Titel:
Fahrzeug, Kaufpreis, Bescheid, Streitwert, Sittenwidrigkeit, Mangel, Auslegung, Darlegungslast, Pflichtverletzung, Kenntnis, Halter, Leistung, Sicherheitsleistung, Grenzwerte, Kosten des Rechtsstreits, ins Blaue hinein, kein Anspruch
Schlagworte:
Fahrzeug, Kaufpreis, Bescheid, Streitwert, Sittenwidrigkeit, Mangel, Auslegung, Darlegungslast, Pflichtverletzung, Kenntnis, Halter, Leistung, Sicherheitsleistung, Grenzwerte, Kosten des Rechtsstreits, ins Blaue hinein, kein Anspruch
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57970
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 64.321,39 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Rückabwicklungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte anlässlich des Kaufes eines Porsche Cayenne S.
2
Der Kläger erwarb am 13.06.2013 das gegenständliche Fahrzeug, einen Porsche Cayenne S Diesel 4.2 TDI mit der FIN (…) zum Kaufpreis von 84.233,02 € brutto. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 898 verbaut, welcher von der Beklagten hergestellt wurde. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist hier unmittelbar von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamts unter der Referenznummer „...“ betroffen. Dieser wurde mit der Entfernung einer unzulässigen Abschalteinrichtung respektive unzulässigen Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems begründet.
3
Der Kläger trägt vor, dass der Motor, der in dem Fahrzeug verbaut ist, durch die Beklagte manipuliert worden sei. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei aufgrund der Manipulation bei Übergabe mangelhaft gewesen und sei es bis heute. Der Mangel könne nicht (vollständig) behoben werden. Die Klagepartei sei über die Konformität des Fahrzeuges mit den europarechtlichen Vorgaben zum NOx-Ausstoß getäuscht worden und habe in dieser Fehlvorstellung das gegenständliche Fahrzeug erworben. In Kenntnis der Umstände der Manipulation hätte die Klägerseite das Fahrzeug nicht erworben.
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In technischer Hinsicht trägt der Kläger zu den behaupteten „Manipulationen“ wie folgt vor:
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Nach verschiedenen Messungen weise auch das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei einen deutlich zu hohen und der EU-Typengenehmigung nicht entsprechenden Stickoxidausstoß auf, was nach sachverständigen Feststellungen auf unerlaubte Abschalteinrichtungen zurückzuführen sei. Die unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines sogenannten thermischen Fensters sei entgegen den Vorschriften des Kraftfahrt-Bundesamtes als Genehmigungsbehörde nicht offengelegt worden.
6
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Funktion verbaut, die dazu diene, dass der Oxydationskatalysator möglichst schnell nach Motorstart sein Arbeitstemperaturfenster erreiche (“Aufheizstrategie“). Die Bedatung der in dem Fahrzeug enthaltenen Funktion sehe Aktivierungs- und Deaktivierungsbedingungen vor, die gleichermaßen für den Prüfstandswie realen Fahrbetrieb gelten würden. Die Deaktivierungsbedingungen im Rahmen der Bedatung seien derart ausgeprägt, dass die Funktion mit Sicherheit im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) aktiv sei, während diese im realen Fahrbetrieb jedoch überwiegend deaktiviert werde.
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Denn die Beklagte sei ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware gehabt habe und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst habe, nicht einmal ansatzweise nachgekommen. Die Beklagte treffe zweifelsfrei eine entsprechende sekundäre Darlegungslast. Denn der beweisbelasteten Partei sei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kenne und es ihr zumutbar sei, nähere Angaben zu machen.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, sie habe Anspruch auf Rückabwicklung des verfahrensgegenständlichen Kaufvertrages gegen die Beklagte. Der Anspruch der Klagepartei ergebe sich insbesondere aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB; § 823 Abs. 2 i.V. m. § 27 EG-FGV; § 826 BGB; § 831 BGB. Die Klagepartei meint insbesondere, die Beklagte sei im Rahmen einer sekundären Darlegungs- und Beweislast verpflichtet, näher zu den konzerninternen Abläufen in Bezug auf die streitgegenständliche Softwareentwicklung und -implementierung vorzutragen, da die Klagepartei bereits alle ihr bekannten und zugänglichen Tatsachen vorgetragen habe.
