Titel:
Schadensersatzanspruch trotz Weiterverkaufs des Fahrzeugs in einem Dieselfall
Normenkette:
BGB § 31, § 249 Abs. 1, § 826
Leitsätze:
1. Die Weiterveräußerung eines Fahrzeugs, in das eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war, lässt den Schaden nicht entfallen (Anschluss BGH BeckRS 2021, 24668). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der außergerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs kann auch dann erforderlich sein, wenn sich der Schuldner in einer Vielzahl von Parallelfällen nicht zu einer außergerichtlichen Leistung oder Einigung hat bewegen lassen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel, Schadensersatz, Weiterverkauf, Fahrzeug, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, Erforderlichkeit
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 03.02.2020 – 28 O 16198/18
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.12.2021 – 28 O 16198/18
OLG München, Beschluss vom 12.08.2022 – 11 W 467/22
OLG München vom 25.08.2022 – 11 W 467/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 22.05.2023 – VIa ZB 22/22
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57704
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 03.02.2020, Az.: 28 O 16198/18, wie folgt in Z.1, wobei Z. 2 entfällt, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.272,68 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.01.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen und wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
(abgekürzt gem. § 540 Abs. 1 ZPO)
1
Der Kläger macht im Zusammenhang eines am 15.11.2012 mit einem Fahrzeughändler über den streitgegenständlichen Pkw Marke Seat Altea Style 1.6 TDI geschlossenen Kaufvertrags einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als die Herstellerin des Euro-5-Dieselmotors des Typs EA 189 geltend. Die Beklagte hatte den Motor Typ EA 189 konstruiert, der in das Fahrzeug, das der Kläger zum Preis von 15.490,00 € als Neuwagen gekauft hatte und zwischenzeitlich an einen Dritten weiterveräußerte, eingebaut ist.
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Im Übrigen wird auf den Tatbestand des Ersturteils vom 03.02.2020 Bezug genommen, mit welchem das Erstgericht der Klage unter Abzug von 2.479,27 € vom Kaufpreis als Nutzungsentschädigung für seinerzeit gefahrene 40.014 km stattgegeben hat.
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Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Noch vor Bestimmung eines Termins zur Berufungsverhandlung hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 26.10.2020 mitteilen lassen, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug am 18.09.2020 mit einem Kilometerstand von 47.084 km zu einem Preis von 5.300,00 € verkaufte.
4
Die Beklagte wandte sich mit Berufungsbegründung vom 14.05.2020, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (Blatt 253/317 d. A.), gegen das Ersturteil.
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Die Beklagte beantragt,
das am 03.02.2020 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az.: 28 O 16198/18, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen, und stellte mit Schriftsatz vom 25.11.2020 den Hauptantrag neu wie folgt:
„Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 7.272,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.“
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Die Klagepartei verteidigt das Ersturteil; auf die Berufungserwiderung vom 14.07.2020 (Blatt 320/341 d. A.) wird verwiesen. Der Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs stehe der Annahme eines Schadens nicht entgegen.
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Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 26.07.2021 (Blatt 361/369 d. A.) Bezug genommen.
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Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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1. Die Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519 ZPO) und begründet (§ 520 ZPO).
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2. Soweit der Kläger mit Schriftsatz der Klägervertreter vom 25.11.2020 (Blatt 348/351 d. A.) seinen Antrag zu 1) geändert hat, handelt es sich um eine gem. § 264 Nr. 2 ZPO, § 533 Nr. 1 Alt. 1 i. V. m. § 267 ZPO, § 533 Nr. 2 i. V. m. § 529 ZPO zulässige Klageänderung, so dass der Senat über die zuletzt gestellten Anträge zu entscheiden hat.
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3. Die Berufung ist unbegründet.
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a) Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadensersatz aus §§ 826 i. V. m. § 31 BGB auf Ersatz des für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und des erzielten Weiterverkaufspreises zu.
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(1) Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826 i. V. m. § 31 BGB sind erfüllt (vgl. das einen Parallelfall betreffende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 f.).
