Titel:
Erteilung/Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis
Normenketten:
AufenthG § 25 Abs. 4 S. 2, Abs. 5, § 60a Abs. 2c
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsatz:
Eine außergewöhnliche Härte iSd § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG besteht nicht schon wegen nachgewiesen zahlreicher Erkrankungen. (Rn. 97) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erfolglose Klage, Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Keine Unmöglichkeit der Ausreise wegen Reiseunfähigkeit, Regelmäßige Reisen ins Heimatland, Kein Faktischer, Inländer, Verschiedene Erkrankungen, Volljähriges Kind im Bundesgebiet, Familie (Ehefrau und Kinder) im Heimatland, Fehlende berufliche Integration, Aufenthaltserlaubnis, Reisefähigkeit, faktischer Inländer, wirtschaftliche Integration, volljähriges Kind, Enkelkind, Erkrankungen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.09.2022 – 10 ZB 21.2728
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57893
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die ihm mit streitgegenständlichem Bescheid der Stadt R. vom 8. Mai 2020 versagt worden ist.
2
Der Kläger ist ägyptischer Staatsangehöriger, geboren am … … … Nach Aktenlage reiste er erstmals Ende September 1982 illegal in das Bundesgebiet ein und wurde in der Folge im selben Monat ausgewiesen und nach Ägypten abgeschoben (Bl. 296, 299ff. der vorgelegten Behördenakte - BA). Im Januar 1986 reiste der Kläger erneut in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag (Bl. 310ff. BA). Diesen Antrag nahm er am 30. März 1987 zurück, nachdem er am … … 1987 die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen hatte (Bl. 379f. BA). Daraufhin wurde dem Kläger auf Antrag (Bl. 383ff. BA) im April 1987 aufgrund der Eheschließung von der zuständigen Ausländerbehörde S. eine bis März 1990 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt (Bl. 393 BA). Aus der Ehe ist ein am … … 1987 geborenes eheliches Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit hervorgegangen (Bl. 34 BA). Im Januar 1988 wurde vom Kläger Antrag auf Scheidung eingereicht (Bl. 477 BA). Die Ehefrau stellte im Februar 1988 Scheidungsantrag (Bl. 519 BA). Das vorläufige Sorgerecht für das gemeinsame Kind wurde im März 1988 der Ehefrau übertragen (Bl. 432 BA).
3
Am 28. Februar 1989 wurde gegenüber dem Kläger aufgrund von Verurteilungen wegen Straftaten von der zwischenzeitlich zuständigen Ausländerbehörde T. eine Ausweisungsverfügung erlassen (Bl. 6ff. BA). Gegen diese ließ der Kläger fristgerecht Widerspruch einlegen und ausführen, dass seine Ehe noch nicht gescheitert sei und er seinen Scheidungsantrag am *. März 1989 selbst zurückgenommen habe (Bl. 477f. BA). Nachdem auch die Ehefrau des Klägers im Juli 1989 gegenüber dem Familiengericht erklären ließ, ihren Scheidungsantrag zurückzunehmen (Bl. 519 BA), wurde der Ausweisungsbescheid im Juli 1989 aufgehoben (Bl. 522 BA) und dem Kläger auf Antrag im Oktober 1989 eine bis Mai 1991 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt (Bl. 534f. BA).
4
Im Juni 1990 wurde der Kläger zur beabsichtigten Ausweisung angehört, nachdem festgestellt worden war, dass sich die Ehefrau mit dem gemeinsamen Kind A. M. 1990 nach K. abgemeldet hatte (Bl. 547 BA). Der Kläger reiste wohl anschließend nach Ägypten aus.
5
Nach Wiedereinreise mit Visum im August 1991 wurde dem Kläger auf Antrag eine weitere, bis August 1994 befristete, Aufenthaltserlaubnis erteilt, da die Ehefrau erklärt hatte, dass die Eheprobleme ausgeräumt seien (Bl. 555ff., 565 ff. BA).
6
Im Rahmen der Prüfung des vom Kläger im August 1994 gestellten Verlängerungsantrages (Bl. 50f. BA) wurde festgestellt, dass der Kläger und seine Ehefrau zwischenzeitlich getrennt leben (Bl. 34, 78 BA); der Kläger erhielt daher vorerst lediglich eine Fiktionsbescheinigung (Bl. 74 BA).
7
Im Dezember 1994 bzw. Februar 1995 beantragte der Kläger ein „unbefristetes Aufenthaltsrecht“ zu Studien-/Familienzwecken (Bl. 80, 92f. BA). Aufgrund der Zweifel am Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft erhielt er zur Schaffung der Voraussetzungen für eine „unbefristete Aufenthaltserlaubnis“ im Februar 1995 eine bis Februar 1996 befristete Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltserlaubnis nach § 15 AuslG (Bl. 93, 104f. BA).
8
Aufgrund der Bestätigung weiterhin bestehender ehelicher Lebensgemeinschaft durch die Ehefrau des Klägers wurde diesem auf seinen im Januar 1996 gestellten Antrag hin im Februar 1996 eine Aufenthaltserlaubnis befristet bis Januar 1998 erteilt (Bl. 114f. BA). Die Ehe wurde im Juli 1997 durch Urteil geschieden und das Sorgerecht für das gemeinsame Kind der Mutter übertragen (Bl. 136ff., 1087ff. BA).
9
Im Januar 1998 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Bl. 141, 1079f BA). Nachdem auf anschließenden Antrag des Klägers das Sorgerecht für das gemeinsame Kind im Oktober 1998 auf beide Eltern gemeinsam übertragen wurde (Bl. 136 BA) und das Kind nach ursprünglicher Aufenthaltsortbestimmung bei der Mutter (Bl. 136 BA) seit April 1999 beim Kläger wohnhaft wurde (Bl. 143, 258 BA), wurde dem Kläger im Mai 1999 zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis befristet bis Mai 2002 erteilt (Bl. 146 BA).
10
Im August 1999 heiratete der Kläger in seinem ägyptischen Geburtsort eine ebenfalls dort geborene und wohnhafte Ägypterin (Bl. 168, 1346ff. BA). Im August/September 1999 wurde ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die - nicht nach Deutschland eingereiste - 2. Ehefrau des Klägers zwecks Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft gestellt (Bl. 1340ff., 1368 BA), der nach Prüfung im Oktober 1999 an das zuständige Generalkonsulat weitergeleitet wurde (Bl. 1372f., 1377 BA). Im Mai/Juni 2000 reiste der Kläger mit Einverständnis der geschiedenen deutschen Ehefrau zusammen mit dem gemeinsamen Kind nach Ägypten aus (Bl. 186 BA), hielt sich aber im September/Oktober 2000 kurzzeitig in Deutschland auf (Bl. 198 BA). Im Januar 2001 reiste er nach Dafürhalten der Ausländerbehörde T. „offensichtlich mit seinem deutschen Kind“ wieder ins Bundesgebiet ein (Bl. 193, 195, 199 BA).
11
Im Mai 2002 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (Bl. 206f. BA). Im Rahmen einer Vorsprache führte er aus, dass er sich seit ca. Juli 2001 mit seinem Sohn teilweise in Ägypten aufhalte, teilweise jedoch auch in Deutschland aufhältig sei, woraufhin ihm die beantragte Aufenthaltserlaubnis befristet bis Mai 2005 erteilt wurde (Bl. 206f., 223 BA).
12
Im August 2004 beantragte der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis (Bl. 234f. BA). Die Eintragungen im Bundeszentralregister waren zu diesem Zeitpunkt bei Straffreiheit erst im November 2015 tilgungsreif (Bl. 237 BA).
13
Ende April 2005 beantragte der Kläger die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, welche befristet bis Mai 2008 erteilt wurde (Bl. 245f. BA).
14
Im Mai 2007 wurde der Ausländerbehörde T. durch ein Strafverfahren bekannt, dass die ägyptische Ehefrau des Klägers mit 3 aus dieser Ehe hervorgegangenen Kindern in Ägypten wohnt, das deutsche Kind zwischenzeitlich bei seiner Mutter lebt, sich aber derzeit in Haft in einer Jugendstrafanstalt befindet und sich das deutsche Kind von J. 2001 bis Juni 2004 ununterbrochen in Ägypten aufgehalten hat, ohne auch nur einmal besuchsweise nach Deutschland gekommen zu sein, sowie sich auch der Kläger während dieses Zeitraums überwiegend in Ägypten aufgehalten hat, allerdings gelegentlich nach Deutschland kam (Bl. 253ff. BA).
15
Anfang Mai 2008 beantragte der Kläger die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Bl. 598ff. BA). Im Rahmen der Antragsprüfung teilte er Ende Mai 2008 mit, dass er im Juli 2006 zu Urlaubszwecken nach Ägypten geflogen sei; im September 2006 sein großer Bruder dort verstorben sei; er sich im April 2007 in Kairo einer großen Operation unterzogen habe und nicht mehr habe fliegen dürfen. Im April 2008 sei er nach Deutschland zurückgekommen. Für eine 2. Operation in Deutschland brauche er schnellstmöglich einen Aufenthaltstitel (Bl. 618 BA). Laut undatiertem ärztlichen Attest der Universität Kairo wurden beim Kläger am 3. April 2007 aufgrund einer diagnostizierten akuten Aortendissektion drei Viertel des Aortenbogens und die aufsteigende Aorta sowie der nicht koronare Sinus operativ ersetzt; der Patient sei nach komplikationslosem Verlauf in gutem Allgemeinzustand entlassen worden (Bl. 620 BA). Laut vom August 2008 wurden beim ärztlichem Bericht des Universitätsklinikums H* Kläger eine gute linksventrikuläre Pumpfunktion, Ektasia des Aortenbulbus, erweiterter Aortenbogen und leichtgradige Aorteninsuffizienz diagnostiziert; die Vorstellung erfolgte zur kardiologischen Abklärung einer geplanten linksseitigen Aortenrekonstruktion; der Kläger gebe kardiale Beschwerdefreiheit an; der Kläger habe sich noch nicht entschieden, ob er sich überhaupt einer Operation unterziehen möchte (Bl. 688ff. BA). Im November 2008 wurde der Kläger aufgefordert, Nachweise zur angegebenen dringenden Operation vorzulegen (Bl. 635 BA).