- 1.
-
die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei 64.321,39 EUR nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.08.2020 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges Porsche Cayenne S Diesel 4.2 TDI, FIN (…), zu zahlen und zwar abzüglich einer weiteren Nutzungsentschädigung in EUR, die sich nach der folgenden Formel beziffert: Kaufpreis x gefahrene Kilometer ÷ Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt,
- 2.
-
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet,
- 3.
-
die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an die Klagepartei weitere 2.194,72 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien.
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Eine angebliche sittenwidrige Schädigung durch die AUDI AG durch die vorsätzliche Verwendung unzulässiger Abschaltvorrichtungen sei durch den Kläger nicht einmal schlüssig dargelegt worden.
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Es ist nicht glaubhaft, wenn die Klagepartei behaupte, dass sie den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Fahrzeug mit einem Leergewicht von ca. zwei Tonnen, in dem ein 4.2 V8 TDI Motor verbaut sei, der eine Leistung von 382 PS erreiche, vollständig von der Einhaltung von Stickoxidwerten abhängig gemacht haben will, die der Klagepartei nicht bekannt und für die Nutzbarkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht relevant sind. Schon auf tatsächlicher Ebene ist daher nicht nachvollziehbar, inwiefern die Emissionswerte des streitgegenständlichen Fahrzeuges der entscheidende Faktor für den Abschluss des Kaufvertrags gewesen sein sollen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass es der Klagepartei bei Abschluss des Kaufvertrags allein darauf angekommen sei, ein besonders leistungsstarkes Fahrzeug zu erwerben.
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In technischer Hinsicht stelle es sich wie folgt dar:
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Für das hier streitgegenständliche Fahrzeug liege zutreffend ein verbindlich angeordneter Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts („KBA“) vor. In dem diesem Rückruf zugrunde liegenden Bescheid gehe das KBA davon aus, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Deshalb biete der Hersteller eine für den Halter kostenlose technische Maßnahme an. Weitere unzulässige Abschaltvorrichtungen kämen indes nicht zum Einsatz.
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In dem Fahrzeug komme indes keine unzulässige umgebungslufttemperaturgesteuerte Abgasrückführungsrate (sog. „Thermofenster“) zum Einsatz. Ungeachtet des klägerischen Vortrags zum Temperaturbereich des Thermofensters (der ohne Bezug zum konkreten Fahrzeug erfolgt) handele es sich bei dem Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007, da es zum Bauteileschutz verwendet werde und damit gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit a) der VO zulässig sei. Auch das KBA gehe davon aus, dass es sich bei dem im streitgegenständlichen Fahrzeug bedateten Thermofenster nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Der verbindlich angeordnete Rückruf des KBA beziehe sich nicht auf das Thermofenster. Das Thermofenster im streitgegenständlichen Fahrzeug hat das KBA nicht als unzulässig eingeordnet. Sog. Thermofenster seien in sämtlichen in den letzten Jahren in der EU produzierten Dieselfahrzeugen enthalten. Dabei werde außerhalb bestimmter Temperaturbedingungen eine Korrektur der Abgasrückführungsrate vorgenommen. Diese Korrektur diene dem Schutz bestimmter Bauteile von Motor und Abgasanlage unter- und oberhalb festgelegter Temperaturen. Dies habe auch der EU-Gesetzgeber erkannt und mit Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 eine entsprechende Vorschrift geschaffen, wonach die Verwendung von Funktionen zum Schutz von Bauteilen grundsätzlich zulässig sei.
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In dem Fahrzeug komme keine unzulässige Lenkwinkelerkennung zum Einsatz. Zudem lasse sich das Vorhandensein einer „Lenkwinkelerkennung“ nicht unter den Tatbestand einer unzulässigen Abschalteinrichtung subsumieren.
