Titel:
Tarifbeschäftigter, Beamtin, Erfordernis der Erstellung und Einholung einer Anlassbeurteilung aufgrund einer Beurteilungsrichtlinie, Vergleichbarkeit von Regel- und Anlassbeurteilung, Überlappungszeitraum von Beurteilungszeiträumen
Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
Schlagworte:
Tarifbeschäftigter, Beamtin, Erfordernis der Erstellung und Einholung einer Anlassbeurteilung aufgrund einer Beurteilungsrichtlinie, Vergleichbarkeit von Regel- und Anlassbeurteilung, Überlappungszeitraum von Beurteilungszeiträumen
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57567
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle einer Teamleiterin bzw. eines Teamleiters D.(m/w/d) im Referat …, D.zentrum … am Dienstort … mit dem Beigeladenen zu besetzen, bevor nicht über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden worden ist.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 17.399,88 Euro.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Dienstposten als Teamleiterin bzw. Teamleiter D. (m/w/d) im Referat …, D.zentrum … in …, mit dem Beigeladenen zu besetzen.
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1. Die Antragsgegnerin veröffentlichte am 31.03.2021 eine Stellenausschreibung unter der Kennziffer … als Teamleiterin bzw. Teamleiter D. (m/w/d) Referat …, D.zentrum … in … Die Tätigkeit ist mit der Besoldungsgruppe A 13g BBesO bzw. Entgeltgruppe 12 TV EntGO Bund bewertet. Die Besetzung erfolge gemäß den Verfahrensgrundsätzen zur Besetzung von spitzbewerteten Dienstposten (vgl. dazu Gerichtsakte Bl. 66 und Verwaltungsakte Bl. 45 ff.). Bewerbungsberechtigt waren Beamtinnen und Beamte des gehobenen Dienstes sowie vergleichbare Tarifbeschäftigte. Es gingen auf die Ausschreibung neun formal geeignete Bewerbungen ein, darunter die der Antragstellerin und des Beigeladenen. Die Bewerbungsfrist endete am 14.04.2021.
3
Die am … geborene Antragstellerin steht als Regierungsamtsrätin in der Funktion einer Sachbearbeiterin D. im Dienste der Antragsgegnerin. Sie wurde zum 01.01.2021 befördert und befindet sich seitdem in der Besoldungsgruppe A12. Aus ihrer Regelbeurteilung in der Besoldungsgruppe A11 mit dem Stichtag 01.06.2020 für den Beurteilungszeitraum vom 01.03.2018 bis zum 31.05.2020 geht die Gesamtnote „7“ von 9 hervor.
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Der Beigeladene ist Tarifbeschäftigter in der Entgeltgruppe E11. Aus seiner Anlassbeurteilung für den Zeitraum vom 11.01.2020 bis zum 14.04.2021 geht eine Gesamtnote „8“ von 9 hervor.
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Aus einem undatierten Schreiben der Antragsgegnerin (Verwaltungsakte Bl. 38), das nach den Bewerbungsgesprächen vom 06. und 13.09.2021 gefertigt wurde, ergeben sich Erwägungen für die Auswahl des Beigeladenen. Nach Auswertungen der Beurteilungsnoten im Zusammenhang mit den Besoldungs- und Entgeltgruppen wurden Vorstellungsgespräche - ohne die Antragstellerin - geführt. Daraus ging der Beigeladene als geeigneter Besetzungskandidat hervor. Ihm sollte der Dienstposten vor endgültiger Übertragung für eine Erprobungszeit von sechs Monaten übertragen werden. Die Antragsgegnerin sah aufgrund der Zustellung des Eilantrags davon ab, weitere Schritte hinsichtlich der Besetzung zu unternehmen und den Personalrat sowie die Gleichstellungsbeauftragte zu beteiligen.
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Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 17.09.2021, das der Antragstellerin laut Zustellungsurkunde am 25.09.2021 zuging (Verwaltungsakte Bl. 36 f.), wurde ihr die Absage mitgeteilt. Das Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Gegen dieses Schreiben erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 28.10.2021 Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde.
