Titel:
Kindergeld, Bescheid, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitgeber, Widerspruchsbescheid, Ausreise, Eritrea, Aufenthalt, Widerspruch, Kind, Erinnerung, Anspruch, Internet, Kenntnis, Aufenthalt des Kindes, Anspruch auf Kindergeld, nicht ausreichend
Schlagworte:
Kindergeld, Bescheid, Aufenthaltserlaubnis, Arbeitgeber, Widerspruchsbescheid, Ausreise, Eritrea, Aufenthalt, Widerspruch, Kind, Erinnerung, Anspruch, Internet, Kenntnis, Aufenthalt des Kindes, Anspruch auf Kindergeld, nicht ausreichend
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57463
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2020 verurteilt, dem Kläger ab Oktober 2019 Kindergeld nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger ab Oktober 2019 Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) hat.
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Der 1996 geborene Kläger stammt aus Eritrea. Im Jahr 2014 flüchtete der Kläger nach Deutschland. Mit Bescheid vom 09.12.2015 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zu.
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Mit Schreiben vom 21.09.2018 beantragte der Kläger erstmals Kindergeld bei der Beklagten. Der Kläger absolvierte zu diesem Zeitpunkt eine Ausbildung zum Metallbauer. Er gab an, dass seine Mutter bereits 2003 gestorben sei. Die Anschrift des Vaters sei nicht bekannt. Zuletzt habe der Vater in Asmara gewohnt. Er sei 2014 geflüchtet, ohne dem Vater Bescheid zu geben. Seitdem sei ihm der Aufenthalt des Vaters unbekannt. Der Vater sei Soldat.
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Der Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 22.01.2019 Kindergeld für den Zeitraum März 2018 bis Februar 2019. Da der Aufenthaltstitel ende, werde nach Einreichung der Verlängerung über die Kindergeldzahlung ab März 2019 entschieden.
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Am 07.08.2019 wurde das Ausbildungsverhältnis vom Arbeitgeber gekündigt.
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Am 01.09.2019 begann der Kläger eine neue Ausbildung, nunmehr zum Anlagenmechaniker. Die Ausbildung soll im Februar 2023 enden.
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Mit Bescheid vom 20.09.2019 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Kindergeld für die Zeit ab Juli 2019 ab. Der Kläger habe keine Bemühungen dargelegt, den Aufenthalt der Eltern zu ermitteln.
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Nachdem der Kläger erneut Unterlagen vorlegte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 03.07.2020 den Antrag auf Kindergeld ab Oktober 2019 ab. Der Kläger habe keine Bemühungen dargelegt, den Aufenthalt der Eltern zu ermitteln.
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Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 06.08.2020 ließ der Kläger Widerspruch erheben. Der Vater lebe mit unbekanntem Aufenthalt bei der Armee. Eine Kontaktaufnahme über das Internet oder Handy scheitere. Der Kläger sei bei der Tante aufgewachsen. Er habe den Vater vor seiner Flucht nach dem Tod der Mutter in 2003 nur zwei Mal getroffen. Informationen zum Aufenthalt des Vaters seien nicht einholbar. Die Tante oder auch andere Verwandte würden den Aufenthalt des Vaters nicht kennen. Die Lage in Eritrea mache die Suche unmöglich. Wenn dem Kläger die Suche möglich wäre, hätte er es schon längst getan, nachdem der Vater das einzige, eventuell noch lebende Elternteil sei.