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Es finde auch keine Leistungsreduzierung, die lediglich auf dem Prüfstand zu einer höheren Abgasrückführungsquote die Stickoxidwerte mindere, statt. Im streitgegenständlichen Motor sei eine solche, die Motorleistung auf dem Prüfstand reduzierende „Funktion“, nicht enthalten. Folglich komme es auch nicht zu einer Reduktion des Kraftstoffverbrauchs durch eben eine solche Leistungsreduzierung.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages der Parteien wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 16.03.2021.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, sodass sie vollumfänglich abzuweisen war.
21
I. Das Landgericht Memmingen ist örtlich jedenfalls gemäß § 39 S. 1 ZPO und sachlich gem. §§ 1 ZPO i.V. m. 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständig.
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II. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus §§ 311, 826 i.V. m. 31 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB, §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V. m. §§ 2, 27 EG-FGV.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB wegen eines von ihr behaupteten Vermögensschadens infolge der Ausstattung des Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen zu. Dem Kläger ist von der Beklagten nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich ein Schaden zugefügt worden.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflichtverletzung und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhalten hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH VI ZR 516/15, Urteil vom 28.06.2016, juris). Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearbeitung 2014, § 826, Rn. 31).
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Die Klagepartei trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung die volle Darlegungs- und Beweislast. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass für das verfahrensgegenständliche Fahrzeug entgegen dem Vortrag der Klagepartei ein verbindlicher Rückrufbescheid nicht ergangen ist. Eine freiwillige Servicemaßnahme ist dem - entgegen der offensichtlich gegenteiligen Auffassung der Klägerseite - auch nicht gleichzusetzen. Freiwillige Servicemaßnahmen werden nur in denjenigen Fällen angeboten, in denen keine unzulässigen Abschalteinrichtungen durch das KBA festgestellt wurden (vgl. auch vorgelegte amtliche Auskunft des KBA, Anlage B12). Dieser Umstand ändert nichts daran, dass der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für seine Behauptungen, insbesondere für das Nichteingreifen der Ausnahmen gemäß Art. 5 Abs. 2 lit. a VO (EG) 715/2007, trägt.
a) Softwarefunktion Prüfstanderkennung
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Den Nachweis eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten durch Verwendung einer Softwarefunktion, die dafür sorgt, dass das Fahrzeug die Prüfstandsituation erkennt und das Emissionsverhalten entsprechend anpasst, hat die Klägerseite nicht führen können. Die Beklagte hat das Vorhandensein einer solchen Softwarefunktion bestritten. Der entsprechende Vortrag der Klagepartei stellt sich als Vortrag ins Blaue hinein dar, er erfolgt inzwischen gerichtsbekannt standartmäßig von Klägervertretern der „Dieselverfahren“ unabhängig von Hersteller und Modell.
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Es ist zwar anerkannt, dass ein willkürlicher Sachvortrag ins Blaue hinein, der eine angebotene Beweiserhebung zur prozessual unzulässigen Ausforschung machen würde, nur ausnahmsweise anzunehmen ist. Eine Partei darf nämlich im Zivilprozess Tatsachen behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Eine prozessual unzulässige Ausforschung ist allerdings dann gegeben, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen aufstellt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 - 10 U 134/19, juris, Rn. 54).
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So aber liegen die Dinge hier, soweit der Kläger behauptet, die Beklagte habe eine Prüfstanderkennungssoftware verbaut, die das Abgasverhalten lediglich auf dem Prüfstand optimiere, während im Straßenbetrieb die Grenzwerte erheblich überschritten würden. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass die von der unter Bezug genommenen Deutschen Umwelthilfe im Straßenbetrieb bei bestimmten Modellen gemessenen NOx-Werte die für den Prüfstand vorgeschriebenen Grenzwerte erheblich übersteigen, kann dies nicht ausreichen, um den Rückschluss auf eine Prüfstanderkennungssoftware (und somit „Schummelsoftware“) zu rechtfertigen. Denn es ist allgemein bekannt, dass der Straßenbetrieb mit der Prüfstandsituation nicht vergleichbar ist. Dies gilt ganz allgemein, sowohl hinsichtlich der angegebenen Kraftstoffverbräuche als auch der Grenzwerte für Emissionen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019, 7 U 367/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 22.09.2020, 16 a U 55/19).