16
Im Dezember 2008 wurde er zur beabsichtigten Ablehnung seines Antrags, zur beabsichtigten Ausreiseaufforderung und zur beabsichtigten Abschiebung nach Ägypten angehört (Bl. 636f. BA). Im Rahmen einer Vorsprache erklärte der Kläger im Dezember 2008, dass bei der endgültigen Entscheidung über seinen Antrag seine gesundheitliche Situation unberücksichtigt bleiben solle; er könne auch in Ägypten gut behandelt werden; er wolle die Entscheidung nur unter dem Gesichtspunkt seines bisherigen Aufenthaltes und seiner Beziehung zu seinem Sohn getroffen haben (Bl. 641 BA). In mehreren Schreiben des Bevollmächtigten des Klägers wurde der gesundheitlichen Situation des Klägers keine der Antragsverbescheidung zukommende Relevanz beigemessen (Bl. 638, 645f., 649f. BA). Im April 2009 wurde der Kläger unter Ablehnung seines Antrages zur Ausreise aufgefordert, andernfalls die Abschiebung angedroht (Bl. 783ff. BA). Im März 2009 hatte sich der Kläger jedoch nach Ägypten abgemeldet (Bl. 676 BA).
17
Der Kläger reiste im September 2009 illegal wieder in das Bundesgebiet ein (Bl. 676 BA). Sein Aufenthalt wurde in der Folgezeit geduldet, da er geltend gemacht hatte, dass eine Rückkehr nach Ägypten aus medizinischen Gründen nicht möglich sei (Bl. 676 BA). Laut eingeholter amtsärztlicher Stellungnahme vom Februar 2010 bestehe beim Kläger nach dem operativen Aortenbogenersatz in Ägypten unverändert eine Aortenbogenerweiterung mit Dissektion und als Nebendiagnosen u.a. eine arterielle Hypertonie. Aufgrund der objektivierbaren Befunde und auch nach subjektiver Einschätzung des Klägers bestünden amtsärztlicherseits aktuell keine Hindernisse gegen eine Flug-/Rückreise nach Ägypten (Bl. 703 BA). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verneinte im März 2010 das Vorliegen eines medizinischen Abschiebeverbotes im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG; die erteilte Duldung wurde daraufhin im März 2010 widerrufen und der Kläger zur Ausreise aufgefordert, andernfalls die Abschiebung angedroht (Bl. 720, 728ff. BA).
18
In der Folgezeit ließ der Kläger durch einen Bevollmächtigten im Mai 2010 erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragen (Bl. 803f. BA), zu dessen Ablehnung die Ausländerbehörde T. im Juni 2010 anhörte bzw. zur Geltendmachung von Erteilungsbelangen aufforderte (Bl. 807f. BA). Wohl im Juni 2010 stellte der Kläger beim Standesamt T. den Antrag auf Eintragung einer Lebenspartnerschaft mit einem deutschen Staatsbürger (Bl. 816 BA), der nach Aktenlage im Weiteren nicht weiterverfolgt wurde.
19
Am 24. Juni 2010 wurde nach Aktenlage vom Kläger beim BAMF ein Antrag gestellt, der auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen gerichtet war; zeitgleich wurde ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht T. mit dem Ziel eingereicht, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, die Mitteilung gemäß § 71 Abs. 7 Asylverfahrensgesetz zu unterlassen (Bl. 895, 1876ff. BA). Dieser Antrag wurde am 9. Juli 2010 mit gerichtlichem Beschluss aufgrund mangelnden Rechtsschutzinteresses abgelehnt (Bl. 887f. BA). Bereits am 23. Juni 2010 hatte der Kläger beim Verwaltungsgericht T. zudem einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, die Ausländerbehörde T. zu verpflichten, von aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzusehen und bis auf weiteres eine Duldung zu erteilen (Bl. 829ff. BA). Dieser Antrag wurde am 30. Juni 2010 mit gerichtlichem Beschluss wegen fehlender Passivlegitimation der Ausländerbehörde T. abgelehnt, da nicht erkennbar sei, dass rechtzeitiger Rechtsschutz für die Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG gegenüber dem BAMF nicht mehr erreicht werden könne (Bl. 1876ff. BA).
20
Ende Juli 2010 beantragte die neue Bevollmächtigte des Klägers bei der Ausländerbehörde T. erneut eine Aufenthaltserlaubnis (Bl. 913f. BA) und stellte am 23. Juli 2010 unter Berufung auf Art. 8 EMRK und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse erneut einen Anordnungsantrag beim Verwaltungsgericht T., die Ausländerbehörde T. zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen und dem Kläger eine Duldung zu erteilen (Bl. 924ff. BA); eine nachgereichte ärztliche Bescheinigung vom Juli 2010 attestierte im Falle von Aufregung das Risiko eines erneuten lebensbedrohlichen Reißens der Hauptschlagader (Bl. 932 BA). Dieser Antrag wurde am 6. August 2010 wegen Fehlens der Glaubhaftmachung eines Anspruchs abgelehnt (Bl. 937ff. BA). Gegen die ablehnende gerichtliche Entscheidung ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte am … August 2010 beim Oberverwaltungsgericht R. Beschwerde einreichen (Bl. 945ff. BA). In einer von der Ausländerbehörde T. erneut eingeholten amtsärztlichen Stellungnahme wurde im September 2010 ausgeführt, dass zwar aus flugphysiologischer Sicht keine Einwände gegen einen Rückflug ins Heimatland bestünden; aufgrund stressinduzierter Blutdrucküberhöhung bei zwangsweisen Maßnahmen aber jederzeit eine erhöhte Gefährdung des Klägers gegeben sei. Infolge der dann erforderlichen komplexen Diagnostik und ggf. Behandlung werde die Durchführung einer Abschiebung mittels Flugzeug für nicht durchführbar gehalten (Bl. 972ff. BA). Die Ausländerbehörde T. erklärte sich im September 2010 infolge der Einschätzung des Gesundheitsamtes bereit, aufgrund des dadurch langfristig bestehenden Abschiebungshindernisses eine Duldung zu erteilen (Bl. 991 BA). Die Klägerbevollmächtigte erklärte daraufhin am *. Oktober 2010 gegenüber dem Oberverwaltungsgericht R. den Rechtsstreit für erledigt (Bl. 1892f. BA).
21
Im Oktober 2010 lehnte die Stadt T. den Antrag auf Erteilung der beantragten Auf enthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab, da dem Kläger die freiwillige Ausreise ausweislich der ärztlichen Atteste, die die Flugreisetauglichkeit bestätigten, möglich sei; lediglich die zwangsweise Durchsetzung der Ausreiseverpflichtung könne zu gesundheitlichen Komplikationen führen. Aufgrund des bestehenden Vollzugshindernisses werde der Aufenthalt des Klägers jedoch geduldet (Bl. 1011ff. BA). Gegen den Ablehnungsbescheid wurde von der Klägerbevollmächtigten am … Februar 2011, nachdem über den im Oktober 2010 eingelegten Widerspruch nicht entschieden worden war, unter Berufung auf Art. 8 EMRK und die Unzumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise Klage eingereicht und zugleich beantragt, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten zu gewähren (Bl. 1129ff. BA). Gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des VG T. vom 25. März 2011 (Bl. 1911ff. BA) ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigte am *. April 2011 Beschwerde einlegen (Bl. 1147ff. BA). Diese wurde vom Oberverwaltungsgericht R. mit Beschluss vom 19. Juli 2011 zurückgewiesen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, da es überwiegend wahrscheinlich sei, dass die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Ein inlandsbezogenes Abschiebungsverbot durch das Bestehen einer Gefahr der lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führe nicht ausnahmslos zur Unzumutbarkeit bzw. Unmöglichkeit auch einer freiwilligen Ausreise. Überwiegendes spreche dafür, dass ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot aufgrund fehlender Möglichkeit ärztlicher und medikamentöser Behandlung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers in Ägypten nicht vorliege. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass eine Abschiebung auch keinen im Sinne des Art. 8 EMRK unverhältnismäßigen Eingriff in den klägerischen Anspruch auf Achtung der Privatsphäre darstelle (Bl. 1575ff. BA).
22
Im August 2011 verzog der Kläger in den Landkreis B., R. (Bl. 1477 BA).
23
Die Klage gegen die Ablehnung der beantragten Aufenthaltserlaubnis wurde am 20. Oktober 2011 insbesondere unter Verweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts R. vom 19. Juli 2011 abgewiesen (Blatt 1262ff. BA).
