Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 24.03.2021 – 73 O 2334/19
Titel:

Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Hat ein Automobilhersteller auf der Grundlage einer für seinen Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes systematisch, langjährig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand eingehalten wurden, handelt er sittenwidrig. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schaden des Käufers eines solchen Fahrzeugs besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Thermofenster, unzulässige Anschalteinrichtung, V6-Turbodieselmotor, Softwareupdate, Schaden
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 28.03.2022 – 21 U 2011/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.09.2022 – VIa ZR 568/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 58002

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.961,82 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A6 Avant mit der Fahrgestellnummer ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstands seit dem 05.05.2020 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.590,91 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 24 Prozent und die Beklagte 76 Prozent zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche nach einem PKW Kauf im Rahmen des sog. Diesel Abgasskandals.
2
Der Kläger erwarb am 14.11.2017 von privat das Fahrzeug Audi A6 Avant 3.0 TDI mit der Fahrgestellnummer … mit einem Kilometerstand von 29.000 km zu einem Kaufpreis von 41.500,00 € (Anlage K1).
3
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter V6-Turbodieselmotor (200 kW) mit einer Leistung von 272 PS verbaut, der eine Euro 6 Zulassung hat. Das Kraftfahrtbundesamt hat bzgl des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit diesem Motor einen amtlichen Rückruf wegen der Funktionsweise des Emissionsminderungssystems angeordnet und die zum Einsatz kommende Software als „unzulässige Abschalteinrichtung“ kategorisiert. Die Beklagte nimmt auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes für die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs Audi A6 Avant 3.0 TDI (EU6) eine Aktualisierung der Motorsoftware vor. Dieses Softwareupdate wurde durch das Kraftfahrtbundesamt bereits zum 12.11.2018 freigegeben.
4
In dem Fahrzeug kommt die folgende Technologie zur Reduzierung des Stickoxidausstoßes zum Einsatz:
In dem Fahrzeug ist ein sog. SCR Katalysator verbaut. Der SCR Katalysator wird mit AdBlue, einer künstlichen Harnstofflösung betrieben, um die Stickoxidemissionen des Fahrzeugs zu reduzieren. Bei vollständigem Verbrauch des AdBlue Vorrates ist ein Starten des Fahrzeugmotors nicht mehr möglich. Ferner verwendete das Fahrzeug eine Dosierstrategie, durch die der SCR Katalysator zur Abgasnachbehandlung bei Erreichen einer AdBlue-Restreichweite von 2.400 km die Dosierung von AdBlue und dynamischer Fahrweise einschränkte, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsytems um 2 Prozent vermindert wurde.
5
Zum Schluss der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 65.165 km.
6
Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte bezüglich der Schadstoffwerte manipuliert worden.
7
Der Kläger stützt seinen Schadensersatzanspruch im Wesentlichen auf § 826 BGB in Form der Rückabwicklung des geschlossenen Kaufvertrags.
8
Der Kläger beantragte mit der Klageschrift zunächst in der Ziffer 1 lediglich die Feststellung, dass die Beklagtenpartei verpflichtet sei, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten, für Schäden, die aus der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagtenpartei resultieren, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.797,24 €. Mit Schriftsatz vom 27.04.2020 konkretisierte sie ihre Anträge zu den zuletzt gestellten Anträgen.
9
Der Kläger beantragt zuletzt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Audi A6 Avant 3.0 TDI Fahrzeugidentifikationsnummer: … dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.613,24 freizustellen.
Hilfsanträge:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei € 41.500,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4%-Punkten seit dem 14.11.2017 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Audi A6 Avant 3.0 TDI, FIN ….
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug Audi A6 Avant 3.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
hilfsweise:
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs Audi A6 Avant 3.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.613,24 freizustellen.
10
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
11
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger stütze seine Ansprüche auf unsubstantiierte Behauptungen. Der geltend gemachte Anspruch bestehe insbesondere deshalb nicht, da keine Handlung der Beklagten vorliege, die als Täuschung oder sittenwidrige Schädigung zu qualifizieren wäre. Weiter würden Ansprüche an der Kausalität und einem Schadenseinschlag scheitern. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei sicher und fahrbereit und verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen.
12
Der Schriftsatz mit den zuletzt gestellten Anträgen des Klägers wurde der Beklagten am 04.05.2020 zugestellt.
13
Das Gericht hat zur Sache mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der Sitzung des Landgerichts Ingolstadt vom 02.06.2020 und 24.02-2021 wird Bezug genommen. Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.-

