Titel:
Streitwert - Änderung von Amts wegen
Normenkette:
GKG §§ 63 Abs. 3, 68
Leitsatz:
Im Rahmen einer zulässigen Beschwerde ist das Beschwerdegericht auch nach Ablauf der Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG zur Abänderung des Streitwerts zu Lasten des Beschwerdeführers über die gestellten Anträge hinaus befugt.
Schlagworte:
Beschwerde, Frist, Vergleichsmehrwert, Streitwertkatalog, Festsetzung, Streitwertbeschwerde, Kostenerstattung, Verfahren, Bindungswirkung, Erteilung, Stellungnahme, Arbeitsbescheinigung, Wert, Vergleich, Wert des Beschwerdegegenstandes, Gelegenheit zur Stellungnahme, von Amts wegen
Vorinstanzen:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 12.03.2021 – 10 Ca 2316/19
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 28.07.2020 – 10 Ca 2316/19
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57814
Tenor
1. Die Beschwerde der Klägerinvertreterin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 28.07.2020 (Az. 10 Ca 2316/19) in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 12.03.2021 wird zurückgewiesen
2. Der des in Ziff. 1 genannten Beschlusses festgesetzte Vergleichsmehrwert wird von Amts abgeändert und auf 1.300,- € festgesetzt.
Gründe
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Die Parteien stritten über zwei ordentliche Kündigungen vom März 2019 und vom September 2019. Das Bruttoeinkommen der Klägerin betrug 1.300,- €.
2
Das Verfahren endete durch Abschluss eines Vergleichs, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Blatt 89 der Akten).
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Mit Beschluss vom 28.07.2020 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert auf 7.800,- € und den Vergleichsmehrwert auf 1.300,- € fest.
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Mit Streitwertbeschwerde vom 18.08.2020 begehrt die Klägerinvertreterin die Erhöhung des Vergleichsmehrwerts auf 6.846,67 €, da eine Einigung über die ausstehenden Gehälter für die Zeit vom 23.09.2019 bis 29.02.2020 erfolgt sei. Zudem sei auch die Erteilung der Arbeitsbescheinigung und der Lohnsteuerbescheinigung mit jeweils 250,- € zu bewerten.
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Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 12.03.2021 insoweit ab, als es für die Arbeitsbescheinigung und die Lohnsteuerbescheinigung jeweils einen Wert von 130,- € ansetzte und den Vergleichsmehrwert wegen der Einigung auf ein Zeugnis mit guter Bewertung auf 1.560,- € festsetzte.
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Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 07.04.2021. Auf die Stellungnahme der Klägerinvertreterin vom 09.04.2021 wird Bezug genommen (Blatt 112 der Akten).
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I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 - 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 - 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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II. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Vielmehr war der Vergleichsmehrwert auf den ursprünglich festgesetzten Betrag von 1.300,- € von Amts wegen herabzusetzen.
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Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
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1. Das Arbeitsgericht hat den Streitwert für das Verfahren zu Recht auf zwei Vierteljahresgehälter, also auf 7.800,- € festgesetzt. Nach I Nr. 20 iVm 21.3 Streitwertkatalog wird - wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind - die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet, es sei denn, unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen. Im vorliegenden Fall lagen die streitigen Beendigungszeitpunkte mehr als 3 Monate auseinander.
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2. Der Vergleichsmehrwert war auf 1.300,- € festzusetzen.
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Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
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a. Die Einigung über das Zeugnis ist zu Recht mit einem Monatsgehalt bewertet worden. Typischer Weise wird das Merkmal der „Ungewissheit“ insbesondere bei Vereinbarung eines Arbeitszeugnisses mit inhaltlichen Festlegungen zum Leistungs- und Führungsverhalten in einem Rechtsstreit über eine auf Verhaltens- oder Leistungsmängel gestützte Kündigung gegeben sein; dies ist zusätzlich mit einem Monatsgehalt zu bewerten (vgl. Ziff. I. Nr. 25.1.3 iVm I. Nr. 29.2 Streitwertkatalog).
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b. Die Einigung auf die ordnungsgemäße Abrechnung erhöht den Vergleichswert nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass insoweit ein von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängiger Streit oder eine Ungewissheit beseitigt worden wäre. Dass ein Arbeitsverhältnis bis zu seiner Beendigung ordnungsgemäß abzurechnen ist, ist regelmäßig gerade nicht streitig. Dies gilt erst recht, als für die Zeit vom 23.09.2019 bis 29.02.2020 ein Zahlungstitel im Vergleich nicht geschaffen wurde (vgl. LAG Nürnberg 11.09.2017 - 7 Ta 28/17 - juris). Die Höhe des noch zu zahlenden Entgelts wurde gerade nicht geregelt.
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c. Die Einigung auf Erteilung weiterer Arbeitspapiere (Ziff. 6 und 7 des Vergleichs) erhöht den Vergleichswert ebenfalls nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass durch den Vergleich ein Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt worden wäre. Dementsprechend war der Vergleichsmehrwert von Amts wegen entsprechend herabzusetzen, §§ 68 Abs. 3, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Im Rahmen einer zulässigen Beschwerde ist das Beschwerdegericht auch nach Ablauf der Frist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG zur Abänderung des Streitwerts zu Lasten des Beschwerdeführers über die gestellten Anträge hinaus befugt (LAG Baden-Württemberg 24.10.2005 - 3 Ta 159/05; Hartmann/Toussaint, KostG, 50. Aufl., § 68 GKG Rn 32).
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III. Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
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IV. Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.