Titel:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Kaufvertrag, Kaufpreis, Fahrzeug, untersagung, Sittenwidrigkeit, Rechtsanwaltskosten, Software, Berichterstattung, Streitwert, Herausgabe, Kenntnis, Mangel, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Schlagworte:
Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Kaufvertrag, Kaufpreis, Fahrzeug, untersagung, Sittenwidrigkeit, Rechtsanwaltskosten, Software, Berichterstattung, Streitwert, Herausgabe, Kenntnis, Mangel, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Rechtsmittelinstanzen:
LG Traunstein, Berichtigungsbeschluss vom 01.07.2021 – 9 O 2809/20
OLG München, Beschluss vom 04.10.2021 – 9 U 3585/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 05.09.2022 – VIa ZR 371/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2022 – VIa ZR 371/21
Fundstelle:
BeckRS 2021, 57446
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 23.875,10 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger verlangt Schadensersatz im Zusammenhang mit der „VW-Abgasthematik“.
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Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag von 07.02.2014 in Kössen, Österreich, bei der VW -Audi -Werkstätte, die als Verkaufsagentin für die tätig war, einen Neuwagen VW Caddy Maxi Comfortline TDI. Der Kaufpreis betrug 28.044,12 € zzgl. 19% für steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe in Höhe von 5.328,36, also insgesamt 33.372,48 €.
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Die Lieferung erfolgte am 28.04.2014. Für den Innenausbau des Fahrzeuges zahlte der Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 3.782,97 € gemäß Rechnung vom 07.05.2014 an die Firma .
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Der Kläger hatte mit dem Fahrzeug bislang 2 Verkehrsunfälle, am 02.06.2015 und am 26.05.2020, die vollständig repariert sind.
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In das Fahrzeug ist ein Motor EA 189 eingebaut. In diesen Motor wurde von der Beklagten eine Motorsoftware zur Optimierung der Stickstoffemissionswerte im behördlichen Prüfverfahren eingebaut. Dabei erkennt die Software, ob sich das Kfz auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet. Auf dem Prüfstand spielt die eingebaute Software ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbetrieb. Hierdurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickoxidwerte erzielt. Es handelt sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
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Das Kraftfahrbundesamt (KBA) hat den Rückruf der Fahrzeuge mit dem Motor des Typs EA189 EU5 und eine entsprechende Nachrüstung angeordnet. Ein von der Beklagten entwickeltes Softwareupdate wurde durch das KBA freigegeben.
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Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 07.04.2020 hat der Kläger von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges verlangt.
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Das Fahrzeug hat am 07.03.2021 und damit am Tag vor der mündlichen Verhandlung einen Kilometerstand von 120.355 km aufgewiesen.
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Der Kläger trägt vor, die Beklagte habe ihn betrogen und in sittenwidriger Weise geschädigt.
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Es liege ein Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen vor. Das Fahrzeug entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften und sei mit einem Mangel behaftet.
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Die Beklagte hätte auch Kenntnis davon gehabt, dass der verbaute Motor nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe. Die Manipulationen seien den verfassungsmäßigen Vertretern der Beklagten bekannt gewesen, welches konkrete Organ Kenntnis gehabt habe, müsse die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vortragen.
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Beim Aufspielen des Updates sei zudem erneut eine illegale Abschalteinrichtung installiert worden in Gestalt eines sog. Thermofensters.
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Ohne die Manipulation und Täuschung hätte der Kläger das Fahrzeug nicht erworben. Durch die Manipulation der Abgasbehandlung sei der Klagepartei bereits mit Kaufvertragsabschluss ein Vermögensschaden entstanden. Der Mangel des Fahrzeugs könne auch nicht durch ein Softwareupdate behoben werden.
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Ansprüche seien nicht verjährt, der Kläger habe erst 2016 Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs gehabt. Der Kläger sei mit dem Aufspielen des update davon ausgegangen, dass damit das Fahrzeug in Ordnung sei. Im Hinblick auf das neu eingebaute Thermofenster werde Arglist hinsichtlich der Verjährung eingewandt. Dadurch sei er von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten worden.
