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LG Kempten, Endurteil v. 08.03.2021 – 31 O 675/20 Ver
Titel:

Rentenversicherung, Versicherungsvertrag, Widerspruchsrecht, Widerspruch, Versicherungsnehmer, Widerspruchsbelehrung, Vertragsschluss, Frist, Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen, Versicherungsbeginn, Antragstellung, betrug, Versicherung, Kosten des Rechtsstreits, fondsgebundene Rentenversicherung, Beginn der Rentenzahlung

Schlagworte:
Rentenversicherung, Versicherungsvertrag, Widerspruchsrecht, Widerspruch, Versicherungsnehmer, Widerspruchsbelehrung, Vertragsschluss, Frist, Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen, Versicherungsbeginn, Antragstellung, betrug, Versicherung, Kosten des Rechtsstreits, fondsgebundene Rentenversicherung, Beginn der Rentenzahlung
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57905

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte nach jeweiligem Widerspruch gegen eine Wertpapier-Lebensversicherung, eine Rentenversicherung sowie eine fondsgebundene Rentenversicherung im Rahmen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs jeweils die Rückzahlung geleisteter Beiträge sowie Nutzungsersatz in Höhe von insgesamt 28.381,19 € geltend.
2
Die Klägerin schloss mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Lebensversicherung AG, und nicht, wie in der Klage vorgetragen, mit der Beklagten, insgesamt folgende 3 Versicherungsverträge in chronologischer Reihenfolge ab:
1. eine von der Klägerin als Versicherungsvertrag 2 bezeichnete aufgeschobene Rentenversicherung mit der Vers.-Nr. 03 679 001 mit Versicherungsbeginn 01.11.1997 Der Gesamtjahresbeitrag für diese Versicherung betrug 10.000 DM; Ende der Beitragszahlung war 01.11.2002 Beginn der Rentenzahlung mit einer Jahresrente von 3.430,08 € sollte der 01.11.2009 sein. Es bestand ein Kapitalwahlrecht.
3
Auf S. 1 des als Anlage K1 Versicherungsvertrag 2 vorgelegten Versicherungsscheins, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, wurde die Klägerin im dortigen 3. Absatz von 5 Absätzen auf die Belehrung über ihr Widerspruchsrecht, die sie auf Seite 2 findet, hingewiesen.
4
Die Widerspruchsbelehrung auf der S. 2 mit der unterstrichenen, nicht in Fettdruck gehaltenen Überschrift „Ihr Widerspruchsrecht“ lautete wie folgt, wobei der nachfolgende Text ebenfalls nicht in Fettdruck gehalten war:
„Sie können innerhalb von 14 Tagen dem Abschluss der Versicherung schriftlich widersprechen. Die Frist beginnt mit Zugang dieses Versicherungsscheins mit den Versicherungsbedingungen und den weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen gemäß § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Der Versicherungsvertrag gilt auf der Grundlage der vorgenannten Unterlagen als abgeschlossen, wenn uns Ihr Widerspruch nicht fristgemäß zugeht. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an die auf dem Deckblatt angegebene Anschrift.“
5
Auf diesen Versicherungsvertrag wurden von der Klägerin insgesamt 25.564,60 € gezahlt. Entgegen des Vortrags in der Klage entrichtete sie nach Erklärung des Widerspruchs keine Beiträge mehr an die Beklagte.
6
Da die Klägerin mit Schreiben vom 10.09.2009 von dem Kapitalwahlrecht Gebrauch machte, wurden ihr aus diesem Vertrag 38.925,35 € ausbezahlt.
2. eine von der Klägerin als Versicherungsvertrag 1 bezeichnete WertpapierLebensversicherung mit Beitragsbefreiung im Pflegefall, Vers.-Nr. 03 737 353-3 Versicherungsbeginn war der 01.05.1999.
7
Die Beitragssumme betrug 50.000,00 DM bei einem jährlichen Beitrag von 10.000,00 DM. Die Mindesttodesfallsumme betrug 30.000,00 DM Ende der Beitragszahlungsdauer war der 01.05.2004.
8
Ende der Versicherungsdauer war der 01.05.2011.