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Mit Schreiben vom 14.08.2020 forderte die Beklagte den Kläger unter anderem dazu auf, Nachweise der Anfragen bei Verwandten oder Behörden vorzulegen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.09.2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen vorzunehmen, um den Aufenthaltsort der Eltern herauszufinden. Dazu gehöre ggf. die Nachfrage bei Behörden, Verwandten usw. Ansonsten sei von einer missbräuchlichen Unkenntnis auszugehen. Sei kein Aufgebotsverfahren zum Zwecke der Todeserklärung beantragt oder kein Aufgebot erlassen worden, müsse zumindest unterstellt werden, dass das Kind es vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen habe, Hinweise über den Aufenthalt der Eltern nachzugehen. Der Aufenthalt des Vaters beim Militär sei ein Anhaltspunkt zur Ermittlung des Aufenthaltsortes des Vaters gewesen. Über das Militär oder durch Verwandte sei es möglich gewesen, den Aufenthaltsort des Vaters zu ermitteln. Zudem habe der Kläger weder staatliche Behörden noch private Hilfsorganisationen (z. B. Suchdienst des Roten Kreuzes) kontaktiert oder aufgesucht.
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Daraufhin hat sich der Kläger mit seiner Klage vom 09.10.2020, die am 14.10.2020 einging, an das Sozialgericht Landshut gewandt. Der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe keine Ermittlungen vorgenommen, gehe ins Leere. Dem Kläger stünden keine Möglichkeiten zur Verfügung. Der Kläger hat einen neuen Aufenthaltstitel für die Zeit bis 21.10.2022 vorgelegt.
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Wegen seines Flüchtlingsstatus könne sich der Kläger nicht an die Botschaft von Eritrea wenden.
den Bescheid der Beklagten vom 03.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Oktober 2019 zu gewähren.
15
Die Beklagte beantragt,
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Der Kläger legte auch im Klageverfahren keinen Nachweis vor, den Aufenthalt des Vaters zu ermitteln. Selbst wenn ihm der Aufenthalt des Vaters unbekannt sei, seien vom Kläger die ihm möglichen Anstrengungen zu erwarten. Würden die Anstrengungen unterlassen, bestehe kein Anspruch auf Kindergeld. Der Kläger möge seine Nachforschungen bei Verwandten oder dem Militär vorlegen.
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Mit Schreiben vom 22.02.2021 hat der Kläger ergänzt, dass er vor ca. sechs Monaten zuletzt seine Tante zum Aufenthaltsort des Vaters befragt habe. Diese habe keine Auskunft geben können. Anfragen beim Militär seien für eine geflohene Person weder zu bewerkstelligen, noch erfolgversprechend.
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Daraufhin hat die Beklagte mit Schreiben vom 03.03.2021 erwidert, dass der Kläger den Nachweis der Kontaktaufnahme schriftlich vorlegen möge. Er reiche aus, dass dem Kläger der generelle Aufenthaltsort des Vaters beim Militär bekannt sei.
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In der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2021 hat der Kläger unter anderem angegeben:
„Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich kein gutes Verhältnis zu meinem Vater. Ich wollte auch keinen Kontakt zu meinem Vater, deshalb habe ich auch meinen Vater 2014 nicht gefragt, wo er konkret stationiert ist. Ich wusste nur, er war beim Militär.“
„Ich kann mich nur noch an ein Treffen 2003 erinnern. Davor, als meine Mutter noch lebte, habe ich keine Erinnerung an meinen Vater.“
„Wenn ich von meiner Tante spreche, meine ich, sie ist eigentlich die Cousine meiner Mutter. Sie ist nicht mit meinem Vater verwandt.“
„Bezogen auf meine Mutter hatte ich eine kleine Schwester. Sie ist leider schon verstorben. Ob mein Vater weitere Kinder hat, weiß ich nicht.“
„Vor ca. 9 Monaten habe ich bei meiner Tante angerufen und gefragt, ob sie wisse, wo mein Vater lebe. Sie sagte mir, sie wisse es nicht. Sonst habe ich keine Ermittlungen vorgenommen.“
„Wenn ich im Ausländerverfahren angegeben habe, dass ich zu meiner Schwester nach Mannheim möchte, da meinte ich mit Schwester die Tochter meiner Tante, mit der ich zusammen aufgewachsen bin.“
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der Bescheid der Beklagten vom 03.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.09.2020 ist rechtswidrig, so dass der Kläger hierdurch beschwert ist im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Kindergeld nach Maßgabe des BKGG. Dabei hat der Kläger den Anspruch auf den Zeitraum ab Oktober 2019 beschränkt. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt liegen auch die Anspruchsvoraussetzungen vor.