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2. Mit Schriftsatz vom 01.10.2021, eingegangen bei Gericht an demselben Tag, hat die Antragstellerin über ihren Bevollmächtigten einen Eilantrag eingelegt und beantragt,
Der Antragsgegnerin wird vorläufig untersagt, die Stelle des Teamleiters /der Teamleiterin D. (Stellenausschreibung …) mit einem anderen Bewerber zu besetzen, bevor nicht über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden worden ist.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzt worden sei, da die Antragsgegnerin die Auswahlentscheidung nicht anhand aktueller, vergleichbarer Beurteilungen getroffen habe. Aus den Verfahrensgrundsätzen für die Besetzung spitzbewerteter Dienstposten ergebe sich, dass für alle Bewerbenden, die die formalen Anforderungen erfüllen, Anlassbeurteilungen eingeholt werden, sofern die letzte Beurteilung nicht mehr aktuell sei. Das Gebot größtmöglicher Vergleichbarkeit verlange, den Beurteilungszeitraum so zu wählen, dass er mit den Beurteilungszeiträumen der Beurteilungen anderer Bewerber im Wesentlichen übereinstimme. Bei sich bewerbenden Tarifbeschäftigten müsse die Antragsgegnerin stets anlassbezogene Beurteilungen einholen und habe deshalb für vergleichbare Beurteilungen und für den erforderlichen Ausgleich im Falle der Nichtvergleichbarkeit Sorge zu tragen. Entscheidend sei die Ermöglichung eines „gerechten“ Leistungsvergleichs. Wie beim Beigeladenen hätte im Falle der Antragstellerin eine Anlassbeurteilung eingeholt werden können. Hinsichtlich der Antragstellerin und dem Beigeladenen bestehe eine zeitliche Kongruenz der Beurteilungen von 4,5 Monaten. Auch sei die Länge der Beurteilungszeiträume fraglich. Die Beurteilung gebe zudem nicht den aktuellen Leistungsstand der Antragstellerin in ihrem neuen Statusamt wider. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin die Note im neuen Statusamt gehalten hätte und die Beurteilung des Beigeladenen kompensiere. Hinsichtlich einer Herabwertung verbiete sich jeder Automatismus. Eine etwaige Steigerung bis zum 14.04.2021 sei zu berücksichtigen. Die Auswahl der Antragstellerin sei dann vor dem Hintergrund, dass sie eine Frau sei, wahrscheinlich. Eine Personalratsanhörung sei nicht ersichtlich. Eine Anhörung der Gleichstellungsbeauftragten dürfte nicht erfolgt sein.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat für die Antragsgegnerin beantragt,
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Zur Begründung bezog sie sich auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1/18). Sie führte im Wesentlichen aus, dass die Beurteilung der Antragstellerin hinreichend aktuell sei. Da für sie ein zweijähriger Regelbeurteilungszeitraum bestehe, sei ihre Beurteilung zum Stichtag 01.06.2020 ausreichend. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus ihrer Beförderung. Eine Anlassbeurteilung nach Ziffer 2.2 Abs. 1 Spiegelstrich 6 der Richtlinie für die Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Geschäftsbereich des BMI (ohne Bundespolizei) (im Folgenden: Beurteilungsrichtlinie) sei nicht erforderlich gewesen, da sich die Antragstellerin zum Ende der Ausschreibungsfrist am 14.04.2021 noch keine sechs Monate in ihrem höheren Amt befunden habe. Auch sei keine Anlassbeurteilung aufgrund des abweichenden Beurteilungszeitraums zum Beigeladenen einzuholen gewesen. Der Aktualisierungsbedarf sei für jeden Bewerbenden gesondert zu betrachten. Insbesondere habe sich die von der Antragstellerin wahrzunehmende Aufgabe nach der Einholung der Regelbeurteilung nicht geändert. Es sei einzuwenden, dass grundsätzlich bei gleicher Leistung im höheren Statusamt davon auszugehen sei, dass es zu einer Notenabsenkung komme, wobei dies für die Antragstellerin wegen der Aktualität der Regelbeurteilung nicht entschieden werden müsse. Die Anlassbeurteilung des Beigeladenen weise die geforderte Aktualität auf und sei aufgrund des über ein Jahr dauernden Beurteilungszeitraums auch inhaltlich aussagekräftig. Dass die Beurteilung des Beigeladenen nach dem 14.04.2021 erstellt worden sei, sei dem Umstand geschuldet, dass der gesamte Beurteilungszeitraum hinreichend berücksichtigt werden könne. Die Anhörung des Personalrats sei nicht erfolgt, da die Antragsgegnerin aufgrund der Erstzustellungsverfügung Abstand davon genommen habe.