Entscheidungsgründe

A.
14
Bzgl. des Antrags Ziffer 1 ist die Klage bereits unzulässig. Sie scheitert am notwendigen Feststellungsinteresse wegen des Vorrangs der Leistungsklage, § 256 Abs. 1 ZPO. Etwaige derzeit zu beziffernde Schäden sind nicht substantiiert dargelegt. Hinzu kommt, dass die geschilderte Abschalteinrichtung nicht der Funktionsweise der, vom Rückruf betroffenen Abschalteinrichtung entspricht. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie im NEFZ wie im realen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniert. Daher ist der Klageantrag Ziffer 1 auch unbegründet.
15
Das gleiche gilt für den hilfsweise gestellten Antrag Ziffer 1.
16
Daher kann auch der in Ziffer 2 gestellte Antrag auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
B.
17
Die Bedingung für die Hilfsanträge ist daher eingetreten. Sie ist als innerprozessuale Bedingung zulässig.
18
I. Ziffer 1 ist in dem tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus § 826 BGB auf Zahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung.
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Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB liegen vor.
20
Die Entwicklung des Motors, der eine unzulässige Anschalteinrichtung enthält sowie der spätere Einbau in das streitgegenständliche Fahrzeug zum Zwecke des Inverkehrbringens stellt eine sittenwidrige Handlung dar.
21
1. Die Entwicklung und der Einsatz der vom Kraftfahrtbundesamt als unzulässig eingestuften Abschalteinrichtungen stellt eine sittenwidrige Schädigung dar.
22
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098 zuletzt in BGH Urteil vom 25.05.2020 – Az.: VI ZR 252/19).
23
Der BGH hat in seinem Urteil vom 25.05.2020 Az.: VI ZR 252/19 die Sittenwidrigkeit mit folgender Argumentation bejaht: „Die Beklagte (...) hat auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig (…) Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits (…) die Gefahr einher, dass bei Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren.“ Diese Grundgedanken eines Anspruchs aus § 826 BGB im Rahmen des Abgasskandals kann auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt übertragen werden. Hervorzuheben ist insbesondere, dass der BGH die Argumentation nicht nur darauf stützt, dass die Abgaswerte auf dem Prüfstand eingehalten werden. Vielmehr stehen nach der Argumentation des BGH die erhöhte Belastung der Umwelt und die Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung zumindest gleichwertig daneben. Diese Umstände liegen hier gleichermaßen vor. Vor diesem Hintergrund spielt auch die von der Beklagten vorgetragene vermeintlich geringe Abweichung von 2 Prozent keine Rolle. Zum einen kann schon angezweifelt werden, ob es sich dabei wirklich um eine geringe Abweichung handelt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass hier eine gesamte Baureihe betroffen ist und nicht nur einzelne Fahrzeuge. Zum anderen besteht die Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung, wie der Rückruf des KBA zeigt unabhängig von der konkreten Größe. Darüber hinaus sei anzumerken, dass es der Beklagten nicht selbst überlassen sein kann, durch eine vermeintlich niedrige Belastung der Umwelt, einer sittenwidrigen Schädigung zu entgehen. Denn dann würde man sich davon abhängig machen, was die Beklagte selbst vor dem Hintergrund der Gewinnerzielung noch als vertretbare Belastung der Umwelt einstuft. Der eigentliche Vorwurf der dahintersteht ist aber nicht nur die Höhe der Belastung, sondern diese getroffene Abwägung der Beklagten an sich, womit sie sich über geltende gesetzliche Vorgaben hinwegsetzt. Daher besteht kein Grund, die Sittenwidrigkeit im vorliegenden Fall anders zu beurteilen, als dies bei den EA189 Motoren der Fall ist.
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2. Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
25
Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten haben zunächst die unzulässige Software aufgespielt und in Kenntnis der Tatsache, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Typenzulassung wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG gemäß Art. 10 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG nicht vorliegen, vorsätzlich eine falsche Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug ausgestellt. Die damit einhergehenden Täuschungshandlungen sind nach Überzeugung der Kammer auch nur vorsätzlich denkbar, weil die Beklagte als etablierte Fahrzeugherstellerin sowie Herstellerin des Motors die Kenntnis der Programmierung ihrer eigenen Fahrzeuge sowie der für sie einschlägigen Rechtsnormen unterstellt werden kann. Jedenfalls liegt insofern aufgrund der substantiierten Darlegung des Klägers eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten, welcher die Beklagte nicht genügt hat.
26
Eine Zurechnung der jeweiligen Handlungen auch verschiedener Mitarbeiter an die Beklagte erfolgt über eine entsprechende Anwendung von § 831 BGB sowie § 31 BGB. Dabei muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung, bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (vgl. BGH III ZR 296/11).
27
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist dem Kläger, der keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Er hat jedoch – im Rahmen seiner Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
28
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für die Kammer jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
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3. Die Beklagte hat dem Kläger den Schaden vorsätzlich zugefügt. Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher ausgeschlossen, so dass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte. Dasselbe gilt für die Verwendung des Motors, in dem die Software implementiert war.
30
Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss ebenso davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren in den von ihr hergestellten Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
31
4. Dem Kläger ist durch die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag ein Schaden entstanden, der einen Anspruch auf Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs auslöst gemäß §§ 249 ff. BGB.
32
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
33
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, führt dies zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber wie der Kläger infolge des dem Hersteller zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätten deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen.
34
Der Kläger hat ausgeführt, dass er das Fahrzeug so zu diesem Kaufpreis nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte dass das Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist.
35
Aus Sicht des Gerichts ist jeder Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterliegt. Jedenfalls lässt sich keinem Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug, das diese Eigenschaft nicht aufweist, ist aus Sicht des jeweiligen Erwerbers dann zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsträchtige Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße geführt hat.
36
Die informatorische Anhörung des Klägers hat keinen Umstand ergeben, der Zweifel aufwirft, dass das eben gesagte nicht auf den Kläger zutrifft.
37
5. Damit kann auch das Softwareupdate den einmal eingetretenen Schaden, nämlich die Bindung an den so nicht gewollten Vertrag, nicht beseitigen.
38
Unabhängig von der Frage, ob dieses im Hinblick auf seine höchst umstrittenen Folgen überhaupt technisch geeignet ist, den Schaden zu beseitigen, kommt es auf dessen Wirkung nicht an. Maßgeblich für die Frage des Schadens ist der Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs. Der Schadenseintritt war zu diesem Zeitpunkt erfolgt. Dem Deliktsrecht ist eine Nacherfüllungsverpflichtung und eine damit korrespondierende Pflicht zur Hinnahme der Nacherfüllung, wie sie das Kaufrecht vorsieht, fremd.
39
6. Da es hier nicht um den Schutz des Vermögens geht, sondern der Vertrag als solcher den zu beseitigenden Schaden darstellt, hat der Kläger zwar Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, muss sich aber die erlangten Gebrauchsvorteile im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB in Abzug bringen lassen. Dies hat der Kläger bereits selbst in seinem Klageantrag berücksichtigt.
40
Die Nutzungsentschädigung, die der Kläger an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist im vorliegenden Fall auf 5.538,18 € festzusetzen. Die Berechnung nimmt das Gericht dabei nach folgender Formel vor (vgl. BGH, Entscheidung vom 09.12.2014, VIII ZR 196/14):
 