9
Auf S. 1 des als Anlage K1 Versicherungsvertrag 1 vorgelegten Versicherungsscheins vom 28.04.1999, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, wurde die Klägerin im dortigen letzten Absatz auf die Belehrung über ihr Widerspruchsrecht, abgedruckt auf der Seite 2, als Bestandteil des Versicherungsscheines hingewiesen.
10
Die Widerspruchsbelehrung auf der S. 2 mit der fettgedruckten Überschrift „Welches Widerspruchsrecht haben Sie?“ lautete wie folgt, wobei der nachfolgende Text nicht in Fettdruck gehalten war:
„Der Vertrag gilt auf Grundlage dieses Versicherungsscheines, den darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und den ebenfalls für den Vertragsabschluß maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 14 Tagen schriftlich widersprechen.
Der Lauf dieser 14-tägigen Frist beginnt, wenn Ihnen die oben genannten Unterlagen - einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht - vollständig vorliegen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an die auf dem Deckblatt angegebene Anschrift.“
11
Auf diese Versicherung leistete die Klägerin ebenfalls 25.564,60 €. Entgegen des Vortrags in der Klage entrichtete sie nach Erklärung des Widerrufs keine Beiträge mehr an die Beklagte.
12
Nach dem Ende der Versicherungsdauer wurde der Klägerin ein Betrag von 20.738,73 € ausbezahlt.
3. eine von der Klägerin als Versicherungsvertrag 3 bezeichnete fondsgebundene Rentenversicherung mit der Vers.-Nr. 03 992 663-6 Versicherungsbeginn war der 01.11.2004 Ende der Beitragszahlungsdauer war der 01.11.2009.
13
Der jährliche Beitrag betrug 5.000,00 €.
14
Ab 01.11.2016 sollte eine lebenslange monatliche Altersrente gezahlt werden, die je 10.000 € Policenwert 38,47 € betragen sollte. Es bestand ein Kapitalwahlrecht.
15
Auf S. 1 des als Anlage K1 Versicherungsvertrag 3 vorgelegten Versicherungsscheins vom 28.10.2004, auf den im Einzelnen Bezug genommen wird, wurde die Klägerin im dortigen letzten Absatz auf die Belehrung über ihr Widerspruchsrecht, abgedruckt auf der Seite 2, als Bestandteil des Versicherungsscheines hingewiesen.
16
Die Widerspruchsbelehrung im letzten Absatz auf S. 2 mit der fettgedruckten Überschrift „Welches Widerspruchsrecht haben Sie?“ lautete wie folgt, wobei der nachfolgende Text nicht in Fettdruck gehalten war:
„Der Vertrag gilt auf Grundlage dieses Versicherungsscheines, den darin enthaltenen Versicherungsbedingungen und den ebenfalls für den Vertragsabschluß maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 14 Tagen schriftlich widersprechen.
Der Lauf dieser 14-tägigen Frist beginnt, wenn Ihnen die oben genannten Unterlagen - einschließlich dieser Belehrung über das Widerspruchsrecht - vollständig vorliegen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an die auf dem Deckblatt angegebene Anschrift.“
17
Auf diese Versicherung leistete die Klägerin Beiträge in Höhe von insgesamt 25.000,00 €.
18
Da die Klägerin mit als Anlage K9 vorgelegten Schreiben von dem Kapitalwahlrecht Gebrauch machte, wurde ihr aus diesem Vertrag ein Betrag von 25.775,00 € ausbezahlt.
19
Sämtliche 3 Versicherungen wurde im sogenannten Policenmodell abgeschlossen.
20
Die Widerspruchsbelehrungen wurden von der Klägerin jeweils nicht gelesen.
21
Mit anwaltlichem Schreiben vom 23.10.2018 erklärte die Klägerin den Widerspruch gemäß § 5a VVG a. F. hinsichtlich sämtlicher 3 Verträge.
22
Die Klägerin trägt vor, dass die jeweilige Widerspruchsbelehrung fehlerhaft sei und ihr deshalb ein unbegrenztes sog ewiges Widerspruchsrecht zustehe.
23
Die Widerspruchsbelehrung sei jeweils nicht drucktechnisch deutlich hervorgehoben gewesen. Lediglich die Überschrift ist in Fettdruck.
24
Es sei auch kein Hinweis, dass der Widerspruch in Textform zu erfolgen habe, enthalten. Die Belehrung bezeichne zudem die fristauslösenden Unterlagen nicht korrekt.
