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LG Landshut, Endurteil v. 26.03.2021 – 54 O 3679/20
Titel:

Schadensersatz, Annahmeverzug, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Haftung, Streitwert, Rechtsverfolgung, Zinsen, Vollstreckbarkeit, Kostenfolge, Verfahren, Klage, Einzelfall, Beklagte

Schlagworte:
Schadensersatz, Annahmeverzug, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, Haftung, Streitwert, Rechtsverfolgung, Zinsen, Vollstreckbarkeit, Kostenfolge, Verfahren, Klage, Einzelfall, Beklagte
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57930

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.035,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 zu bezahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs -
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.11.2020 mit der Rücknahme des in Ziff. 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 865 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 35 %, die Beklagte 65 %.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
7. Der Streitwert wird auf 19.977,50 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Schadensersatz nach Kauf eines Dieselfahrzeugs geltend.
2
Die vorsteuerabzugsberechtige Klägerin erwarb am 12.05.2016 in Berlin einen - zum Preis von 22.605,04 € netto. Zum Zeitpunkt des Kaufs wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 122.260 km auf. In diesem Fahrzeug ist ein 3 Liter-Dieselmotor verbaut. Dieser Motor weist eine Leistung von 230 kW auf und ist in die Schadstoffklasse Euro 5 eingruppiert. Die herstellerinterne Typbezeichnung für dieses Fahrzeug lautet 4G, die Motorkennung CGQB.
3
Die Klägerin behauptet, in dem Fahrzeug sei eine Prüfstandserkennung ähnlich dem von der Volkswagen AG entwickelten EA189-Motor verbaut. Dadurch würde eine prüfstandsabhängige Abschalteinrichtung des Abgasrückführungs (AGR)-Systems bestehen, was unzulässig sei. Ebenso sei unzulässig ein Thermofenster programmiert worden. Darüber hinaus sei die Onboard-Diagnosis-Unit (OBD) damit einhergehend manipuliert worden, um eine Überprüfung der Motorkennwerte zu verhindern.
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Die Klägerin beantragt zuletzt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 22.605,04 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 6.877,76 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges - zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.789,76 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, bei einem Thermofenster würde es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handeln.
7
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
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Zur Vervollständigung des Tatbestands wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie sonstige Aktenteile.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
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I. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs gegen die Beklagte nach § 826 BGB zu.
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1. Die Grundlagen einer Haftung aus § 826 BGB in sogenannten Dieselfällen hat der BGH im Urteil vom 25.05.2020 (Az. VI ZR 252/19) niedergelegt. Die dortige Entscheidung stellte auf den EA189-Motor des Volkswagen-Konzerns ab, welcher eine sogenannte prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung aufwies. Das Fahrzeug erkannte also die Prüfstandssituation und schaltete in einen anderen Abgasreinigungsmodus, urr auf dem Prüfstand die Abgasvorschriften der Euro 5-Norm einzuhalten. Sobald das Fahrzeug sich im Straßenverkehr befand, wurde ein anderer Modus aktiviert, welcher die Abgasreinigung letzten Endes stark reduzierte oder aussetzte, wodurch es zu einer Verzerrung der Abgaswerte kam. Eine derartige strategische Entscheidung des Herstellers hat der BGH einer unmittelbaren arglistigen Täuschung eines Fahrzeugkäufers gleichgesetzt, was den Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegen den Volkswagen Konzern und seine Tochtergesellschaften begründet.
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2. Nichts anderes muss gelten, wenn zwar eine entsprechende prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstandserkennung und eines entsprechenden Umschaltens der Abgasreinigung auf den Prüfstand- bzw. im Straßenmodus nicht wie beim EA189-Motor erfolgt, eine solche jedoch auf andere Art und Weise erfolgt. Es ist gerichtsbekannt (z.B. Az. -), dass der hier streitgegenständliche Motor von einem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes betroffen ist. Hintergrund dieses Rückrufs war die Tatsache, dass in gewissen Modellen des 3 Liter-V6-TDI-Motors der Audi AG der Emissionsstufe Euro 5 eine Strategie zur Erhöhung der AGR nahezu ausschließlich unter den Bedingungen der Prüfung nach der Verordnung (EG) 715/2017 genutzt wurde. Um die Strategie zu aktivieren wurde eine Vielzahl von Initialisierungsparameter verwendet, die über eine logische UND-Verknüpfung miteinander verbunden waren. Diese Bedingungen mussten somit alle gleichzeitig vorliegen, damit die Strategie genutzt wurde. Die zu diesen Parametern gehörenden Werte, also die zugrundeliegenden Schaltbedingungen, wurden so eng ausgewählt, dass diese Strategie nahezu ausschließlich im NEFZ und den dort herrschenden Prüfbedingungen wirkte. Letzten Endes wurde dadurch die Bedingung des Prüfstands softwaremäßig abgebildet, sodass kleine Abweichungen an den Parametern, insbesondere den Umgebungsbedingungen, zur Abschaltung der Strategie und damit zur Erhöhung der Schadstoffwerte führen mussten, wie sie im normalen Straßenbetrieb zwangsläufig ständig vorkommen. Nachvollziehbarerweise hat das Kraftfahrtbundesamt dies als unzulässige Abschalteinrichtung bewertet und die Beklagte aufgefordert, diese aus der Fahrzeugen zu entfernen, so auch aus dem streitgegenständlichen. Aus dieser Aufforderung des KBA resultiert der in Anlage B3 von der Beklagten vorgelegte Freigabebescheid. Wie der BGH in der zitierten Entscheidung ausgeführt hat, ist daher der Kaufvertrag gegenüber dem Hersteller des Fahrzeugs rückabzuwickeln.
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3. Wie der BGH ebenso in mehreren Entscheidungen festgehalten hat (woran sich auch die Klägerin hält), muss sich die Klägerin die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dabei hat der BGH in der Entscheidung vom 30.07.2020 (Az. VI ZR 354/29, Rn. 12) die vom Gericht in Rückabwicklungsfällen bei Kraftfahrzeugkäufen üblicherweise verwendete Formel gebilligt. Eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrunde gelegt ergibt sich damit der aus Ziffer 1. des Tenors ersichtliche Rückzahlungsbetrag. Dabei war, wie die Klägerin im Schriftsatz vom 08.03.2021 ausführt, der Netto-Betrag anzusetzen, da die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt ist.
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II. Das Feststellungsinteresse für die Feststellung des Annahmeverzugs ergibt sich aus den Wirkungen des § 300 BGB.
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III. Außergerichtliche Kosten schuldet die Beklagte nur aus dem zugesprochenen Betrag. Mehr als eine 1,3-Gebühr war nicht anzusetzen, nachdem es sich um ein Massenverfahren handelt, welches im Einzelfall keinen erhöhten Einarbeitungsaufwand in der Kanzlei des Klägervertreters nach sich gezogen hat. Dies offenbart sich in der Vielzahl der hier anhängigen Verfahren, in welchen das Gericht mit stets gleichlautenden und auf den Einzelfall nicht eingehenden Standardschriftsätzen bedient wird.
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IV. Die Verzinsung-folgt aus § 286 Abs. 1 S. 2 BGB, die Zinshöhe aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
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V. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert für die Klägerin aus § 709 ZPO, für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert folgt der (höchsten) Klageforderung.