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Mit Beschluss vom 05.10.2021 wurde der erfolgreiche Bewerber auf die streitgegenständliche Stelle zum Verfahren beigeladen. Er hat sich zum Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
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Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der zulässige Antrag hat in der Sache Erfolg.
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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind dabei gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Indem die Antragsgegnerin es unterlassen hat, eine Anlassbeurteilung einzuholen und dem Leistungsvergleich zeitlich nicht hinreichend vergleichbare Beurteilungen zugrunde gelegt hat, hat sie den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzt. Des Weiteren erachtet die Kammer die Erfolgsaussichten der Antragstellerin bei einer erneuten Auswahl als offen.
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1. Die Antragstellerin hat den erforderlichen Anordnungsgrund, die besondere Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung, glaubhaft gemacht. Eine Besetzung des Dienstpostens mit dem Beigeladenen steht unmittelbar bevor. Zwar findet der Grundsatz der Ämterstabilität im Bereich der Tarifbeschäftigten keine Anwendung. Jedoch bindet sich die Antragsgegnerin aufgrund des arbeitsrechtlichen Verhältnisses gegenüber ihren Tarifbeschäftigten. Sie muss sich deshalb an der Vergabe der streitbefangenen Stelle festhalten lassen. Die Stellenbesetzung mit einem Tarifbeschäftigten kann deshalb nicht ohne weiteres rückgängig gemacht und der betreffende Dienstposten neu besetzt werden (vgl. dazu VG München, B.v. 6.7.2016 - M 5 E 16.2127 - juris Rn. 18 f; BayVGH, B.v. 20.5.2008 - 3 CE 08.702 - juris Rn. 49). Daraus folgt, dass die Antragstellerin ohne diesen Eilantrag einen Rechtsverlust zu befürchten hat, wodurch sie einen Anordnungsgrund glaubhaft machen konnte.
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2. Die Antragstellerin konnte auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen, weil die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung, die streitgegenständliche Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verletzt. Denn die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin zulasten der Antragstellerin beruht auf nicht vergleichbaren Regel- und Anlassbeurteilungen.
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a) Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Daraus folgt der Anspruch eines Bewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung - sog. Bewerbungsverfahrensanspruch -, der auch die Einhaltung der wesentlichen Verfahrensvorschriften mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 17.8.2005 - 2 C 36.04 - juris). Aufgrund der Verfahrensabhängigkeit des sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden subjektiven Rechts und der Garantie von Art. 19 Abs. 4 GG sind die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitigkeiten gehalten, den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes im Eilverfahren besonders Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95).
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Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine Auswahl also möglich erscheint. Allerdings kann der nicht zum Zuge gekommene Bewerber grundsätzlich nicht gerichtlich feststellen lassen, dass er anstelle des ihm vorgezogenen Konkurrenten hätte ausgewählt werden müssen. Vielmehr ist es im Hinblick auf den Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Dienstherrn bei der Auswahlentscheidung grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2012 - 7 CE 11.1432 - juris).
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Der Grundsatz der Bestenauslese ist auch bei einer Konkurrenz zwischen einem Beamten (Beförderungsbewerber) und einem Tarifbeschäftigten (Höherstufungsbewerber) zu beachten (vgl. VG München, B.v. 25.5.2020 - M 5 E 19.5164 - juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 24.3.2016 - 3 CE 16.290 - juris Rn. 17).
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Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle sind in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen, denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 - 2 VR 3/11 - NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 18.6.2012 - 3 CE 12.675 - juris; VG München, B.v. 26.10.2012 - M 5 E 12.3882 - juris; B.v. 24.10.2012 - M 5 E 12.2637 - juris). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell und inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich, dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind, das Leistungsvermögen hinreichend differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen. Die Aktualität dienstlicher Beurteilungen bemisst sich nach dem verstrichenen Zeitraum zwischen dem Beurteilungsstichtag und dem Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (ständige Rechtsprechung, vgl. nur jüngst BayVGH, B.v. 5.11.2019 - 3 CE 19.1896 - juris Rn. 13). Außerdem ist darauf zu achten, dass die dem Vergleich der Konkurrenten zugrunde gelegten Beurteilungen untereinander vergleichbar sind. Eine höchstmögliche Vergleichbarkeit wird grundsätzlich durch einen gemeinsamen Stichtag und einen gleichen Beurteilungszeitraum erreicht. Soweit keine vergleichbaren periodischen Beurteilungen zur Verfügung stehen, können Anlassbeurteilungen erstellt werden. Diese können der Auswahlentscheidung dann nach den dargestellten Grundsätzen zugrunde gelegt werden. Das Gebot der größtmöglichen Vergleichbarkeit gilt auch beim Vergleich zwischen periodischen Beurteilungen für Beamte und Leistungsnachweise für Tarifbeschäftigte (BayVGH, B.v. 24.3.2016 - 3 CE 16.290 - juris Rn. 21).