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aa) Das Verhalten der Beklagten, mit dem einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einherging, dass bei einer Aufdeckung des Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder - untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, ist im Verhältnis zum Kläger objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. BGH, NJW 2020, 1962, Rn. 16 f.).
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bb) Auch der subjektive Tatbestand des § 826 BGB ist erfüllt.
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Der Kläger hat zum Kenntnisstand bzw. zum Handeln des früheren Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, Dr. M. W., und weiterer Vorstandsmitglieder hinreichend substantiiert vorgetragen.
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Die Beklagte ist der ihr insoweit obliegenden sekundären Darlegungslast (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 36 f.) nicht nachgekommen, so dass der klägerische Vortrag gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 37).
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(2) Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB entstanden. Dieser liegt unmittelbar im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags über das Fahrzeug, das jeweils einen verdeckten Sachmangel aufwies, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können, und somit im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, NJW 2020, 1962, Rn. 44 f., 53). Unerheblich ist insoweit, dass sich die Stilllegungsgefahr nicht verwirklicht hat (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 54).
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Der Senat ist auch der Überzeugung, dass die Kausalität zwischen dem Handeln der Beklagten und dem Vertragsschluss durch den Kläger gegeben ist. Insoweit ist von einem Erfahrungssatz auszugehen, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 49, 51). Dieser wird nicht dadurch widerlegt, dass der Kläger das Fahrzeug nach Bekanntwerden der „Diesel-Thematik“ weiter nutzte, zumal die Beklagte zur Behebung der mit der Motorsteuerung zusammenhängenden Probleme das Software-Update anbot.
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Auch die durchgeführten Software-Updates führten nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss und damit zu einem Entfallen des Schadens (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 58).
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(3) Der Kläger muss sich jedoch im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, NJW 2020, 1962, Rn. 64 f.).
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(aa) Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist - auch, wenn ihm ein deliktisches Handeln der Beklagten zugrunde liegt - im Wege der Vorteilsanrechnung um die vom Kläger gezogene Nutzungsvorteile zu reduzieren (vgl. BGH, NJW 2020, 1962, Rn. 66 f; NJW 2020, 2796, Rn. 11).
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(bb) Der gem. § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile legt der Senat folgende Berechnungsformel zugrunde:
Nutzungsvorteil = Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer (seit Erwerb) / voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (vgl. BGH, NJW 2020, 2796, Rn. 12 f.; Reinking/Eggert/Eggert, Der Autokauf, Rn. 3563).
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(cc) Daraus ergibt sich für das streitgegenständliche Fahrzeug folgende Berechnung:
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Der Senat geht von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km aus. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass nicht nur auf die Qualität des Motors abgestellt werden kann, der möglicherweise bei überwiegender Nutzung auf Langstrecken sowie optimaler Wartung und Pflege auch höhere Laufleistungen absolvieren könnte. Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass die Lebenserwartung des Fahrzeugs an sich aufgrund des Verschleißes anderer Teile und der zunehmenden Unwirtschaftlichkeit von Reparaturen nicht ohne Weiteres der Lebenserwartung des Motors entspricht (vgl. Reinking/Eggert/Eggert, Der Autokauf, Rn. 3573).
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Da der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug als Neufahrzeug erwarb, lag die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt somit bei 250.000 km. Auf den Kaufpreis von 15.490,00 € bezogen, entspricht dies einem Nutzungsvorteil von 6,196 Ct pro km, so dass dem Kläger für die gefahrenen 47.084 km eine Nutzungsentschhädigung von 2.917,32 € anzurechnen ist.
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Damit bemaß sich der Schadensersatzanspruch des Klägers kurz vor Weiterveräußerung des Fahrzeugs auf 12.572,68 €.
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(4) Auf diesen Betrag muss sich der Kläger den Erlös des Weiterverkaufs von 5.300,00 € anrechnen lassen.
