangen, allerdings nur in Höhe von 1.072,77 EUR.
44
Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war erforderlich und zweckmäßig (vgl. BGH, NJW 2006, 1065). Der Sachverhalt ist nicht nur rechtlich, sondern auch technisch zu beurteilen, wobei ein Informationsgefälle zwischen der Beklagten, den Händlern und den Endkunden besteht. Die Rechtsanwaltskosten fallen bei Ansprüchen aus §§ 826, 823 BGB auch in den Schutzbereich der verletzten Norm (BGH, a.a.O., Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 249 BGB, Rn. 22 m.w.N.).
45
Die erforderlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Streitwert von bis zu 19.000 EUR ergeben sich der Höhe nach aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer von 16%, d.h. insgesamt 1.072,77 EUR. Eine darüber hinausgehende Gebühr von 2,0 ist hingegen nicht angemessen. Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrads nicht um einen überdurchschnittlichen Fall. Die diskutierten Rechtsfragen waren im Zeitpunkt des außergerichtlichen Tätigwerdens der Klägervertreter im Juni 2020 bereits Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen gewesen. Die Klägervertreter selbst verwenden standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen.
46
Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB und besteht ab dem der Klagezustellung folgenden Tag, d.h. ab 30.01.2021.
VI.
47
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
48
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
49
Bei der Streitwertfestsetzung konnte eine Nutzungsentschädigung mangels konkreter Bezifferung nicht in Abzug gebracht werden. Nebenforderungen bleiben ferner außer Betracht. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert hat (BGH NJW-RR 2010, 1295; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.10.2016, Az. I-22 U 84/16, BeckRS 2016, 118018; OLG Naumburg, NJW-RR 2012, 1213).