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b) Die streitgegenständliche Auswahlentscheidung entspricht nicht diesen Grundsätzen und ist rechtlich zu beanstanden.
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Aus dem undatierten Schreiben der Antragsgegnerin (Seite 38 bis 40 der Verwaltungsakte) in Verbindung mit der dieses Schreiben vertiefenden Ausführung der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung geht hervor, dass die Antragstellerin im Vergleich aufgrund ihrer niedrigeren Gesamtnote in Verbindung mit ihrer Entgelt- und Besoldungsgruppe nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen war. Insoweit wurde formell ordnungsgemäß vermerkt, weshalb die Antragsgegnerin nicht ausgewählt wurde. Im Rahmen des Leistungsvergleichs hat die Antragsgegnerin jedoch den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzt, weil sie es versäumt hat, ihrer Auswahlentscheidung die nach der Beurteilungsrichtlinie erforderliche Beurteilung zugrunde zu legen (unter aa)). Zudem hat sie den Leistungsvergleich auf Beurteilungen gestützt, die hinsichtlich ihrer Beurteilungszeiträume nicht hinreichend vergleichbar waren (unter bb)).
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aa) Es ergab sich nach summarischer Prüfung aus Ziff. 2.2 Abs. 1 Spiegelstrich 6 Alt. 2 der Beurteilungsrichtlinie die Pflicht der Antragsgegnerin, auch für die Antragstellerin eine Anlassbeurteilung zu erstellen und der Auswahlentscheidung zugrunde zu legen. Denn diese Regelung hat die Antragsgegnerin dahingehend gebunden. Das alleinige Abstellen auf die dienstliche Beurteilung 2020 der Antragstellerin für die Auswahlentscheidung ist deshalb nicht sachgerecht.
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Hat der Dienstherr Richtlinien über die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler aufgrund des Gleichheitssatzes hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der anzulegenden Maßstäbe an diese Richtlinien gebunden (BVerwG, B.v. 22.11.2012 - 2 VR 5/12 - juris Rn. 27). Von Beurteilungsrichtlinien kann ein Dienstherr aus sachlich vertretbaren Gründen abweichen. Maßgebend ist dann die von der Behörde tatsächlich geübte Praxis (OVG HH, B.v. 15.2.2006 - 2 B 377/05 - juris Rn. 27). Ziff. 2.2 Abs. 1 der Beurteilungsrichtlinie regelt, dass unbeschadet der Regelbeurteilung Eignung, Befähigung und fachliche Leistung zu beurteilen sind, wenn es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern (Anlassbeurteilungen). Anlassbeurteilungen sind u.a. nach Spiegelstrich 6 zu erstellen „(…) bei Beförderungsentscheidungen, sofern die letzte Beurteilung nicht mehr aktuell ist, oder sich die Beamtin oder der Beamte seit mindestens mehr als 6 Monaten in einem statusrechtlich höheren Amt befindet“. Hinsichtlich der Aktualität ist die Rechtsprechung der jeweils zuständigen Gerichtsbarkeit zu berücksichtigen. Die erkennende Kammer geht aufgrund des eindeutigen Wortlauts davon aus, dass der Dienstherr in den Fällen einer Beförderungsentscheidung eine Anlassbeurteilung, ohne dass es der Bewerbende beantragen müsste, erstellen muss, die er dann seiner Auswahlentscheidung zugrunde zu legen hat. Ansonsten ergäbe die Pflicht, eine Anlassbeurteilung zu erstellen, keinen Sinn.