24
Im November 2011 erkundigte sich der Kläger bei der Ausländerbehörde B., ob die von ihm begehrte Aufenthaltserlaubnis von der hiesigen Behörde erteilt werden könne oder ob er gegen das Urteil in Berufung gehen solle. Er gab dabei an, dass er noch vier Kinder in Ägypten habe, welche er unbedingt wiedersehen wolle; er werde auch nach Ägypten fliegen, sobald er eine Aufenthaltserlaubnis habe. Die Ausländerbehörde erläuterte dem Kläger ablehnend die Sach- und Rechtslage (Bl. 1477 BA). Nachfolgend ließ der Kläger am … bzw. … November 2011 durch einen anderen Bevollmächtigten gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Berufung stellen (Bl. 1278 BA), welcher am 23. Januar 2012 vom Oberverwaltungsgericht R. abgelehnt wurde. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen danach keine ernstlichen Zweifel, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG habe, weil auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufungszulassungsbegründung nicht davon ausgegangen werden könne, dass ihm eine freiwillige Ausreise nach Ägypten unmöglich ist (Bl. 1328ff. BA).
25
Im März 2011 erkundigte sich der Kläger bei der Ausländerbehörde B. nach der Höhe der Förderung im Falle einer freiwilligen Ausreise; er beabsichtige in Alexandria, Ägypten, zu wohnen und dort einen Laden für Elektroartikel zu eröffnen (Bl. 1548 BA). Bei einem persönlichen Gespräch im April 2011 teilte der Kläger mit, dass er unter einer Fördersumme von 30.000 EUR nicht bereit sei, freiwillig auszureisen (Bl. 1551 BA).
26
Im Juni 2012 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde B. unter Vorlage weiterer ärztlicher Bescheinigungen einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (Bl. 1605ff. BA), dessen Prüfung von der Ausländerbehörde im Juni 2012 unter Verweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts R. vom 19. Juli 2011 abgelehnt wurde (Bl. 1612 BA).
27
Im September 2012 ließ der Kläger über den Bürgerbeauftragten des Landes R. bei der Ausländerbehörde B. anfragen, ob ihm zur Aufnahme eines Soziologiestudiums an der Universität T. eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne (Bl. 1622 BA). Diese Anfrage wurde von der Ausländerbehörde nach Prüfung gegenüber dem Bürgerbeauftragten beim Landtag R. im September 2012 abschlägig beantwortet (Bl. 1655ff. BA); der Landtag kam im Januar 2013 zu dem Ergebnis, dass der Eingabe des Klägers nicht abgeholfen werden könne (Bl. 1730 BA).
28
Im September 2012 übermittelte das Klinikum M. … … an das Klinikum N. … mit der Bitte um Stellungnahme sechs turnusmäßige ärztliche Verlaufskontrollberichte (November 2008, Dezember 2009, März 2010, September 2010, September 2011, September 2012) zum Zustand des Klägers nach seiner Aortadissektion im April 2007. Die ersten fünf Kontrollberichte bestätigten jeweils einen gegenüber der Voruntersuchung unveränderten Befund bzw. im Bericht vom September 2012 eine geringe Befundverschlechterung mit geringer Kaliberzunahme von 2-3 mm (Bl. 1662ff. BA).
29
Im November 2012 übermittelte das Klinikum M. … … an das Brüderkrankenhaus in T. einen ärztlichen Bericht über die eintägige stationäre Behandlung des Klägers zur präoperativen Vorbereitung einer Aneurysma-Ausschaltung. Von 2007 bis 2009 sei der Aortenaneurysma-Durchmesser stabil bei 5,5 cm gewesen. Ab 2009 habe die Größe zugenommen; es sei über eine OP nachgedacht worden. Der Durchmesser liege jetzt bei 7 cm Durchmesser, es sei jetzt eine Aneurysma-Ausschaltung geplant. Wie telefonisch vereinbart, werde der Patient zur präoperativen Koronarangiographie verlegt (Bl. 1715f. BA). Im Dezember 2012 bestätigte das Universitätsklinikum A. dem Kläger auf Wunsch, dass ein OP-Termin für den 23. Januar 2013 vereinbart sei (Bl. 1723 BA).
Mit Schreiben vom 17. Januar 2013 wandte sich der Kläger an die vormals für ihn zuständige Ausländerbehörde T. und bat unter Bezugnahme auf ein persönliches Gespräch im Jahr 2008 bei dem ihm gesagt worden sei, „dass im Falle einer 2. Herzoperation die Möglichkeit besteht, einen humanitären Aufenthalt zu erlangen“, um einen Gesprächstermin „sowie um Unterstützung und Hilfe bei dem hierzu notwendigen Verfahren“. Für die 2. Operation sei ein Termin für den 23. Januar 2013 vereinbart worden; der Aortenaneurysma-Durchmesser habe sich erheblich erweitert (Bl. 1725 BA). Unter Verweis auf die zwischenzeitliche Zuständigkeit der Ausländerbehörde B. wurde der Kläger am 29. Januar 2013 darüber informiert, dass sein Schreiben an diese Ausländerbehörde weitergeleitet werde (Bl. 1729 BA).
30
Am 23. Mai 2013 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde B. unter Vorlage weiterer ärztlicher Bescheinigungen erneut eine Aufenthaltserlaubnis und gab im Antragsformular an, „nächste OP in A. Ende Mai 2013“ (Bl. 1739ff. BA). Die Antragsprüfung wurde von der Ausländerbehörde am 17. Juni 2013 erneut unter Verweis auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts R. vom 19. Juli 2011 und das Nichtvorliegen einer geänderten Sachlage abgelehnt (Bl. 1758f. BA).
31
Laut Operationsbericht des Universitätsklinikums A. vom 31. Mai 2013 wurde der Kläger am 29. Mai 2013 wie geplant operiert und ihm eine Rohrprothese ab linker Carotis und Subclavia bis an die Viszeral- und Nierengefäße eingesetzt (Blatt 1780f. BA). Laut weiterem Operationsbericht des Universitätsklinikums A. vom 11. Juni 2013 wurde der Kläger am 8. Juni 2013 aufgrund eines mechanischen Dünndarmverschlusses bei Einklemmung des Darmes an der Bauchwand erneut operiert (Blatt 1778f. BA). Am 3. Juli 2013 teilte der Kläger mit, dass er sich seit dem 27. Juni 2013 zur Rehabilitation in der E.-Klinik M., N., befände (Bl. 1760 BA).
32
Im Oktober 2013 zog der Kläger wieder in den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde T. (Bl. 1771, 1784 BA). Im November 2013 bat die Ausländerbehörde T. um erneute amtsärztliche Untersuchung des Klägers und um Prüfung, ob aus medizinischer Sicht mittlerweile ein dauerhaftes Ausreisehindernis vorliege (Bl. 1775f. BA). Nach Untersuchung des Klägers im Januar 2014 teilte das zuständige Gesundheitsamt im Januar 2014 mit, dass infolge gegenwärtig geäußerter belastungsabhängiger thorakaler Beschwerden bei zwischenzeitlich nicht erfolgter kardiologischer Kontrolluntersuchung aus amtsärztlicher Sicht keine weitere Beurteilung bezüglich des Vorliegens dauerhafter Ausreisehindernisse möglich sei (Bl. 1420 BA). Der Kläger stellte am 24. März 2014 einen Antrag auf Niederlassungserlaubnis wobei er als Zweck des weiteren Aufenthalts „humanitäre Gründe - siehe Atteste“ angab (Bl. 1993f. BA).
33
Im Antragsformular wurde als Gültigkeitsdatum des Reisepasses der 16. Juni 2014 angegeben; laut handschriftlichem Vermerk solle der neue Pass in Ägypten gemacht werden (Bl. 1993f. BA). Im beigefügten ärztlichen Bericht des medizinischen Versorgungszentrums der B. … T. vom 10. März 2014 wird ausgeführt, dass beim Kläger eine u.a. eine linksventrikuläre Hypertrophie mit diastolischer Funktionsstörung und eine Aortenklappeninsuffizienz (ohne hämodynamische Relevanz) vorliege. Jedoch dürfte der Zwerchfellhochstand links am ehesten die Ursache der bestehenden Atembeschwerden sein. Eine Änderung des Zustandes nach der umfangreichen Operation des Aortenaneurysmas sei bezüglich des Zwerchfellhochstandes eher nicht zu erwarten; empfohlen wurde eine weitere echokardiographische Verlaufskontrolle zunächst in sechs Monaten (Bl. 1990 BA).
34
Im beigefügten ärztlichen Attest des Uniklinikums A. vom 11. März 2014 wird ausgeführt, dass sich der Kläger nach der Operation im Mai 2013 und zwei nachfolgenden Operationen wegen Bauchproblemen in einem akzeptablen Allgemeinzustand befinde. Die komplexe Aortenpathologie benötige eine lebenslange Kontrolle. Weil diese Erkrankung spezifische Expertisen notwendig mache, sei es wichtig, dass der Kläger innerhalb kürzerer Zeit bei Notfällen behandelt werden könne. Diese Situation sei in Deutschland garantiert (Bl. 1991 BA).