41
Da der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen erworben hat, hat er für die seit dem Kauf gefahrenen Kilometer von unstreitigen 36.165 km (65.165 km – 29.000 km)
42
Nutzungsentschädigung zu leisten. Dies ergibt sich nach gerichtlicher Schätzung gemäß § 287 ZPO.
43
Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15).
44
Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 41.500,00 € (Kaufpreis) x 36.165 (gefahrene km) : 271.000 (Gesamtlaufleistung abzüglich Kilometer beim Kauf) = 5.538,18 €.
45
Es verbleibt daher ein Rückzahlungsbetrag an den Kläger in Höhe von 35.961,82 €.
46
II. Das Feststellungsinteresse und die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs gemäß dem Antrag Ziffer 3 nach §§ 293 ff. BGB liegen ab 05.05.2020 vor.
47
III. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind als Teil des deliktischen Schadens, § 249 BGB, (nur) in der tenorierten Höhe aus dem zusprechenden Klageantrag zu 1) samt Verzugszinsen zu ersetzen.
48
Bei der Berechnung ist lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV, § 13 RVG (eine Gebühr: 1.013,00 €) anzusetzen.
49
Es liegt keine Angelegenheit großen Umfangs oder hoher Schwierigkeit vor. Vielmehr ist das Verfahren ein Massenverfahren, bei dem die Schriftsätze zu mehr als 95% aus Textbausteinen bestehen, was allenfalls den Ansatz der Mittelgebühr rechtfertigt.
50
Hinzuzurechnen ist die Pauschale Nr. 7002 VV in Höhe von 20,00 €. Unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer ergibt sich der tenorierte Betrag von 1.590,91 €.
51
IV. Im Übrigen sind die Hilfsanträge abzuweisen.
52
1. Es war die oben dargestellte Nutzungsentschädigung abzuziehen.
53
Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht. § 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache des Klägers entzogen noch beschädigt. Der Kaufpreis ging vielmehr an den Verkäufer. Außerdem ist § 849 BGB zwar über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln anzuwenden (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084), allerdings ist der Anwendungsbereich auf die Überlassung von Geldern ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll nämlich mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte eine nutzbare Gegenleistung erhalten hat, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger übereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den der Kläger in jedem Fall beabsichtigte und nach dem er das Fahrzeug auch nutzte, hätte er auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4).
54
Die Feststellungsanträge Ziffer 2 sowie der diesbzgl. Hilfsantrag scheitert am Feststellungsinteresse nach dem o.g. und sind wie dort dargelegt ebenfalls unbegründet.
55
Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als der tenorierte Betrag beantragt war. C.
56
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
57
Angesichts der Höhe der beantragten, aber nicht ausgeurteilten Deliktszinsen von 5.575,78 € sowie der weiteren Nebenforderungen war ein fiktiver Streitwert zu bilden und anhand dessen die Obsiegens- und Unterliegensquote zu ermitteln (vgl. hierzu MüKo-Schulz, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 92 Rn. 4). Dieser fiktive Streitwert (41.500,00 € zuzüglich der Deliktszinsen und eingeklagte Rechtsanwaltskosten) beträgt 49.689,02 €. Hiervon obsiegt der Kläger in Höhe von 37.552,73 € (35.961,82 € in der Hauptsache zuzüglich 1.590,91 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten), mithin von etwa 76%.
58
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1 und 2 i.V.m §§ 708, 711 ZPO.