Inhalt

LG München I, Endurteil v. 29.09.2021 – 27 O 102/21
Titel:

Aufhebung eines Arrestbeschlusses mangels Vollziehung 

Normenketten:
StPO § 111h Abs. 2 S. 1
ZPO § 929 Abs. 2
Leitsatz:
Die Pfändung eines Anspruchs, der im Wege der Arrestvollziehung nach § 111h Abs. 2 S. 1 StPO gesichert wurde, ist unzulässig und stellt keine Vollstreckungshandlung iSv § 929 Abs. 2 ZPO dar.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
dinglicher Arrest, Vollziehungsfrist, Vermögensarrest
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 19.01.2022 – 13 U 7646/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57710

Tenor

1. Der Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss vom 21.01.2021 werden aufgehoben.
2. Der Arrestantrag und der Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses vom 18.01.2021 werden zurückgewiesen.
3. Der Arrestkläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Arrestkläger kann die Vollstreckung des Arrestbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Arrestbeklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 379.532,38 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um einen Arrest wegen Schadensersatzansprüchen aufgrund von Wertpapierkäufen des Arrestklägers bei der W AG oder auf Basis der W AG.
2
Der Arrestbeklagte war vom Januar 2002 bis Juni 2020 Vorstandsvorsitzender der W AG und größter Einzelaktionär.
3
Am 22.07.2020 erließ das Amtsgericht München gegen den Arrestbeklagten Haftbefehl, der am gleichen Tag vollzogen wurde. Der Arrestbeklagte befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Nach einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft München I wird dem Arrestbeklagten zur Last gelegt, im Jahr 2015 zusammen mit anderen den Entschluss gefasst zu haben, Bilanzsumme und Umsatzvolumen der W AG durch das Vortäuschen von Einnahmen aus Geschäften mit sog. Third-Party Acquirern (TPA) aufzublähen, obwohl, wie dem Arrestbeklagten bekannt war, der W Konzern tatsächlich Verluste erzielte.
4
Am 31.07.2020 und 01.09.2020 pfändete die Staatsanwaltschaft München I aufgrund von Arrestbeschlüssen des Amtsgerichts München etwaige Rückzahlungsansprüche des Arrestbeklagten auf Rückzahlung einer geleisteten Haftkaution in Höhe von € 5.000.000,-. Darüber hinaus pfändete die Staatsanwaltschaft München I aufgrund der ergangenen Arreste (Arrest vom 15.07.2020, ER; Arrest vom 31.07.2020, ER und vom 20.08.2020, ER V) weitere Forderungen und ließ Sicherungshypotheken in Grundstücke des Arrestbeklagten eintragen.
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Auf Antrag vom 18.01.2021 hat das Gericht am 21.01.2021 einen Arrest- und Pfändungsbeschluss gegen den Arrestbeklagten erlassen, der dem Arrestklägervertreter am 21.01.2021 und dem Arrestbeklagten am 27.01.2021 zugestellt worden ist.
6
Der Arrest- und Pfändungsbeschluss hat u. a. folgenden Inhalt:
7
1. Wegen einer Schadensersatzforderung des Antragstellers (Gläubiger) in Höhe von 1.1388.597,14 € gegen den Antragsgegner wird der dingliche Arrest in das gesamte persönliche Vermögen des Antragsgegners (Schuldner) angeordnet.