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Jedenfalls aber bestehe ein nicht verjährter Anspruch aus § 852 BGB auf Herausgabe dessen was die Beklagte erlangt habe. Die Beklagte habe den Kaufpreis abzüglich der gezogenen Nutzung und abzüglich der Händlermarge erlangt. Zum Umfang der Haftung müsse die Beklagte vortragen.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 37.155,45 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer, sich nach der Formel EUR 33.372,48 x gefahrene Kilometer / 300.000 km berechnenden Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges VW Caddy Fahrgestellnummer …77 zu bezahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von Euro 1.242,84 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Der Kläger lege schon nicht substantiiert dar, dass er in Kenntnis der Umschaltlogik vom Kauf Abstand genommen hätte. Die vorgetragenen Erwerbsmotive würden bestritten, das Update habe keine negativen Folgen. Ein unzulässiges Thermofenster sei nicht verbaut.
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Es werde die Einrede der Verjährung geltend gemacht, der Dieselskandal sei bereits Ende September 2015 bekannt geworden. Durch umfangreiche Berichterstattung und auch Maßnahmen der Beklagten sei die Öffentlichkeit informiert worden. Soweit 2015 Unkenntnis hinsichtlich der EA -189-thematik und von der eigenen Betroffenheit behauptet werde, habe jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis vorgelegen. Jedenfalls 2016 habe positive Kenntnis bestanden, nachdem die Klägerin die Halter angeschrieben habe. Somit hätte Klage erhoben werden können.
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Ein Anspruch aus § 852 BGB scheide aus, weil sich der wirtschaftliche Schaden vorliegend nicht feststellen lasse. Darüber hinaus könne sich die Klagepartei nicht auf diese Vorschrift berufen, weil sie sich als Verbraucherin der Musterfeststellungsklage des vzbv gegen die Beklagte vor dem Oberlandesgericht Braunschweig hätte anschließen können. Zudem müsste das Fahrzeug Zug um Zug herausgegeben werden.
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Hinsichtlich der sämtlichen weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat am 11.01.2021 und am 19.04.2021 mündlich verhandelt. Im Termin vom 11.01.2021 wurde der Kläger angehört.
Entscheidungsgründe
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A. Zulässigkeit der Klage
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I. Sachliche und örtliche Zuständigkeit
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Das Landgericht Traunstein ist sachlich und gemäß § 39 ZPO auch örtlich zuständig.
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B) Begründetheit der Klage
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Die Klage ist unbegründet.
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I. Der Kläger hat das Fahrzeug in Österreich erworben. Er macht deliktische Ansprüche geltend. Der Schaden ist mit dem Erwerb des Fahrzeugs eingetreten. Im Deliktsrecht steht die objektive Anknüpfung nach dem sog. Tatortprinzip im Vordergrund. Dies verweist auf das Recht des Staates, in dem sich das Delikt zugetragen hat. Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO verdrängt die Anknüpfung an den Erfolgsort, wenn die Parteien im Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 23 Rom II-VO) in demselben Staat hatten. Somit kommt deutsches Recht zur Anwendung.
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II. Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises
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1. Anspruch aus § 826, 31 BGB
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Grundsätzlich steht der Klagepartei gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu. Insoweit ist jedoch die Regelverjährung eingetreten.
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Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 wesentliche Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5, entschieden.
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Der BGH ist davon ausgegangen, dass die Beklagte im Motor EA 189 eine Software verwendet hat, die im Rahmen der Typgenehmigung erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wurde. In diesem Fall wurde in einen Stickoxid (NOx) - optimierten Modus geschaltet. Diesen Umstand hat der BGH als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB beurteilt, weil in diesem Modus die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5- Norm nicht eingehalten wurden und sich damit die Beklagte die Typgenehmigung erschlichen hat.