35
Im Vermerk des Ausländeramts T. vom 24. März 2014 zur Prüfung der Sach- und Rechtslage wurden die eine Ablehnung des Antrags tragenden Gründe dargelegt (Bl. 1982ff. BA). In der Bewertung wurde dennoch vorgeschlagen, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zunächst als Aufkleber bis zum Passablauf zu erteilen, sobald ein neuer Pass vorliege, solle die AE um drei Jahre verlängert werden; angefügt wurde ein handschriftlicher Vermerk „AE wurde auf Anweisung des Amtsleiters erteilt!“ (Bl. 1987 BA). In einer behördeninternen Korrespondenz verweist der Amtsleiter darauf, der Fall des Klägers sei von einer gewissen Atypik geprägt. Letztlich sei er faktischer Inländer und dauerhaft nicht abschiebbar. Es mache daher wenig Sinn, ihn dauerhaft in der Duldung zu halten. Dabei gewinne keiner etwas (Bl. 1992 BA). In der Folge wurde den Kläger am 25. März 2014 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG befristet bis 16. Juni 2014 erteilt; auf der Verfügung ist vermerkt „Ausnahmefall wegen Passablauf“; eine der Verfügung angefügte Information wurde vom Kläger am 26. März 2014 unterschrieben (Bl. 1995f. BA). Laut Nachricht der Meldebehörde vom 28. April 2014 hatte der Kläger bereits am 28. Februar 2014 seinen Wohnsitz wieder im Landkreis B. angemeldet (Bl. 2028 BA).
36
Mit Schreiben vom 28. März 2014 ließ der Kläger über einen neuen Bevollmächtigten dem Ausländeramt T. mitteilen, dass er beabsichtige, in Kürze für eine Dauer von ca. drei Wochen nach Ägypten zu reisen, um sich dort einen neuen Pass ausstellen zu lassen und dann wieder nach Deutschland zurückzukehren. Es wurde nachgefragt, ob von Seiten der Ausländerbehörde insoweit Bedenken bestünden (Bl. 1434f. BA). Die Ausländerbehörde T. teilte Anfang April 2014 mit, dass innerhalb der Gültigkeitsdauer der erteilten Aufenthaltsdauer die Einreise in das Bundesgebiet möglich sei (Bl. 1437 BA).
37
Am 10. Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde B. die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis sowie die Erstellung eines elektronischen Aufenthaltstitels; ausweislich des Antragsformulars wurde die Aufenthaltserlaubnis am selben Tag mit Ausstellungsdatum 10. Juni 2014 bis 25. März 2017 verlängert (Bl. 2033ff. BA). Die Vorlage/Prüfung von Nachweisen zum Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen ist den Behördenakten nicht zu entnehmen.
38
Im Januar 2015 meldete der Kläger seinen Wohnsitz in W., Landkreis R., an (Bl. 2046 BA). Im September 2015 zog er nach T., Landkreis P. (Bl. 2059ff. BA).
39
Im April 2016 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde P. die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Bl. 2090 BA). Die Ausländerbehörde forderte mit Schreiben vom Januar 2017 Unterlagen zum Nachweis der für 60 Monate gezahlten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nach (Bl. 2103 BA). Die erforderlichen Nachweise konnten nicht vollständig vorgelegt werden (Bl. 2114 BA); das Antragsverfahren wurde laut Aktenlage nicht weiterbetrieben.
40
Am 13. März 2017 beantragte der Kläger bei der Ausländerbehörde P. die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, welche ihm laut Aktenlage am selben Tag durch Bestellung bei der Bundesdruckerei mit Ausstellungsdatum 13. März 2017 befristet bis 25. März 2020 erteilt wurde (Bl. 2125ff. BA). Die Vorlage/Prüfung von Nachweisen zum Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen ist den Behördenakten nicht zu entnehmen.
41
Im November 2017 meldete der Kläger seinen Wohnsitz in der Stadt R. an (Bl. 2141 BA); ebenfalls im November 2017 erging die Nachricht der Meldebehörde, dass der Kläger bereits im März 2000 erneut geheiratet hat (Bl. 2149 BA).
42
Im Mai/Juni 2018 wurde von der Meldebehörde mitgeteilt, dass der Kläger zum 1. Februar 2018 nach unbekannt abgemeldet und zum 1. Juni 2018 wieder angemeldet worden ist (Bl. 2159, 2160 BA).
43
Am 11. März 2020 stellte er bei der Ausländerbehörde R. einen Antrag auf Erteilung/Verlängerung seines Aufenthaltstitels (Bl. 2187ff. BA). Ausweislich der Angaben zu Familienangehörigen ist der Kläger mit einer in seinem Geburtsort wohnhaften ägyptischen Staatsangehörigen verheiratet (namentlich nicht mit der 1999 geheirateten ägyptischen Staatsangehörigen identisch). Angegeben wurden vier Kinder (geboren 2002, 2004, 2005, 2006; jeweils wohnhaft im Geburtsort des Klägers in Ägypten); das deutsche Kind (geboren 1987) wurde nicht aufgeführt (Bl. 2188 BA). Die Fragen zur Verurteilung wegen Rechtsverstößen, zu bereits erfolgten Ausweisungen oder Abschiebungen sowie zur Ablehnung von Anträgen auf einen Aufenthaltstitel wurden verneint (Bl. 2188 BA). Als Zweck des Aufenthalts wurde angegeben „§§ 25 Abs. 5 hier ist mein Lebensmittelpunkt“; zur beabsichtigten Dauer des Aufenthalts wurde „unbefristet“ angegeben (Bl. 2189 BA); zur Gültigkeit des Reisepasses wurde angegeben „ausgestellt am: 15.02.2020“ sowie „gültig bis: 14.02.27“ (Bl. 2187 BA). Nach Aktenlage wurden bei der Antragstellung keine ärztlichen Nachweise vorgelegt.
44
Im Rahmen einer Vorsprache am 12. März 2020 wurden vom Kläger zu 14 Grenzkontrollstempeln in seinem wohl vormaligen Reisepass (gültig vom 29. Mai 2014 bis 28. Mai 2021) folgende Angaben gemacht: „Ausweislich der Grenzkontrollstempel war ich vom 4. Januar 2018 bis 16. Mai 2018, vom 2. Juni 2019 bis 15. Juli 2019 und vom 6. Februar 2020 bis 5. März 2020 in Ägypten. Als ich im Januar 2018 nach Ägypten flog, wollte ich meine Familie besuchen. Ich wurde in Ägypten krank und konnte nicht nach Deutschland fliegen; teilweise war ich bei meiner Familie, teils im Krankenhaus. Seit Mai 2018 bin ich wieder in Deutschland und bekomme zwischenzeitlich wieder Leistungen vom Jobcenter“ (Bl. 2194f. BA).
45
Mit Schreiben vom 13. März 2020 wurde der Kläger zur beabsichtigten Antragsablehnung, zur Ausreiseaufforderung und zur Abschiebungsandrohung angehört (Bl. 2241f. BA).
46
Mit Schriftsatz vom … März 2020 ließ der Kläger von einem Bevollmächtigten gegenüber der Ausländerbehörde nach Akteneinsicht wie folgt Stellung nehmen. Beim Kläger handle es sich um einen faktischen Inländer, zumal er bereits als Minderjähriger eine Aufenthaltserlaubnis hatte. Gemäß dem Attest des Uniklinikums A. vom 11. März 2014 (Bl. 1991 BA) benötige die komplexe Aortenpathologie eine lebenslange Kontrolle. Grund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei gewesen, dass diese medizinische Betreuung in Deutschland, jedoch nicht in Ägypten gewährleistet sei. Eine wesentliche Änderung, die Veranlassung gäbe, die Aufenthaltserlaubnis nicht mehr zu verlängern, sei nicht eingetreten. Dies lasse sich bereits daraus ersehen, dass der Grad der Behinderung von seinerzeit 30 zum Zeitpunkt der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sich mittlerweile auf 50 erhöht habe (Bl. 2255 BA).
47
Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 8. Mai 2020, dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers ausweislich der Empfangsbestätigung vom 11. Mai 2020 (Bl. 2290 BA) zugegangen, lehnte die Ausländerbehörde R. den klägerischen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte ihn auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bescheidsbekanntgabe zu verlassen (Ziff. 2); andernfalls wurde die Abschiebung angedroht (Ziff. 3). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dem Kläger sei die Ausreise nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich. Er habe sich allein in den letzten 3 Jahren mehrmals, zuletzt vom 6. Februar 2020 bis 5. März 2020, freiwillig in sein Heimatland begeben und sei somit ausgereist. Damit habe er selbst widerlegt, dass er eben nicht wegen der vormaligen Erkrankung/Operation im Jahr 2014 und deren Nachbehandlung im Bundesgebiet bleiben müsse. Tatsächlich sei der Kläger bereits kurz nach der ersten Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Ägypten geflogen. In Anbetracht der ganzen Aus- und Einreisen zwischen 2014 und 2020 bzw. den summierten Aufenthaltszeiten in Ägypten, welche allein seit 2017 ca. acht Monate betragen, stelle sich auch nicht mehr die Frage, ob der Kläger im Notfall oder allgemein in Ägypten adäquat versorgt werden könne. Die ärztliche Versorgung dort sei aber auch gesichert, wofür bereits die ärztliche Behandlung im Jahr 2018 in einem ägyptischen Krankenhaus spreche. Auf die Stellungnahme der Beklagten im Übrigen wird Bezug genommen.
48
Am … Mai 2020 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht München zur Niederschrift des Urkundsbeamten Klage mit dem Ziel, unter Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids die Beklagte zu verpflichten, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragte er hinsichtlich der Abschiebungsanordnung (wohl Abschiebungsandrohung) die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen (M 24 S 20.2310). Zugleich beantragte er in beiden Verfahren, Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten zu bewilligen.