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1. Der Kläger war im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigte, § 1 Abs. 3 Nr. 2 BKGG. Ob schon für die Zeit vor Oktober 2019 die Anspruchsvoraussetzungen vorlagen, braucht wegen der Beschränkung des Leistungsbegehrens nicht entschieden zu werden.
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Das Ende des Leistungsanspruchs im Juli 2021 folgt aus § 1 Abs. 2 S. 2 BKGG in Verbindung mit § 2 Abs. 2 BKGG, da der Kläger am 27.07.2021 die für die Kindergeld-Gewährung geltende Altershöchstgrenze von 25 Jahren erreicht hat. Gemäß § 5 Abs. 1 BKGG wird das Kindergeld dann noch bis zum Ende des Monats gewährt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen, also hier bis Juli 2021 einschließlich.
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2. Der Kläger erfüllt auch die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld nach dem BKGG.
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Nach § 1 Abs. 2 S. 1 BKGG erhält Kindergeld für sich selbst, wer 1. in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, 2. Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und 3. nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist.
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Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
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Der Kläger hat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Er lebt seit 2014 in Deutschland, zumindest seit 01.09.2019 absolviert der Kläger eine neue Ausbildung, die jedenfalls im Februar 2023 enden soll. Er verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis, die bis Oktober 2022 gültig ist. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger in absehbarer Zeit beabsichtigt, nach Eritrea zurückzukehren. Der Kläger ist auch nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen. Die Mutter ist, soweit ersichtlich, tot, der Vater lebt jedenfalls nicht in Deutschland.
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3. Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BKGG: Zwar ist er nicht Vollwaise, aber er kennt den Aufenthalt seiner Eltern nicht.
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Die Mutter des Klägers ist, soweit ersichtlich, tot. Dies wird auch nicht von der Beklagten bezweifelt.
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Ob der Vater des Klägers noch lebt, ist unbekannt. Den letzten Kontakt zu ihm hatte der Kläger nach eigenen Angaben im Jahr 2014. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn der Kläger hat nach Überzeugung der Kammer jedenfalls keine Kenntnis vom Aufenthaltsort seines Vaters. Dabei schließt lediglich positive Kenntnis des antragstellenden Kindes von dem Aufenthalt des Elternteils den Leistungsanspruch aus (grundlegend hierzu und zu dem hierbei anzuwendenden subjektiven Maßstab siehe Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 08. April 1992 - 10 RKg 12/91 -, SozR 3-5870 § 1 Nr. 1). Dieser Rechtsprechung, die nach wie vor aktuell ist (siehe BSG, Urteil vom 05. Mai 2015 - B 10 KG 1/14 R -, BSGE 119, 33-43, SozR 4-5870 § 1 Nr. 4, Rn. 16), wird seitens der landessozialgerichtlichen und sozialgerichtlichen Rechtsprechung soweit veröffentlicht, zumindest überwiegend (vgl. nur Landessozialgericht für das Land Niedersachsen, Urteil vom 20. Februar 2001 - L 8/3 KG 5/00 -; Sozialgericht (SG) Landshut, Beschluss vom 17. April 2012 - S 10 KG 1/12 ER -; SG Mainz, Urteil vom 22. September 2015 - S 14 KG 4/15 -; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. Juni 2016 - L 5 KG 1/15 -; Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 - L 2 KG 1/18 B ER -; SG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juli 2020 - S 19 KG 5/20 -). In der Entscheidung