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a. Eintritt eines Schadens
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Das Fahrzeug war im Zeitpunkt des Erwerbs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, was gegebenenfalls zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können (BGH a. a. O. Rn. 52 ff). Der Schaden ist damit bereits mit dem Erwerb des Fahrzeuges entstanden. Auf das spätere Software-Update kommt es bei der Frage des Schadens nicht an. Ein Schaden aufgrund einer sittenwidrigen Schädigung ist grundsätzlich im Rahmen der Differenzhypothese zu ermitteln, d. h. durch ein Gegenüberstellen der jetzigen Vermögenslage des Geschädigten und derjenigen, die ohne eine Schädigung bestehen würde. Durch den Kaufvertrag hat sich die Klagepartei zur Abnahme und Bezahlung eines technisch nicht einwandfreien, den gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprechenden Fahrzeuges, verpflichtet. Dem Fahrzeug fehlte die dauerhafte Zulassungsfähigkeit.
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b. Verursachung dieses Schadens durch ein Verhalten der Beklagten aa. Es liegt eine Täuschung der Klagepartei über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor.
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Der Käufer eines Fahrzeugs jedenfalls setzt die Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben arglos als selbstverständlich voraus.
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bb. Die Täuschung war auch kausal für den Schaden der Klagepartei Es ist davon auszugehen, dass der Kläger in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte (§ 286 ZPO). Dabei hat der BGH in der genannten Entscheidung gebilligt, dass bei der Gesamtwürdigung ein aus der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts sich ergebender Erfahrungssatz zugrunde gelegt werden kann. Danach ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH a. a. O. Rn 49).
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c. Sittenwidrigkeit des ursächlichen Verhaltens
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt.
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Das Verhalten der Beklagten war objektiv sittenwidrig, weil davon auszugehen ist, dass sie auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in 7-stelligen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (BGH a. a. O., Rn. 16 ff). Ziel der Beklagten war dabei die Gewinnerhöhung, wobei dieses an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns auch im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge dann verwerflich wird, wenn dies auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde erreicht werden soll, weil damit eine Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden (gegebenenfalls Stilllegung des Fahrzeugs) als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt (BGH a. a. O. Rn. 23).
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d. Vorsatz des Schädigers
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Die Beklagte bzw. deren Organe haben vorsätzlich gehandelt.
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aa. Der Vorsatz muss sich auf die Tatsachen beziehen, die den konkreten Tatbestand ausmachen. Bei § 826 BGB ist somit zu fordern, dass der Täter Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände hat.
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Eine genaue Vorstellung vom Kausalverlauf ist dabei ebenso wenig erforderlich, wie die Kenntnis von der Person des Geschädigten. Es reicht vielmehr aus, wenn der Schädiger die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und billigend in Kauf genommen hat.
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Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die den Schadstoffausstoß beeinflussende Software wurde willentlich entwickelt und installiert. Die Wirkungsweise war ebenso gewollt. Während des Durchlaufens des NEFZ sollte der Prüfstand erkannt werden und der Schadstoffausstoß während der behördlichen Prüfung gesenkt werden, um die erforderlichen Genehmigungen trotz fehlender Genehmigungsfähigkeit zu erhalten. Dies geschah, um den Gewinn zu steigern und die Marktstellung der Beklagten zu verbessern. Weiter war der Beklagten und den in verantwortlicher Position Handelnden bewusst, dass die Käufer ihre Kaufentscheidung auf unzutreffender Tatsachengrundlage treffen würden, weil die Fahrzeuge hinter deren berechtigten Erwartungen zurückgeblieben und diese deshalb einen nachteiligen, auf Täuschung beruhenden Vertrag eingehen werden.