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(aa) Die Weiterveräußerung des Fahrzeugs führt nicht dazu, dass ein Schaden des Klägers als solcher ausgeschlossen wäre. Zutreffend ist zwar, dass das Risiko einer künftigen Stilllegung des mangelhaften Fahrzeugs nicht mehr den Kläger, sondern den Erwerber trifft. Dies lässt aber den im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags liegenden Schadens des Klägers nicht entfallen, weil der Kläger weder die zu erwartende Restnutzung des Fahrzeugs voll in Anspruch genommen noch den von ihm gezahlten Kaufpreis (anteilig) zurückerhalten hat. Die Tatsache, dass es die Entscheidung des Klägers war, das Fahrzeug weiter zu veräußern, kann gegebenenfalls den Anspruch des Klägers unter dem Aspekt einer Verletzung seiner Schadensminderungsobliegenheit reduzieren oder gänzlich zum Wegfall bringen; sie führt aber jedenfalls nicht per se zum Wegfall des Schadens (BGH Urteile vom 20. Juli 2021, VI ZR 533/20 und 575/20).
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(bb) Zu der Frage, ob der Kläger gegen seine Schadensminderungsobliegenheit verstoßen hat, fehlt es bereits an einem substantiierten Vortrag der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten hinsichtlich des ohne Mitwirkung des Klägers eingetretenen Wertverlusts des Fahrzeugs. Diese Frage betrifft auch keinen Umstand aus der Sphäre des Klägers; umgekehrt ist davon auszugehen, dass die Beklagte als Fahrzeugherstellerin einen wesentlich besseren Einblick in die Entwicklung der für vergleichbare Dieselfahrzeuge erzielbaren Marktpreise hat als der Kläger.
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Im Ergebnis kann somit die Verletzung einer Schadensminderungsobliegenheit durch den Kläger nicht festgestellt werden.
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(5) Im Ergebnis steht dem Kläger damit ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 7.772,68 € zu.
34
b) Der Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen folgt aus § 291 BGB i. V. m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
35
c) Die geltend gemachte Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten kann der Kläger ebenfalls auf der Grundlage des § 826 i. V. m. § 31 BGB verlangen, da vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten des Klägers als Teil des ihm entstandenen Schadens zu ersetzen sind (vgl. Palandt/Grüneberg, § 249 BGB, Rn. 56 f.).
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(5) Der Einwand der Beklagten, der Kläger und seine Prozessbevollmächtigten hätten nicht darauf vertrauen dürfen, dass sie ohne Anrufung des Gerichts leisten würde, so dass die Beauftragung der Klägervertreter, außergerichtlich tätig zu werden, nicht erforderlich und zweckmäßig gewesen sei, greift nicht durch.
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Im Hinblick auf das Risiko einer sofortigen Anerkenntnisses der Beklagten mit der Folge einer Kostentragung des Klägers nach § 93 ZPO entspricht es grundsätzlich anwaltlicher Vorsicht, den Anspruch eines Mandanten zunächst außergerichtlich geltend zu machen. Dem stand im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass die Beklagte sich in einer Vielzahl von Parallelfällen nicht zu einer außergerichtlichen Leistung bzw. Einigung hatte bewegen lassen, da insoweit aus Sicht eines einzelnen Anspruchstellers bzw. dessen anwaltlichen Vertreters nicht ersichtlich war, ob die Beklagte an der bislang praktizierten Handhabung auf Dauer festhalten würde oder ob eventuell bereits außergerichtliche Einigungen - gegebenenfalls unter Einbeziehung von Schweigeklauseln - erzielt werden konnten (vgl. Urteil des OLG München, 14 U 5570/19, Ziffer II. 5. c) (1).
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(6) Da der Kläger die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten bisher noch nicht beglichen hat, steht ihm ein Anspruch auf Freistellung (vgl. § 257 BGB) zu.
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4. Der Senat geht davon aus, dass mit dem Verkauf kein weiteres Feststellungsinteresse im Sinne von Ziffer 2. des Endurteils des Landgerichts München I besteht, weshalb das Ersturteil auch insoweit, kostenmäßig ohne Nachteile für die Klagepartei, aufzuheben war. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH NJW 2020, 1962; NJW 2020, 2796; NJW 2020, 2806.