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Der Vortrag ist aber auch deshalb unschlüssig, da allein auf Grundlage der gemessenen Abgaswerte kein Rückschluss auf eine etwaige, in der Absicht sittenwidriger Schädigung verbaute Vorrichtung nach der VO (EG) 715/2007 gezogen werden kann. Wie genau der technische „schmutzige Modus“ ausgestaltet sein soll, wie mitunter der behauptete erhöhte Ausstoß zustande kommen soll, schildert die Klägerseite gerade nicht. Dies wäre aber erforderlich, um die technischen Parameter unter die rechtlichen Vorgaben der VO (EG) 715/2007 zu subsumieren und eine - bestrittene - Vorsatzfassung nachvollziehen zu können. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens würde mithin erst die Voraussetzungen schaffen, dass die Klagepartei schlüssig vortragen kann.
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Soweit die Klagepartei ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten mit dem Vorliegen eines Thermofensters begründet, vermag dies zur Überzeugung der Kammer keinen Anspruch aus § 826 BGB begründen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob ein Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt oder nicht. Bei einer sogenannten „Schummelsoftware“, wie sie in dem VW-Motor EA 189 verwendet worden ist, ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns per se aus der Verwendung einer Umschaltlogik, die - auf den Betriebszustand des Fahrzeugs abstellend - allein danach unterscheidet, ob sich dieses auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Eine solche Abschalteinrichtung ist eindeutig unzulässig; an dieser rechtlichen Wertung kann auch aus Sicht der Handelnden bzw. hierfür Verantwortlichen kein Zweifel bestehen. Bei einer anderen die Abgasreinigung (Abgasrückführung oder Abgasnachbehandlung) beeinflussenden Motorsteuerungsssoftware, wie dem hier in Rede stehenden Thermofenster, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motor-, respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden können, kann bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Veranwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein agiert haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Vielmehr muss in dieser Situation, selbst wenn hinsichtlich des Thermofensters von einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen sein sollte, eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2020, 12 U 2149/19; OLG Koblenz Urteilurteil vom 21.10.2019, Az.: 12 U 246/19, Beck RS 2019, 25135; so auch OLG Stuttgart MdR 2019, 1248-1249; OLG Köln, Beschluss vom 04.07.2019 - 3 U 148/18, juris, Rn. 6). Eine Sittenwidrigkeit kommt daher hier nur in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Stuttgart und OLG Köln a. a. O.). Solche Anhaltspunkte sind vorliegend nicht ersichtlich. Dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung des besonderen Zielkonfliktes zwischen Bauteilschutz und Emissionsreduzierung.
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Solange daher in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagte die Rechtslage fahrlässig verkannt hat, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Palandt / Sprau, BGB, 78. Auflage 2019, § 826 Rn. 8).
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Die europarechtliche Gesetzeslage ist an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und nicht eindeutig. Dies zeigt bereits die kontrovers geführte Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007. Nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission „...“ liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO (EG) 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission V., Stand April 2016, S. 123):
„Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmungen, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“
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Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls zu dem hier in Rede stehenden Zeitpunkt nicht unvertretbar gewesen. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann aber nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18.05.2020, 12 U 2149/19). Da Bezugspunkt der Zeitpunkt der der Beklagten vorgeworfenen Handlung ist, vermögen auch zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen hieran (auf Vorsatzebene) nichts zu ändern.
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Auch hinsichtlich der behaupteten „Aufheizstrategie“ gelingt es der Klägerseite nicht, den Verbau einer entsprechenden unzulässigen Abschaltvorrichtung i.S.d. VO (EG) 715/2007 nachzuweisen.