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Das Verhalten und der Vorsatz ihrer verantwortlichen Mitarbeiter sind der Beklagten gemäß § 31 BGB auch zuzurechnen. Es hat sich um eine strategische Entscheidung im Konzern der Beklagten gehandelt (BGH a. a. O. Rn. 29 ff). Insoweit gelten die Grundsätze der sekundären Darlegungslast, der die Beklagte nicht nachgekommen ist. Das Bestreiten der Beklagten ist daher als unerheblich anzusehen.
Im Hinblick auf den sich aus den §§ 826, 249 Abs. 2 Satz 1, 251 Abs. 1 BGB ergebenden haftungsausfüllenden Tatbestand bestünde grundsätzlich ein Anspruch so gestellt zu werden, als wäre der Kaufvertrag nicht geschlossen worden. Dies würde zur Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung des Eigentums am streitgegenständlichen Pkw unter Berücksichtigung des Nutzungsersatzes führen. Bei einer anzunehmenden Gesamtlaufleistung bis zu 300.000 km, einem Bruttopreis von 33.372,48 € und einem km-Stand von 120.355 ergäbe sich ein Betrag von 13.388,48 € (33.372,48 € x 120.355 / 300.000), der Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs an die Beklagte zu zahlen wäre.
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f. Verjährung deliktischer Schadensersatzansprüche Den Schadensersatzansprüchen des Klägers aus Delikt steht die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist 3 Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist.
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Im Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass soweit der Geschädigte im Jahr 2015 von dem sogenannten Diesel- oder Abgasskandal allgemein sowie von der konkreten Betroffenheit seines Dieselfahrzeugs Kenntnis erlangt hat, es ihm aufgrund dessen was ihm damals hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt war, zumutbar war, Klage zu erheben.
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In der genannten Entscheidung hat der BGH, die von der Beklagten in der Klageerwiderung vorgetragenen Einzelheiten über das Bekanntwerden des Skandals bewertet.
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Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Termin vom 11.01.2021 angegeben, dass er Salamiweise Kenntnis vom Dieselskandal erlangt habe. Er habe sich aber einfach nicht vorstellen können, dass gegen den irgendeine Chance bestehe anzutreten, nach und nach habe er dann die Sache klarer gesehen. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass dieser Weltkonzern betrogen haben sollte. Es habe sich aus seiner Sicht um eine ungeheuerliche Sache gehandelt. Bewusst sei ihm erst mit der Entscheidung der Musterfeststellungsklage geworden, dass ein Betrug vorliegt.
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In der Entscheidung vom 17.12.2020 hat der BGH auf seine ständige Rechtsprechung zur Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hingewiesen. Demnach hat die erforderliche Kenntnis in dem Zeitpunkt vorgelegen, zu dem dem Geschädigten Tatsachen bekannt werden, die den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen lassen.
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Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, somit auf den Lebenssachverhalt, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist weder notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Die erforderliche Kenntnis ist vielmehr bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen. Es muss dem Geschädigten lediglich zumutbar sein, aufgrund dessen, was ihm hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufs bekannt ist, Klage zu erheben, wenn auch mit dem verbleibenden Prozessrisiko, insbesondere hinsichtlich der Nachweisbarkeit von Schadensersatz auslösenden Umstände. Die dreijährige Verjährungsfrist gibt dem Geschädigten dann noch hinreichende Möglichkeiten, sich für das weitere Vorgehen noch sicherere Grundlagen, insbesondere zur Beweisbarkeit seines Vorbringens, zu verschaffen. Aus der Regelung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die nur auf die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände abstellt, ergibt sich, dass das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Bewertung eines Sachverhalts vom Gesetz grundsätzlich dem Anspruchsinhaber auferlegt wird. Nicht erforderlich ist also in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht.