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Insoweit hat sich die Antragsgegnerin in der zweiten Alternative der o.g. Regelung über die vom Bundesverwaltungsgericht (U.v. 9.5.2019 - 2 C 1/18) postulierten Anforderungen hinaus selbst gebunden, eine Anlassbeurteilung zu erstellen und im Rahmen des Bewerbungsverfahrens einzuholen. Wann der sechsmonatige Zeitraum allerdings beendet wird, ist in der Richtlinie nicht geregelt und bedarf der Auslegung. Dabei ist im Rahmen der summarischen Prüfung aus Gründen der Rechtsklarheit auf den maßgeblichen Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage in den Fällen des Konkurrentenstreitverfahrens abzustellen, d.h. den Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (vgl. u.a. BVerwG, B.v. 12.12.2017 - 2 VR 2/16 - juris Rn. 32). Denn dann wird materiell-rechtlich eine Entscheidung über die Bewerbung in der Sache getroffen. Die Auswahl dieses Zeitpunkts gebietet sich auch dadurch, dass die Bewerbungsfrist keine Ausschlussfrist darstellt. Ihr kommt lediglich die Qualität einer Ordnungsfrist zu mit der Folge, dass es im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde liegt, ob sie eine verspätete Bewerbung noch berücksichtigt oder zurückweist (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2013 - 3 CE 12.2176 - juris Rn. 31 m.w.N.).
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Gemessen daran war aufgrund der Regelung in der Beurteilungsrichtlinie für die Antragstellerin eine Anlassbeurteilung zu erstellen und einzuholen. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin war nicht der 14.04.2021 der Stichtag, an dem die Antragstellerin die sechsmonatige Frist erfüllen musste. Da die Auswahlentscheidung über die Bewerbung der Antragstellerin erst frühestens im September 2021 getroffen wurde, befand sie sich im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung länger als sechs Monate in ihrem neuen höheren Statusamt als Regierungsamtsrätin in der Besoldungsgruppe A12, das sie am 01.01.2021 angetreten hat. Zudem hat die Antragsgegnerin keinen sachlichen Grund vorgetragen, von der Beurteilungsrichtlinie abzuweichen. In diesem Zusammenhang kann sie sich auch nicht auf die Aktualität der Regelbeurteilung der Antragstellerin berufen. Denn das Erfordernis, eine Anlassbeurteilung einzuholen, lag hier unabhängig von der Aktualität der Regelbeurteilung vor, so der Wortlaut „oder“ der Regelung der Beurteilungsrichtlinie. Deshalb war es nicht sachgerecht, ausschließlich die periodische Beurteilung 2020 der Antragstellerin für den Leistungsvergleich heranzuziehen.
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bb) Die Kammer hat im Rahmen der summarischen Prüfung zudem erhebliche Zweifel an der Vergleichbarkeit der Beurteilungen, die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegt worden sind, hinsichtlich der sich überlappenden Beurteilungszeiträume.
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Zunächst gibt es keinen Rechtssatz, wonach dienstliche Beurteilungen hinsichtlich des Beurteilungszeitraums und des Stichtags stets gleich sein müssten; dementsprechend ist auch der von der Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz der „höchstmöglichen Vergleichbarkeit (…) ein Optimierungsziel, das immer nur so weit wie möglich angestrebt werden kann“ (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris Rn. 58). Fehlen vergleichbare periodische Beurteilungen, setzt eine am Leistungsgrundsatz orientierte Auswahlentscheidung demnach voraus, dass die maßgeblichen äußeren Kriterien einer Vergleichbarkeit so weit wie möglich einzuhalten sind; dabei ergibt sich der Beurteilungszeitraum einer Anlassbeurteilung aus ihrem Zweck. Die einzelnen Beurteilungszeiträume müssen zwar im Wesentlichen übereinstimmen, weil nur so eine vergleichbare Aussagekraft zu Eignung, Befähigung und Leistung der Bewerber untereinander gewährleistet ist (BayVGH, B.v. 28.6.2002 - 3 CE 02.1282 - juris Rn. 35). Unterschiedliche Aktualitätsgrade der einer Auswahlentscheidung zugrunde zu legenden Beurteilungen sind jedoch in bestimmten Konstellationen zwangsläufig in Kauf zu nehmen. Wird einem Bewerber eine Anlassbeurteilung erteilt, sind nicht allein deshalb für alle Bewerber Anlassbeurteilungen einzuholen (vgl. dazu BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris Rn. 57 f.; BayVGH, B.v. 18.9.2020 - 3 CE 20.1849 - juris Rn. 11). Dabei sind auch größere Zeitdifferenzen zwischen einer Regel- und einer Anlassbeurteilung hinzunehmen, solange ein Qualifikationsvergleich auf der Grundlage beider Beurteilungen ohne ins Gewicht fallende Benachteiligung eines Bewerbers nach dem Grundsatz der Bestenauslese möglich bleibt (BVerwG, U.v. 9.5.2019, a.a.O. Rn. 59). Im Verhältnis der Regelzu Anlassbeurteilung gilt das Gebot der größtmöglichen Vergleichbarkeit, das nur aus zwingenden Gründen eingeschränkt werden darf (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 3 CE 13.1518 - juris Rn. 34 f. m.w.N.). Vor diesem Hintergrund erachtete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Fall einen „Überlappungszeitraum“ von 17 Monaten als gerade noch ausreichend, da dieser Wert bezogen auf den Zeitraum der Anlassbeurteilung einen Anteil von zwei Dritteln abdeckte bzw. auf die periodische Beurteilung nur etwa 40 v.H. (vgl. dazu BayVGH, B.v. 26.4.2021 - 3 CE 20.3137 - juris Rn. 20).