49
Zur Begründung der Klage und des Antrags führte der Kläger aus, er sei lediglich dreimal in Ägypten gewesen; einmal aufgrund eines Sterbefalls, einmal aufgrund Krankheit der Mutter und einmal auf Kurzurlaub, dieser habe sich jedoch aufgrund seiner geboren. Er selbst Krankheit verlängert. Am 22. Juni 2013 sei sein Enkelsohn in T sei in Deutschland verwurzelt. Aufgrund seiner Gesundheit, seines Alters und des Migrationshintergrunds sei es schwer, Arbeit zu finden, um die er sich dennoch bemühe. Beigefügt waren neben Stellenbewerbungsunterlagen, einem Schwerbehindertenausweis mit Grad der Behinderung von 50 (gültig bis Dezember 2015) insbesondere folgende aus der weiteren Vergangenheit datierende ärztliche Bescheinigungen: Operationsbericht des Universitätsklinikums A. vom 31. Mai 2013 (Bl. 1780f. BA), Operationsbericht des Universitätsklinikums A. vom 11. Juni 2013 (Bl. 1778f. BA), Amtsärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Landkreises T.-S. vom 13. Januar 2014 (vgl. Bl. 1420 BA), Stellungnahme des Uniklinikums A. vom 11. März 2014 (vgl. Bl. 1991 BA). Des Weiteren beigefügt wurde die Übersetzung eines medizinischen Berichts eines wohl ägyptischen Facharztes für kardiovaskuläre Erkrankungen vom 1. April 2018, wonach der Kläger unter einem instabilen Myokardinfarkt mit einem Versagen der Herzfunktionen und Kongregation der beiden Lungen gelitten habe. Empfohlen wurde „medizinische Behandlung mit der ganzen Ruhe für einen Monat; überdies in dieser Dauer mit der Verwendung eines Flugzeugs nicht zu reisen“. Laut ärztlichem Attest eines R. Internisten/Angiologen vom 30. April 2019 zeige sich beim Kläger ohne wertbare Änderung im Verlauf eine deutliche Atherosklerose der supraaortalen Arterien. Eine Dissektion, ein Strombahnhindernis oder eine sonstige Gefäßanomalie als Ursache der rechtsseitigen Halsbeschwerden ließen sich nicht nachweisen. Zur Vorbeugung einer weiteren Progression der Atherosklerose sei nochmals die Notwendigkeit einer Nikotinkarenz besprochen worden. Die übrigen kardiovaskulären Risikofaktoren sollten ganz besonders konsequent eingestellt (u.a. LDL-Cholesterin) und die Thrombozytenfunktionshemmung langfristig beibehalten werden. Stabilen klinischen Verlauf vorausgesetzt wurde um abermalige Kontrolluntersuchung in etwa zwei Jahren gebeten. Laut ärztlicher Bescheinigung des Universitätsklinikums A. vom 20. Mai 2020 ist der Kläger ein multimorbider Patient mit verschiedenen Erkrankungen. Die sehr komplexe arterielle Pathologie brauche eine adäquate und langfristige Kontrolle. Vor allem, wenn es um weitere Interventionen gehe, sei eine hochwertige medizinische Unterstützung notwendig. Laut ärztlichem Attest einer R** Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 25. Mai 2020 müsse in Folge der krankheitsbedingten Vorgeschichte des Klägers ein allgemein eingeschränkter Gesundheitszustand mit reduzierter körperlicher Kraft und Ausdauermangel festgestellt werden, ebenso sei die psychische Verfassung des Klägers phasenweise schlecht, zum Teil mit depressiven Episoden einhergehend. Insbesondere in der letzten Zeit sei es zu schwankenden Blutdruckwerten mit hypertensiven Krisen begleitet von psychischer Instabilität gekommen, was durchaus im Zusammenhang mit einer eventuell bevorstehenden Abschiebung aus Deutschland gesehen werden müsse.
50
Am 2. Juni 2020 ging die klägerische Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe vom 27. Mai 2020 beim Verwaltungsgericht München ein. Beigefügt war ein Leistungsbescheid des Jobcenters der Stadt R. vom 30. September 2019 über den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II für den Zeitraum 1. November 2019 bis 31. Oktober 2020. Die Abschnitte E bis J der Erklärung wurden dennoch nicht ausgefüllt.
51
In der Folgezeit übermittelte der Kläger an das Verwaltungsgericht München weitere verschiedene Stellenbewerbungsunterlagen bzw. für den Zeitraum vom 15. Juli 2020 bis 31. Juli 2021 einen (vom Kläger nicht unterschriebenen) Dienstvertrag. Am 2. Juni 2020 zeigte der Bevollmächtigte des Klägers dessen Vertretung an und bat um Beiordnung im Prozesskostenhilfeverfahren.
52
Mit Schreiben vom 1. September 2020 übermittelte die Stadt R. die Behördenakten und beantragte unter Verweis auf den streitgegenständlichen Bescheid vom 8. Mai 2020 die Ablehnung des Eilantrags und
53
die Abweisung der Klage.
54
Weiter wurde zugesichert, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Einen Antrag im Hinblick auf das Prozessnicht.
55
kostenhilfeverfahren stellte die Stadt R* Das Bundesamt für Justiz teilte dem Kläger mit Schreiben vom 7. September 2020 auf Anfrage mit, dass eine unzutreffende Auskunft hinsichtlich der Registerlage zu den Tilgungsfristen erteilt worden sei. Tatsächlich seien nicht mehr, wie ursprünglich mitgeteilt, 16 Entscheidungen eingetragen, sondern nur zwei Verurteilungen (Bl. 10 BA 3).
56
Der Kläger wandte sich im September 2020 mehrmals mit Anfragen an die Ausländerbehörde R. und übermittelte insbesondere diverse Bewerbungsunterlagen (Bl. 6ff., 14ff., 30ff., 35ff., 43ff., 76ff. BA 2, 2298ff. BA). Dem Kläger wurde im Oktober 2020 von der Verwaltungsspitze der Stadt R. telefonisch mitgeteilt, dass hinsichtlich einer vom Kläger geäußerten Gesprächsbitte kein weiterer Gesprächsbedarf gesehen werde, weil die Argumente zwischen der Ausländerbehörde und dem Kläger/seinem Bevollmächtigten hinreichend ausgetauscht seien (Bl. 127f. BA 2).
57
Der Kläger wurde im Januar 2021 wegen Wegzugs in die Stadt T., R., im Januar 2021 abgemeldet (Bl. 137 BA 2) und teilte der Ausländerbehörde T. im März 2021 mit, er hoffe wirklich, „dass Sie diese Situation beenden und für mich und meine 40 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland entscheiden und nicht anders als Herr E. [vormaliger Amtsleiter], aber vielleicht ein anderer Paragraph, damit ich keine Probleme mehr bekomme“ (Bl. 161f. BA 2). Das Ausländeramt T. teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie der Fortführung des Verfahrens durch die Stadt R. zugestimmt habe und verwies auf die Zuständigkeit der Ausländerbehörde R. (Bl. 161 BA 2). Auf entsprechenden Hinweis der Ausländerbehörde R. meldete sich der Kläger ab März 2021 wieder mit Hauptwohnsitz in R. an (Bl. 167f., 214 BA 2).
58
Mit Gerichtsschreiben vom 15. März 2021 wurde die Ausländerbehörde R. aufgefordert, die nach § 72 Abs. 2 AufenthG vorgesehene Beteiligung des BAMF vorzunehmen.
59
Mit Schreiben vom 15. April 2021 übermittelte der Bevollmächtigte des Klägers eine weitere ärztliche Bescheinigung des Universitätsklinikums A. vom 25. März 2021, die inhaltlich identisch mit der Bescheinigung vom 20. Mai 2020 ist.
60
Mit Schreiben vom 19. April 2021 übersandte der Bevollmächtigte des Klägers einen an den Kläger adressierten vorläufigen Arztbericht des deutschen Herzzentrums M. vom 16. April 2021. Danach habe sich der Kläger vom 15. April 2021 bis 17. April 2021 wegen Dyspnoe in stationärer Behandlung befunden. Hinsichtlich der Diagnose/Anamnese wird auf den Bericht verwiesen. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass sich in der Herzkatheteruntersuchung, die wegen anfänglich zusätzlicher Angabe von thorakalen Beschwerden durchgeführt wurde, ein gutes Ergebnis im Interventionsbereich sowie eine höhergradige Stenose ohne akuten Interventionsbedarf gezeigt habe. Bei der zum Ausschluss einer Lungenembolie und zur Darstellung der Aorta durchgeführten Computertomographie zeigte sich kein Hinweis auf eine Lungenarterienembolie, jedoch Knickbildungen an der Aortaprothese, die klinisch jedoch keine Blutdruckdifferenz zur Folge haben. Nebenbefundlich zeigte sich eine Erweiterung des Aortenbulbus und der Aorta ascendens; diesbezüglich wurden echokardiographische und computertomographische Verlaufskontrollen empfohlen. Echokardiographisch wurden ein hypertrophierter linker Ventrikel mit reduzierter systolischer Funktion und eine Mitralklappeninsuffizienz bestätigt; nachdem der Kläger bestätigte, dass insoweit vor zwei Wochen in R. bereits eine Ultraschalluntersuchung des Herzens stattgefunden habe, wurde um Wiedervorstellung zur Sichtung und Besprechung der Befunde und Therapieoptionen gebeten. In der Computertomographie zeigten sich nebenbefundlich auffällige Befunde an Leber und Niere; insoweit wurde um Vorstellung beim Gastroenterologen gebeten. Es erfolgten therapeutische Empfehlungen zur Medikation, zur Einstellung des LDL-Cholesterins und des arteriellen Blutdrucks sowie zur Kontrolle der Nierenretentionsparameter und Elektrolyte.