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Der Kläger hat angegeben, dass ihm der Dieselskandal bekannt gewesen ist. Es habe aber außerhalb seiner Vorstellungskraft gelegen, dass der betrogen haben könnte. Soweit der Kläger vorträgt, er sei durch das Softwareupdate von der Erhebung der Klage abgehalten worden, hat sich dies in der Anhörung nicht bestätigt. Zudem hat das KBA das Softwareupdate freigegeben, sodass insoweit davon ausgegangen werden muss, dass selbst soweit ein Thermofenster verbaut wäre, es sich nicht um ein unzulässiges Thermofenster handelt und es jedenfalls an der Sittenwidrigkeit fehlen würde (OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 - 8 U 201/20). Somit ist davon auszugehen, dass der Kläger die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Umstände kannte. Die Beklagte hat die Öffentlichkeit in Form von Pressemitteilungen ab Ende September 2015 bis Mitte Oktober 2015 darüber informiert, dass der Motor EA189 mit einer Abschalteinrichtung versehen ist, die vom Kraftfahrt-Bundesamt als nicht ordnungsgemäß angesehen werde und daher zu entfernen sei. Auch durch das KBA wurde die Öffentlichkeit hierüber informiert. Zeitgleich war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand einer sehr umfassenden Presseberichterstattung. Der Kläger hat somit den bekannten Sachverhalt falsch eingeschätzt. Das Risiko der fehlerhaften Bewertung liegt jedoch beim Anspruchsteller. Spätestens mit der Mitteilung des Rückrufs im Jahr 2016 hat Kenntnis vorgelegen. Somit ist jedenfalls mit dem Jahresende 2019 Verjährung eingetreten, die Klage ist jedoch erst im Jahre 2020 bei Gericht eingegangen.
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g. Anspruch auf Herausgabe des gemäß § 852 Satz 1 BGB Erlangten Damit besteht nur noch ein Anspruch nach § 852 BGB. Herauszugeben wäre was die Beklagte auf Kosten des Klägers im Sinne der Vorschrift erlangt hat.
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aa. Hat der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt, so ist er auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet. Dieser Anspruch verjährt nach § 852 Satz 2 BGB in zehn Jahren von seiner Entstehung an, ohne Rücksicht auf die Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis.
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Nach Ablauf der Regelverjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB wird der Schädiger zwar davor geschützt, sein eigenes Vermögen für den Ausgleich des Schadens einzusetzen, grundsätzlich aber nicht davor, wenigstens die durch die unerlaubte Handlung erlangten Vorteile herausgeben zu müssen - sog. Restschadensersatzanspruch (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 852 Rn. 2). Diese Vorschrift ist nicht als Rechtsgrundverweisung auf die §§ 812 ff. BGB, sondern als Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 818 ff. BGB zu verstehen (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 852 Rn. 6).
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Die Beklagte hat das herauszugeben, was sie durch die Manipulation des verkauften Fahrzeugs auf Kosten des Klägers erlangt hat.
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bb. Bei der Frage nach dem, was die Beklagte durch die unerlaubte Handlung erlangt hat, sind grundsätzlich die Umstände des Einzelfalls zu beachten.
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Bekanntlich verkauft der Hersteller im Regelfall über vertriebsvertraglich gebundene Vertragshändler als Absatzmittler jedes einzelne Kraftfahrzeug an einen Händler, der es regelmäßig mit Händlermarge an den Endkunden verkauft. Beim Neuwagenverkauf erlangt die Beklagte daher den Kaufpreis abzüglich einer Händlermarge, wobei hierunter die Gewinnmarge zu verstehen ist.
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Bei einem Neuwagenkauf kann das Gericht im Regelfall nach § 287 ZPO für das Jahr 2014 davon ausgehen, dass die Beklagte einen Gewinn von rund 500,00 € vereinnahmt hat. Die genaue Gewinnmarge ist nicht bekannt. Die insoweit sekundär darlegungsbelastete Beklagte hat sich hierzu letztlich nicht hinreichend geäußert und verweist u. a. auf bereicherungsrechtliche Abzugspositionen und darauf, dass Zug um Zug das Fahrzeug gemäß § 255 BGB herauszugeben wäre.