25
Die Klage wurde am 03.06.2020 zugestellt.
26
Die Klägerin beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28.381,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 28.381,19 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 1.102,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
27
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung
28
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der von der Klägerin im Jahr 2018 jeweils erklärte Widerspruch verfristet sei. Es sei jeweils eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung, die weder formell noch inhaltlich zu beanstanden sei, erfolgt.
29
Nach der aktuellen Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs gebe es auch kein ewiges Widerspruchsrecht mehr.
30
Im Übrigen seien die Ansprüche der Klägerin verwirkt. Das Zeitmoment sei auf jeden Fall gegeben. Aufgrund der langen Zeitdauer sei auch das Umstandsmoment erfüllt.
31
Selbst wenn von einem rechtswirksamen Widerspruch dem Grunde nach ausgegangen werden sollte, stehe der Klägerin kein weitergehender Zahlungsanspruch zu. Die vorgenommene Berechnung könne auch nicht nachvollzogen werden und entspreche nicht bereicherungsrechtlichen Grundsätzen.
32
Das Gericht hat die Klägerin im Termin vom 08.03.2021 informatorisch angehört. Bezüglich der Angaben der Klägerin wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Kempten (Allgäu) sowohl sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG als auch örtlich nach § 215 Abs. 1 VVG zuständig. § 215 I 1 VVG ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar, obgleich der jeweilige Vertragsschluss noch vor der Reform des Versicherungsvertragsrechts erfolgte. § 215 VVG unterfällt nicht dem Regelungsbereich von Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 EGVVG (BGH, Urteil vom 08.03.2017, Az. IV ZR 435/15).
34
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
35
Die Klägerin hat gegen die Beklagte nach dem im Oktober 2018 jeweils erklärten Widerspruch keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auf Rückerstattung der gezahlten Versicherungsprämien sowie auf Herausgabe von der Beklagten gezogener Nutzungen.
36
1. Vorliegend waren jeweils keine ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrungen erfolgt.
37
Unstreitig wurden alle 3 Versicherungsverträge jeweils im sog. Policenmodell nach § 5a VVG in der bei Antragstellung jeweils gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen.
38
Sämtliche Versicherungsscheine enthielten eine Widerspruchsbelehrung. Bezüglich deren jeweiligen Inhalt wird auf den Tatbestand verwiesen.
39
Nach § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a. F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (= Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die weitere für den Vertragsinhalt maßgebliche Verbraucherinformation) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.
40
Die vorliegenden Widerspruchsbelehrungen waren gemäß § 5a Abs. 2 S. 1 VVG waren allerdings nicht ordnungsgemäß. Zwar war nach der damaligen Vorschrift ein Hinweis auf die Schriftform ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2015, Az. IV ZR 448/14; BGH, Urteil vom 27.01.2016, Az. IV ZR 130/15). Es bedurfte keines (zusätzlichen) Hinweises auf die Textform.
41
Allerdings waren die jeweiligen Widerspruchsbelehrungen nicht in drucktechnisch deutlicher Form gehalten. Die Belehrung nach § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a. F. über das Widerspruchsrecht bei einem im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag ist nicht ordnungsgemäß, wenn sie (…) nur der erste Satz, der auf das Widerspruchsrecht und den Zugang der für den Beginn der Widerspruchsfrist maßgeblichen Unterlagen hinweist, im Fettdruck gehalten, während die Belehrung im Übrigen nicht durch Fettdruck oder auf sonstige Weise hervorgehoben ist (BGH, Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 412/14). Vorliegend war jeweils nur die Überschrift in Fettdruck gehalten, jedoch die jeweils eigentliche Belehrung nicht durch Fettdruck oder auf sonstige Weise hervorgehoben, so dass insbesondere der Hinweis darauf, dass die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt, übersehen werden kann.
42
Das Gericht geht daher davon aus, dass vorliegend keine wirksame Widerspruchsbelehrung erfolgt ist.
43
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. richtlinienkonform einschränkend auszulegen (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, VersR 2014, 817). Bei fehlerhafter Belehrung kann daher - entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Norm - ein ewiges Widerspruchsrecht bestehen.