61
Am 21. April 2021 übermittelte die Stadt R. weitere Behördenakten und teilte mit, dass vom BAMF im Beteiligungsverfahren auf Basis der alten Atteste aus den Jahren 2012 bis 2014 keine Feststellungen hinsichtlich zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote getroffen werden könnten. Am 26. April 2021 übermittelte der Bevollmächtigte des Klägers eine ärztliche Bescheinigung des R. Internisten/Kardiologen des Klägers vom 21. April 2021, wonach nach am 20. April 2021 durchgeführter Echokardiographie der klinische Zustand stabil zu sein scheine und mit Blick auf den anstehenden Kontrolltermin zur Reevaluation der Situation an der Mitralklappe zur Fortsetzung der bisherigen Therapie geraten wurde. Am 7. Mai 2021 übermittelte der Bevollmächtigte des Klägers ein Schreiben der Klinik St. I. vom 3. Mai 2021 mit der der Kläger ab dem 27. Mai 2021 zu einer stationären Rehabilitationsmaßnahme willkommen geheißen wurde. Am 28. Juli 2021 übermittelte der Kläger eine Stellenzusage für eine Arbeitsstelle ab dem 16. August 2021 in H.
62
Mit Schriftsatz vom … Juli 2021 bat der Bevollmächtigte des Klägers vor der mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe zu entscheiden. Eine aktuelle Erklärung des Klägers über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe wurde nicht vorgelegt.
63
Mit Schreiben vom 30. Juli 2021 übermittelte die Stadt R. unter Übersendung weiterer Behördenakten ein Schreiben des Gesundheitsamtes R. vom 20. Juli 2021 zur zwischenzeitlich durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung des Klägers zur Frage der Reisefähigkeit (Bl. 35ff. BA 3). Auf die Anamnese, die der Begutachtung zugrundeliegenden Diagnosen und den Untersuchungsbefund wird Bezug genommen. Laut der Beurteilung des Gesundheitsamtes liegen beim Kläger zahlreiche kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen vor, welche die Prognose und Beurteilbarkeit bezüglich der gesundheitlichen Stabilität erschweren. Das Ruptur-Risiko für die vorhandenen Aneurysmen liege je nach Studienlage laut aktuellen AWMF-Leitlinien zwischen 0,6 und 2,5%. Eine Erhöhung von Herzfrequenz oder Blutdruck könne dieses Risiko erhöhen. Der Kläger sei mit den vorliegenden Befunden in der Vergangenheit bereits mindestens viermal ohne unmittelbare Komplikationen in sein Heimatland geflogen. Basierend auf einer Zusammenschau dieser Vorgeschichte, der vorliegenden Befunde und basierend auf der Studienlage zu Flugreisen von kardiovaskulär belasteten Personen werde zusammenfassend festgestellt, dass der Kläger als reisetauglich gelte, sofern am Flughafen und während der Reise für einen Rollstuhl und Gepäcktransport sowie während des Fluges für medizinische Begleitung sowie Sauerstoffgabe und Blutdruckkontrolle Sorge getragen werde. Die Stadt R. teilte im Übrigen mit, dass ein Prüfungsergebnis des BAMF hinsichtlich des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten, welches aufgrund der von der Klägerseite vorgelegten aktuellen ärztlichen Atteste erbeten wurde, noch nicht vorläge.
64
Mit Gerichtsschreiben vom 25. August 2021 an den Klägerbevollmächtigten wurde der Kläger zur Vorlage einer aktuellen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe aufgefordert und unter Beifügung des PKH-Formulars und des PKH-Hinweisblatts auf das Vollständigkeitserfordernis hinsichtlich der Erklärung und der erforderlichen Nachweise hingewiesen.
65
Mit Schreiben vom 27. August 2021 übermittelte die Stadt R. die im Beteiligungsverfahren eingeholte Bewertung des BAMF vom 26. August 2021. Danach liegen die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Ägypten nicht vor. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger in Ägypten eine, durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Weder vorgetragen noch ersichtlich sei zudem, dass im Falle des Klägers ein außergewöhnlicher Einzelfall vorliege, der eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse im Aufnahmeland hindere. Auch wenn ein Grad der Behinderung von 50 vorliege, bedeute dies nicht, dass der Kläger erwerbs- oder arbeitsunfähig sei; so habe der Kläger nach eigenem Vortrag in Ägypten beispielsweise schon als Dolmetscher gearbeitet. Auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und humanitären Auswirkungen der CoronaPandemie in Ägypten sei ein Abschiebungshindernis hinsichtlich der Person des Klägers nicht festzustellen. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Sinne einer wesentlichen oder gar lebensbedrohlichen Gesundheitsverschlechterung, da die Erkrankungen des Klägers auch in Ägypten behandelt werden könnten und die Medikamente des Klägers auch in Ägypten verfügbar seien. Außerdem zeigten die teils mehrmonatigen Aufenthalte des Klägers in Ägypten, dass er dort die Dauermedikation zur Behandlung seiner chronischen Erkrankungen zur Verfügung hatte. Auch notfallmäßige medizinische Eingriffe konnten dort durchgeführt werden. Auf den Inhalt der Stellungnahme wird im Übrigen verwiesen.
66
Mit E-Mail vom 31. August 2021 übermittelte der Kläger eine aktuelle, auf den 27. August 2021 datierte, Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Beigefügt war neben einer Übersicht über Kontoumsätze vom 4. Juni bis 30. August (wohl) 2021 ein Darlehensbescheid des Jobcenters der Stadt R. vom 13. August 2021 über die - aufgrund angekündigter Arbeitsaufnahme am 16. August 2021 - Bewilligung von Leistungen für den Monat September 2021 als zinsloses Darlehen. Die Abschnitte E und J der Erklärung wurden nicht ausgefüllt.
67
Mit Beschluss vom 1. September 2021 wurden die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren und im Eilverfahren abgelehnt (M 24 K 20.2309, M 24 S 20.2310).
Am 23. September 2021 wurden die Streitsachen M 24 K 20.2309 und M 24 S 20.2310 mündlich verhandelt. Der Kläger übergab einen vorläufigen Arztbrief des RoMed Klinikums R. vom 10. April 2021. Danach habe er sich vom 6. April 2021 bis 10. April 2021 wegen koronarer Dreigefäßerkrankung mit akutem ST-Hebungsinfarkt, mittelhöhergradiger Mitralklappeninsuffizienz sowie mittelgradiger Aortenklappeninsuffizienz in Behandlung befunden. Zum weiteren Vorgehen nach Entlassung wurde medikamentöse Behandlung für die nächsten zwölf Monate bzw. anschließend dauerhaft, die konsequente Senkung kardiovaskuläre Risikofaktoren, eine kardiologische Anschlussheilbehandlung, ambulante kardiologische Anbindung, eine Kontrollangiographie in sechs Monaten sowie eine zunächst konservative Therapie und Verlaufskontrolle der Mitralinsuffizienz empfohlen. Laut einem ebenfalls vorgelegten ärztlichen Attest vom 17. September 2021 einer u.a. kardiologischen/angiologischen Gemeinschaftspraxis liege ein komplexer vaskulärer Befund mit Zustand nach Operationen 2007 und 2013 sowie eines Herzinfarktes im April 2021 vor. Sämtliche Diagnosen erforderten eine regelmäßige kardiologische und angiologischen Nachkontrolle sowie eine konsequente Fortführung der lebensnotwendigen medikamentösen Therapie, sodass ein regelmäßiger Zugang zu qualitativ hochwertiger medizinischer Versorgung gewährleistet sein müsse. Aus medizinischer Sicht sei eine Abschiebung als kritisch zu betrachten. Gemäß eines weiteren vorgelegten hausärztlichen Attestes vom 20. September 2021 sei aufgrund der gesundheitlichen Gesamtsituation, begleitet von einer psychischen Instabilität des Klägers, aus ärztlicher Sicht jegliche Art einer Stresssituation zu vermeiden, die zu einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen könnte. Auf den Inhalt der ärztlichen Stellungnahmen wird verwiesen.
68
Im Eilverfahren (M 24 S 20.2310) wurde der Antrag zurückgenommen. Im vorliegenden Klageverfahren beantragte der Kläger zuletzt,
69
den Bescheid der Stadt R. vom 8. Mai 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die am 11. März 2020 beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.
70
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren M 24 K 20.2309 und M 24 S 20.2310 und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
71
Die Klage bleibt ohne Erfolg.
72
1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) zulässig, insbesondere wurde die Klagefrist eingehalten (§ 74 Abs. 2 VwGO).
73
2. Die Klage ist unbegründet.
74
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
75
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis oder auf Neuverbescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (§ 113 Abs. 5 VwGO).
