Titel:
Nichtzulassungsbeschwerde, Nichtzulassung, Beschwerdesache, Verteidiger, Rechtsbeschwerde, Beschwerde, Darlegungsanforderungen, Laufbahn, Divergenz, Rechtssatz, Bedeutung, Darlegung, Nutzung, Wehrbeschwerdeordnung, Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde, Nutzung von
Schlagworte:
Nichtzulassungsbeschwerde, Nichtzulassung, Beschwerdesache, Verteidiger, Rechtsbeschwerde, Beschwerde, Darlegungsanforderungen, Laufbahn, Divergenz, Rechtssatz, Bedeutung, Darlegung, Nutzung, Wehrbeschwerdeordnung, Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde, Nutzung von
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57538
Tenor
1. Der Nichtzulassungsbeschwerde vom 23. Dezember 2019 wird abgeholfen und die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 18. November 2020 - Az. S 4 BLc 1/20 - aufgehoben.
2. Die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführerin wird zugelassen und das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt.
Gründe
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1. Das Verfahren betrifft die Verhängung eines Verweises wegen einer Kontaktanzeige zur Anbahnung sexueller Kontakte über die Dating-App „T.“.
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2. Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 23. Dezember 2020, eingegangen beim Truppendienstgericht Süd, 4. Kammer, am selben Tage, gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in der Wehrbeschwerdesache Az. S 4 Blc 01/20, Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 22b der Wehrbeschwerdeordnung (WBO) eingelegt. Der Beschluss in der Disziplinarbeschwerdesache war ihrem Verteidiger am 25. November 2020 zugestellt worden.
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3. Nachdem der Verteidiger Anfang Januar 2021 Akteneinsicht erhalten hatte, begründete er die Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021, eingegangen beim Truppendienstgericht Süd, 4. Kammer, am selben Tage.
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4. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz vom 25. Januar 2021 Bezug genommen.
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Aus Sicht der Kammer ist der Nichtzulassungsbeschwerde abzuhelfen, da die Rechtsbeschwerde wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Beschwerdesache gemäß § 22a Absatz 1 Nr. 1 WBO in der Beschwerdeentscheidung zuzulassen gewesen wäre.
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1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist gemäß § 22b Absatz 2 Satz 1 WBO fristgerecht eingelegt und innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden.
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2. Die Rechtsbeschwerde ist wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Beschwerdesache gemäß § 22a Absatz 1 Nr. 1 WBO zuzulassen.
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a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Rechtsbeschwerde entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 2 WNB 8.20, Rn. 10 und vom 12. April 2018 - 2 WNB 1.18, Rn. 5). In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 22b Absatz 2 Satz 2 WBO dargelegt, d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Rechtsbeschwerde- bzw. Revisionsverfahren zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 2 WNB 8.20, Rn. 10 und vom 29. Oktober 2012 - 2 WNB 3.12, Rn. 12). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses und mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 2 WNB 8.20, Rn. 10 und vom 8. April 2020 - 2 WNB 2.20, Rn. 5).
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b) Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung aus Sicht der Kammer noch gerecht.
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Die Beschwerdebegründung sieht insgesamt siebzehn, sich allerdings teilweise überschneidende, Fragen als grundsätzlich bedeutsame Rechtsfragen an. Im Kern betreffen diese die Frage, ob die private Nutzung einer Online-Dating-Plattform wie „T.“ - ohne dass dabei die Zugehörigkeit zu den Streitkräften offenbart wird - zur aktiven Suche nach Sexualpartner für Soldatinnen und Soldaten im Allgemeinen bzw. für Repräsentanten im Besonderen die soldatische Pflicht gemäß § 17 Absatz 2 Satz 3, 1. und 2. Alternative des Soldatengesetzes (SG) verletzt, sich außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Damit wird zugleich eine Rechtnorm des Bundesrechts benannt, deren Auslegung für die konkret aufgeworfenen Fragen fortentwickelt werden soll.
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Zu Recht wird diese Frage auch als entscheidungserheblich dargestellt, da der gegen die Beschwerdeführerin verhängte Verweis keinen Bestand haben kann, wenn bereits die in der Begründung aufgeworfenen Fragen verneint werden.