44
Indes kann die Ausübung des Widerspruchs treuwidrig sein. Der Bundesgerichtshof hat auch für den Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung bei besonders gravierenden Umständen die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs gemäß § 242 BGB wegen widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers verwehrt (vgl. BGH, Beschluss vom 11.11.2015, Az.: IV ZR 117/15 sowie Beschluss vom 27.01.2016, Az.: IV ZR 130/15). Er hat dabei ausgeführt, dass die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall grundsätzlich dem Tatrichter obliegt.
45
Vorliegend liegt ein treuwidriges Verhalten der Klägerin vor, so dass ihr im Oktober 2018 jeweils erklärter Widerspruch gemäß § 242 BGB ohne Wirkung ist. Es sind besonders gravierende Umstände gegeben, die einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand bei der Beklagten begründen.
46
Bei Würdigung der Gesamtumstände ist sowohl das erforderliche Zeit- als auch das Umstandsmoment für eine Verwirkung jeweils erfüllt.
47
a) aufgeschobene Rentenversicherung mit der Vers.-Nr. 03 679 001 mit Versicherungsbeginn 01.11.1997 aa) Der mit Schreiben der Klägerin vom 23.10.2018 erfolgte Widerspruch wurde erst knapp 21 Jahre nach Beginn des Versicherungsvertrags erklärt, so dass das Zeitmoment für eine Verwirkung gegeben ist. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 25 U 3878/19).
48
bb) Auch das Umstandsmoment ist vorliegend unter Berücksichtigung und Würdigung folgender vertraglicher Besonderheiten gegeben.
49
(1) Der Widerspruch wurde erst über 9 Jahre nach Auszahlung der Versicherungsleistung erklärt.
50
(2) Die Klägerin machte ausdrücklich von einem Kapitalwahlrecht Gebrauch.
51
(3) Die Klägerin erhielt einen Betrag von 38.925,35 € ausgezahlt. Da sie Beiträge in Höhe von insgesamt 25.564,60 € eingezahlt hatte, erhielt sie somit einen um 13.360.75 € höheren Betrag ausbezahlt, als sie eingezahlt hatte.
52
Hat der Versicherungsnehmer ohnehin mit der vertraglichen Ablaufleistung im Ergebnis schon mehr erhalten, als er investiert hat, und zielt sein Vorgehen lediglich auf eine Erhöhung der Rendite ab, ist dieser Gesichtspunkt in die Gesamtbewertung mit einzubeziehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 25 U 3878/19).
53
(4) Die Beklagte hatte sich auch offenkundig auf die Durchführung des Vertrages eingerichtet. Sie hat über Jahre hinweg den Versicherungsvertrag verwaltet und mit den Versicherungsbeiträgen gearbeitet. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Rahmen der Anlage von Lebensversicherungsbeiträgen langfristige Anlageentscheidungen getroffen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.2019, Az.: I - 4 U 90/19).
54
b) Wertpapier-Lebensversicherung mit Beitragsbefreiung im Pflegefall, Vers.-Nr. 03 737 353-3 aa)
55
Der mit Schreiben der Klägerin vom 23.10.2018 erfolgte Widerspruch wurde erst über 19 Jahre nach Beginn des Versicherungsvertrags erklärt, so dass das Zeitmoment für eine Verwirkung gegeben ist. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 25 U 3878/19).
56
bb) Auch das Umstandsmoment ist vorliegend unter Berücksichtigung und Würdigung folgender vertraglicher Besonderheiten gegeben.
57
(1) Der Widerspruch wurde erst über 7 Jahre nach Auszahlung der Versicherungsleistung erklärt.
58
(2) Die Beklagte hatte sich auch offenkundig auf die Durchführung des Vertrages eingerichtet. Sie hat über Jahre hinweg den Versicherungsvertrag verwaltet und mit den Versicherungsbeiträgen gearbeitet. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Rahmen der Anlage von Lebensversicherungsbeiträgen langfristige Anlageentscheidungen getroffen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.2019, Az.: I - 4 U 90/19).
59
c) fondsgebundene Rentenversicherung mit der Vers.-Nr. 03 992 663-6 aa) Der mit Schreiben der Klägerin vom 23.10.2018 erfolgte Widerspruch wurde erst fast 14 Jahre nach Beginn des Versicherungsvertrags erklärt, so dass das Zeitmoment für eine Verwirkung gegeben ist. Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 25 U 3878/19).