76
2.1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des 5. Abschnitts des Aufenthaltsgesetzes (Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen, §§ 22 ff. AufenthG). Ungeachtet dessen, dass der klägerische Antrag, ausschließlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG umfasst, ist nicht ersichtlich, dass eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage der §§ 22, 23, 23a, 24, 25a oder 25b AufenthG in Betracht kommt. Insoweit fehlt es an den jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen. § 25 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG setzen einen positiven Ausgang des Asylverfahrens voraus und sind daher im vorliegenden Fall nicht einschlägig. § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gewährt nur den vorübergehenden Aufenthalt und erfüllt daher nicht das Begehren des Klägers, das auf einen längerfristigen Aufenthalt gerichtet ist. Auch die besonderen Konstellationen der Abs. 4a und 4b des § 25 AufenthG liegen nicht vor.
77
2.2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
78
Gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Der Kläger besaß zuletzt zwar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, war aber im Zeitpunkt der insoweit maßgeblichen Erstantragstellung im März 2014 als Inhaber einer Duldung vollziehbar ausreisepflichtig. Eine Verlängerung dieser Aufenthaltserlaubnis kommt nur in Betracht, wenn die Erteilungsvoraussetzungen weiterhin vorliegen (§ 8 Abs. 1, § 26 Abs. 2 AufenthG). Das ist nicht der Fall.
79
Eine Unmöglichkeit der Ausreise aus tatsächlichen Gründen liegt ausweislich der wiederholten Ausreisen des Klägers in sein Heimatland ersichtlich nicht vor.
80
Dem Antragsteller ist es auch aus rechtlichen Gründen nicht unmöglich auszureisen.
81
Eine Ausreise ist i.S.v. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten wie etwa nach § 60 Abs. 7 AufenthG. (BVerwG, U.v. 27.6.2006 - 1 C 14/05).
82
Für das Vorliegen von Einreisehindernissen in den Heimatstaat des Klägers ist weder etwas vorgetragen noch erkennbar.
83
Es bestehen auch keine Abschiebungshindernisse, die dem Kläger einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG vermitteln könnten.
84
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen nach der Bewertung des BAMF vom 26. August 2021 als zentraler sachverständiger Stelle des Bundes nicht. Mangels substantiierter gegenteiliger Anhaltspunkte, welche sich insbesondere auch nicht aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ergeben, ist vom Nichtvorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2016 - 10 CS 16.485, 10 C 16.486, Rn. 18).
85
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen ebenfalls nicht. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass der Kläger krankheitsbedingt reiseunfähig ist. Gegen eine Reiseunfähigkeit sprechen bereits die vom Kläger im Rahmen der Antragsprüfung eingeräumten Aufenthalte im Heimatstaat. Die vom Kläger wohl zum Beleg einer dennoch bestehenden Unmöglichkeit einer Ausreise vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen aus den Jahren 2013 und 2014 sind aufgrund ihres Alters zur Feststellung der aktuellen Reisefähigkeit nicht geeignet. Der medizinische Bericht des wohl ägyptischen Facharztes vom 1. April 2018 belegt lediglich, dass dem Kläger empfohlen wurde, nach dem in diesem Zeitraum in Ägypten erlittenen Myokardininfarkt einen Monat keine Flugreisen zu unternehmen. Das vorgelegte ärztliche Attest vom 30. April 2019 enthält keine Aussage zur Reisefähigkeit des Klägers und konstatiert im Übrigen lediglich das Erfordernis einer weiteren Kontrolluntersuchung nach zwei Jahren. Die ärztlichen Bescheinigungen des vormals die Aortenprothesen-Operation durchführenden Universitätsklinikums A. vom 20. Mai 2020 bzw. 25. März 2021 verhalten sich ebenfalls nicht zur Reisefähigkeit des Klägers, sondern betonen das langfristige Kontrollerfordernis und das Erfordernis hochwertiger medizinischer Unterstützung im Interventionsfall, ohne jedoch - wie vom Klägerbevollmächtigten im Verwaltungsverfahren vorgetragen - diesbezüglich zu attestieren, dass diese nur in Deutschland gewährleistet sei. Qualifizierte Aussagen zur Unmöglichkeit einer Ausreise enthält auch das allgemeinmedizinische Attest vom 25. Mai 2020 nicht. Der vorläufige Arztbericht des deutschen Herzzentrums vom 16. April 2021, demzufolge der Kläger wegen subjektiv empfundener Atemnot stationär behandelt worden sei, berichtet zwar umfassend über die unterschiedlichen - auch nicht kardiovaskulären - klägerischen Krankheitsbefunde und zeigt insoweit bestehende Kontroll-/Untersuchungsbedarfe auf; bezüglich einer Reiseunfähigkeit des Klägers ist er jedoch nicht aussagekräftig. Die ärztliche Bescheinigung vom 21. April 2021 - wiederum ohne Reiseunfähigkeitsaussage - bestätigt dem Kläger einen stabilen klinischen Zustand und rät zur Therapiefortsetzung. Die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen vom 10. April 2021, 17. September 2021 sowie 20. September 2021 enthalten ebenfalls keine Reiseunfähigkeitsaussagen. Im Ergebnis trifft keines der vorgelegten Atteste Aussagen über eine etwaige Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise und erfüllt damit schon gar nicht die Anforderungen an qualifizierte ärztliche Bescheinigungen nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG, sodass die Bescheinigungen damit nicht in der Lage sind, die Vermutung des § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG zu entkräften, dass gesundheitliche Gründe einer Abschiebung nicht entgegenstehen.
86
Das Gesundheitsamt R. ist in seiner amtsärztlichen Stellungnahme vom 20. Juli 2021 nach Untersuchung des Klägers am 14. Juli 2021 unter Berücksichtigung insbesondere der kardiovaskulären Erkrankungen und Risikofaktoren zu dem Ergebnis gekommen, dass er reisefähig ist (Bl. 35ff. BA 3). Die Kammer sieht keinen Anlass, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Hinweise darauf, dass sich seit Erstellung des Gesundheitszeugnisses der Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert hat, ergeben sich insbesondere nicht aus den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen. Insgesamt ist der Kläger deshalb im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt als reisefähig anzusehen.
87
Sowohl der nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ebenfalls als inlandsbezogenes Abschiebungsverbot in Betracht kommende Art. 6 GG als auch Art. 8 Abs. 1 EMRK vermitteln per se keinen Anspruch auf Einreise oder Aufenthalt, sondern verpflichten bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen lediglich zu einer dem Gewicht dieser Rechte entsprechenden Berücksichtigung, welche im konkreten Fall jedoch nicht die Annahme eines Ausreisehindernisses trägt.
88
Soweit es vorliegend die Eltern-Kind-Beziehung zwischen dem Kläger und seinem deutschen erwachsenen Kind betrifft, ist dem Kläger die Ausreise zumutbar. Das Kind ist seit über 15 Jahren volljährig, sodass der Kläger auf ein von seinem Kind eigenständiges Leben verwiesen werden kann. Es ist auch nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass das deutsche Kind, welches der Kläger bei seinem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Gegensatz zu seinen ägyptischen Kindern auch nicht angegeben hat, auf den Beistand und die Pflege des Klägers angewiesen ist oder sonstige berücksichtigungspflichtige Umstände vorliegen.
89
Ein inländisches Abschiebungsverbot mit der Folge eines Anspruchs nach § 25 Abs. 5 AufenthG ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger seit Anfang 1986 langfristig (mit Unterbrechungen) in Deutschland ist. Zwar kommt bei Ausländern, die sich langjährig im Bundesgebiet aufhalten und in die hiesigen Lebensverhältnisse verwurzelt sind (sog. faktische Inländer) unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht (Bergmann/Dienelt/Röcker, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 25 Rn. 110ff. mwN). Eine den Schutz des Privatlebens auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt grundsätzlich für solche Ausländer in Betracht, die aufgrund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet. Ein langfristiger Aufenthalt im Gastland ist allein noch kein den Schutzbereich eröffnendes Kriterium. Eine nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schützenswerte Verwurzelung eines Ausländers kommt grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 03.07.2017 - 19 CS 17.551, mwN.)
90
Die Verlängerung der in der Vergangenheit nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis ist im Fall des Klägers nicht wegen eines schutzwürdigen Privatlebens i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK geboten. Der Kläger ist nicht als sog. faktischer Inländer anzusehen, da eine dafür erforderliche schützenswerte Verwurzelung bzw. Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bzw. Entfremdung vom Heimatland bei ihm nicht vorliegt.
91
Dem Kläger war sein Aufenthalt im Jahr 1986 durch Stellung eines nach Eheschließung zurückgenommenen Asylantrags gestattet. In den Jahren 1987 bis 1997 war sein Aufenthalt weitestgehend durch die zumindest unstete eheliche Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsangehörigen gesichert. Ab 1999 leitete der Kläger den Aufenthalt in Deutschland von seinem 1987 geborenen deutschen Kind ab, für welches ihm - auf Antrag im Jahr 1998 hin - das gemeinsame Sorgerecht übertragen worden war, wobei sich aber der Kläger zumindest von 2001 bis 2004 überwiegend und das deutsche Kind ausschließlich in Ägypten aufgehalten haben. Von 2006 bis 2008 hielt sich der Kläger - zum Teil krankheitsbedingt - in Ägypten auf. Nach Wiedereinreise nach Deutschland im Jahr 2008 wurde sein Aufenthalt bis 2014 aufgrund krankheitsbedingter Abschiebungshindernisse lediglich geduldet. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis - auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG - wurde vom Kläger zwar mehrfach beantragt, aber weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtswege erreicht. Von einer dauerhaften Bleibeperspektive konnte der Kläger somit nicht ausgehen. Eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis wegen Unmöglichkeit der Ausreise nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhielt der Kläger erst im März 2014. Diese Aufenthaltserlaubnis wurde bereits im Juni 2014 und nachfolgend im März 2017 jeweils noch am Tage des Verlängerungsantrages verlängert.