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Der Sachvortrag ist bereits an sich nicht geeignet, eine solche Vorrichtung in konkreten Fall darzulegen. Es ist bereits technisch nach dem klägerischen Vortrag nicht nachvollziehbar, wie konkret die behauptete Aufheizstrategie funktionieren soll und aufgrund welcher Untersuchungen bzw. Feststellungen hinsichtlich des konkreten Pkws sich ergeben haben soll, dass tatsächlich eine Unterscheidung zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem normalen Straßenbetrieb diesbezüglich getroffen wird und somit eine solche Strategie - ihr Vorhandensein einmal unterstellt - unzulässig im Sinne der VO (EG) 715/2007 angesehen werden muss. Die pauschale Behauptung einer derartigen Differenzierung ohne jegliche Tatsachengrundlage stellt vor diesem Hintergrund eine bloße Behauptung ins Blaue hinein dar, so dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedarf (vgl. zu den Anforderungen an einen hinreichend konkreten Sachvortrag auch OLG München, Hinweisbeschluss vom 22.01.2021 und Zurückweisungsbeschluss vom 23.02.2021, Az.: 27 U 7045/20). Im Übrigen schildert die Klägerseite jedoch selbst, dass die Funktion sowohl im Prüfstandbetrieb als auch im Straßenbetrieb identisch funktioniere. Dass die Funktion im Straßenbetrieb aufgrund der hinterlegten Parameter (welche?) überwiegend deaktiviert sei (was heißt überwiegend?) ist kein Vortrag, das geeignet ist, eine Beweiserhebung anzustoßen. Der Vortrag ist darauf angelegt, dass im Rahmen der Beweiserhebung erst Tatsachen bekannt werden sollen, auf welche dann der klägerische Vortrag in technischer Hinsicht gestützt werden soll. Dies aber stellt einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar, welcher zu unterbleiben hat.
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Soweit die Klägerseite auf eine verbaute Lenkwinkelerkennung Bezug nimmt, so ist eine solche nicht unzulässig i.S.d. VO (EG) 715/2007. Soweit hier eine Prüfstandserkennung und ein anderer „Fahrmodus“ behauptet wird (siehe dazu lit. a)), so ist auch hier der Vortrag der Klägerseite so beliebig, dass er seitens des Gerichtes nicht unter die Voraussetzungen der Verordnung subsumiert werden kann. Auch hier soll wiederum der angebotene Sachverständigenbeweis die Grundlage dafür liefern, dass die Klägerseite technisch schlüssig vortragen kann.
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Letztlich gelingt es der Klagepartei auch nicht der Kammer schlüssig darzulegen, welche Auswirkungen die jeweils einzelnen behaupteten Abschalteinrichtungen nach sich ziehen. Denn selbst wenn man einzelne Punkte der vorstehend ausgeführten Sichtweise der Kammer anders beurteilen wollte, müsste die Klagepartei dennoch darlegen, dass die verbleibenden - nach ihre Auffassung unzulässigen - Abschalteinrichtungen insgesamt dazu führten, dass ohne sie die Werte im Prüfstandbetrieb nicht eingehalten würden. Denn es ist durchaus denkbar, dass erst die Summe der behaupteten Vorrichtungen zu den klägerseits behaupteten Ergebnissen führen. Wenn nun aber einzelne Bestandteile - wie vorstehend ausgeführt - nicht unerlaubt sind oder aber vorsatzlos verwandt wurden, fehlt es ohne die vorstehend geforderten Ausführungen dennoch an der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung insgesamt.
f) Verschweigen gegenüber KBA
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Schließlich ist es der Klägerseite auch über bloße Behauptungen ins Blaue hinein nicht gelungen darzulegen, dass die Beklagtenseite im Rahmen der Typengenehmigung wesentliche Umstände gegenüber dem KBA verschwiegen hätte. Darauf kommt es im Ergebnis nach der derzeitigen Vortragslage der Klägerseite aber auch nicht entscheidend an, denn selbst wenn hier Umstände verschwiegen worden wären, wäre dies in dem Fall, dass von der unproblematischen Zulässigkeit der jeweiligen technischen Spezifikationen ausgegangen worden wäre, kein geeignetes Indiz um auf das Vorliegen eines Vorsatzes der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung schließen zu können. Zudem schließt sich das Gericht nach Durchführung hunderter „Dieselverfahren“ der beklagtenseits mitunter geäußerten Auffassung an, dass zumindest das Thermofenster Industriestandard war, sodass das KBA davon ausgehen konnte und musste, dass entsprechende Vorrichtungen verbaut sind.