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In Vollzug dieses Arrestes wird die angebliche Forderung des Antragsgegners auf Rückzahlung einer Kaution in Höhe von 5.000.000,00 € nebst Zinsen gegen die Staatsanwaltschaft Münchein I bis zu einem Höchstbetrag von 1.1388.597,14 € gepfändet. Der Drittschuldner darf an den Antragsgegner nicht mehr leisten. Der 27 O 102/21 - Seite 3 - Antragsgegner hat sich jeder Verfügung über die Forderung, insbesondere der Einziehung, zu enthalten.
9
Mit Schriftsatz vom 09.04.2021 hat der Arrestbeklagte gegen den Arrestbefehl Widerspruch, hilfsweise Erinnerung, eingelegt.
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Der Arrestbeklagte trägt vor, die hiesige Pfändung sei nach § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO unzulässig und aufzuheben. Die Vollziehung des Arrestbefehls sei wegen Ablaufs der Monatsfrist nach § 929 Abs. 2 ZPO unstatthaft und der Arrestbefehl aufzuheben.
11
Der Arrestbeklagte beantragt,
1. Der am 21.01.2021 vom Landgericht München I erlassene Arrest- und Pfändungsbeschluss wird aufgehoben.
2. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass eines Arrest- und Pfändungsbeschlusses vom 18.01.2021 wird zurückgewiesen.
Der Arrestbeklagte beantragt hilfsweise:
3. Die am 21.01.2021 erlassene Pfändung der angeblichen Forderung des Antragsgegners auf Rückzahlung einer Kaution in Höhe von 5.000.000,00 € nebst Zinsen gegen die Staatsanwaltschaft München I wird aufgehoben.
4. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses vom 18.01.2021 wird zurückgewiesen.
12
Der Arrestkläger beantragt,
den Arrestbeschluss in der Form vom 21.01.2021 zu bestätigen und den Widerspruch zurückzuweisen.
Der Arrestkläger beantragt hilfsweise:
1. Der Antrag auf Aufhebung des Pfändungsbeschlusses der angeblichen Forderung in Höhe von 5.000.000,00 Euro nebst Zinsen gegen die Staatsanwaltschaft München I auf Rückzahlung einer Kaution wird zurückgewiesen.
2. Der Antrag auf Ausstellung eines Pfändungsbeschlusses vom 18.01.2021 wird bestätigt.
13
Der Arrestkläger trägt vor, der Pfändungsbeschluss sei nicht nichtig. Der Anspruch des Arrestklägers und der Staatsanwaltschaft München I schlössen sich nicht aus, sondern seien konkurrierend. Der Arrestbeklagte habe seinen Anspruch auf Widerspruch auch bereits verwirkt, weil er sich gegen den Kostenfestsetzungsantrag des Arrestklägers nicht gewehrt habe.Der Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses sei fristgerecht am 22.02.2021 beim Landgericht München I eingegangen. Der Arrestkläger habe innerhalb der Monatsfrist einen Antrag auf Eintragung einer Zwangssicherungshypothek beim Bezirksgericht Kitzbühel gestellt (Anlage K10). Dass die Eintragung der Zwangssicherungshypothek in Kitzbühel nicht erfolgreich gewesen sei, spiele hinsichtlich der Vollziehungsfrist und § 929 ZPO keine Rolle. Es sei nicht richtig, dass die Staatsanwaltschaft München I im Grundbuch in Kitzbühel einen Antrag auf Arrest gestellt habe. Der Arrestkläger habe die Vollziehungsfrist eingehalten und entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet. Auf deren letztendlichen Erfolg komme es nicht an.
14
Die Kammer hat am 28.07.2021 in öffentlicher Sitzung über den Widerspruch verhandelt. Für den Inhalt wird auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 28.07.2021 Bezug genommen. Im übrigen wird zur Vervollständigung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Mit Einverständnis der Parteienvertreter wurde im schriftlichen Verfahren entschieden.