92
Während des gesamten Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet ist auch eine wirtschaftliche Integration nicht erfolgt.
93
Nur in geringem Umfang sind vorübergehende Erwerbstätigkeiten des Klägers in den Akten feststellbar. Ob und gegebenenfalls über welche abgeschlossene Berufsausbildung der Kläger verfügt, ist weder vorgetragen, noch aus den Behördenakten ersichtlich. Aus diesen ist lediglich nachvollziehbar, dass der Kläger an der Universität Alexandrien, Ägypten, Philosophische Fakultät, ein Bachelor-Diplom abgelegt hat, welches ihm im Jahr 1994 beim Antrag auf Zulassung zum Soziologiestudium an der Universität T. anerkannt wurde, sodass er in T. im 5. Fachsemester sein Soziologiestudium begann (Bl. 58 BA) und dass der Kläger im Jahr 1999 eine Bestätigung erhielt, im Rahmen der Diplomprüfung im Studiengang Soziologie die Voraussetzungen zu erfüllen, um eine Diplomarbeit anzumelden (Bl. 1394 BA). Einem klägerischen Antrag auf Zulassung zur Diplomarbeit im Jahr 2012 wurde vom Prüfungsausschuss der Universität jedoch unter Verweis auf das lange Zurückliegen der erworbenen Erkenntnisse nicht entsprochen (Bl. 1660 BA). Dieser Vorbildung entsprechend hatte der Kläger nach Aktenlage während seiner Aufenthaltszeit in Deutschland zwar auch temporär Arbeitsverhältnisse überwiegend im beratenden/betreuenden Sozialbereich; Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung konnten vom Kläger im Jahr 2017 jedoch lediglich für insgesamt 53 Monate nachgewiesen werden (Bl. 2114 BA). Im Übrigen bezog er immer wieder nicht nur vorübergehend öffentliche Leistungen. Bei dieser Sachlage wirkt sich entscheidend zum Nachteil des Klägers aus, dass angesichts seines Alters von fast 25 Jahren bei Beginn des langfristigen Aufenthalts und der wegen fehlender, nicht nur vorübergehender Innehabung eines Arbeitsplatzes sowie häufiger Wohnsitzwechsel nur geringen sozialen Integration insbesondere aufgrund der regelmäßigen und zum Teil auch längerfristigen Aufenthalte im Heimatland davon auszugehen ist, dass seine sozialen Bindungen zum Herkunftsland, in dem seit jeher seine Familie sowie seine während der Aufenthaltszeit in Deutschland im Heimatland geheirateten ägyptischen Ehefrauen und die vier ägyptischen Kinder leben, fortbestehen und ihm eine Rückkehr zumutbar ist. Von einer erfolgreichen Integration des Klägers im Bundesgebiet kann überdies auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil der Kläger während seines Aufenthalts immer wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist (Bl. 10 BA 3). Der Antragsteller ist daher kein sog. faktischer Inländer mit der Folge, dass die Beklagte im Rahmen der Entscheidung nach § 25 Abs. 5 AufenthG dem besonderen Schutz durch Art. 8 EMRK nicht Rechnung tragen musste.
94
Sonstige Gründe, aufgrund derer eine Ausreise unmöglich sein könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
95
2.3. Ungeachtet dessen, dass der klägerische Antrag, ausschließlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG umfasst, kann dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis auch nicht nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verlängert werden, wonach einem rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG verlängert werden kann, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Der Kläger war bei der insoweit maßgeblichen Stellung des Verlängerungsantrages im März 2020 (vgl. Bergmann/Dienelt/Röcker, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 25 Rn. 67f.) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und damit nicht vollziehbar ausreisepflichtig.
96
Für eine Verlängerung nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gelten hohe Anforderungen. Die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland muss für den Ausländer mit Nachteilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss für den Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein (BVerwG U.v. 27.01.2009 - 1 C 40/07 <juris> Rdnr. 19). Bei der Prüfung, ob eine außergewöhnliche Härte vorliegt, können auch keine Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die zum Prüfungsrahmen von anderen humanitären Aufenthaltsrechten gehören. § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG darf nicht zur Umgehung der vom Gesetzgeber geregelten allgemeinen Grundsätze über die Erteilung und Beendigung eines Aufenthaltsrechts herangezogen werden (BeckOK AuslR/Maaßen/Kluth, 29. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 25 Rn. 86).
97
Eine derartige außergewöhnliche Härte liegt, auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, nicht vor. Der deutsche Sohn des Klägers ist bereits seit über 15 Jahren volljährig; zu dem vom Kläger in Bezug genommenen, im Jahr 2013 in T. geborenen Enkelkind als Person außerhalb der Kernfamilie, sind außergewöhnliche Härteumstände weder vorgetragen noch ersichtlich, insbesondere da er von diesem zumindest seit Anfang 2014 aufgrund Wohnsitzwechsels nicht nur unerheblich räumlich entfernt lebt. Der Kläger wurde in Ägypten geboren und hat dort auch seine Kindheit und Jugend verbracht. Der Aufenthalt des Klägers in Deutschland war für die Mehrheit der Zeit von seiner deutschen Ehefrau bzw. von seinem deutschen Kind abgeleitet oder nur geduldet; ein eigenständiges Aufenthaltsrecht wegen Unmöglichkeit der Ausreise wurde ihm erst 2014 zuerkannt. Die Familie des Klägers, seine Ehefrau und seine vier ägyptischen Kinder leben schon immer in Ägypten; seine fortwährenden, teils auch längerfristigen Aufenthalte im Heimatland belegen seine dortigen aktiven sozialen Bindungen und weiterhin bestehende Verwurzelung. Eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Klägers aufgrund der diagnostizierten verschiedenen Erkrankungen wurde nicht nachgewiesen; aus dem Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ergibt sich vielmehr die grundsätzliche Erwerbsfähigkeit des Klägers - auch unter Berücksichtigung eines ggf. weiterhin bestehenden, jedoch nach Aktenlage nicht gültig nachgewiesenen Grad der Behinderung von 50, aus der sich ebenfalls keine außergewöhnliche Härte ergibt. Eine solche ist auch nicht aufgrund der im Juli 2021 vorgelegten Arbeitsstellenzusage ab August 2021 anzunehmen (vgl. BeckOK AuslR/Maaßen/Kluth, 29. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 25 Rn. 86.2). Die durch die ärztlichen Bescheinigungen nachgewiesenen zahlreichen Erkrankungen mögen vom Kläger zwar als individuelle Belastung empfunden werden; auch sie begründen jedoch keine individuelle Sondersituation, aufgrund derer die Aufenthaltsbeendigung den Kläger wesentlich härter treffen würde als andere ausreisepflichtige Ausländer. Sonstige Gründe, die die Annahme einer außergewöhnlichen Härte rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Unter Abwägungs- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten ist dem Kläger eine Rückkehr nach Ägypten, wie anderen Ausländern in einer vergleichbaren Situation zumutbar. Folglich besteht kein Anspruch nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
98
2.4. Liegen bereits die besonderen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 bzw. Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht vor, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG gegeben sind, die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 bzw. Abs. 4 Satz 2 AufenthG grundsätzlich erfüllt sein müssen (Bergmann/Dienelt/Röcker, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 25 Rn. 102 bzw. BeckOK AuslR/Maaßen/Kluth, 29. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 25 Rn. 88). Dies beträfe vorliegend insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG), denn aus den Akten ergibt sich nicht, dass der Kläger, der in der Vergangenheit regelmäßig öffentliche Leistungen in Anspruch genommen hat, mittlerweile nicht mehr auf öffentliche Leistungen angewiesen ist.
99
2.5. Die Ausreiseaufforderung mit Ausreisefrist in Ziff. 2 des streitgegenständlichen Bescheids sowie die Abschiebungsandrohung in Ziff. 3 des Bescheids sind rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
100
Insbesondere begegnet die nach § 59 Abs. 1 Satz 1, Satz 4 AufenthG gesetzte Aus reisefrist von 30 Tagen keinen rechtlichen Bedenken. Bei der Bestimmung der Länge der Frist hat die Beklagte auf der einen Seite das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Ausreise des Klägers und auf der anderen Seite die persönlichen Umstände des Klägers (u.a. bisherige Aufenthaltsdauer sowie familiäre Bindungen) berücksichtigt. Auch unter Berücksichtigung eines zwischenzeitlich gegebenenfalls bestehenden Arbeitsverhältnisses ist die Fristdauer nicht unangemessen kurz.
101
Die Abschiebungsandrohung nach Ägypten oder einen anderen einreisefähigen oder rückübernahmeverpflichteten Staat ist rechtlich nicht zu beanstanden; sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Dem Kläger war die Abschiebung anzudrohen, da er nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig ist, weil der bisherige Aufenthaltstitel mit der die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Entscheidung nicht mehr als fortbestehend gilt (§ 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) und der Kläger unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG abgeschoben werden kann. Dem Erlass der Abschiebungsandrohung steht gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG das Vorliegen von etwaigen Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen.
102
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).