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Gemessen daran hat die Antragsgegnerin gegen das Gebot der größtmöglichen Vergleichbarkeit verstoßen, da kein Grund vorliegt, diesen Grundsatz zwanghaft einzuschränken. Denn der „Überlappungszeitraum“ der hiesigen Beurteilungen beträgt lediglich ca. 4,5 Monate (11.01.2020 bis 31.05.2020). Dieser Zeitraum deckt weder zwei Drittel des Zeitraums der Anlassbeurteilung des Beigeladenen (10 von 15 Monaten) noch 40 v.H. des Regelbeurteilungszeitraums der Antragstellerin (6,75 von 27 Monaten) ab. Dadurch, dass sich die maßgeblichen Beurteilungszeiträume nicht ausreichend überlappen, kann kein ordnungsgemäßer Leistungsvergleich zwischen den Beteiligten durchgeführt werden. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht die von der Antragsgegnerin vorgetragene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 9.5.2019 - 2 C 1.18 - juris). Denn diese befasst sich nicht mit der hier im Raum stehenden Frage der Vergleichbarkeit einer periodischen Beurteilung mit einer Anlassbeurteilung hinsichtlich ihrer zeitlichen Überschneidung. Daraus folgt, dass der Leistungsvergleich auf zeitlich nicht hinreichend vergleichbaren Beurteilungen beruht und deshalb nicht sachgerecht war.
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c) Die Kammer erachtet die Erfolgsaussichten der Antragstellerin bei einer erneuten Auswahl nach summarischer Prüfung als offen. Zwar wird in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass es zulässig ist, das im vorherigen Amt vergebene Gesamturteil bei der erstmaligen Beurteilung nach einer Beförderung in der Regel herabzustufen, wenn der Beamte seine bisher gezeigten Leistungen nicht weiter gesteigert hat (vgl. VGH BW, U.v. 23.3.2004 - 4 S 1165/03 - juris Rn. 15 ff.). Hieraus erwächst aber kein Automatismus. Es besteht die Möglichkeit, dass die Antragstellerin ihre Note hält, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie seit der Regelbeurteilung (Stichtag 01.06.2020) bis zum Zeitpunkt ihrer Absage dieselben Tätigkeiten wahrgenommen hat. Insofern wäre die Vorhersage einer Note im Rahmen der Anlassbeurteilung reine Spekulation. Für den Fall, dass die Antragstellerin ihre Note in der Besoldungsgruppe A12 halten kann, muss die Antragsgegnerin Abs. 4 Nr. 3 der Verfahrensgrundsätze der Beurteilungsrichtlinie berücksichtigen und Auswahlgespräche durchführen. Insofern kann nicht von vornherein festgestellt werden, dass es sich bei der Antragstellerin um eine chancenlose Bewerberin handelt.
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3. Dem Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, er trägt seine außergerichtlichen Kosten gem. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO selbst.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 40, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57). Er beträgt ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge des angestrebten Amtes (BayVGH, B.v. 18.4.2018 - 3 CE 18.618 - juris Rn. 10). Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der ausgeschriebenen Stelle um einen spitzbewerteten Dienstposten in der Besoldungsgruppe A13g handelt. Das Gericht hat den Streitwert ausgehend vom Betrag des Grundgehalts der höchsten Stufe in der Besoldungsgruppe A13 (5.799,96 Euro) zum Zeitpunkt der Antragstellung auf 17.399,88 Euro festgesetzt (vgl. OVG NW, B.v. 2.11.2021 - 1 B 897/21 - juris Rn. 20 f.; BayVGH, B.v. 24.10.2017 - 6 C 17.1429 - juris Rn. 10 ff.).