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Zur Frage der allgemeinen Bedeutung der Rechtsfragen für die Rechtsordnung führt der Bevollmächtigte in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus, dass die Nutzung von Online-Dating-Plattformen - auch zur Anbahnung sexueller Kontakte - bereits jetzt einen hohen Bekanntheits- und Benutzungsgrad aufwiesen, so dass damit zu rechnen sei, dass auch Soldatinnen und Soldaten einen solchen Dienst aktiv nutzen oder zumindest nutzen könnten. Die Fragen hätten damit eine über den Einzelfall hinausgehende allgemeine Bedeutung.
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Hinsichtlich der gebotene Befassung der Nichtzulassungsbeschwerde verweist der Verteidiger der Beschwerdeführerin darauf, dass es weder zu der Frage der Dienstpflichtwidrigkeit bei der privaten Nutzung von digitalen Dating-Plattformen noch zur Frage der Dienstpflichtwidrigkeit legaler privater Sexualkontakte Rechtsprechung der Ober- oder Bundesgerichte gebe. Eine Auseinandersetzung mit einer „einschlägigen Rechtsprechung“ war vor diesem Hintergrund nicht möglich.
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3. Entgegen der Auffassung des Verteidigers kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde hingegen nicht auf die sog. Divergenzrüge nach § 22a Absatz 2 Nr. 2 WBO gestützt werden.
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a) Nach der Rechtsprechung setzt die ordnungsgemäße Darlegung des Zulassungsgrunds der Divergenz voraus, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, den angefochtenen Beschluss tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in einer genau bezeichneten Entscheidung eines Wehrdienstgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Dezember 2020 - 2 WNB 8.20, Rn. 6 und vom 29. Oktober 2012 - 2 WNB 3.12, Rn. 17).
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b) Soweit im vorliegenden Fall eine Abweichung vom Urteil des Truppendienstgerichts Süd, 10. Kammer, vom 19. Oktober 2000 - Az. S 10 VL 5/00 - gerügt wird, vermag die Kammer eine solche nicht zu erkennen. Zwar heißt es dort im bei Juris veröffentlichten Orientierungssatz 1:
„Beim Umgang mit Sexualität in den Streitkräften ist von dem Rechtsgrundsatz auszugehen, dass der Intimbereich und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des GG Art. 2 Abs. 1 ivm Art. 1 Abs. 1 steht, wonach jeder Mensch auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung hat. Die Bundeswehr ist bei der Aufnahme von Frauen in die Streitkräfte zunächst für die Laufbahn als Offiziere des Sanitätsdienst und später generell für die Sanitätstruppe und den Musikdienst stets davon ausgegangen, das der Dienstbetrieb von heterosexuellen Beziehungen freizuhalten ist, dh mit anderen Worten „sexuell neutral“ abzuwickeln ist. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund der weiteren Öffnung der Streitkräfte für Frauen. Denn der militärische Dienstbetrieb würde durch das Dulden sexueller Betätigung zwischen Soldaten verschiedenen Geschlechts wie etwa die Gefahr ungerechtfertigter Bevorzugung oder Benachteiligung des Geschlechtspartners deutlich gestört. So könnten etwa auch Untergebene versuchen, sich durch gezielte sexuelle Annäherung persönliche Vorteile zu verschaffen.“
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Dieser Fall unterscheidet sich allerdings von der vorliegenden Disziplinarbeschwerdesache. Denn dem Orientierungssatz 3 der zitierten Entscheidung ist zu entnehmen, dass der angeschuldigte Unteroffizier gleichwohl im Ergebnis wegen des einverständlichen Geschlechtsverkehrs mit einem weiblichen Mannschaftsdienstgrad in der gemeinsamen militärischen Unterkunft wegen eines Dienstvergehens zu einer Gehaltskürzung verurteilt wurde. Damit wird deutlich, dass auch das in Orientierungssatz 1, Satz 1 aufgestellte Postulat eine disziplinare Ahndung nicht generell ausschließt.
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Nach § 22b Absatz 5 Satz 1 WBO wird im Falle der Abhilfe das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren als Rechtsbeschwerdeverfahren fortgesetzt. Nach § 22b Absatz 5 Satz 2 WBO ist die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung über die Zulassung zu begründen. Darauf ist nach § 22b Absatz 5 Satz 3 WBO in dem Beschluss hinzuweisen.