60
bb) Auch das Umstandsmoment ist vorliegend unter Berücksichtigung und Würdigung folgender vertraglicher Besonderheiten gegeben.
61
(1) Der Widerspruch wurde erst mehr als 3 Jahre nach Auszahlung der Versicherungsleistung erklärt.
62
(2) Die Klägerin machte ausdrücklich von einem Kapitalwahlrecht Gebrauch.
63
(3) Die Klägerin erhielt einen Betrag von 25.775,00 € ausgezahlt. Da sie Beiträge in Höhe von insgesamt 25.000,00 € eingezahlt hatte, erhielt sie somit einen um 775,00 € höheren Betrag ausbezahlt, als sie eingezahlt hatte.
64
Hat der Versicherungsnehmer ohnehin mit der vertraglichen Ablaufleistung im Ergebnis schon mehr erhalten, als er investiert hat, und zielt sein Vorgehen lediglich auf eine Erhöhung der Rendite ab, ist dieser Gesichtspunkt in die Gesamtbewertung mit einzubeziehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 17.09.2019, Az.: 25 U 3878/19).
65
(4) Die Beklagte hatte sich auch offenkundig auf die Durchführung des Vertrages eingerichtet. Sie hat über Jahre hinweg den Versicherungsvertrag verwaltet und mit den Versicherungsbeiträgen gearbeitet. Zu berücksichtigen ist auch, dass im Rahmen der Anlage von Lebensversicherungsbeiträgen langfristige Anlageentscheidungen getroffen werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.2019, Az.: I - 4 U 90/19).
66
c) Hinsichtlich der Treuwidrigkeit ist bei allen 3 Versicherungsverträgen zusätzlich die neuere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Das Gericht folgt insoweit der überzeugenden Entscheidung des OLG Hamm (Beschluss vom 29.10.2020 - 20 U 142/20).
67
Art. 15 Abs. 1 der RL 90/619 in Verbindung mit Art. 31 der RL 92/96, Art. 35 Abs. 1 der RL 2002/83 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 und Art. 185 Abs. 1 der RL 2009/138 in Verbindung mit deren Art. 186 Abs. 1 erfordern nicht bei jedem Belehrungsfehler ein ewiges Widerspruchsrecht. Vielmehr gilt: „Wird dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, auch wenn diese fehlerhaft ist, nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen.“ (EuGH, Urteil vom 19.12.2019 - C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rn. 79.).
68
Vorliegend wurde der Klägerin durch die angeführten Fehler in den Belehrungen jedenfalls nicht die Möglichkeit genommen, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben.
69
Die Überschriften der jeweiligen Widerspruchsbelehrung im jeweiligen Versicherungsschein mit Ausnahme der aufgeschobenen Rentenversicherung mit der Vers.-Nr. 03 679 001, die allerdings unterstrichen war, waren jeweils durch Fettdruck deutlich hervorgehoben. Auf S. 1 des jeweiligen Versicherungsscheins wurde zusätzlich jeweils auf die Widerspruchsbelehrung auf Seite 2 des jeweiligen Versicherungsscheins hingewiesen.
70
Die Klägerin wurde dadurch, dass die jeweilige Widerspruchsbelehrung jeweils nicht in Fettdruck gehalten war, jedenfalls nicht von einem Widerspruchsrecht abgehalten. Keine der jeweiligen Widerspruchsbelehrungen ist ansonsten inhaltlich fehlerhaft.
71
Die Klägerin hatte auch nach ihren Angaben im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung im Termin vom 08.03.2021 keine der Widerspruchsbelehrungen gelesen.
72
In der Gesamtschau ist nach der vorzunehmenden Wertung die durch die Klägerin erfolgte Ausübung des jeweiligen Widerspruchsrechts daher treuwidrig.
73
3. Da der Klägerin somit kein Anspruch auf Rückerstattung der jeweils gezahlten Versicherungsprämien sowie auf Herausgabe von der Beklagten gezogener Nutzungen zusteht, kann dahinstehen, ob die Anspruchsberechnung der Klägerin richtig ist.
74
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch der Klägerin auf die geltend gemachten Zinsen sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
75
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
76
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Verkündet am 29.03.2021