von 1992 hatte das BSG zugleich darauf hingewiesen, dass sich aus § 1 Abs. 2 (S. 1) Nr. 2 BKGG „in keinerlei Hinsicht“ ein Verschuldensgrad entnehmen lasse, bei dessen Vorliegen eine positive Kenntnis unterstellt werden könne. Damit reicht es nicht aus, wenn das antragstellende Kind schuldhaft (grob fahrlässig oder vorsätzlich) Hinweisen über den Aufenthaltsort seiner Eltern (hier des Vaters) nicht nachgeht (BSG, Urteil vom 08.04.1992, a. a. O., Rn. 18). Lediglich bei „missbräuchlicher Nichtkenntnis“ sei zu erwägen, ob dies einer Kenntnis im Sinne von § 1 Abs. 2 (S. 1) Nr. 2 BKGG gleichgestellt werden könne (a. a. O.). In diesem Zusammenhang hat das BSG auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zu § 852 BGB hingewiesen (a. a. O.). Diesen Gesichtspunkt hat das LSG Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 23.06.2016 - L 5 KG 1/15 - aufgegriffen und hierzu ausgeführt (Rn. 36, 37):
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Nach § 852 Abs. 1 BGB a.F. hängt der Beginn der Verjährung von deliktischen Ansprüchen davon ab, dass der Verletzte - oder der Wissensvertreter - Schaden und Schädiger positiv kennen. Die Vorschrift wird auch dann angewendet, wenn der Verletzte die Kenntnis zwar tatsächlich nicht besitzt, sie sich aber in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe beschaffen könnte. Denn der Verletzte soll es nicht in der Hand haben, die Verjährungsfrist einseitig dadurch zu verlängern, dass er die Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis verschließt (Rechtsgedanke des § 162 BGB). Allerdings genügt eine grob fahrlässig verschuldete Unkenntnis der positiven Kenntnis nicht. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn der Geschädigte eine sich ihm ohne Weiteres anbietende, gleichsam auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeit nicht wahrnimmt. Nur dann liegt ein Fall von missbräuchlichem sich Verschließen vor der Kenntnis vor, der mit einer positiven Kenntnis gleichzusetzen ist.
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Kriterien für eine missbräuchliche Unkenntnis sind nach der Rechtsprechung des BGH: Das Verschließen der Augen vor einer sich aufdrängenden Kenntnis, oder die unterbliebene Wahrnehmung von sich anbietenden und auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeiten, deren Erlangen weder besondere Kosten noch nennenswerte Mühe verursacht. Dies ist der Fall, wenn etwa eine einfache Nachfrage genügen würde zur positiven Kenntniserlangung. Dies gilt aber dann nicht mehr, wenn lange und zeitraubende Telefonate oder umfangreiche Schriftwechsel erforderlich würden (BGH, Urteil vom 08.04.1992, a. a. O. (16)). Ebenfalls keine missbräuchliche Kenntnis liegt vor, wenn der Geschädigte die aus seiner Sicht in Betracht kommenden Auskunftsstellen erfolglos um Mitteilung gebeten und erst durch eine verspätet gewährte Akteneinsicht Kenntnis erlangt hat (BGH, Urteil vom 08.04.1992, a. a. O., (17)).
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Dem entsprechen die Hinweise des BSG in dem Urteil vom 08.04.1992 (a. a. O., Rn. 20), die auf die Erwägungen der Vorinstanz verweisen, wonach eine Nichtkenntnis des Kindes von dem Aufenthalt seiner Eltern dann nicht anzunehmen sei, wenn der Aufenthalt durch einfache Nachforschungen zu ermitteln sei; darüber hinausgehende Anforderungen, insbesondere der Nachweis fruchtloser Bemühungen bei den zuständigen Behörden des letzten Aufenthaltsstaates, könnten jedoch nicht verlangt werden.
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Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass ein missbräuchliches „sich Verschließen“ vorliegt, das der positiven Kenntnis gleichzusetzen wäre (zu dieser Formulierung LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O., Leitsatz 1).