40
Ohne dass es noch darauf ankäme, ist der Klägerin aber auch ein kausaler Schaden nicht entstanden. Der Vortrag, dass es der Klagepartei bei der Kaufentscheidung um ein umweltfreundliches Fahrzeug und auch den Schadstoffausstoß gegangen sei, kann nur als scherzhafte Anmerkung aufgefasst werden. Die Klagepartei hat ein Fahrzeug mit einem Leergewicht von ca. zwei Tonnen erworben, in dem ein 4.2 V8 TDI Motor verbaut ist, der eine Leistung von 382 PS erreicht. Die Umwelt hat sie bei diesem Erwerbsvorgang nicht im Ansatz interessiert. Im Vordergrund stand vielmehr das Prestige eines solchen Fahrzeuges und die Demonstration unternehmerischen Erfolges durch das Fahren eines sehr teuren Markenmodells. Das Gericht ist davon überzeugt, dass das Fahrzeug durch die Klagepartei auch erworben worden wäre, wenn die verfahrensgegenständliche Problematik bekannt gewesen wäre.
41
Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB ist ebenfalls nicht gegeben. So fehlt es zumindest am Vorsatz. Wie oben bereits mehrfach ausgeführt, stellt die Annahme der Beklagten, dass es sich bei dem in dem Fahrzeug verbauten Thermofenster sowie bei den weiteren behaupteten Funktionen nicht um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt, jedenfalls zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs eine zulässige Auslegung des Gesetzes dar, so dass die Verantwortlichen nicht mit dem Vorsatz handelten, die Klägerin über eine Eigenschaft des Fahrzeugs zu täuschen und ihr dadurch einen Vermögensschaden zuzufügen.
42
Aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. §§ 6, 27 EG-FGV lässt sich der geltend gemachte Schadensersatzanspruch ebenfalls nicht herleiten. Bei den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich entgegen der Ansicht der Klagepartei nicht um Schutzgesetze, weil sie den Schutz individueller Interessen nicht berücksichtigen. Dass der Individualschutz (hier der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs) im Aufgabenbereich der genannten Vorschrift liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden RL 2017/46/EG folgt, ist nicht ersichtlich (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, - 8 U 1449/19 -, juris).
43
Es besteht ebenfalls kein Anspruch gemäß § 831 Abs. 1 BGB. Obwohl § 831 BGB an eine Sorgfaltspflichtverletzung des Geschäftsherrn selbst anknüpft und insofern die Beweislast umkehrt, bedarf es zusätzlich eines Delikts, um die Haftung auszulösen (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2017, § 831 Rn. 29). Hierfür fehlt es jedoch an einem deliktischen Handeln der jeweiligen Verrichtungsgehilfen. Die Klagepartei hat nicht substantiiert dargetan, dass auf Seiten der Verrichtungsgehilfen die objektive und subjektive Tatseite konkret vorliegen würden. Insofern fehlen jegliche Ausführungen der Klagepartei dazu, inwiefern welche Verrichtungsgehilfen die objektive oder subjektive Tatseite der in Betracht kommenden deliktischen Normen verwirklicht haben sollten. Die Ausführungen der Klagepartei sind damit nicht geeignet, ein deliktisches Handeln der jeweiligen Verrichtungsgehilfen nachzuvollziehen.
44
Deliktische Ansprüche scheiden somit insgesamt aus.
45
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
46
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
47
V. Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt in Maßgabe der §§ 3f. ZPO.