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Es ist in keiner Weise glaubhaft, dass die Beklagte nicht wissen könnte, was sie, wenn auch nicht ganz exakt, aus dem Verkauf eines Fahrzeugs, wie es der Kläger erworben hat, erlangt. Wie könnte die Beklagte ihren Konzern ohne diese betriebswirtschaftliche Kontrolle führen? Schon geringe Beträge wirken sich im Massengeschäft, das die Beklagte betreibt, entsprechend aus. Die Beklagte kennt die Kosten der Herstellung, die Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, ihren eigenen Verkaufspreis, ihre steuerlichen Abzüge und den Vertriebsweg! Die Beklagte verkauft ihre Fahrzeuge bekanntlich nicht immer mit derselben Ausstattung, sie verkauft sie mit durchaus großen Preisunterschieden je nachdem ob sie in Deutschland ausliefert oder im Ausland, dorthin auch bei unterschiedlichen steuerlichen Gegebenheiten und angepasst an die Marktlage. Sie reduziert die Preise im Rahmen von Werbeaktionen und bei bevorstehendem Modellwechsel.
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Aus allgemein zugänglichen Quellen im Internet ist ersichtlich, dass die Gewinnmarge bei Neufahrzeugen je nach Hersteller und Fahrzeugmarke sowie Fahrzeugtyp zwischen 1,3% und 16,7% liegt, wobei bei „Massenfahrzeugen“ die Marge geringer, bei „Premiummarken“ die Marge höher liegt (z. B. https://www.focus.de/auto/ratgeber/kosten/gewinnesteigengroesseistnichtallesueberraschendezahlendasverdienendieherstellerwirklichanihre…07.html oder https://www.absatzwirtschaft.de/wasverdienendieautobauerproauto-87631/). Für einen Pkw der Marke VW soll dies im Jahr 2012 im Durchschnitt aller Fahrzeuge ein Gewinn von 751 € je Auto gewesen sein, im Folgejahr nur noch 616 € (Welt News vom 13.04.2014: Volkswagen macht mit Autos kaum noch Gewinn).
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Von diesem Rahmen geht das Gericht aus. Bei einer Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO steht dem Gericht ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH-Urteil vom 17.09.2019 - VI ZR 396/18, Rn. 13). § 287 Abs. 1 ZPO stellt an das Maß der Überzeugungsbildung des Tatrichters geringere Anforderungen als die Vorschrift des § 286 ZPO. Nach § 287 ZPO ist der Richter im Interesse des von einer rechtswidrigen Handlung Betroffenen ermächtigt, sich mit einer mehr oder minder hohen (mindestens aber überwiegenden) Wahrscheinlichkeit zu begnügen. Nur wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage für das Urteil nicht zu gewinnen ist und das richterliche Ermessen vollends in der Luft hängen würde, wenn also eine Schätzung nicht möglich ist, bleibt es bei der Regel, dass den Kläger die Beweislast für die klagebegründenden Tatsachen trifft und deren Nichterweislichkeit ihm schadet (BGH, Urt. v. 06. 12. 2012 - VII ZR Rn. 23).
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Das Gericht hat im Termin darauf hingewiesen, dass hier nicht von einem sogenannten Auslandsgeschäft ausgegangen werden kann. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Porsche Inter Auto GmbH & Co. KG eine Vertragshändlerin der Beklagten ist.
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Allerdings findet auch im Rahmen des § 852 BGB eine Vorteilsanrechnung statt, weil auch im Rahmen dieser Vorschrift das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot gilt. Der Kläger hat mittlerweile, wie oben berechnet, Nutzungen in Höhe von 13.388,48 € gezogen. Durch diese Anrechnung ergibt sich kein zuzusprechender Betrag.
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Infolgedessen war die Klage insgesamt, auch hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten abzuweisen.
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C. Nebenentscheidungen: §§ 91, 709 ZPO
71
Der Streitwert war entsprechend des Zahlungsantrags abzüglich der bereits vom Kläger berücksichtigten Nutzungen festzusetzen.