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Dem Kläger kann nicht widerlegt werden, dass er den aktuellen Aufenthalt seines Vaters nicht kennt. Es erscheint nicht lebensfremd, dass ein ohnehin nur zweifacher Kontakt mit dem Vater, nicht aufrechterhalten werden konnte. Der Kläger hat nachvollziehbar ausgeführt, dass der Vater für ihn praktisch eine fremde Person war und er, weil der Vater sich nicht um ihn gekümmert habe, auch die aktuelle Adresse des Vaters beim letzten Treffen im Jahr 2014 nicht erfragen wollte. Vorliegend geht es um einen Zeitraum von etwa fünf Jahren seit der Ausreise des Klägers aus Eritrea bis zu dem hier streitigen Zeitraum. Ob ein Anschreiben an das Militär rechtzeitig den Aufenthalt aufgeklärt hätte, ist offen. Die bloße Möglichkeit der Kontaktaufnahme reicht zudem nicht aus. Ausreichend ist auch nicht die bloße Kenntnis, der Vater sei beim Militär. Denn auch hierbei handelt es sich um keinen konkreten Aufenthaltsort im Sinne des Gesetzes. Vielmehr kommt es auf einen festen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (mit konkreter Adresse) an (SG Mainz, Urteil vom 22.09.2019 - S 14 KG 4/15 -). Hierfür bestehen vorliegend keinerlei Anhaltspunkte. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich bei der von ihr (im Nachhinein) geforderten Ermittlungen auch nicht um „einfache Nachforschungen“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 08.04.1992, a. a. O., Rn. 20). Die Annahme „einfacher Nachforschungen“ scheidet bereits dann aus, wenn hierfür „lange und zeitraubende Telefonate oder umfangreiche Schriftwechsel“ erforderlich würden (LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O., Rn. 37). Gleiches gilt grundsätzlich auch für Nachforschungen im Ausland (BSG, a. a. O.). Damit bleiben im Wesentlichen übrig nur Rückfragen bei inländischen Behörden (Einwohnermeldeamt, ggfls. Jugendamt) sowie Rückfragen bei gemeinsamen Bekannten und Verwandten. Diese kamen hier aber entweder nicht in Betracht (deutsche Behörden) oder sie sind nach Angaben des Klägers, die nicht widerlegt werden können, schlichtweg nicht vorhanden (Verwandte, Bekannte).
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Soweit die Beklagte auf Nachforschungen bei Behörden in Eritrea oder privater Organisationen im Ausland verweist, hat sie dies bezeichnenderweise selbst nicht näher konkretisiert. „Einfache Nachforschungen“ liegen jedenfalls bereits dann nicht mehr vor, wenn hierfür erforderlich ist, dass das antragstellende Kind selbst erst die Behörden, Institutionen oder privaten Einrichtungen ermitteln muss, bei denen dann auch noch völlig unklar ist, ob diese überhaupt entsprechende Auskünfte geben könnten (SG Düsseldorf, Urteil vom 20. Juli 2020 - S 19 KG 5/20 -).
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Dem ist auch nicht weiter nachzugehen, da es nach der Rechtsprechung des BSG, der das erkennende Gericht folgt, nicht auf die objektiven Umstände ankommt, sondern allein ein subjektiver, auf den Antragsteller bezogener Maßstab anzuwenden ist (BSG, a. a. O., Rn. 17, Rn. 20).
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Es kann vorliegend dahinstehen, ob es einem Menschen mit zuerkannter Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich zumutbar wäre, sich ausgerechnet an Behörden oder gar das Militär des Herkunftslandes zu wenden.
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Der Kläger hat folglich Anspruch auf Kindergeld für sich selbst für die Zeit von Oktober 2019 bis Juli 2021 in der gesetzlichen Höhe.
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Vor der Auszahlung des Nachzahlungsbetrages wird die Beklagte allerdings zu prüfen haben, ob und inwieweit vorab Erstattungsansprüche Dritter hiervon zu befriedigen sind.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.