Entscheidungsgründe

15
Auf den Widerspruch des Arrestbeklagten waren der erlassene Arrestbefehl und der Pfändungsbeschluss vom 21.01.2021 aufzuheben und der Antrag vom 18.01.2021 zurückzuweisen.
16
I. Der Widerspruch (§ 924 ZPO) und die Erinnerung (§ 766 ZPO) sind zulässig. Insbesondere mangelt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Der Arrestbeklagte hat an der endgültigen Aufhebung eines gegen ihn gerichteten Vollstreckungstitels grundsätzlich auch dann ein Interesse, wenn eine rechtmäßige Vollstreckung hieraus nicht mehr möglich ist (MüKo/Drescher, § 929 ZPO Rn. 14). Denn er hat ein Interesse daran, den Rechtsschein eines bestehenden Titels zu beseitigen.
17
Überdies hat der Arrestbeklagte auch nicht sein Widerspruchsrecht verwirkt. Gemäß § 924 ZPO ist der Widerspruch nicht fristgebunden. Es sind auch keine Umstände dargetan, warum der Arrestkläger auf den Bestand des Arrestbefehls hätte vertrauen dürfen.
18
II. Der Widerspruch ist begründet. Der Arrestbeklagte hat sich zu Recht auf den Ablauf der Vollziehungsfrist gemäß § 929 Abs. 2 ZPO berufen. Der Arrestbefehl war daher aufzuheben und der Antrag zurückzuweisen.
19
1. Dem Arrestbeklagten steht bei Ablauf der nicht genutzten Vollziehungsfrist der Widerspruch gegen den Arrestbefehl zu (Thomas/Putzo-Seiler § 929 ZPO Rn. 5). Denn nach einem Widerspruch des Arrestbeklagten entscheidet das Gericht darüber, ob der Arrestbefehl nach dem Sach- und Streitstand bei Schluss der mündlichen Verhandlung sachlich gerechtfertigt ist. Das bedeutet, dass alle Voraussetzungen für den Arrest erneut ohne Bindung an die Beurteilung im Beschlussarrest zu prüfen sind (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 925 ZPO, Rn. 1).
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2. Vorliegend hat der Arrestkläger nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO den Arrest vollzogen. Der Arrestbefehl wird vollzogen durch Zustellung des Arrestbefehls und den rechtzeitigen Antrag des Arrestklägers beim zuständigen Vollstreckungsorgan auf Vornahme von Vollstreckungshandlungen, wobei es genügt, dass dem rechtzeitigen Antrag des Gläubigers keine Hindernisse entgegenstehen (vgl. G. Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 929 ZPO, Rn. 10). Der Arrestbefehl wurde ordnungsgemäß zugestellt. Es fehlt jedoch an einer wirksamen Vollstreckungshandlung.
21
a) Die Pfändung des Kautionsrückzahlungsanspruchs ist nach § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO unzulässig. Denn haben Strafverfolgungsorgane nach §§ 111e, 111f StPO den Vermögensarrest vollzogen, hindert dies die Einzelzwangsvollstreckung in den so gepfändeten Gegenstand (vgl. OLG München Beschluss vom 01.06.2021, 8 W 734/21). In dem vom Arrestbeklagten vorgelegten Schreiben der Staatsanwaltschaft München I vom 26.03.2021 zu Vermögenssicherungsmaßnahmen ist der „Anspruch auf Rückzahlung der Haftkaution“ mit „Datum d. Zustellung/Eintragung“ 31.07.20 (aufgrund Arrests über 6,6 Mio. €) und 01.09.20 (aufgrund von Arresten über 12.971.559,52 € und 35.000.000 €) genannt. Die Zwangsvollstreckungsmaßnahme des hiesigen Arrestklägers betrifft denselben Vermögensgegenstand und ist auch nicht zeitlich vorrangig. Denn der hiesige Pfändungsbeschluss hinsichtlich des Kautionsrückzahlungsanspruchs datiert vom 21.01.2021.
22
b) Da die Vollstreckungshandlung wegen der Vorschrift des § 111h Abs. 2 S. 1 StPO nicht vollzogen werden konnte, kann nach Ablauf der Monatsfrist keine neue Vollstreckungshandlung vorgenommen werden (BGH NJW 1991, 496). Auch andere erfolgreiche Vollstreckungshandlungen liegen nicht vor.
23
Damit steht endgültig fest, dass der fragliche Arrest nicht vollzogen wurde und nicht mehr vollzogen werden kann.
24
c) Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Arrestkläger innerhalb der Vollziehungsfrist Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet hat. Zwar genügt für die Einhaltung der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO die Einleitung der Vollstreckungshandlung, etwa die Antragstellung bei Gericht (Thomas/Putzo - Seiler § 929 ZPO Rn 4). Damit ist aber nur die Zulässigkeit der konkreten eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahme gewahrt. Neue Vollstreckungshandlungen dürfen nicht mehr eingeleitet werden (BGH NJW 1991, 496). Soweit eine solche eingeleitete Vollstreckungshandlung unwirksam ist, steht daher nach Ablauf der Frist aus § 929 Abs. 2 ZPO endgültig fest, dass ein rechtmäßiger Vollzug des Arrestes nicht mehr durchgeführt werden kann.
25
d) Der Antrag auf Eintragung einer Zwangssicherungshypothek (vgl. § 932 Abs. 3 ZPO) beim Bezirksgericht Kitzbühel wurde mit Beschluss vom 01.03.2021 () zurückgewiesen.
26
3. In der Folge ist der Arrest aufzuheben. Der Arrestkläger hat unter diesen Umständen kein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufrechterhaltung des Vollstreckungstitels.
27
Das gilt auch dann, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos geblieben sind. Denn lediglich bei einem erfolgreichen Vollzug hat der Arrestkläger ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufrechterhaltung des zugrundeliegenden Titels.
28
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Wird der Arrestbefehl auf Antrag des Schuldners wegen Versäumung der Vollziehungsfrist aufgehoben, so trägt der Gläubiger die Kosten des Verfahrens allein, unabhängig davon, ob der Arrestbefehl ursprünglich zu Recht ergangen war (vgl. MüKo/Drescher § 929 ZPO Rn. 17).
29
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.